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Donnerstag, 5. März 1936
Nr. 55
durch die genossenschaftliche Wohnungsfürforge erfaßt werden können, durchaus möglich wäre. Diese Erweiterung des Aufgabenkreises und eine bessere Dotierung des Wohnungsfürsorgefonds könnten die Wohnbautätigkeit auf dem Lande anherordentlich beleben. Tas Verfahren mühte entbürokratisiert werden. Zur Beurteilung der Bedürftigkeit und Kreditwürdigkeit der einzelnen Gesiichstellcr, solvie der'Zwecknilißigkeit ihrer Bauvorhaben, könnten die Bezirksbehörden oder bet ihnen zu bestellende gemeinnützige Hilfsorgane herangezogen werden. Auf Grund der Scbät- zungsprotokolle der bei den Bezirken amtierenden Staatstechnikcr könnte die Fondsverwaltung die destnitive Entscheidung fällen. Ein Hindernis für diese Lösung bilden zweifellos die Risken, welche mit der Kredit« oder Garantiegewährung an individuelle Kleinhausbesitzer verbunden sind. Diese Risken sind aber mit jeder Form der öffentlichen Wobnungsftirsorge verbunden. Die Uneinbringlichkeit eines Darlehens von 5000 bis 10.000 Kronen würde den Staatssäckel nicht mehr belasten, als die normale Annuitätenleistung pro Wohnpartei in einer staatssubventionierten Armenwohnung oder Arbeitslosensiedlung. Der Staat hat jedenfalls ein eminentes sozialpolitisches Interesse daran, die Landflucht durch vor- benneNde Mahnahmen einzuschränken und möglichst vielen Familien ein Obdach in ihrer Heimat zu sichern. 2. Oos Wohnungsproblem «fei' Arbeitslosen Das ist, unter den heutigen Zeitumständen, die Achillesferse jeder öffentlichen Bauförderung. Biele Baugenossenschaften sind durch die Arbeitslosigkeit und Zahlungsunfähigkeit eines Teiles ihrer Mitglieder notleidend geworden. Auch die Verwaltung der von Gemeinden erstellten Volks« Wohnungen gebart vielfach aus dem gleichen Grunde passiv. Eine der Ursachen dieser Schwierigkeiten liegt zweifellos mit darin, daß die gemeinnützigen Bauherren oftmals auch Objekte mitverwalten müssen, die in den Jähren 1927, 1928 und 1929 infolge des Aussetzens jeglicher direkter Staatsbeihilfe gebaut werden muhten. Diese Häuser sind vor der Krisenzeit, bei hohen Materialpreisen erstellt worden und ihre Mietzinse sind für normale Wirtschäftsverhältnisse kalkuliert. Run soll die Verzinsung und Amorti- satiün derartiger Objekte in einet Situation herausgewirtschaftet werden, die sich seit den Baujahren um gut 50 Prozent verschlechtert hat. Daraus resultieren die meisten Schwierigkeiten der gemeinnützigen Bauvereinigungen und der Gemeinden, die fortlaufend gebaut haben. Zur Ueberwindung dieser Schwierigkeiten und zur erneuten Flottmachung der Baulust solcher Jnsti- tüttonen wäre es notwendig, auf Grund einer besonderen gesetzlichen Regelung die nur' mit Staatsgarantie unterstützten KleinstwohnungS- bauten nachträglich durch den mit dem Gesetze Nr. 45 p. I. 1930 eingeführten Staatsbeittag von 2%% der Summe der Hypothekar-Darlehen zu subventionieren. Sehr begrüßenswert ist die im Hauptstück V des BaugesehentwurfeS vorgesehene dreiprozentige Subventionierung von Mietshäusern für Arme, welche durch die(Gemeinden errichtet werden. Auch wenn— wie im Entwurf vorgesehen — die Gemeinden ein weiteres Perzent zur Verzinsung zuschiehen, so werden diese Wohnküchen von maximal 24 Quadratmeter(evt. mit zehn Quadratmeter großer Kammer) eine Jahresmiete bis zu 600 Kronen erfordern. So ist zu befürchten, dah gerade unsere Nptstandsgemeinden
