16. Jahrgang Nr. 2 Freitag, 3. Zänner 1S36 ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH. REDAKTION UND VERWALTUNG PRAG X1I..FOCHOVA 42. TELEFON 0077. HERAUSGEBER) SIEGFRIED TAUB . VERANTWORTLICHER REDAKTEUR) DR. EMIL STRAUSS, PRAG . ElRztlprait 70 iMlsr C.lMcNWeikA 5 Heller Porte) IENTRALORGAN DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK Kein Versehen- sondern Absicht Die italienische Schandtat gegen das Rote Kreuz Mit Maschinengewehren gegen operierende Aerxte Trauer und Empörung erfüllen die zivilisierte Welt ob der beispiellosen Schandtat der italie» nischen »oldateska gegen die Hilfsstation des Schwedischen Roten Kreuzes an der Somalifront. In Schwede» selbst sind die Fahnen auf Halbmast gehißt» die Stimmung der Bevölkerung ist erregt, die Regierung hat alles unternommen» um den Fall restlos aufzuklären und die Gewissen der Welt auf. zurufen. Es ist bezeichnend für den edlen Charakter des demokratischrnSchwe- denvolkrs» das selbst seit mehr als 100 Jahren keinen Krieg geführt hat» sondern seine Mission immer darin sah» helfend rinzugreifen, wenn andere Rationen Blut vergießen, daß die ö f f r n t• licheM ei uungalsnäch st«Maßnahme die Entsendung einer neuen «mb»lang fordert. Prinz Karl von Schweden, der Präsident des Roten Kreuzes, hat das Präsidium zu einer dringenden Sitzung einberufen. Besonders lebhaft ist die Anteilnahme in den übrigen skandinavischen Staaten, aber auch in England und in allen Bölkerbundsländern. Dir Hitlerpresir bringt dir Nachricht stark bagatellisiert und ohne Kommrntar. Italien hat sich ohne Zweifel durch die bestialische Untat und schwere Rechtsverletzung schwer geschadet. Die Nachricht, daß unter den 32 Toten neun Schweden sich befinden, hat sich nicht bestättgt. Außer dem Chefarzt Dr. Hhlander wurde noch rin Schwede verwundet» die anderen blieben unverletzt. Die 32 Toten und etwa 50 Verwundeten sind Abessinier, die in dem Spital Aufnahme gefunden hatten. An der Tatsache deS Angriffs auf eine Rote-Kreuz-Station, an der Tatsache des Angriffs auf Neutrale, rn der Bestialität des italienischen Vorgehens ändert sich dadurch, daß kein Schwede getötet wurde, nicht da« Geringste. SOhnemaBnahmen? Dahei trägt derRechtfertigungö- versuch der italienischen Regierung, schon im Ausdruck schamlos zynisch wie alle Kundgebungen dieses Regimes, nur dazu bei, die Schuld I tu l i e n s unvergleichlich g r ö fj t r erscheinen zu lassen, als man zuerst annchmen durfte. Konnte man nach den ersten Meldungen immerhin noch an ein Versehen der Flieger denken, so läßt die italienische Meldung keinen Zweifel darüber aufkommen, daß es sich um einen beabsichtigten Rechtsbruch handelte. Die amtliche Meldung der A g e n c i a S t e f a n i lautet nämlich: Das Flugbombardement, das in den letzten zwei Tagen an der Somalifront durchgeführt wurde, erfolgte mit Rücksicht darauf, daß zwei italienische Flieger, die gezwungen waren, bei Tagahbur eine Rotlandung vorzunehmen, von de« Abessiniern ermordet wurden; es wurden ihnen die Köpfe abgeschnitten und diese dann im Triumph, auf Speere gespießt, durch die Stadt Harrar getragen. Die italienischen Flugzeuge hatten a l S Z i e l ihrer Bombenabwürfe keineswegs den Verbandsplatz des schwedischen Roten Kreuzes oder irgend einen anderen, mit einem roten Kreuz bezeichneten Stand, wiewohl festgestellt worden war, daß abessinische Kommandanten des öfteren in diesen mit dem roten Kreuz bezeichneten Ständen Zuflucht suchen, wenn italienische Flieger auf dem Kampfplatz auftanchen. Die Berichte über die Zahl der Toten sind absolut nicht genau. Die neue antiitalienische Kampagne, die sich an diese Episode anzulehnen versucht, entbehrt im Hinblick auf die Art der Kriegführung von feiten per Abessinier an der Somalifront jeder Grundlage. Das gleiche gilt von der Kriegsführung an der ertzthriäischen Front, die bereits cinigemale von Italien dem Völkerbund dokumentarisch dargelegt wurde. In diesem Bericht wird offenbar z u v i e I gelogen. Entweder handelte es sich um ein Ä?bersehen des Roten Kreuzes— wozu dann die doppelte Ausrede mit den Sühnemaßnahmen und den fliehenden abessinischen