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S.mstag, 21. März 1936

Nr. 69

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die Demütigung im Walde von Compiègne oder noch mehr: das Ende des großen Staates der deutschen Nation überhaupt. Wie Deutschland auf das Memorandum der Mächte antworten wird, ist zur Stunde unbe­kannt. Eine Ablehnung würde wohl die inter­nationalen Spannungen erhöhen und

Der Parteitag im Landesgericht I Anklagereden der Verteidigung, Die Plädoyers

schen Klugheit schöpfe.

Kriegsgefahr steigern. Für Europa ist die nächste frung der Verhältnisse zu reden, Ein Angeklagter habe gesagt: wir verzichten Gerechtig Zeit schicksalsschwer, es geht um Sein oder Nicht- die solche Prozesse überflüssig machen würde. Nie- auf Milde und verlangen nur sein von uns allen. Der deutsche Faschismus mand fönne fich dem guten Eindruck entziehen, den teit. Die Verteidigung aber fordere Gerechtigkeit das lehren die letzten Tage eindeutig und über die Angeklagten machen. Man müsse mit Stönig und Milde und erwarte, daß der Gerichtshof zeugend ist nicht nur der Feind des Aufstieges Philipp im Don Karlos sagen: Welch ein Verlust überdies das Urteil nach den Geboten der politi­der arbeitenden Klasse, sondern der Feind der für meinen Staat, wenn solche Köpfe feiern"! Es sei nicht nur die Aufgabe des Gerichtes, ein die europäischen Kultur, der Zukunft der Menschheit! Urteil zu fällen, sondern das Gericht müsse sich des- mhart schilderte in leidenschaftlichen Worten Der Verteidiger der Angeklagten Marie sen bewußt sein, daß es durch einen gerechten Spruch das Rad der Geschichte vorwärts drehen die Wildwestzustände in St. Pölten , die durch könne. Es sei auch für den Staat besser, wenn man, das Wüten der betrunkenen Heimwehrsoldatesfa statt Hochberratsanklagen zu erheben, die Angeklag- entstanden und Marie Emhart zwangen, sich zum ten und ihrer Bewegung in den men aufzuhalten. Dieser Verteidiger ſtammt ten und ihre Gesinnungsgenossen durch die Le g a Schuß ihres Lebens in Wien unter anderem Na­Staat einebne. Die politische Stunde sei ernst, selbst aus St. Pölten und kennt jenen Zustand ganz Europa stehe vor großen Gefahren. Die An­aus eigener Wahrnehmung. Wien.( Eigenbericht.) Die Prozeßführung| Eine gewaltsame Aenderung der Regierungsform sei geklagten würdigen die Schwere des Kampfes, den An den heutigen Verhandlungen nahm Kapis bemüht sich, ein baldiges Ende der Verhandlun- nicht beabsichtigt gewesen; die Möglichkeit einer Ver- Desterreich gegen die Bestrebungen Hitler - Deutsch­gen zu erreichen. Man munkelt in Wien , daß dies fassungsänderung sei jedoch sogar in der neu- öfter- lands führen muß. Sie arbeiteten für ihre Idee tän Kendrich, ein hoher Beamter der eng der persönliche Wunsch des Bundeskanzlers sei, reichischen Gesetzgebung vorgesehen. Allerdings werde weiter, weil sie wissen, daß die Arbeiterbewegung lischen Gesandtschaft, teil. gesagt, daß in Oesterreich eine Aenderung der ge- die stärkste Garantie der österreichischen Unabhän= Die Plädoyers werden Samstag fortgesetzt. der in den nächsten Tagen nach Rom fährt. Der schriebenen Verfassung deswegen nur auf gewalt- gigkeit ist, also die Garantie eines Zustandes, deſ­fünfte Brozektag brachte die Reden des Staats- samem Wege möglich ist, weil das Regierungssystem sen Bewahrung im Interesse des europäischen Es ist möglich, daß das Urteil schon Samstag anwalts und der Verteidiger. Die Rede des als autoritäres von der Volksgesinnung unabhängig Friedens liegt. gefällt wird. Staatsanwalts war eine große Ueberraschung: er sei. Aber diese Behauptung werde schon durch den hat die Anklage gegen die Hauptbeschuldigten so Umstand ad absurdum geführt, daß die Regierung stark abgeschwächt, daß mit einem To- selbst zu verfassungsändernden Verordnungen