von den Wohltaten dieses Gesetzes nur bescheidenen Gebrauch machen können. Die wegen Arbeitslosigkeit Delogierten, die nun den Gemeinden zur Last fallen, vermögen einen laufenden Mietzins in den meisten Fällen überhaupt nicht zu bezahlen. Soll diese Wohltat des Gesetzes auch unseren ärmsten Notstandsgemeinden zugute kommen, deren Armenhäuser überfüllt sind, dann mühte die Durchführung möglichst elastisch gestaltet werden. Den künftigen Wohnparteien wäre dabei zu ermöglichen, dah sie durch eigene Arbeitsleistung den Bauaufwand und dadurch ihren Mietzins her- ahdrücken. Die Wohnungsfürsorge für die schwerstbetroffenen Krisenopfer erfordert eine organische Verbindung mit dem Prinzip der produktiven Arbeitslosenfürsorge, wobei der Berück- sichtigung der speziellen örtlichenVerhältnisie, zum Beispiel in den bettelarmen Erzgebirgszcmeinden, genügend Spielraum zu lassen ist. 3. Wohnungsfürsorge und Arbeitsbeschaffung Vom Standpunkte einer möglichst weitgehenden Arbeitsbeschaffung durch die öffentliche Bauförderung ist eS zu beklagen, dah der neue Entwurf eine ziemliche Beschränkung hinsichtlich der Einbeziehung von Mittelstandswohnungen enthält. Es handelt sich dabei um eine Schicht, di« durch die Krise nicht mit Arbeitslosigkeit, sondern durch eine Kürzung ihrer Einkommen betroffen wurde, die aber immerhin auf dem Wohnungsmarkt eine gewisse Kauffraft in die Waagschale zu werfen hat. Die Mobilisierung dieser Kaufiraft mit Hilfe der öffentlichen Bauförderung wird erschwert, wenn die staatliche Bürgschaft wesentlich auf die Errichtung von Kleinst- Wohnungen bis zu 40 Quadratmeter konzentriert wird. Zwar kann die Staatsgarantie auch auf Neubauten ausgedehnt werden, die mindestens die Hälfte der Mietobiekte als Kleinstwohnungen vorsehen, doch es liegt ein Rückschlag auf dem Gebiete der staatlichen Wohnungsfürsorge in doppelter Beziehung vor. Die bisherige Möglichkeit der Gewährnna eines Zinszu- s ch u s s e s bis zu 2 1£% für Kleinstwoh-
BeneS an die Lehrer Der Präsident der Republik hat an eine Deputation des Verbandes der tschechoslowaki- . scheu Lehrerschaft eine Kundgebung erlagen, in der er die Aufgaben der Lehrer in der Demokratie bespricht.„Durch eine vernünftige Erziehung bereits von zarter Jugend an" so sagt er,„muh die Seele des künftigen Staatsbürgers geleitet werden". Biel Gelegenheit sei dazu in der Bürgerkunde, welche Möglichkeit noch nicht voll ausgenützt wird. Die häufige Berührung der Lehrer mit den Eltern, wird di« Aufgabe der Lehre« erleichtern. Bemerkenswert ist auch, daß sich, der Präsident für die Selbstverwaltung der Schüler ausspricht. Tie Kundgebung des Präsidenten schließt mit einem Bekenntnis zu Friede und Demokratie: „Und fallen wir hauptsächlich bei der Diskussion und der Kritik,.welche in der Demokratie selbstverständlich stich, niemals in einen Negativismus. Alles was wir tun, muß synthetisch und konstruktiv sein. Und haben wir schließlich den Glauben an den Erfolg unserer Arbeit, den Glauben an die Demokratie, die Republik , unseren Staat und die Nation I KramaF-Partel und Koalition „Närodni Osvobozeni" kommt in seiner Ausgabe vom 4. März auf die Verhandlungen
