Nr. 1

Mittwoch, 1. Jänner 1936

Sudetendeutscher Zeitspiegel

Die sudetendeutsche Volkshilfe bei der Firma Schicht

Betriebsleiter kassieren die Arbeiter!

Der Oeffentlichkeit ist nicht mehr unbekannt, was sich an Raziagitation im Betriebe der Firma Schicht A.-G. in Aussig   abspielt, wo nicht allein der Großteil der Beamtenschaft seit jeher deutsch­national ist, sondern auch der Großteil der Be­triebsbeamten und Betriebsleiter waschechte ehe= malige Hafenfreuzler und dermalen Henlein­Nazi sind.

Bei der Toleranz, die diese Agitatoren sei­tens der Direktion genießen istt es kein Wunder, wenn diese Vorgesezten ihre wirtschaftliche Vor­machtstellung dazu benüßen, die Arbeiter der von ihnen geleiteten Betriebsabteilungen zu Leistun gen für die Sudetendeutsche Volkshilfe zu zwingen..

In der Delreinigung 4 wurden in der letz­ten Zeit vom Betriebsleiter Kombholz ge=

druckte Spendenerklärungen für die Sudeten  deutsche   Volkshilfe an die dort beschäftigten

Arbeiter verteilt. Es ist klar, daß sich kein Ar­beiter erlaubte, eine Spendenerklärung zu ver= weigern, wenn der Herr Betriebsleiter eine solche Aktion in eigener Person durchführt.

Es ist aber die Frage aufzuwerfen, was die Direktion der Firma Schicht A.-G. dazu sagt, wenn einzelne ihrer Betriebsleiter entgegen der behördlichen Anordnung sich solcherart betätigen? In der behördlichen Bewilligung zur Sammlung für die SVH heißt es ausdrücklich:

,, Die Auflegung oder das Zirkulieren der Sammelbögen oder die Anbringung der Sam­melbüchsen und die Durchführung der Sammlun­gen überhaupt in den Geschäften, Unterneh­mungen, Geldanstalten, Zeitungsadministra=

Agrarische Genossenschaft liefert Kohle

Wie die ,, Nová Doba" berichtet, ist an die landwirtschaftliche Genossenschaft in Pilsen   eine Kohlenlieferung für das Ministerum für Natio­nalverteidigung vergeben worden. Die ,, Nová Doba" schreibt dazu, es sei sehr schön, wenn das Ministerium Kohlenlieferungen nicht nur an Pra­ ger   Firmen vergebe, sondern sich auch an eine Genossenschaft in der Provinz erinnere. Auf­fällig sei nur, daß diese Genossenschaft ein Unter­nehmen der Agrarpartei ist und der Minister für nationale Verteidigung das Mitglied derselben Partei. Manche Leute könnten nun sagen, daß der Minister, der in enger Verbindung mit der Agrarpartei ist, seiner Dankbarkeit dieser Partei gegenüber Ausdruck gibt, die ihm das Minister­amt verschafft hat. Aber viele andere Leute wer­den fragen, warum gerade eine Sohlenlie= ferung an eine landwirtschaftliche Genossen­schaft vergeben wird. Man fann begreifen, wenn eine solche Genossenschaft z. B. Hafer oder an­dere landwirtschaftliche Produkte liefert, denn die Genossenschaften wurden zur Unterstützung der Landwirte gegründet, insbesondere deswegen, um den Landwirten für ihre Produkte anständige Preise zu bezahlen und damit die Landwirte nicht in die Krallen von Spekulanten kommen. Wenn also die Genossenschaften der Armee landwirt­schaftliche Produkte zu anständigen Preisen liefern, fann man sich darüber nicht wundern, aber Kohle ist doch kein landwirtschaft­Tiches Produkt!

tionen, Schulen, Gast- oder Kaffeehäusern und ähnlichen öffentlichen Lokalen, ferner in Fa briken und Betrieben und Handelskanzleien und endlich die Anbringung der Sammelbüchsen bei den Theater- und Kinokassen wird nicht be­

willigt."

Interessant ist noch der Umstand, daß auf Unterschrift des Geldüberne h= den gedruckten Spendenerklärungen auch die mers gesetzt werden muß und daß im vorlie­genden Falle der Betriebsleiter Sombholz eigenhändig die abgelieferte Spende bestätigte. Der Hinweis, daß der Betrag abzuholen ist, wurde durchgestrichen. Die Arbeiter müssen erklären, daß die Spende von ihnen selbst abzuliefern ist.

Nicht uninteressant ist auch, daß diese Spen­denerklärungen bei der ersten Ausgabe auch den Namen des Unternehmens trugen, der aber dann

Krommer

abgeschnitten wurde, offenbar, um der Firma

teine Unannehmlichkeiten zu machen.

