Nr. 68 Freitag, 20. März 1936 Seite 3 fadetendeMfedieg Zeifepicgcf Gegen Verdächtigungen der Sozlaikommisslonen Genosse Lorenz antwortete in der böh­mischen Landesvertretung auf gewisse Angriffe, die gegen die Gemeinde- und Bezirks-Sozialkom­missionen erhoben wurden. Er sprach in diesem Zusammenhang auch über die Notwendigkeit, die Auslegung der Richtlinien für die Ernährungs­aktion, welche unter dem Einfluß der Verwal­tungsbehörden zu Unzukömmlichkeiten geführt hat, zu vereinheitlichen. Wir führen aus der Rede an: Bei der Arbeitslosenfursorae kommt es nicht nur darauf an,"was gegeben wird, sondern auch wie man es gibt. Das gilt vor allem für die Durchfüh­rung der staatlichen Ernährungsaktion. Im Jahre 1834 wurden über 308,000.000 Kc dafür ausgegeben. Bon gewisser Seite wird immer wieder der Vorwurf erhoben, daß hier nicht objektiv vor­gegangen werde, daß die durchführenden Organe, die Sozialkommissionen, nicht mehr das Vertrauen der Bevölkerung genießen. Das ist entschieden unrichtig. Man. vergißt, daß in den Sozialkommissionen ja nicht Vertreter baltischer Parteien sitzen, sondern Vertreter der Arbeitnehmer und auch Vertreter der Arbeitgeber, daß diese Sozialkommissionxn eben be­ratende Körperschaften sind. Man scheint nicht zu wis­sen. daß zum Beispiel Gemeinde-Sozialkommissionen überhaupt nicht darüber zu entscheiden haben, wer in die staatliche Ernährungskommission ausgenom­men wird oder nicht, daß hierüber einzig und allein die BezirkSsoziglkommiffion entscheidet und die Be- zirkSsozialkommissionen werden von einem Beamten der- Bezirksbehörde geleitet. In den Bezirkssozial- kouunissionen sitzt der Beamte, der Vertreter des Steueramtes und ich kann aus eigener Erfahrung sagen ich gehöre einer solchen Bezirkssozialkom- mlssion an daß mit der größten Gewissenhaftig­keit vorgegangen wird, daß keine Parteilichkeit vor­kommt, daß ein Arbeitsloser wie der andere ohne .Unterschied der Nation und der parteipolitischen Zugehörigkeit behandelt wird. Es ist richtig, jede Arbeitslosenfürsorge soll entpolitisiert werden. Das gilt aber auch für die private Arbeitslosenfür­sorge. Die Arbeitslosen dürfen niemals Objekte irgendeiner politischen Parteipropaganda werden. Aus Erfahrung kann ich sagen, daß zum Beispiel die Konsumvereine bei der Einlösung der Lebens­mittelkarten nicht das größte Kontingent haben. Der größte Teil der Arbeitslosen, die ja einer Genossen­schaft nicht angehören können, müssen ihre Lebens­mitelkarten bei privaten Kaufleuten zur Einlösung bringen. Die Ernährungsaktion löst draußen Unzu­friedenheit aus, die einfach darin begründet ist, daß der Betrag, der gegeben wird, unzureichend ist. Es spielt aber auch die Auslegung der Richtlinien des Ministeriums für soziale Fürsorge eine Roll«. Diese Verschiedenheiten sollten einmal beseitigt werden., Man muh daran denken, daß ein großer Teil der Arbeitslosen, vor allem die jugendlichen Arbeits­losen, überhaupt davon ausgeschlossen find. Wie groß die Zähl der Ausgeschlossenen ist, kann ich selbst nur aus meinem Gebiet, auS Nordwestböhmen, an­geben. Die Zahl der Arbeitslosen in den Bezirken Teplitz , Dux, Brüx . Komotau , Saaz , die aus irgend­einem Grunde in der Ernährungsaktion nicht ge­führt werden, meist aber aus dem Grund, weil in