ii u n g e n entfällt und aus der Staatsgarantie werden alle Bauvorhaben auSgeschlosien, die nicht der Schaffung von Kleinstwohgungen dienen können oder ans wohnungskulturellen und wohnungspolitischen Gründen wollen. In diesen Punkten waren offensichtlich fiskalische Hindernisse stärker, als die gute Absicht des Fürsorgeministeriums. Das Risiko einer Ausdehnung der Staatsgarantie auch auf mittelständische Klein- Wohnungsbauten und Genossenschaftswohnungen fiele kaum ins Gewicht und würde durch eine hg- durch vergrößerte Bautätigkeit reichlich ausgewogen. Schließlich ist vom Standpunkte der Arbeitsbeschaffung noch zu bedauern, daß neben der Steuerbefreiung auf 25 Jahre für Neubauten (24 bzw. 23 Jahre vom Baujahr 1937 bzw. 1938) auch die Abgabenfreiheit an die Fertigstellung bis Ende 1936 gebunden wird. Das bedeutet angesichts der fortgeschrittenen Jahreszeit einen Antrieb für überstürztes Bauen und zu einer gleichzeitigen unangemessenen Verteuerung der Baumaterialpreise. Folgende Uebersicht über die Preise am Prager Platz zeigt schon den bedrohlichen Umfang der bisherigen Baustoffteuerung. Es sind seit dem Vorjahre im Preise gestiegen:
Bauholz......
10%
Eisen(Beschläge)...
70%
Zement......
25%
Ziegel
15%
Glas
22%
Röhren(Heizkörper)..
100%
Wenn dieser Entwicklung nicht energisch Einhalt geboten wird, dann ist zu befürchten, daß trotz der Staatshilfc wieder die Bauten verteuert, die Mieten erhöht werden und daß ein großer Teil der Bausummen anstatt in Lohn ftir die Bauarbeiter in Prosit für Kartelle und Aktionäre umgemünzt wird. Das Wohnungsproblem der kleinen Baulustigen auf dem Lande und der dauernd Arbeitslosen in den Städten und Jndustrieorten erfordern auf joden Fall eine besondere Lösung. W. J.
zwischen den Agrariern und den Nationaldemokraten wegen eines eventuellen Eintritts der letzteren in die Koalition und Regierung zu sprechen. Das Blatt weist auf die seinerzeitigen Ausführungen des Ministerpräsidenten hin. der gesagt hat, daß die Erweiterung der Koalition eine Konsolidierung sein müsse und der innere Zusammenhalt der Koalition nicht erschüttert werden dürfe. Insbesondere in wirtschaftlicher Hinsicht bestehe das Programm der Koalition in einer Abkehr ioom Liberalismus und die Erweiterung der Koalition kann an diesem Programm nichts ändern. Außerdem könne an der Außenpolitik des Staates nichts geändert werden. „Närodni Osvobozeni" glaubt nun, daß angesichts der Erklärungen des Ministerpräsidenten der Eintritt der Nationaldemokraten in die Regierung nicht möglich sei, weil der Führer dieser Partei, Dr. Kramär, in Opposition zur Außen- und Wirtschaftspolitik der Regierung stehe. Dazu kommt noch, daß sich Dr. Kramak bei den Wahlen mit einem Mann verbunden habe, der für die Koalitionsmehrheit untragbar sei. Dieser Mann, Stribruy, sei aber bis heute Vorsitzender-Stell- vertreter des„Närodni sjednoceni". Das zitierte Blatt glaubt daher, daß die Koalitionsmehrheit die Zustimmung zu den Plänen der agrarischen Rechten nicht geben werde.
