ZENTRALORGAN PER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH. Redaktion und Verwaltung frag xii.,fochova<2. Telefon m HERAUSGEBER : SIEGFRIED TAUB . CHEFREDAKTEUR « WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR« DR. EMIL STRAUSS , FRAG. DBZBlmlt70 HBBW («liuchlicfillch 5 Haller Fort») 15 Jahrgang Dienstag, 10. Dezember 1935 Nr. 287 Grenzzwischenfall In Tilsit Litauischer Polizist über die Grenze gelockt und verhaftet Berlin . Wie von gut unterrichteter Seite verlautet, ereignete sich am 6. Dezember ein deutsch -litauischer Grenzzwi­schenfall. Die.deutsche Polizei verhaftete nämlich in Tilsit den Chef der Patzkontrolle der litauischen Grenzpolizei, Wachtmeister Kausa. Die deutsche Grenzpolizei bei Tilsit hatte zunächst einen Brief an den Chef der litauischen Grenz­polizei mit der Forderung geschickt, sich auf die deutsche Seite zu begeben, um die Angelegenheit eines Tilsiter Kaufmannes mit der deutschen Patz­kontrolle zu klären. Bon litauischer Seite wurde daraufhin Wachtmeister Kausa geschickt, der bald darauf auch zurückkam. Zehn Minuten später kam einzweiterBriefan Kausa, er solle in derselben Angelegenheit nochmals zur deut­ schen Patzkontrolle kommen. Diesmal jedoch kehrte Kausa nicht mehr aus Deutschland zurück Und die deutsche Polizei verweigerte dem litau­ischen Generalkonsul in Tilsit jede Auskunft. & Der litauische Gesandte in Berlin hat im Auswärtigen Amt gegen die Verhaftung Ver­wahrung eingelegt und eine schnelle und ein­gehende Untersuchung des Falles sowie die so- fcrtige Freilassung des Verhafteten verlangt. Chinesische Studenten sesen Japan Peiping(Reuter.) Der japanische Mili­tärattache in Peiping unternahm bei dem Bür­germeister von Peiping Tschintehtschun eine De- Tnarche und befragte ihn nach dem Charakter der antijapanischen Sftldentendemonftrationen der letzten Tage, an welchen mehrhundertköpfige Gruppen von Studenten durch die Tore Hentschin und Tsinhoa in Peiping eingefallen waren. Ein Teil der Studenten konzentrierte sich bei den To­ren, während ein Trupp von 2000 Studenten durch die innere Stadt zog, wobei die Studenten dar dem Sitz des Generäls Hojintschin, des chi- Uesischen Kriegsministers, demonstrierten und in den Ruf ausbrachen:Rufen Sie die Armee un- ttj die Waffen, zum Kampf gegen Japan ",Fort Mit den Autonomisten",Soll China eine Ja­ panische Kolonie werden?". Bei einem Zusam- Menstotz mit der mit Stöcken ausgerüsteten Po­lizei wurden mehrere Studenten leicht verletzt und mehrere Studenten verhaftet. Putschversuch In Estland Tallinn. lETA.) In der Rächt ans Sonntag überraschte die Polizei eine geheime Versammlung der Führer einer illegalen Bewe­gung, angeblich ehemaliger Frontkämpfer. Es wurden 30 Personen verhaftet. Aus den kon­fiszierten Akten geht hervor, daß die Berschwörer sich mit Gewalt der Regierung bemächtigen woll­ten. Vorsitzender der neuen Regierung sollte der Führer dieser umstürzlerischen Bewegung Ar­ tur Sirk sein, der als Emigrant in Finn­ land lebt. Rücktritt Chapaprletas Madrid.(Tsch. P.-B.) Der spanische Ministerpräsident Chapaprieta teilte kurz nach Mittag mit, daß er dem Staatspräsi­denten den Rücktritt des Gesamtkabinetts ange- irigi habe. Als Persönlichkeiten, die für die Bildung des neuen Kabinetts in Betracht kommen, wer­den einerseits der Führer der rechtsstehenden Katholiken Gil Nobles, andererseits Mar« kinez de VelaSco angeführt. Sollte der Versuch der Bildung eines Kabinetts der Ver­söhnung der Parteien nicht gelingen, würde irgendein zweitrangiger Politiker mit der Bil­dung der neuen Regierung betraut werden. Dieser würde die Auflösung der Cortes durchführen und die N e u w a h l e n für Anfang nächsten Jahres vorbereiten. Zeitungs*Gegensanktlon Rom. (Tsch. P.