der Familie ein Mitglied ein kleine- Einkommen hat, beträgt rund 8000? Wir stellen also von dieser Stelle aus wieder das Verlangen, daß man bei der Durchführung dieser staatlichen Ernährungsaktion, die ja sehr umfangreich ist, so vorgehe, damit bei den Arbeitslosen da- Gefühl der Verbitterung nicht auf­kommen kann. Wir unterbreiten schließlich einen Antrag, der folgenden Wortlaut hat: Der Landesausschuß wird ersucht, bei der Durchführung von Straßenbauten im Sinne des der Landesvertretung vorgelegten Be­richtes, die von der Wirtschaftskrise am schwersten betroffenen Gebiete an erster Stelle zu berück­sichtigen. Die Saatgutaktion für die Notstandsgebiete die mit Regierungsverordnung Nr. 48 vom 11. März verlautbart wurde, ist mit drei Wochen befristet. Jeder Landwirt, der sich um Zuteilung von Saatgut bewerben will, Muß daher seine An­meldung bis Ende März einem Kommissär der Getreidegesellfchaft, der in der betreffenden Gemeinde das Aufkaufsrecht besitzt, gegen Bestä­tigung übergeben.. für die obligatorische Unfallver­sicherung der Bezirksstraßenwärter Im Laufe der letzten Jahre hat es sich wie­derholt ereignet, daß Straßenwärter" in Aus­übung ihres Dienstes das Opfer von Verkehrs­unfällen geworden sind. Die Verhältnisse auf unseren Straßen haben sich durch den rapid zu­nehmenden Autoverkehr gewaltig verändert. Es sind bereits Fälle vorgekommeu, in welchen Stra­ßenwärter in Ausübung ihres Dienstes durch Kraftwagen getötet wurden und auch andere Fälle, in welchen der Straßenwärter zwar nicht tödlich verunglückte, aber durch Autounfälle kör­perlich beschädigt worden ist. Es ist daher be­greiflich, daß in den Reihen der Bezirksstraßen­wärter der Wunsch laut wurde, daß die Bezirks­straßenwärter in die Pflichtversicherung gegen Unfälle einbezogen werden mögen. Diesem Wunsch will ein Antrag Rechnung tragen, welchen der Landesvertreter Dr. Otto Hahn (Reichenberg) in der böhmischen Landes­vertretung eingebracht hat. In diesem Anträge wird darauf hingewiesen, daß in der Slowakei und Karpathorußland die Straßenwärter der Un­fallversicherung bereits unterliege», während in Böhmen und Mähren -Schlesien dies noch nicht der Fall ist. Die Frage der Einbeziehung der Stra­ßenwärter in die Unfallversicherung bildet so einen Teil des Problems der Unifizierung der Unfallrechtsnormen. Der Antragsteller verlangt die Vorlage eines Berichtes an die Landesvertre­tung, wie weit die Vorarbeiten zur Einführung der obligatorischen Unfallversicherung.der Bezirks- straßenwärter gediehen sind. Um die Landesanstalt für Lungenkranke. Das Organ der Sudetcndeutschen Partei, die Zeit", regt sich darüber auf, daß die deutschen sozialdemokratischen Landesvertreter für die Er­richtung, der Masaryk-Lungenheilanstalt in Schwarz-Kosteleh gestimmt haben. Um zu zeigen, wie dieZeit" aus'Ihrer Unwissenheit einen Schlager machen will, sei folgendes erzählt:Zum 80. Geburtstage des Präsidenten Masaryk hat die Landesvertretung beschlossen, eine große Kran- lenanstalt für Lungenkranke zu errichten. Diese Anstalt sollte ursprünglich im Böhmerwald ge­baut werden.Das rauhe Klima dort war aber nach Ansicht ärztlicher Autoritäten für eine solche Anstalt nicht geeignet, weshalb man im Anschluß an eine bereits bestehende Lungenhellanstalt in