Rascher Wandel Was in der KPC innerhalb von sieben Monaten alles möglich ist In der Plenarsitzung des VII. Weltkongresses der Kommuiristischen Internationale sagte Slansky (Exführer der komm. Parlamentssrak- ziost): „Tanken wir nur daran, in welcher Situation sich die KPE befand.(Am VI. Weltkongreß. D. R. ) Infolge der falschen Politik der damaligen Führung der KPC machte sie die schwerste innerparteiliche Krise durch und befand sich in einer Isolierung von den breiten Arbeitermassen. Derr VI. Weltkongreß richtete an die gesamte Mitgliedschaft der KPE einen offenen Brief(den wievielten? D. R. ), in dem die der gegebenen Situation entsprechenden Aufgaben uIter der Losung: von der opportunistischen Passivität zur bolschewistischen Aktivität zusammengefaßt wurden. Dieser Beschluß, der auf die Jnitiatwe der linken Opposition zustande kam, fand zwar die Zustimmung der gesamten Delegation der tschechi - schen Partei auf dem VI. Weltkongreß, was aber nicht gleichbedeutend damit war— wie die folgenden Ereignisse bewiesen—, daß die damalige Parteiführung auch wirklich mit ihm übereinstimmte... Heute geht die Partei in die nächste Periode verschärfter Kämpfe, um vieles ideologisch besser gerüstet und organisatorisch gefestigter als je zuvor. Die Führung der Partei, mit dem Genossen Gottwald an der Spitze, ist eine stahilr Führung, wie ste dir Partei noch nie hatte." Das sagte Slansky im Juli anno 1935. Am 26. Feber 1936 erläßt die KP§ folgenden Ukas: „... Das erweiterte Zentralkomitee der 8P(! bestätigt den Beschluß des Polbüros des ZK über die Abberufung der Genossen Jan Sverma und Rudolf Slansky von der Funktion von Mitgliedern des Sekretariats des ZK der KP«." In der gleichen Sitzung des ZentraffomiteeS stellte eben dieses Zentralkomitee fest, daß die Hauptverantwortung für alle Fehler die Führung der KPC zu tragen habe. Neberdies wurde noch so nebenbei auch der Chefredakteur des„Rude Prävo" aus der Partei ausgeschlossen, da er sich „als Klassenfeind enthüllt hat"... und„überhaupt wegen seiner Vergangenheit ein ftemdeS Element ist, das in der revolutionären Bewegung niemals hätte Platz haben sollen". Ein„Sirben- monatskind" also war„die stabile Führung» wie sie die Partei noch nie hatte". Wie lange werden die neu ernannten geführten Führer ihre historische Rolle spielen dürfen?
Neuer Präsidialchef des TchnlininisteriumS. Zum neuen Präsidialchef im Schulministerium wurde Ministerialrat E. Subert, zum Vorstand der Personalabteilung Obersektionsrat B. Patka und zum Preffereferenten Fachlehrer JUC. A. Juppa ernannt. Der böhmische Landesausschuß hat Mittwoch u. a. die Aufteilung der Lapdessubventio- nen ast die ffchechffchen und deutschen Theater im Gesamtbeträge von 1.2 Millionen Kc vorgenommen. Zu Mitgliedern des Kuratorium- des Hilfsfonds nach dem Gesetz über die finanziellen Maßnahmen auf dem Gebiete der Selbstverwaltung wurden gewählt: KrouZel, Machacek, Dr. Kubifta, Dr. Füffel, Smejkal, Petrovicky, Hla- vaty und Grund.