er­desurteil nicht mehr gerechnet werden muß: ja, mächtigt ist. So könne also auch das Bestreben der in einem Fall hat er sogar für Freispruch plä- Angeklagten nach einer friedlichen Verfassungs­diert. Es handelt sich um den Angeklagten Li- änderung nicht als Hochberrat gewertet werden. Es gehe aus den Aussagen der Angeklagten berda, der allerdings auch schon vierzehn Mo- hervor, daß ihre Gesinnung unverändert geblieben nate in Haft ist. Die Rede des Staatsanwaltes ist; geändert haben sich lediglich die Verhältnisse, Prag . Die beiden Vorlagen über Bau= die nötigen Beträge werden zur Verfügung stellen bewies, daß dieser sich der Schwäche der Anklage unter denen sie ihre bisherige Gesinnung betätigen. förderung und Mieterschutz wurden fönnen. Zweitens sind auch die Gemeinden bewußt ist. Die Rede klang fast wie eine Entschul- Die Ziele der sozialistischen Partei seien heute die Freitag nachmittags nach Abschluß der Debatte, nicht vorbereitet auf die ihnen zugedachte digung dafür, daß in der Anklageschrift so weit- gleichen wie die auf dem Parteitag in Hainfeld im in der noch zehn Redner sprachen, vom Abgeord: Aufgabe, Wohnungen für die Armen zu erbauen. gehende Behauptungen aufgestellt wurden. Jahre 1889; im Hainfelder Programm, dessen netenhaus in beiden Lesungen angenommen. Namentlich die Entschuldungsfrage ist noch nicht gelöst. Einer der Höhepunkte war zweifellos die Geist sich auch in dem Linzer Parteiprogramm der An der Mieterschuhvorlage wurde große Rede des ersten Verteidigers Stein it, deutsch - österreichischen Sozialdemokratie widerſpie noch eine stilistische Aenderung vorgenommen, hinter dem notwendigen Bedarf zurück. Die Schaffung von Wohnungen bleibt weit der Gericht hielt über den Faschismus und der die gelt, werde die Aufgabe geſtellt, die Arbeiterschaft wornach bei der Festiesung, daß der Mieterſchutz, Die Vorlage will das ära ft e 2 o hnungs­Ziele der österreichischen Sozialisten in glänzen- erhalten. Zur Erfüllung dieser Aufgabe seien alle die ler Meißner und die außerordentlichen Maß- elend lindern und durch Ausnüßung der Garan der und überzeugender Weise formulierte. Von zweckdienlichen, dem Rechtsbewußtsein des Volkes nahmen der Wohnungsfürsorge verlängert wer- tiesumme von 300 Millionen 15.000 bis 18.000 dieser Rede kann man sagen, daß sie eine wir entsprechenden Mittel anzuwenden. Es sei weder den, der Zusatz bis zur weiteren ge= Einraumwohnungen für die Armen schaffen. Das kungsvolle Anklage gegen den österreichischen der faiserlichen Regierung des alten Desterreich noch feßlichen Verfügung" gestrichen wird. Problem der Wohnungsbeschaffung kann sich aber Faschismus im Namen der Sozialistischen Arbei- der früheren Republik eingefallen, diese Betätigung Meritorisch ändert das nichts an der Tatsache, nicht in der Bereitstellung von Wohnungen für die ter- Internationale und der ganzen demokratischen als Hochverrat" zu qualifizieren, die übrigens in daß die Verlängerung nicht terminiert ist, also Weise angegangen werden. Schließlich sollen die Armen erschöpfen; es müßte in großzügiger Weltöffentlichkeit war, und daß sie in der Ge- anderen Ländern auch jetzt gestattet ist. Was im bis zu einer anderweitigen gesetzlichen Regelung Wohnungen, die jetzt unter Buhilfenahme der Mittel schichte der österreichischen Arbeiterbewegung einen sivilifierten Europa nicht als Hochverrat qualifi- in Kraft bleibt. der öffentlichen Hand errichtet werden, eine normale hervorragenden Platz einnehmen wird. Wäre die siert werde, könne auch in Desterreich nicht Hochver­Lebensdauer absolvieren. Wohnküchen werden aber rat sein. österreichische Presse nur halb so perfid, wie sie bei günstiger Entwicklung der Wirtschaftsverhältnisse sehr bald eine vom volksgesundheitlichen Standpunkte überholte Wohnform ſein.