Schwarz-Kosteletz die neue Anstalt errichten wird. Diesen Beschluß hat der Landesausschuß gefaßt, ohne daß die beiden der Sudetendeutschen Partei angehörigen Landesausfchußbeifitzer Dr. Füßl und Keil dagegen auch nur ein Wort gesagt haben. Die beiden genannten Landesausschuß­beisitzer haben auch nicht dagegen gestimmt. Der einstimmige Beschluß des Landesausschusses kam nun in die Landesvertretung. Dort stellte nun ein sudetendeutscher Landesvertreter den Antrag, die Lungenheilstätte möge bei Lichtenstadt in Westböhmen errichtet werden. Dort besitzt das Land nämlich Grundstücke, die aber für die Er­richtung einer Anstalt für Geisteskranke bestimmt waren und die deutschen Sozialdemokraten haben bereits in der früheren Landesvertretung den Antrag gestellt, diese Anstalt möge dort errichtet werden. Die Grundstücke eignen sich nun nach Ansicht aller in Betracht kommenden Fachleute wohl für die Errichtung einer Irrenanstalt, nicht aber für eine Lungenheilanstalt. Das wußten auch die beiden der Sudetendeutschen Parten an­gehörenden Landesausschußbeisitzer und deshalb haben sie im Landesausschuß einen solchen An­trag nicht gestellt. In der Landesbertretung frei­lich hat nun einer ihrer Leute den Antrag gestellt, obwohl er wußte, daß dieses Projekt undurchfür- bar-sei. Kindesweglegung in Karlsbad . Als der Be­amte Josef Weiß der Karlsbader Wach- und Schließgesellschaft sich in der Nacht auf Mittwoch auf einem Dienstgange im Schloßbergviertel be­fand, stieß er in der Nähe der VillaVesna" auf der Treppe zum Schloßberg auf ein Bündel, in welchem sich, wie Weiß feststellen konnte, ein Säugling befand. Der Beamte brachte seinen eigenartigen Fund in die zunächst liegende Wach­stube im HauseHans Sachs ", woselbst man den Säugling untersuchte und feststellte, daß es sich um ein Knäblein im Alter von 3 bis 4 Wochen handelte, dessen Körper vor Kälte dunkelrot an­gelaufen war. Während der Wachkommandant eine Untersuchung des Geländes um den Fundort herum anordnete, weil angenommen wurde, daß sich dort noch die Mutter des wcggelegten Kindes befinden künntf, wurde ein Wachmann in eine -nahe gelegene Äastwsttschast und. iru-dw nächste Apotheke gesendet,-damit er Milch und einen Gummischnuller erstehe. In dem Steckkissen ent­deckten die Polizeibeamten einen Zettel mit fol­gendem Wortlaut:Helfen Sie einer verzweifel­ten Mutter, die nicht weiß, wo sie ihr Kind hin­geben soll, da sie von den Eltern verstoßen wurde. Geben Sie das Kind ins Kinderheim nach Rodis­fort, wo ich es ia sechs bis acht Wochen abholen werde." Mittwoch vormittags wurde das Kind zur Pflege ins Karlsbader Krankenhaus ge­bracht. Die Erhebungen nach der Kindesmutter wurden eingeleitet, ohne bisher zu einem Erfolg geführt zu haben. Di« schleppende Aktenerledigung. Genosse Dr. Hahn hatte in der Landesvertretung Klage darüber geführt, daß Angelegenheiten der öffent­lichen Angestellten, welche in die Komvetenz des Abteilung 2 fallen, trotz de- besten Willens der Referenten infolge der ungeheuren.Rückstände nicht erledigt werden können. Der Landespräsi- Neue Aenderungen? London.