Führern? Oder es handelte sich um eine Sühnemaßnahme, dann war doch offensichtlich ein Rechtsbruch beabsichtigt, denn der völkerrechtlich zulässige Angriff auf eine bewaffnete Truppe ober eine befestigte Ortschaft wäre doch keine besonders erwähnenswerte„SühnemaßUahme", sondern eine Alltäglichkeit. Die Italiener wollten, um die angebliche Ermordung zweier ihrer Flieger zu-rächen, sich ein besonderes Stück leisten uist griffen absichtlich ein Spital an. Daß es sich um einen b e w u ß t e n R o h e i t s ak t handelte, geht auch aus der, sowohl von italienischer ßeite als Mich von abessinischer(bzw. von Reuter) vorliegenden Meldung hervor, daß die Flieger eine Viertelstunde, bevor sie den Angriff eröffneten. Flugblätter abwarfen,..in denen sie Rache für den Tod der beiden Flieger ankündigten. Die Flugblätter trugen die Unterschrift des Generals G r a z i a n i, der demgemäß persönlich für den Mord verantwortlich und von jedem Kriegsgericht, das seiner habhaft würde, nach allgemeinem Brauch zu«. Tode z« verurteilen wäre. Wie der Angriff erfolgte Die Meldungen über den Angriff besagen, daß er von nicht weniger als zwölf italienischen Flugzeugen unternommen wurde. Die Neujahrsempfänge auf der Prager Burg spielten sich Heuer ohne offiziell Ansprachen ab, da ja hiezu erst die kürzliche Präsidentenwahl reichlich Gelegenheit geboten hatte. Für die beiden Kammern und die Regierung erschienen auf der Burg M a l y p e t r, Dr. Soukup und Minister B e ch v n e in Vertretung des Ministerpräsidenten, für die Wehrmacht Minister Mach- n i k mit dem Generalinspektor S y r o v h und dem Generalstabschef Kr e j c i. Zum erstenmal hatte sich auch«ine Deputation der Legionärsgemeinde unter Führung Dr. P a t e j d l s einge- funden. Kurz vor Mittag erschienen die Mitglieder des diplomatischen Korps unter Führung des apostolischen Nuntius Dr. Ritter. Nach den offiziellen Arldienzen stattete der Präsident den Vorsitzenden der beiden Häuser in ihren Amtsloka- len kurze Besuche ab Mit einem so mächtigen Bombengeschwader greift das„ritterliche".Italien , die Nation der»Kulturträger" also, eine wehrlose Ambulanz an, um Kranke, Verwundete, und Aerzte zu ermorden l Ter Angriff erfosgte nicht nur Mit Bomben und aus großer Höhe, sondern mit Maschinengewehren. Es ist also gänzlich ausgeschlossen, daß die Flieger die Roten Kreuze nicht gesehen haben sollten. Die Verwundung des Chefarztes Dr. Hylandei ist ein Maschincngemehrschnß, den er in die Seite erhielt, und zwar» wie es beißt, gerate» als er einen Verwundeten operierte. Die„geköpften Flieger Die Abessinier bezeichnen die italienische Meldung über die Hinrichtung zweier gefangenen italienischen Flieger als eine Lüge. Da, in dies, m Krieg bisher d ie I tali e ne r fa st täglich gelogen haben, die abessinischen amtlichen Stellen sich großer Korrektheit befleißigten, ist anzunehmen, daß auch in diesem Fall, die K u l t u r« nation lügt, llebrigens haben die Italiener die angebliche Hinrichtung ihrer Gefangenen vor dem Ueberfall auf das Schwedische Rote Kreuz niemals gemeldet. Sie führen auch jetzt nicht an, woher sie überhaupt unterrichtet sind, wer di- .HinrjchtfiNZ,.der^Gefangenen gemeldet hat, wer sie bezeugen kann. Es Ware ja nicht ausgeschlossen, daß die Flieger von den Angehörigen irgendeines Nomadenstammes, dessen Zelte sie vorder bombardiert hatten, getötet wurden. Bei dem völkerrechtswidrigen Vorgehen de r (Schluß auf Seite 2) Auf der Prager Burg übernahm zu Neu- jahr auch der neue Burgkommandant Oberst K v a p i l sein Amt, in das er von denr.scheiden- den Burgkommandanten Oberst S e i de l, der in den Ruhestand tritt, eingeführt wurde. In Läny Die Vorsitzenden der beiden Kammern und Minister Bechyne statteten zu, Neujahr auch dem Präsidenten Masaryk in Läny einen Besuch ab und sprachen ihm namens der gesetzgebenden Körperschaften und der Regierung die Neujahrsglückwünsche aus. Präsident Masaryk erwiderte dgnkend die Wünsche und verweilt« dann kurze Zeit mit den Gästen in freundschaftlichem Gespräch. 