tatsächlich ist, so würde sie wenigstens einen Teil diefer überlegenen Beweisführung wiedergeben und dadurch die Stimmung der breitesten Def fentlichkeit zweifellos den Angeklagten geneigt machen. Aber diese Presse hetzt gegen die wehr­losen Angeklagten in unglaublicher Weise. Der Parteitag im Landesgericht I geht zu Ende. Er schließt, wie immer das Urteil ausfallen wird, mit einer schweren moralischen Niederlage der Anklage und des faschistischen Systems ab.

Der Staatsanwalt behauptete in seinem Blä­doher, daß in Oesterreich keine Gesinnung bestraft werde, und sei sie gegen die Regierung noch so feind­felig. Nur die Betätigung der Gesinnung stehe

unter Straffanttion. Mit dieser Behauptung steht iminerhin die Tatsache in Widerspruch, daß schon der Bejiz eines sozialdemokratischen Parteiabzeichens oder einer illegalen Druckschrift monatelange Boli­zeihaft einträgt; sie wird auch durch andere fatten widerlegt. Bezüglich der Rädelsführer". gegen welche die Anklageschrift die Todesstrafe bean= tragt, trat der Staatsanwalt einen Rückzug an: er überlasse dem Senat die Beantwortung der Frage, ob es sich um Rädelsführer oder um Führer im ge= wöhnlichen Sinne handelt. Der Staatsanivalt plä­dierte zum Schluß für die weitestgehende Berücksichtigung von Milderungs­

gründen.

Aus der Rede des Verteidigers Dr. Steinis ist hervorzuheben, daß die begangenen Delitte auf tei­nen Fall den Tatsestand des Hochverrates ergeben.

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geistig und physisch kampffähig zu machen und zu

Das Bekennntnis der Angeklagten zur Gewalt­anwendung komme nur im Zusammenhang mit den Restaurationsbestrebungen der Habsburger vor, die zum Kriege führen müsse; Gewaltanwendung kom­me also überhaupt nur bei einer Gefährdung Dester­reichs in Frage ,. richte sich also gegen eine Aen­derung des bestehenden Zustandes.

Wie wird sich die neue Bauförderung

Genosse Kögler in der Parlamentsdebatte

In der Bauförderungsvorlage wurde durch Koalitionsantrag der für den Bau von Wohnküchen für Arme bestimmte Betrag von fieben auf zwölf Millionen erhöht.

Die beiden Vorlagen werden im Senat am nächsten Dienstag um 4 Uhr nachmittags auf­gelegt und offenbar beschleunigt verabschiedet werden. Das Abgeordnetenhaus tritt erst am nächsten Donnerstag wieder zusammen, da vor her der Außenminister die Debatte über das Exposé des Außenministers Dr. Krofta abfüh­ren soll.