Die Behörde wird nicht umhin können, das für zu sorgen, daß die für die Sammlungen der SVH erlassenen Anordnungen auch befolgt

werden.

Henleins Geldquellen

Aus Nordböhmen   wird uns geschrieben: wurde berichtet, der Führer" der SdP hätte dort Ueber den Vortrag Henleins in London  behauptet, die Wahlkosten seiner Partei wären durch die Beiträge von 400.000 Mitgliedern auf­gebracht worden. Auf die Frage, welche Beziehun­gen zwischen seiner Partei und der Kredit bezeichnenderweise keine Antwort. anstalt der Deutschen   bestünden, gab Henlein  

kreisen der SdP, daß die Wahlkosten ihrer Dazu erfahren wir aus Funktionär­Partei auf sieben Millionen beziffert werden. Die Kosten des Parteiaufbaues und das jährliche Gesamtbudget der Henlein  - Bewegung werden von Eingeweihten weit höher beziffert.

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ben ist. Nicht minder wichtig wäre auch ein nähe= rer Aufschluß über die Finanzierungsquellen ber Tagespresse der judetendeutschen Allerweltpartei.

Mieterschutz

bis Ende März verlängert Prag  . In der Gesetzessammlung wurde unter Nummer 259 eine Notverordnung fundgemacht, durch welche das Mieterschutzgesetz in seiner letzten Fassung vom Feber 1934( mit den sinngemäßen Aenderungen), das Gesetz über die exekutive Räumung von Wohnungen und das Gesetz über die außerordentliche Wohnungsfür­forge bis zum 31. März 1936 verlängert wird.

Im Batscheider- Prozeß wurden Dienstag die

Angeklagten Dehm, Gröger, Schiller   und Ing. Fulda einvernommen. Sie leugneten die ihnen zur Last gelegten Delikte und widerriefen zum Teil ihre protokollierten Aussagen vor dem Unter­suchungsrichter, wobei sie sich auf die mangelude

Kenntnis der tschechischen Sprache beriefen. Abge= sehen von dem konkreten Fall, in dem der einver­nach Aussage des Senatsvorsitzenden ein verläß­nehmende Untersuchungsrichter ein Deutscher und licher Mensch gewesen sein soll, zeigt sich hier doch einer der schwersten Mängel unferes Ges richtswesens: die Sprachenpraris. Es wäre nicht nur demokratisch, sondern vor allem Es wäre also doch gut, wenn die SdP der durchaus praktisch und im Interesse des Staates ge­heimischen Oeffentlichkeit ihre Beziehungen zur legen, wenn alle Prozesse in der Sprache des An­Kreditanstalt klarlegen würde, nachdem schon Herr geklagten geführt und alle Aussagen im Original Henlein   in London   diese Auskunft schuldig gebite- protokolliert würden.

Masaryk  - Staustufe der Elbe bei Schreckenstein

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A

( Zeichnung von Helmuth Krommer)

Neujahrsbräuche

In den Hafenstädten der skandinavischen Län­der werden am Neujahrsmorgen die Lebensretter von der Stadtverwaltung beschenkt; zwei Bect e- ter des Stadtrats erscheinen bei den Männern, die im Kampf gegen Sturm und Wasser ein Men­schenleben gerettet haben und überreichen ihnen eine Ehrengabe der Stadt.

Ein malaiisches Sprichwort sagt:" In der Neujahrsnacht wird die Feindschaft begraben." Wenn zwei Malaien das ganze Jahr nicht mit einander gesprochen haben, so suchen sie einander in der Silvesternacht auf und geben sich die Hund zur Versöhnung.

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Die Landwirte der   Normandie hängen am Silvesterabend Kleine Glocken an die schöniten Obstbäume ihres Gartens; dann stellen sie sich, um Mitternacht, zu den Bäumen. Wo die Glocken im Winde läuten, wird im nächsten Jahr Fruchtbar

feit sein.

Und am 1. Jänner stehen sie ohne Schulden da das erste und das leztemal im Jahr.

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Die falifornischen Gefängnisse bereiten ihren niassen ein seltsames und ungewöhnliches Neu­jahrsfeir; in dieser Nacht nämlich dürfen die Ge­fangenen in ihren Zellen Bier, Wein und Schnaps trinken, die von der Gefängnisverwaltung zur erfügung gestellt werden. Der Brauch hat schon seinerzeit vor der Prohibition bestanden, aber er mußte dann abgeschafft werden: es zeigte sich, daß farz vor Silvester die Delifte sich in auffallender Weise mehrten. Bis man auf den Grund fam: wer sich umsonst betrinken wollte, ging vor Sil­vester auf einige Tage ins Gefängnis.