(Reuter.) Der Abkom» mensentwurf der vier Loearnomächte wurde verschiedene» Aenderungen un­terzogen. Die Destimmunge« über die internationale Polizei in der französisch* deutschen Grenzzone und die französische Forderung, daß die deutschen Truppen aus der entmUitari- sierten Rheinlandzone abbernfen wer­den sollen, wurden, wie eS heißt, aus dem Projekt gestrichen. Die Fran­ zosen , welche ihre Einwilligung zu der Streichung der Forderung nach einer Abberufung der deutschen Truppen aus der entmilitarisierten Zone gaben, hof­fen, daß sich Deutschland verpflichte« wird, den Zustand wieder herzustellen, wie er vor der militärischen Besetzung dieses Gebietes war, wenn der Aus­spruch des Haager Gerichtshofes für die Franzosen günstig sei« wird.(?) Das Abkommensprojekt, das sehr um­fangreich ist, schlägt auch, wie der Reu- terberichterstatter erfährt, die Einberu­fung einer internationale« Konferenz vor, welche folgende Punkte behandel« würde: 1. Die deutschen Friedensvor­schläge einschließlich der mitteleuropäi­schen Probleme. 2. Die Abrüstung. 3. Wirtschaftliche Probleme. Nachwahl*Erfols der Labour-Party London. (Reuter.) Bei den Ergänzungs­wahlen in das Unterhaus im Bezirk Dumparton- shire in Schottland wurde der Labourkandidat Thomas Cassels mit 20187 Stimmen gewählt. Der konservative Kandidat erhielt 18.203, der schottische nationalistische Kandidat Robert Gray 2503 Simmen. Der Labourkandidat siegte dem­nach mit einer Mehrzahl von 884 Stimmen. Die letzte konservative Mehrheit betrug 4087 Stimmen. * London.(Reuter.) Der Dreizrhner>AuS» schutz tritt Freitag, um 15.30 Uhr zusamen. Brüssel.(AP.) Der belgisch« Fechwerband hat unter dem Eindruck der letzten politischen Ereignisse den für diese Tage vorgesehenen Länderkampf gegen Deutschland abgesagt. Paris.(AP.) Die außenpolitische Situation führt zu Zerwürfnissen innerhalb der faschistischen Verbände. DieAction Francaise" klagte in einer Kundgebung die Francisten an, daß sie und ihr Führer Buccard im Solde Hitlers ständen. dent reagierte darauf mit dör^Mitteilung, daß am 15. März nur 138 derartige unerledigte Akten in der genannten Abteilung waren, so daß diese Beschwerden unbegründet seien. Man wird sich nun fragen müssen, wo nun eigentlich die Schuld an dem tatsächlich vorhande­nen Uebelstand der langwierigen Aktenerledi­gung liegt. Die Landesvertretung für Böhmen hat Donnerstag ihre Frühjahrssession geschlossen. Es wurde die ganze umfangreiche Tagesordnung der Verhandlungen erledigt und zum Schluffe eine Reihe von Initiativanträgen dem LandeSaus» schuß oder den entsprechenden LandeSkommissio- nen zu gewiesen. In demselben Sinn wie Genosse Lorenz sprach auch Genosse N o v y, welcher in ein­gehender Weise die Verhältnisse in Westböh- men schildert«. Sudetendeutsche Not! Eine Karte der Arbeitslosigkeit In der CSJt > Entnommen denLidov6 Novlny. Der mährische LandesauSschuß hat eine Kar te anfertigen lassen, auf welcher die Dichte der Arbeitslosigkeit in der Tschechoslowakischen Repu blik verzeichnet ist. Die Absicht, von der sich die Mährische Landesbehörde dabei leiten ließ, war zu zeigen, daß Mähren viel stärker von der Arbeitslosigkeit befallen ist als Böhmen . AuS d er Karte ist aber auch zu ersehen, daß di« Haupt­leidtragenden der Arbeitslosigkeit Sudetendeutsche find, insbesondere auf der Karte von Böhmen steht man, daß sich dasGebietder größten Arbeitslosigkeit fastvöllig mit dem deutschen Sprachgebiet de ckt.