Die Sozialisten arbeiten auf dem Boden der Gesetze, allerdings jedoch nicht auf dem Boden jenes Gesezes, das die Existenz der Partei verbiete. Die Steigerung des aktiven Widerstandes gegen die fa­schistische Regierung solle nach dem der Anklage höchste Steigerung finden. Das sei weder Hochver­zugrundegelegten Programm im Streit seine In der Debatte befaßte sich Genosse Kög­cat, noch ein Bekenntnis zum bewaffneten Aufstand. I er ausführlich mit der Bauförderung, wobei er Man gebe, sagte Dr. Steinis unter Hinweis namentlich dafür eintrat, daß man über den not­auf die Aussagen der Angeklagten, den Soziali- wendigen Maßnahmen zur Eindämmung der sten die Legalität, dann würden sie aufhören, ille­gal zu sein. Die Arbeiterbewegung mit ihrer gro­ßen Tradition habe ihre Organisationen verloren; diese Wunde sei und bleibe offen, fie werde nicht dadurch geschlossen, daß man wieder einmal die Gefängnisse überfüllt. Im Landesgericht 1 z. B., das Blaz für 800 Häftlinge hat, seien gegenwär­

tig 1600 Gefangene untergebracht.

Der Prozeß sei ein politischer Prozeß, man müsse wie auch bei anderen Prozessen nach den Motiven der Angeklagten fragen und der Ver­teidigung müsse es gestattet sein, politische Zusam­menhänge bloßzulegen und die Bedingungen zu schildern, die zu dem Prozeß führten, und schließ­lich über die notwendige Aende

Auf den Fußspizen trat er an das primitiv

fchlimmsten Wohnungsnot nicht den Blick für eine auf weite Sicht vorsorgende großzügige Wohnungspolitik im Sinne moderner sozial­hygienischer Erfordernisse verliere. Er führte un­ter anderem aus:

auswirken?

Deshalb sollte sich die öffentliche Hand bei Schaffung neuer Wohnungen auf lange Sicht einstellen und das Problem nicht ausschließ lich von der angenblicklichen Not her angehen.

Wir haben eine großzügige und grundlegende Lösung gefordert unter Beachtung von zwei Ge­sichtspunkten: systematische Bekämpfung des Wohnungsmangels und grundlegende Beseitigung des Wohnungs­

elends.

Wir können begreifen, daß da gewisse Hinder nie beitehen. Zur Lösung diefer Probleme reicht vor allem die Privatwirtschaft nicht aus, namentlich in der Krisenzeit. Ohne Mithilfe der öffentlichen Hand ist das Wohnungsproblem überhaupt nicht zu lösen. Das Wohnungselend

Die Mehrzahl der Wohnungen in der Tschecho slowakei sind Klein- und Kleinstwohnun gen. Nach dem letzten statistischen Jahrbuch ergibt So sehr die neue Bauförderungsvorlage zu be- sich aus einer Zählung in den größeren Städten die grüßen ist, so erfüllt sie doch nicht die Erivartungen, Bahl von 980.034 Wohnungen. Davon haben die die Bevölkerung eigentlich an sie knüpft. Vor 219.378 oder 22.4 Prozent nur einen Haupts allem ist namentlich, was das deutsche Gebiet anbe- raum, 396.684 oder 40.5 Prozent a wei Haupts trifft, der Geldmarkt auf großzügige Investi- räume, 176.114 oder 18 Prozent drei Haupträume. tionen nicht vorbereitet. Die deutschen Svartassen Insgesamt machen also die Wohnungen bis zu zwei dürften höchstens 150 Mill, an Hypothefarkrediten be- Rimmern und Küche 80.9 Prozent aus und nur reitzustellen imitande sein. Es ist die Frage, ob die 19.1 Prozent entfallen auf größere Wohnungen. Im sentralen Geldinstitute, die Zentralsozialver- Jahre 1932 gab es vorübergehend feinen Mangel sicherungsanstalt, die Allgemeine Pensionsanstalt etc. I an fleineren Wohnungen. Inzwischen mußten aber

Da sie wieder schwieg, begann er, wie er es war. Er hat mich beschwaßt, daß er meinen

MÄNNER, FRAUEN gezimmerte Bettchen, blickte lange auf das Kind sich zurecht gelegt hatte:

UND WAFFEN

Roman von Manfred Ceorg Copyright by Dr. Manfred Georg. Prag

Aber auch die Verteidiger hatten feste Stel lungen bezogen, und da doch ein erheblicherer Teil der Artillerie, ale Schumann gedacht hatte, sich in den Händen der Leute von Limeo befand, so war es sogar gelungen, einige Batterien der Gegner zum Schweigen zu bringen.

hernieder. Er beobachtete es sehr genau. Warum rührte sich kein Gefühl in ihm? Warum fühlte er sich, im Gegenteil, abgestoßen von diesem Kindergesicht, das faltig und unfrisch in den Stiffen schlummerte?

