Mittwoch, 4. Dezember 1935 Nr. 282 15. Jahrgang Etazi1pr«l« 70 Hilltr («Irnchli.Blich 5 H«ll«r Forts) 1ENTRALORGAN DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH. Redaktion und Verwaltung frag xii., fochova ü telefor 907. HERAUSGEBER i SIEGFRIED TAUB  . CHEFREDAKTEUR  ! WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICH St REDAKTEUR i DR. EMIL STRAUSS, FRAG. Laval   vor dem Sturz? Ungünstige Entwicklung der entscheidenden Kammerdebatte Paris  . Die Kammerdebatte über die französische   Innenpolitik und über die Tätigkeit der bewaffneten fascistischrn Berbände nahm Dienstag vormittags bei stürmischer Stimmung ihren Anfang und wurde nachmittags in gespan nter Atmosphäre fortgesetzt. Die Regierung hat ihre ursprünglichen Dispositionen geändert und beschlossen, die Durch- beratung des Budgets erst nach vollständiger Beendigung der Interpellationen über die innere Politik und die umstürzlerischen Ligen vorzu nehmen. Die Debatte«nd die Stimmung unter den Deputierten der Linken, besonders«nter den Radikalen, haben sich offenbar in einer der Regierung ungünstigen Richtung entwickelt Die Deputierten der Linken riefen in der Kammer dem Justizministrr mehrere Male zu, er möge demissionieren. Die Regierung ist neuerlich in eine schwierige Situation geraten. Wenn sie die von der Linken geforderten Maßnahmen trifft, wird sie die Stimmen der Rechten«nd der Mitte ver­lieren und gestürzt werden; trifft sie diese Maßnahmen aber nicht, wird sie von der Linken gestürzt werden. knglkche Thronrede betont den Friedenswillen London  . In der Thronrede des Königs, die der Lordkanzler am Dienstag bei Eröffnung des neuen Unterhauses zur Verlesung, brachte, heißt es Wer die Außenpolitik u. a.: Die Außenpolitik meiner Regierung wird wie bisher im Zeichen der deutlichen Unter­stützung des Völkerbundes stehen. Meine Regie­rung ist auch weiterhin zur Erfüllung der Pakt­verpflichtungen in Zusammenarbeit mit den übrigen Bölkrrbundmitglirdern entschlossen und sie wird insbesondere bestrebt sein»«nter allen Umständen ihren Einfluß zur Aufrechterhaltung deS Friedens geltend zu machen. Infolge ihrer Verpflichtungen fühlt sich die Regierung ge­zwungen» gemeinsam mit den anderen 50 Mit­gliedstaaten gewisse Maßnahmen wirtschaft­lichen«nd finanziellen Charakters betreffend . Italien   zu treffen. Daneben wird aber die Re­gierung ihre Bemühungen zugunsten eines so­wohl für Italien  , alS auch für Abessinien und de« Völkerbund   annehmbaren Friedens fort­fetzen. I« der Thronrede heißt eS weiter, daß die -Erfüllung der sich aus dem Bölkerbundpakt er­gebenden internationalen Verpflichtungen und die Mgemessene Verteidigung des britischen Reiches Notwendig erfordern, daß einige Lücken inden britischen Verteidi­gungskräften ausgefüllt werden. * .Am Nachmittag traten beide Häuser deS Parlamentes zu der Aussprache Wer di« Thron­rede zusammen. Im Unterhaus« sprach zunächst der Führer der Arbeiteropposition Major A t t l e e. Er be­schuldigte die Regierung einer zweispaltigen Hal­tung in der Außenpolitik, da sie ein Einverneh­men mit einem Staate anstrebe, der einen An­griff unternommen hat, und gleichzeitig den Völ­kerbund fest zu unterstützen beabsichtige. . Ministerpräsident Baldwin erklärte: Aus der Ferne betrachtet, besteht aller­dings diese Zwiespältigkeit, von der Major Attlee gesprochen hat, doch will ich keine Möglichkeit außer acht lassen, anstelle des Krieges den Frieden zu verwirklichen. Der Völkerbund   macht eine Probezeit durch. Baldwin erwähnte hierauf die Bemerkung seines Vorredners Wer die einseitige Aufkündi- gung geltender Verträge und erklärte: es ist durchaus wahr, daß die Heiligkeit der Verträge geachtet werden muß. Das bedeutet aber nicht, daß diese Verträge