-B.) Die Einfuhr der eng« sichen Zeitungen nach Italien ist bis auf wenige Ausnahmen wieDaily Mail" und ihr Konzern, »Rorningpost",Observer" undDaily Erpretz" derboten vordem Diese Maßnahme gehört, so lvird von zuständiger Seite erklärt, in die Ab- ivehraktion Italiens gegen die Sanktionen. Mit verdeckten Karten Eröffnung der Flottenkonferenz: Alle wollen abrütten... Montag wurde im sogenannten Loearnosaal des britischen Außenamtes in der Downing- strert in London die Marinekonferenz der fünf Seemächte eröffnet, die über eine Verlängerung oder Aenderung der beiden Abkommen von Washington und London beschließen soll. Die Kon­ferenz wird voraussichtlich eine» erbitterten Kampf zwischen dew beiden angelsächsischen Mäch­ten einerseits, Japan andererseits und einige scharfe Auseinandersetzungen zwischen England» Frankreich und Italien wobei die Rollen noch nicht ganz zu übersehen sind und sie wird kaum eine Abrüstung bringen. Die Eröffnungssitzung aber verriet nichts von den tiefen Gegen­sätzen. Jede Macht suchte den Anschein zu erwecken, daß ihr nichts so sehr am Herzen liege, wie die weitere Herabsetzung der See-Rüstungen. Ganz versteckt in höflichen und friedlichen Phrasen entdeckt man die Stacheln, an deren Widerhaken das Gewebe der Abmachungen vielleicht zerrei­ßen wird. Baldwin betonte zuerst, daß England bereit sei, die beiden Verträge mit geringen Aenderungen zu verlängern. Es wolle gern auch die Ausmaße der großen Einheiten und Kali­ber herabsetzen. Lor allem aber sei es auch jetzt für die Abschaffung der U-Boote, Wenn diese nicht durchzusetzen sei, wolle es wenigstens eine strenge Umschreibung des zulässigen Vorgehens von U-Booten gegen Handelsdampser. Er deutete an, daß mit Frankreich und Ita­ lien über diesen Punkt bereits eine Einigung erzielt sei. Für die USA sprach Norman Da­vis, der einen Brief Roosevelts verlas, in dem Antrrika konkret die Einschränkung der Gesamttonnage um 20 Prozent, wenn das abgelehnt werde um 15 bis 5 Prozent fordert, falls auch das unmöglich sei, die Verlängerung der bisherigen Abkommen. Grand! betonte Italiens Abrüstungswillen(!) und C o r b i n versicherte» daß Frankreich die gleichen Absichten hege. Es sei insbesondere für Einschränkung der Gesamttonnage und der gro­ßen Kaliber. Uebertaschenderweife gab auch Admiral Nagano im Namen Japans eine grundsätzliche Erklärung für die Einschränkung der Rüstungen ab, allerdings betonte er, daß vor allem die Angriffswaffen herabgesetzt werden müßten(die großen Schiffe) während die»Ver­teidigungskräfte" zu garantieren seien(U-Boote) also just das, was England und die USA verhindern wollen. Die Vertreter der Mächte werden wohl bald weniger friedlich sprechen, sowie sie erst ihre Karlen aufdecken müssen. Endgültigletzter** Friedensschritt? Englische Zugeständnisse an Mussolini . Die Verhandlungen Sir Samuel Hoares mit Laval haben einem offiziellen Kommunique zu­folge zu einer Einigung zwischen Frankreich und Großbritannien über das letzte, Italien zu stellende Vermitt­lungsangebot geführt. Einzelheiten verrät das Kommunique zwar nicht, sie scheinen aber von den in der französischen, dem Quai d'Orsay nahe­stehenden Presse veröffentlichten Bedingungen nicht weit abzuweichen. Viel bemerkt wird die Verlängerung des Aufenthaltes Hoares in Paris mn volle 24 Stunden und die neuerliche Be­tonung vollkommener Einigkeit zwischen den Westmächten. Wie verlautet, bietet man Italien einen Teil der Provinzen Tigre und D a n a k i l, aber ohne Aksum (also ver­mutlich das Gebiet von Adua, Makalle und öst­lich dieser Linie ein Stück der Danakilwüste), ferner im Süden die O g a d e n und einen Teil der westlich anschließenden Provinzen