MANNER , FRAUEN I UND WAFFEN I * Roman von Manfred Georg „Sie gehören schon lange offiziell den Ultralinken an?" 1„O ja, es ist das sicherste Mittel, die Dinge vorwärts zu treiben. Daß sie anderswo hin- gohen, als meine Freunde glauben» ist ja eine zweite Sache. Uebrigens bin ich außerdem, was Sie ja sicher wissen, UeberwachungSleiter für unsere Konzerne. Erst neulich ist es mir gelungen, eisten'Ingenieur in der unmittelbaren Umgebung von MakropuloS aus seiner Tarnung herauszulocken. Es ist wie im Kriege: wir werden ja auch bespitzelt. Ich hätte übrigens gern die Personalien Ihrer Sekretärin. Herr MakropuloS erzählte mir, daß sie in unsere Dienste tritt." „Aber nein, das ist doch übertrieben. Sie arbeitet vorläufig mit mir in einer völlig privaten Angelegenheit." „Entschuldigen Sie, bitte. Dann bin ich falsch unterrichtet.— Wenn Sie zurückkommen, schreiben Sie mir hierher. Auch wenn Sie sonst Wünsche haben. Es geht alles über das Geschäft des Bruders von Herrn Makröpulos. Die Adresse haben Sie?" „Nein." „Also, dann notieren Sie, bitte!"' Er nannte einen Laden für modische Klei» nigkeiten, dessen Schild„La Parisienne" Schumann gesehen zu haben k»ch erinnerte. Dann entwickelte er seinerseits die Möglichkeiten, die ihm besonders dienlich schienen. Vor allem brauche er die Verwirrung der Meinung deS Auslandes, die ihm augenblicklich allzu günstig für die offizielle Regierung zu werden schien. Er schloß:
„Natürlich ist es alles eine Frage der Waffen. Ich brauche überall dicht an den Grenzen Depots, muß aber auch sehr viel schon herüber bekommen. Bisher ist in dieser Hinsicht so gut wie noch gar nichts geschehen." Schumann schien Glazunoffs Realpolitik durchaus passabel. Er entdeckte bei ihm einest bösen, grausamen Zug, der auftrat, wenn Gla- zunoff am Schluß seiner Rede in ein mechanisch erstarrtes Lächeln überging, das sekundenlang stehen blieb wie ein Filmbild, das der Kurbler nicht weiter drehte. „Wer war das?" fragte Haydee, als Gla- zunoff gegangen war. „Ein Geschäftsfreund." „Ich sah ihn nur zufällig auf dem Korridor. Ein scheußlicher Kerl!" „Das muß man in Kauf nehmen. Du hast ja auch nichts mit ihm zu tun. Also wir fahren. Deine Ueberfahrt-Angelegenheiten werden wir in Paris regeln. Hier ist keine Zeit mehr dazu." Kurz darauf erhielt Haydee wieder den Besuch ihres Bekannten mit der Mütze. Schumann hörte sie im Nebenzimmer heftig streiten, unterschied aber nur ein paar Worte. Er hatte auch gar keine Lust besonders zu lauschen. „Gerade jetzt gehst du fort", sagte der Mann. Die Antwort Haydees hörte Schumann nicht. Dann wieder längeres Geflüster, schließlich Haydees Stimme lauter: „Wenn du kein Vertrauen hast, so tut es mir sehr leid. Es ist doch lächerlich, du wirst dich noch wundern/ wie sehr ich an meinem Platz bin!" Sie fuhren über den Arlberg. Die Berge dampften in der Diorgenfrühe. Die kleinen Stationen waren schon wach. Schäumend begleiteten Bäche den Zug. Die Bostautos auf den Landstraßen versuchten vergeblich Konkurrenz zu fah« ren. Das Vieh lag wohlig auf den Weiden. ES war ein frischer Tag, und die Luft füllte berauschend das Abteil.