für alle Zeiten die Gestalt behalten müssen, die sie heute haben. Die Mo­difizierung von Verträgen ist aber etwas ganz anderes als eine Verletzung und Verwer­fung der Verträge. Bekenntniskirche bleibt fest Berlin  . In Kreisen der Bekenntniskirche hat man zur jüngsten Verordnung des Kirchen- ministerS Kerrl noch keine Stellung genommen. Offenbar berät der Bruderrat der Bekenntnis­kirche noch Wer seine zukünftige Haltung. Man glaubt, daß er seine Vertreter aus dem von Mi- uister Kerrl ernannten Kirchenausschuß zurück- giehen wird. Das würde natürlich einen offe­nen Bruch bedeuten. Noch radikaler tritt der bekannte Pastor und ehemalige llnterseebootkom- -tzwudant Niemöller auf. Er tritt dafür ein, daß sich die Bekenntniskirche vom nationalsozia- Mischen Staate und von der protestantischen Kirche vollständig ablösen müsse. (ter neue Rubelkurs Die Moskauer Staatsbank teilt mit, daß ii^e Ausländsabteilung bereits eine Reihe von Maßnahmen ergriffen habe, um irgendwelche Störungen in der Einwechslung ausländischer Aaluten ist SowjetrWel im Zusammenhang mit drr Einführung des neuen Rubelkurses ab 1936 iu verhüten. Ab 1. Jänner wird der neue Kurs, em Sowjetrubel gleich drei französischen   Fran­ken, in Kraft treten. Entsprechend wird die Um- «chnung für andere ausländische Zahlungsmittel sein, und zwar: Ein Dollar gleich fünf Rubel, e n englisches Pfund gleich 25 RWel, ein Schwei­ zer Franken   gleich 1,60 Rubel usw. Für einen Rubel wird man etwa KL 4.80 zu bezahlen haben. In der Vormittagssitzung sprach der kom­munistische Deputierte R a m e t t e und nach ihm der radikale Deputierte G u e r n u t. Die­ser zählte in seiner Interpellation die Ligen halb­militärischen Charakters auf, erklärte, daß sie bewaffnet seien und sagte, zu dem Innen­minister gewendet:Sollte die Regierung ihre Methoden nicht ändern» werden wir die Regie­rung ändern". Große Aufmerksamkeit erregte es, daß Staatsminister Herriot  , der Vorsitzende der radi­kalen Partei, mehreremale offen seine Z u st i m- nnrn b Tirbttnnr 3 nlerpeli a n itn bekundete, auch als diese die Tätigkeit des Innen­ministers, gleichfalls eines fiihrenden Mitgliedes der radikalen Partei, kritisierten. Nachmittags sprach der radikale Deputierte R u c a r t, der dem Ministerpräsidenten Laval vorwarf, daß er sein Versprechen nicht gehalten und aufreizende Versammlungen auf privaten Grundstücken und in privaten Räumlichkeiten nicht verhindert habe. Die Mitglieder der L i n k s f r o n t, wel­che in den letzten Tagen in ihren Anschauungen gespalten waren, nahmen die Ausführungen des Interpellanten mit lautem Beifall auf, insbe­sondere als dieser ausführte, daß sich die Links­front zugeschworen habe, die demokratischen Freiheiten einträchtig zu schützen. Rurart warf der Regierung Laval   vor, daß sie nicht genügend energisch vorgegangen sei und dadurch zur Unsicherheit im Lande beigetragen habe. Die Sitzung hatte einen sehr lärmenden Verlauf. Sowohl der Ministerpräsident als auch der Justizminister werden durch Zwischenrufe der Linken Werschrien. Rucart legte schließlich eine scharfe Resolu­tion vor, in der es heißt,die Kammer wolle nur eine Regierung unterstützen, welche entschlossen ist, die republikanischen Einrichtungen energisch zu schüben und ßie öffentliche Ordnung sicherzu­stellen". Rom  . Die Meldungen» daß abessinische Streitkräfte rund um den Achangi-See» 100 Kilo­meter südlich von Makalle» konzentriert werden» bestätigen sich. Die zur Erkundung ausgesandten Flieger melden, daß zahlreiche Truppenabteilun- grn nach dem genannten Ort ausmarschieren. London  . sReuter.) Die Situation auf dem abessinischen Kriegsschauplatz stellt sich folgender­maßen dar: Im Massiv von Tembien wird der Guerillakrieg