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Einen Abend lang ist man wieder zu Hause. Des= halb ist der Silvesterabend für viele Menschen draußen der traurigste Abend des Jahres.

In den Kirchen von   Bolivien und   Paraguay wird alles ausgepackt; das Nachtmahl wie zu betet man in der Neujahrsnacht in den Kirchen am Hause, die Grammophonplatten und die Bilder... Frieden. In dieser Nacht, der einzigen des Jah 1es, lassen die Männter ihre Messer und Revolver zu Hause; wer mit einer Waffe gesehen wird, ist geächtet. Als der Strieg im Chaco tobte, wünsch= ten die Menschen einander: Es soll bald eine Zeit tommen, da jede Nacht eine Neujahrsnacht ist

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Die Musiker und Künstler von   Melbourne " haben seit zwei Jahren eine schöne Sitte geschaf fen, die Nachahmung verdient: alljährlich mieten sie am Silvesterabend den größten Saal der Stadt und spielen dort unentgeltlich für die Arbeitslosen und Armen, die sich das ganze Jahr hindurch kein Vergnügen Teisten können. Damit feine Univir­digen" hereinkommen, übt die Stadtverwaltung eine strenge Kontrolle aus.

In den japanischen Tempelhainen fann man in der Neujahrsnacht viele kleine Reispapiere sehen, die an den Zweigen der Bäume hängen und im Winde flattern. Die kleinen Papiere sind Gebete an die Göttin, in denen die heiratsluiti gen jungen Mädchen baldige Hochzeit erflehen. Da auf jedem fein säuberlich Name und Adrejje der Bittstellerin angemerkt stehen, haben es die ehelustigen Männer nicht schwer, in diesem flat ternden Nejahrsannoncenwald zu wählen. Meist entscheiden sie sich für die Frau, welche durch An­mut der Schrift und Innigkeit des Stils den größten Eindruck auf sie gemacht haben.

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Bei den Negern von Trinidad und   Antigua Einfach und ergreifend ist die kleine Auf­hat sich eine alte Neujahrssitte bewahrt: in der merksamkeit, welche die Central Argentine Rail­Nacht vor dem ersten Jänner stehen die Häuser der way diese Bahn verbindet die beiden Küsten Reichen den armen und bedürftigen Menscher von   Südamerika in der Neujahrsnacht ihren offen. Einmal im Jahr sind hier Arme an der Angestellten erweist. Sie sendet aus den großen caftlichen Tafel ibrer beneideten reichen Mitbür Stationen Lokomotiven aus, welche den einsamen ger und feiner verläßt das Haus, ohne vom Herrn Streckenivärtern, die in ihren Hütten weitab aller des Hauses ein Geschenk empfangen zu haben. Die Europäer in den Kolonien, die in erotis Behausungen leben, Geschenkförbe bringen. schen Ländern Tausende von Kilometern von er In Ceylon, der Hauptstadt   Colombes, stehen Heimat entfernt Teben, mögen auch noch so ver- 24 Stunden Silvester? Auch das gibt. 18: Die Chinesen bezahlen zu Neujahr ihre die Menschen in der Silvesternacht vor großen stockt sein und jeden Zusammenhang mit Ler auf den Schiffen, die ostwärts fahren und den 180. Schulden. Das ganze Jahr hindurch mögen sie runden Spielen, die einigermaßen an unsere Seimat meiden; einmal im Jahr überfällt sie das Längengrad passieren. Wenn man die Neujahrs­trinfen, Opium rauchen, spielen und faulenzen, Rouletteplatten erinnern. Jeder wirft einmal Heimweh. Wenn sie Weihnachten ihre Familie bräuche, die das internationale Seemannsritual Geld ausleihen und auf fremde Kosten leben; aber die Elfenbeinkugel im Kreis herum; sie fällt in beschenkt haben, beschenken sie sich selbst zu Neu- für diesen Fall vorschreibt, alle mitmacht, weiß niemals würden sie mit einer Schuldenlast ins teue eine der Vertiefungen und daraus leiten die jahr: Wochen vorher werden Lebensmittel und man am Ende nicht mehr, auf welchem Längen­Jahr hinübergehen. Sie radern sich, suchen die Buddhapriester ihre Voraussage für das nächste Weine aus der Heimat bestellt, Grammophen- grad, in welchem Jahr und in wessen Haut man unmöglichste Arbeit und schinden sich wie die Tiere. Jahr ab. platten und Photographien. Am Silvesterabend sich befindet. Josef Wechsberg.

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