Haydee sah zu den Gipfeln der Berge empor, die sich um den Zug drehten, schaute in die Täler, die sich immer neu zusammenfalteten und auftaten, bestaunte die Burgen, die an steilen Abhängen aufwuchsen und sich oft nur wie Zackenkrönungen der Felsen ausnahmen. Sie war ausgeschlafen. Auch Schumann blickte fröhlicher als bei der Wfahrt. Diese Reise war die erste Seite in einem neuen Kavitel. Das Ende würde sicher, wie jedes Ende, traurig sein, aber vielleicht dauerte es noch ein wenig bis dahin. Ab und zu überkam ihn der Wunsch, irgendwo aussteigen zu wollen, um es derr Zufall zu überlassen, tvas weiter aus ihm würde. Man würde sich in ein kleines Hotel setzen, in die Berge gehen, J allmählich lernen, den schweren Dialekt der Bauern zu verstehen, vielleicht sich selber später ein kleines Anwesen kaufen. Wie fteundlich die Häuser verstreut auf Wiesen und Geröll lagen, wie anheimelnd sie sich um die Kirchtürme drängten. Aber Schumann wußte: man durfte nicht näher gehen. Je weniger Menschen beisammen, desto furchtbarer der Klatsch, desto furchtbarer die Feindschaft aller gegen alle. In Wien war Haydee für den Hotelportier ein Gast wie alle anderen, nur mit emem exotischen Paß. Im Dorfwirtshaus hätte sie keinen Laut tun können, ohne daß der Pfarrer und der Krämer davon erfahren hätten. Dian wäre ihnen nachspioniert in den Wald, man hätte sie auf allmögliche und unmögliche Weise beobachtet— nein, das mit der Idylle war ein Traum. Die ganze Haydee war ein Traum. Wie kam dieses Mädchen dazu, so plötzlich sich ihm hinzuwerfen, sich aufzuopfern, alles stehen und liegen zu I lassen und ihm zu vertrauen? Denn wenn er sich jetzt auch ruhig in die Polster zurücklehnte, so war es doch gewiß, daß er Zielen entgegen fuhr, die seine ganze Persönlichkeit erforderten, und bei deren Erreichung Haydee nicht mehr als besten- | falls Werkzeug, eine Hilfsperson, ein Mittel sein t würde. Warum suchte er eigentlich die Kinder?
Als er sich das wieder überlegte, empfand er eine so heiße, intensive Sehnsucht nach den drei'ver- schollenen Geschöpfen, daß er erschrak und, wie in Furcht vor einem Anfall, die Brieftasche herauszog und das Kinder-Photo betrachtete. Er wußte dann, daß er zu den Kindern hin ftoh, floh vor den Schreckgesichten der Vision, von der sie ihn durch ihr Dasein erlösen sollten. Vor allem aber war sein Leben mit dem ihren verknüpft und kvürde ohne sie auf der Stelle zu verwesen beginnen. Er wär verloren, wenn er nicht suchte. Es war seine Aufgabe. Vielleicht war er auch verloren, wenn er sie fand. Jedes Leben muß gelebt werden,, so wie es vorgeschrieben ist, es gibt da kein Ausbrechen. Der Teufel kann nicht den Guten, der Gute nicht den Teufel svielen, der Verdammte muß ewig laufen, um ein Stück Brot zu bekommen, von dem er doch nicht satt wird, der andere steht noch nicht vom Stuhl auf und füttert sich aus der Reichtveite seiner Hände, um mit zerplatzten Därmen vor die Hunde zu gehen. Ohne die Kinder wäre er heute nicht der reiche Mann, der ste suchen könnte, ohne ste hätte er nicht jene Eigenschaften entwickelt, von denen er auf dem Kasernenhof noch nichts geahnt hatte, ohne sie säße ihm auch Haydöe nicht gegenüber. Schumann hatte eine ganze Anzahl von Frauen gekannt. Er war die übliche Liebes- Schule durchgegangen, von der Gouvernante an einem heißen Sommerabend und den jungen Mädchen, die ihn nach der Tanzstunde im dunklen Korridor erhitzt hatten, bis er schließlich die Baronin Margarete Luise geheiratet hatte, die, hager und hingebend, ihn durch ihre Passivitär eher gelähmt als gefördert hatte. Alles war, einschließlich der Ausschweifungen in den Militärpuffs der kleinen Garnisonsorte, höchst durchschnittlich gewesen. (Fortsetzung folgt.)