fortgesetzt und jede der beiden Parteien spricht von Erfolgen. Eine starke abessinische Armee» die zu einem großen Teil aus den Truppen der Hauptstadt besteht, soll sich über Dessie auf dem An­marsche nach Malaie befinden. In der Provinz O g a d e n haben die Abessinier südlich von Dschidschida Verteidigungspositionen bezogen, da sie mit einem italiensschen Angriff rechnen. Die Italiener haben nördlich von Gora- hei vorgeschobene feste Positionen bezogen. Die Deputierten der Linken erinnerten in Zwischenrufen u. a. auch an die Artikelserie eines extremen Rechtsjournalisten namens Maur  , ras, der ein Verzeichnis von 140 Deputierten, die für die Sanktionen gestimmt hatten, ver­öffentlichte und seine Artikel wiederholt mit den Worten betitelte: Schießt auf sie! Der Justizminister erwiderte auf diese Zwischenrufe, daß diese Artikel im Sinne des Gesetzes keine direkte Bedrohung mit dem Tode(l) bedeuten. Als noch lär­mendere Zwischenrufe/ laut wurden, fügte der Justizminister hinzu, daß die genannten Artikel ' trotzdem ein ernstes Delikt beeinhalten, nämlich die Aufforderung zum Mord, wel­ches einer Aburteilung durch ein Schwur­gericht unterliegt. Eine Anklageerhebung sei nicht möglich, solange keine direkte Strafanzeige vcrliege. Zwischen links und rechts Am Donnerstag tritt die Kammer wieder zusammen. Der Jnneminister wird dann? die In­terpellationen beantworten. Auch Herriot   wird vermutlich das Wort ergreifen. Um den Forderungen der Linken zu entspre­chen, hat die Negierung den Führer der faseisti- schen Organisation der Francisten, B u e a r d, vor Gericht gestellt, der Sonntag in Straßburg  verhaftet wurde, da er entgegen dem Verbot des Präfekten feine Anhänger zu einer vertraulichen Sitzung rinberufrn hatte. Dienstag gegen abends hat dir staatliche Sicherheitspolizei in Paris   in den Büros der Zentrale der Frankisten eine Hausdurchsuchung vorgenommen und verschiedene Dokumente beschlagnahmt. In der Sitzung des radikalen Klubs warf Deputierter Dasque dem Innenminister Paga- n o n vor, daß er den Bürgermeister seines Wahl­bezirkes, der ein Anhänger der Feuer kreuz- l e r ist und von dem seinerzeitigen Innenminister Chautemps abgesetzt worden war, mit dem Orden der Ehrenlegion ausgezeichnet habe. Rach einer Information aus abessinischer Quelle haben die Italiener Gorahai«nd Ger  - loghnbi geräumt. Allem Anschein nach bedeu­tet das, daß die vorgeschobenen Abteilungen des Generals Graziani diese Plätze n i ch t b e- setzt halten, obwohl sie einige weiter nach Norden vorgeschobene Punkte besetzt halten. Die abessinische O st a r m e e setzt sich aus den Trtippen des Ras Kassa zusammen, zu wel­chem die regulären Truppen des Kriegsministers Ras Meleghieta geswßen sind. Es wird erklärt, daß die abessinische Armee gut ausgestattet ist, eine geeignete Ausrüstung und genügend Muni­tion besitzt. Auch die Verpflegung sei gut orga­nisiert. Wie somaliländische Deserteure der- ita- lienischen Südarmce berichten, sollen sich an der Südfront Nur etwa 60 italienische Flugzeuge be- fmden. Die Grenzen von Britisch-Somaliland  werden von britischen Äamelreiterabteilungen (Meharisten) bewacht. Spina-Henlein| In einer Rede in Brüx   hat Minister Spina am Sonntag, wie so ziemlich in allen Reden vor ­her, betont, daß trotzdem der Bund der Land­wirte mit den Sozialdemokraten in der Regierung sei, trenne ihn von der Sozialdemokratie ein A b- gründ. Vor wem sich Herr Dr. Spina immer aufs neue anstrengt, ein Alibi seiner konservati­ven antisoziälistischen Gesinnung zu erbringen, ist nicht bekannt, keineswegs bildet diese wiederholte Unterstreichung seiner Abneigung gegen den So­zialismus noch eine Ueberraschung und falls er sic einmal zur Ausschmückung einer Rede unter­lassen