0er Neujahrsempfang auf der Prager Burg Von links nach rechts: Kammerpräsident Malypetr, Präsident Dr. BeneS, Senatspräsident Dr. Soukup, der Stellvertreter des Mi nisterpräsidenten B e c h y n 6, und Sektionschef Dr. Schieszl Die Deutschen und Europa Von Dr. E. Franzel I. Seit Jahren krankt Europa an der Angst vor dem deutschen Neo-Imperialismus. Diese Angst, die zeitweise in Panik übergeht, hinderi jeden Versuch zur Einigung des Kontinents, ob es sich um politische, wirtschaftliche, militärische oder kulturelle Prcbleme handelt, die gelöst werden müssen und gelöst werden könnten— gähnte nichi zwischen Deutschland und dem übrigen Europa der Abgrund von Mißtrauen, Angst, Haß und Neid. 1918 hatten die Sieger Deutschland aus dem Völkerbund verbannt. Zwischen 1926 und 1932 finden sich, vor allem in der Aera Strese- mann-Briand, wertvolle Ansätze zu einer Verständigung der europäischen Staaten und Völker in her Socket« des Nations. Aber 1933 verläßt Deutschland den Völkerbund, 1935 proklamiert eS aus eigener Machtvollkommenheit das Ende deS Artikels V des Versailler Vertrages und die Rückkehr zur Allgemeinen Wehrpflicht— was wird es 1936 tun? Diese Frage lastet wie ein Alp auf der Welt. Seit in Berlin ein unverantwortliches und zugleich ganz u ndurchsichtiges Regime herrscht, hinter dessen Fassade die wahren Machthaber sich geschickt verbergen, so daß niemand weiß, wer Deutsch lands Politik lenkt und wohin sie in ihren fernsten Zielen strebt, ist die Situation vollends katastrophal geworden. Jede eurrpäische Macht mißtraut der andern in dem Augenblick, in destP sich zwischen d«ser und Berlin -Fäden anzuspinnen scheinen, jeder Staat befürchtet von Berlin und von den deutschen Bündnissen her die Bedrohung seiner Existenz, die Aktionsfähigkeit des Völkerbundes leidet— wie ja seit Monaten zur Genüge ersichtlich— unter der bangen Ungewißheit, was Deutschland im Falle einer Zuspitzung des Mittelmeerkonfliktes tun wird, jeder kriegslustige Staat des Erdballs rechnet mit dem Faktor de» deutschen Unruhe, des deutschen Imperialismus, und jeder Tag kann ein Kriegsbündnis Berlins mst Rom oder Tokio , oder mst beiden Mächten, er kann aber auch schon das tatsächliche Zusammenwirken der faschistischen Großmächte in einer konkreten Frage gegen die übrige Welt bringen. Da« Ziel des deutschen Faschismus Ist diese Angst berechfigt? Gewiß. Die Diktatur der nationalsozialistischen Partei Wer Deutschland hat einer Politik tollster Abenteuer die Bahn freigegeben und das Fehlen jeder öffentlichen Kontrolle, jeder Meinungsfreiheit, jeder leisen Möglichkeit einer Kritik'oder der öffentlichen Diskussion der politischen Ziele Deutschlands erschwert es auch d,em hitlerfreund- lichen, zur Objektivität bis zur Selbstaufopferung beresten Ausländer, sich ein Bild von den wahren Zielen der Diktatur zu machen. Zunächst gibt es mindestens dreierlei offizielle Ziele: das„unabänderliche Programm" der 25 Punkte Hitlers, das eine alldeutsche Tendenz hat, die Aeußerungen Hitlers in „Mein Kampf " und endlich die Reden und Interviews Hitlers seit der Machtergreifung, in denen er sich bemüht, die Spuren seiner früheren Propagandaversprechungen zu verwischen, ohne daß er Wer bisher eindeutig und verbindlich von den früheren Zielen abgerückt wäre. Nun stehen aber hinter Hstler, ihn beherrschend, bekanntlich andere Kräfte. So die Reichswehr . Welches Ziel verfolgt sie in der Außenpolitik? Das ist das zweite große Rätsel der deuffchen Sphinx. Hinter Hstler steht aber auch die Schwerindustrie mit den ihr verbündeten oder untergeordneten Gruppen d-s deutschste Kapitals. Hinter Hstler stehen die preußischen Jun k e r, die ihn 1933 in den Sattel gehoben, ihn Hindenburg Angeführt haben. Wohin zielt ihre Außenpolitik? Dann gibt es im Machtapparat des Systems verschiedene, außenpolitisch sehr aktive und ehr- geizige Faktoren, wie z. B. Rosenberg und seinen Kreis, die eine halb realpolitische, halb romantstche Politik gegen die Sowjetunion befürworten, andere Gruppen, die anttfranzösisch eingestellt sind, endlich in geringerem Maße, aber doch vorhanden, ejne Kreise, die noch die alte antipölnische Richtung verfolgen oder— das gilt
Ausgabe
16 (3.1.1936) 2
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