bis zum 8. Breitengrad nach Norden und zum 39. Län­gengrad im Westen. Obwohl auch dieses Gebiet überwiegend Wüste ist, soll es Siedlungsmöglich­keit für eineinhalb Millionen Menschen bieten, eine Möglichkeit, an der Muffolini im Ernst ja gar nicht liegt. Abessinien soll dafür einen Kor­ridor zum Meere und entweder den ita­lienischen Hafen A s s a b oder den englischen Z e i l a erhalten. Vorteilhaft für Italien wäre, daß die neue Grenze bis auf 130 Kilometer an Addis Abeba heranführen und den Italienern im Gebirge einen günstigen Ausgangspunkt für spätere lleberfälle und zivilisatorische Raubzüge bieten würde, ungünstig ist für Mussolini , daß die Lö­sung nicht keine Verbindung von Somaliland und Erytrea vorsieht, sondern noch einen abessi­nischen Korridor schaffen will. Insgesamt wäre das Angebot eher weniger, als Mussolini ohne Krieg hätte haben können, da vor allem die Souverän! tat des Negus gewahrt bleiben und ihm nur empfohlen werden soll, sich aus Genf technische Berater" zu verschreiben. So annehmbar die Lösung für England wäre, so schwer würde sie doch das Ansehen des Völker» I bnndestreffen. Denn sie würde immerhin den Angreifer be» lohnen, de» im Pakt vorgesehenen Schutz der Grenzen aller Mitglieds» staaten zugunsten der Großmächte und zum Schaden der kleine« Staa ­ten durchbreche« und natürlich für jeden andere« Staat eine» gewal­tigen Anreiz schaffen, sich auf das Risiko von Sanktionen hin doch eine Abschlagszahlung zu verschaf­fen. Vor allem wäre den deut­sche« K o l o n i a l w ü n s ch e n kaum mehr ein stichhaltiger Ein­wand entgegenzusetzen. Es heißt, daß in Genf Verstimmung über das eigenmächtige Vorgehen der beiden Groß­mächte herrscht. Vorläufig ist die Abmachung nach London gedrahtet worden, damit das Ka­binett sie bestätige. Von Mussolini erwartete man in der Senatssitzung am Montag eine Aeutzerung zu den neuen Vorschlägen. Er erging sich aber nur in allgemein kraftineierischen Phrasen vom Durchhalten und dem Sieg über das Sanktions­unrecht. Wenn Italien ablehnt, dürfte es sehr rasch zu der Oelsanktion und vielleicht zu weiteren Schritten kommen, da jede Macht dann ein Interesse an einer schnellen Bereinigung des Konflikts um jeden Preis hätte. Italienisches Mindestprogramm Rom . Amtlich wurde im Ausschuß an die SenatSsitzung erklärt, daß die Regierung noch keine Mitteilung über die in Paris aufgestellten Vorschläge zur Lösung der abessinischen Frage er­halten habe. Man zeigt deshalb in diesen Kreisen auch weiterhin strengste Zurückhaltung. Anzeichen von gutem Willen seien, wie man betont, auf allen Seiten vorhanden. Alles weitere werde davon ab- hängen, ob die französisch-englischen Vorschläge einem Minde st Programm Italiens ent­sprechen können. Eine Schlacht Im Ganse? Addis Abeba .(Reuter.) Es kursieren hier Gerüchte, denen zufolge in den letzten Tagen zwischen der Armee des Ras Pestja und großen italienischen Truppenabtcilungen aus Somali­ land im äußersten Westteil der Südfront nörd­lich von Pola eine erbitterte Schlacht entbrannt sei. Bisher sollen 1600 Mann gefallen sein. Die Abessinier melden, daß sie zwei italienische Tanks bei dieser den ganzen Tag hindurch andauernden Schlacht erbeutet hätten. Die Verluste auf abes­sinischer Seite betrugen 850 Mann, jene der Italiener 700 Mann,.., Krisenbekämpfung Zur Herabsetzung des Zinsfußes Die Regierung hat für diesen Winter ein großzügiges Hilfswerk unternommen, indem un­ter den Arbeitslosen Fett, Mehl, Zucker und Gerstenkaffee ausgeteilt werden wird. Dadurch bekundet die Koalitionsmehrheit, deren vorwärts- treibender Teil in allen sozialen Fragen die so­ zialistischen Parteien sind, daß die Gesellschaft die Pflicht hat, für die Opfer der Krise