sollte, wird man ihn noch lange-nicht einer ähnlichen Verbandelung verdächtigen, wie sie der­einst zwischen ihm und der ihm zur Zeit bitter feindlichen Henleinpartei bestand. In der Tat: feindlich, todfeindlich, um so bemerkenswerter ist es, daß Herr Minister bei der Kennzeichnung der Stellung seiner Partei zur SdP von einem »Abgrund" zu sprechen unterläßt, sondern bloß Meinungsverschiedenheiten als das trennende Moment hervorhebt. Also bei den Sozialdemokraten trotz des wie man meinen tollte einigenden gemeinsamen demokratischen Glau ­bensbekenntnisses ein»Abgrund", bei der SdP trotz des Gegenteils einer solchen Gesinnung und Zielsetzung und trotz schmutzigster Angriffe aus dieser Richtung ein weit weniger krasses Hervor­heben des Trennenden was zu sagen bei aller Koalitionsgemeinschaft Herr Spina unS nicht übelnehmen kann. Auch in Brüx   hat Minister Spina nicht ­weiter getan, als au der SdP politische Kritik ge­übt, dennoch hört man, der Ascher fiebenzimmerig« Turnlehrer beabsichtige, gegen Spina die E h r n« beleidigungSklage einzubringen, ja so ­gar mit der Drohung einer Minister­anklage wird herumgeflunkert. DerStam­mesführer" und sein Stab haben es sich ange« wöhnt, zum Schuhe ihrer dem»Führer" haar­genau abgelauschten und angepaßten Ideologie und Propaganda, bei gebührender Kennzeichnung durch volitisibe Gegner die Gerichte des tschecho­slowakischen demokratischen Staates in Anspruch zu nehmen. Vor kurzem hat ein SdP-Senator die Dreistigkeit gehabt, die Politiker und Parla­mentarier vor Henleins Auftreten in Bausch und Bogen des Eigennutzes zu beschuldigen, indem er sagte, die früheren Politiker hätten von der Politik gelebt, während die SdP-Leute für die Politik und für das Volk leben. .Henlein   hat diese zahm auSaedrückt Un­anständigkeit geduldet, aber er kündigt an, zum Kadi zu lausen, weil Propagandamethoden seiner" Partei charakterisiert worden sind. Denn um nichts andere? bandelt es sicki bei der angeblich zu klagenden Stelle:»Die Wahlen wurden von der SdP als Saarabstimmung, als Plebiszit über die Zugehörigkeit zu diesem Staate oder zu Deutschland   aufgemacht. Welcher Staat kann sich da? bieten lassen?" Die Verantwortung für die Uebereinstimmung des wirklichen Wortlautes mit dieser Tertierung trägt der ausgegebene Ver­sammlungsbericht, jedenfalls muß man über die Kühnheit des V-rsucheS staunen, ein bestimmtes Tbema der Wahlprrchaganda der SdP wobei gleichgültig ist, ob diese Propaganda öskentlich oder geheim betrieben wurde mit Hilfe der Gerichte in das Re'ch der Legenden verbannen zu wollen. Es hat Zebntausende, ja Hunderttau« sende in den Grenzgebieten gegeben, die felsenfest daran glaubten, die Wahlen seien ein wenn auch von Regierungsseite unbeabsichtigter Akt der Vor­bereitung für einen Anschluß der deutschsprachigen Gebiete der Tschechoslowakei   an Deutschland   u d der Einmarsch Hitlers   werde unmittelbar nach der Abstimmung erfolgen. Daß eine solche Ueberzeu« gung in die Köpfe von Hunderttausenden wie | Manna vom Himmel gefallen sein sollte, wird .man ebensowenig glauben, wie daß die politischen Gegner HenleinS zu seiner Unterstützung eine solche Agitation betrieben hätten und eS dürste^ nicht gar so schwer werden, wie eS sich Herr Hen- ! lein vorstellt, einer gewissen und sehr bekannten Flüsterprovaganda nachzuweisen, welchen Anteil . sie an der Bildung dieses Glaubens von Hundert« I tausenden genommösi hat. Kommt eS wirklich zum Prozeß, so kann eS leicht geschehen, daß der Ascher sudetendeutsche Erlöser bei weitem weniger Freude an ihm finden wird, als ihm offenbar«etzt vorschwebt. DieSudetendeutschen Pressebriefe" Hen ­leinS faseln auch etwas von der Drohung.mit einer Abessinische Armee marschiert gegen Makalle