Alles wurde so viel schwerer. Er ging lin­lisch zum Tisch zurück und setzte sich unschlüssig. Gabriele sagte tein Wort. Warum auch? Hätte sie einen Grund gehabt, ihm die Tatsache dieses Kindes zu erklären?

ein

Ein bleigrauer Himmel deckte das Gefilde ringsum niedrig ab. Ein Flieger erschien, ließ Aufrufe fallen, die mit bösem Auflachen zerrissen wurden und verschwand wieder in südlicher Rich­tung. Limeo sei eingekreist, schon bräche überall der Aufruhr zusammen, und wer nach Ablauf von vierundzwanzig Stunden noch mit der Waffe in Sie der Hand getroffen würde, würde auf der Sielle erschossen werden. Man warte nur noch die Ber stärkungen ab, um bei Fehlen von weißen Fahnen die Stadt mit stürmender Hand zu nehmen.

Es regnete, als Schumann sich auf die Suche nach Gabriele machte. Es troff von den Häusern und Giebeln, und das schlechte Pflaster war glitschig. Die Rinnsteine rauschten. In der Biblio­thet war das Mädchen nicht. Er erkundigte sich nach ihrer Wohnung. Völlig durchnäßt kam er an. Sie hatte zwei Zimmer in einem niedrigen Häus­chen. Er wich erstaunt zurüd, als er das eine be­trat. Unter dem Fenster stand ein fleines Beti, in dem ein Kind schlief. Es war winzig, konnte nur wenig über ein Jahr alt sein.

,, Verzeihung", stammelte er, nicht, entschuldigen Sie, bitte..." Sie bat ihn, näher zu treten: ..Aber kommen Sie doch ruhig. schläft so fest, den stören Sie nicht."

ich wußte

Juanite

Pädchen Kartotheffarten. Sie schwiegen eine Weile. Gabriele sortierte

Unvermittelt begann dann Schumann: " Ihr Mann steht auch im Kampf?" Eine tiefe Falte grub sich in die reine Stirn: ,, Ich habe keinen Mann." Er erhob sich verwirrt: Entschuldigen Sie..."

Aber da ist doch gar nichts zu entschuldigen, können doch das nicht wissen!"

Sie verstummten wieder, dann sagte sie etwas unwillig:

" Für Ihre Bücher habe ich noch keine Zeil

gehabt."

Durch einen Zufall erfuhr ich, daß Sie einmal in Sevilla waren. Sie haben dort einen Vortragsabend besucht."

,, Ach so!" Gabriele ließ die Kartothekkarten fallen, ihre Arme santen schlaff herab, und sie forschte etwas tonlos:

,, Kommen Sie von Herrn Mardrier?" Schumann schnellte so auf, daß der Stuhl umfiel. Das Kind erwachte und fing an zu schreien. Es quarrte in häßlichen hohen Tönen. Der Rittmeister war fassungslos:

" Ja, erinnern Sie sich denn so genau..." Gabriele war dicht an ihn herangetreten. Ihre Augen waren klein und böse geworden, ihre Stimme heiser:

,, Sie bringen mir Geld, wie?"

. Schumann versuchte, die Veränderung, die in Gabriele vorgegangen war, zu begreifen.

,, Aber nein, um Gotteswillen, wieso soll ich Ihnen denn Geld bringen? Ich kenne nur Herrn Mardrier sehr genau. Und er erzählte mir von einem seltsamen Experiment, das er in Sevilla gemacht hätte....."