in diesen schweren Wintermonaten in erhöhtem Matze zu sorgen. Aber neben diesen Hilfsmaßnahmen mutz alles daran gesetzt werden, um unsere Wirtschaft in Gang zu bringen. Diesem Bestreben gilt eine Maßnahme, deren Durchführung vor der Tür steht, das istdieHerabsetzungdesZins- f u tz e s. Je weiter die Entwicklung der kapitalistischen Produktion fortgeschritten war, desto wichtiger wurde die Frage des Zinsfutzes. Der steigende Kapitalbedarf der Industrie hat es mit sich ge­bracht, daß die industriellen Betriebe auf Kredite immer mehr angewiesen sind. Der Zinsfuß" war sozusagen der Preis, den man für das geliehene Kapital zahlen mußte. So wie im klassischen Ka­ pitalismus der Preis aller Waren automatisch durch Angebot und Nachfrage geregelt wurde, so erfolgte auch die Regelung des Zinsfußes mecha­nisch. War viel Kapital vorhanden und nur eine geringe Kapitalnachfrage, sank der Zinsfuß, war große Nachfrage nach Kapital, dem nur ein ge­ringes Angebot gegenüberstand, war der Zins- I fuß hoch. In den Zeiten der Konjunktur, da viel > investiert wurde, war die Nachfrage nach Kapital groß, der Zinsfuß war daher hoch, während in der Zeit der Krise die Kapitalnachfrage geringer war und der Zinsfuß sank. Je mehr nun der Zins­fuß sank, desto rentabler wurde wieder die Pro­duktion, so daß der niedrige Zinsfuß in dem automatischen Nachein­ander v o n K o n j u n k t u r und Krise ein wichtiges Mittel war, den TiefpunktderKrise zu überwin­den. Besondere Bedeutung hatte das stets für die Bauindustrie. Je billiger gebaut werden tonnte, desto billiger waren die Zinse, je niedri­ger der Zinsfuß war, desto rentabler war die An­lage von Kapital in Gebäuden. Wie aber aller Mechanismus in der kapita­ listischen Produktionsweise in den letzten Jahren versagt hat, so auch die Mechanik des Zinsfußes. Obzwar wir es. mit einer Krise zu tun haben, wie sie den Kapitalismus noch niemals heimgesucht hat, ist der Zinsfuß unangemessen hoch. Da nun die selbsttätige Mechanik des Kapitalismus nicht imstande ist, einen niedrigeren Zinsfuß herbeizu­führen, muß eben der Staat eingreifen und den Zinsfuß herabsetzen. Diese durch den Staat zu erfolgende Herabsetzung des Zinsfußes wird hie Neuanlage von Kapital rentabler machen und s o eines der Mittel sein, die Wirt» schaftzu beleben. Der Eingriff des Staa­tes auf dem Geld- und Kapitalmarkt stellt eine Abkehr vom freien Kapitalismus dar und kann von der Sozialdemokratie grundsätzlich bejaht werden. Es wurde bei den Auseinandersetzungen über die Herabsetzung des Zinsfußes hervarge- hoben, daß die Wirkung dieser Maßnahmen'da­von abhängt, umwieviel der Zinsfuß herabgesetzt werden wird. Die Herabsetzung wird nun bei Einlagen dreiviertel Prozent, beim Debet-Zinsfuß eineinhalb Prozent betragen und ist also nicht übermäßig groß. Die Wirkung der Zinsfußherabsetzung wird aber er­höht werden durch gleichzeitige Ent­schuldungsaktionen, die sowohl die Schulden der öfsentl. Körperschaften als auch die Privatschulden, insbesondere die Hypothekarschul­den betreffen. Dadurch nämlich, daß die Abzah­lung dieser Schulden auf einen größeren Zeit­raum verteilt und obendrein der Zinsfuß herab- ! gesetzt wird, wird die jährliche Verzinsung weit ? geringer sein als bisher und so tatsächlich sowohl öffentlichen Körperschaften als auch privaten Schuldnern Erleichterung gebracht. Freilich muß betont werden, daß die Herabsetzung des Zins­fußes allein keine wirkungsvolle Maßnahme sein kann, wie denn überhaupt zu sagen ist, daß durch eine Maßnahme allein der Weg aus der Krise nicht gefunden werden kann. Nur durch ein systematisches Eingreifen des Staates in das Wirtschaftsleben, nur dadurch, daß eineganz: Reihe v o n M atznahmen getroffen