,, Ein Experiment? Das nennt er ein Er­periment. Wenn Sie sein Freund sind, so be­ Aber das ist ja unwichtig." stellen Sie ihm doch bitte, wenn Sie ihn sehen, Sie war erstaunt: Ja, ich wüßte eigentlich nicht, warum Sie daß ihn sein Sohn grüßen läßt! Vergessen Sie nicht, daß er Juanito heißt!" ,, Schumann padte Gabriele, nicht imstande sich zu beherrschen, an beiden Schultern:

sonst.

,, Warum ich hier bin, nicht wahr?"

Ja, gestern habe ich sogar einen Augen­blid geglaubt ich muß Ihnen das ehrlich sagen

daß Sie vielleicht ein Spizel sind. Dann aber habe ich Sie mir noch einmal genau angesehen und gewußt, daß ich mit dieser Vermutung un­recht habe. Zur Sicherheit hat man Sie aller dings, das werden Sie schon entschuldigen müssen. beobachtet. Sie haben die ganze Nacht am Fenster gesessen. Ein wenig sind Sie mir unheimlich."

Aber das Unheimliche zieht an, nicht

wahr?"

,, Das ist Mardriers Kind?"

1,, Ja, das ist Mardriers Kind! Ich wußte ja damals nicht was geschah. Sagen Sie ihm, daß ich es ausgetragen habe. Ich konnte kein Leben vernichten, das einmal in mir zu teimen angefangen hatte. Sagen Sie ihm, daß hier in Limeo sein Kind heranwächst, und sehen Sie sichs genau an. Ich pflege es, aber ich werde es nicht lieben. Sehen Sie sich diese unguten Züge an, die es schon hat. Dies Kind wird ein böser Mensch. Weil seine Zeugungsstunde eine böse

Vater kenne. So lockte er mich nach dem Vor­trag, in dem ich mich gemeldet hatte, auf sein Hotelzimmer. Ich wußte nicht mehr, was ich tat. Ich hatte solche Sehnsucht nach meinem Vater.

"

Schumann hatte oft die Verse der Dichter so übertrieben gefunden. Aber wenn jetzt ein Bliz aus dem Himmel herniedergefahren wäre, hätte er ihn gern in seine Bruft gelenkt. Mardrier, der lächelnde Mardrier! Er verstand plötzlich den Ausruf des Grauens, den Shakespeares Ham­Let im Unmaß des Leids ausstieß: Daß einer lächeln kann und immer lächeln! Was war das für ein Gott, der diese Schicksale lenkte! Schit mann begrub seinen Kopf in beide Hände. Hier saß er am Ziel. Endlich am Ziel und ziviefach schloß ihm das Schicksal den Mund. Wie tam er nur hierher in diese kleine Stube!? Ja, es regnete draußen. Richtig. Und Kanonen waren in der Ferne aufgefahren. Richtig. Seine Toch ter stand gegen die Kanonen gewandt. Es waren seine Kanonen. Er gehörte zu denen, die sie auf­gefahren hatten. Mardrier war bestimmt der Teufel, und doch nur ein Instrument. Er war nur berufen gewesen, zwei Schicksalslinien zu sammenzubiegen. Alles versaute er. Er hatte Gabriele beschmutzt, er hatte Haydée mit Schu manns Wissen und Willen in den Armen gehabt, überall war er und ohne eigenes Verdienst, nur weil irgendein rätselhaftes Walten ihm die Opfer zutrieb.

Da saß er vor seiner Tochter und konnte sich nicht bekennen. Denn was sollte er sagen? er war er denn? Ein Umbergetriebener ohne Ruhe und Sinn. Er rubte nur bisweilen in einent Gedanten Gabrieles. Manchmal erschien er also hier in Limeo im Traum und ritt mit ihr in die Schwemme. Sollte er ihr die schönen Papierchen von Dunaimis auf den Tisch werfen und sich bri sten, ein erfolgreicher Mann zu sein? Hätte doch nur nicht Mardrier ein so gutes Gedächtnis ge habt!

( Fortjebung folgt.)