Donnerstag, 26. März 1936 16. Jahrgang IENTRALORGAN DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH. REDAKTION UND VERWALTUNG PRAG   XII., FO^HOVA«r. TELEFON 53077. HERAUSGEBERt SIEGFRIED TAUB  . VERANTWORTLICHER REDAKTEUR* DR. EMIL STRAUSS, PRAG  . Einzelpreis 70 Heller (einschließlich 5 Heller Porto) Imposante Leichenfeier in Krakau  Warschau  . In Krakau   fand Mittwoch vor­mittags das Leichenbegängnis der acht Opfer der montägigen Straßenkämpfe zwischen der Arbei­terschaft und der Polizei statt. An dem Leichen­zuge nahmen zahlreiche Delegationen der Arbei­terorganisationen aus ganz Polen   sowie eine un­geheuere Menschenmenge, die auf annähernd 30.000 Personen geschätzt wird, teil. Die acht Todesopfer wurden in einem ge­meinsamen Grabe bestattet, an welchem die Füh­rer der sozialistischen   Arbeiterschaft sprachen. Die Ruhe und Ordnung während des Leichenzuges wurde nirgends gestört. Ueber Aufforderung der sozialistischen   Partei ruhte in Krakau   in allen Fabriksunternehmen und städtischen Anstalten den ganzen Tag hindurch der Betrieb. Der Ver­kehr auf der Straßenbahn wurde erst in den Nachmittagsstunden ausgenommen. Auch in War­ schau   ruhte in zahlreichen Fabriksunternehmun­gen in den Vormittagsstunden eine halbe Stunde lang der Betrieb'. Aehnliche Svmpathiestreiks sanden auch in Lemberg  , Lodz   und in dem ganzen Gebiete der ostgalizischen Naphthaindustrie statt. Amerika   baut 4000 Flugzeuge Washington  . Der Wehrausschuß des Repräsentantenhauses billigte einmütig den Bericht, durch den dem Kongreß der Bau mm 4000 Militärflugzeugen empfohlen wird. Der Bericht betont, daß Pie Bereinigten Staaten in der Entwicklung des Militärflugwesens um min­destens zehn Jahre zurück sind und daß jährlich 800 Flugzeuge neu eingereiht werden müssen, um die Luftrüstung der Bereinigten Staaten zu er­gänzen. Spanische Reformarbeit Der spanische Außenminister Barcia sagte gelegentlich seiner Anwesenheit in London   zur Völkerbundstagung demDaily Herald": Die Regierung Azana   wird vor allem M i n- destlöhne festsetzen, die Arbeitsbedingungen verbessern, Alterspensionen einführen und S t a a t s h i l f e für die Arbeitslosen. Dar­auf wird eine gründliche Bodenreform mit Enteignung der Großgrundbesitzer fol­gen zugunsten von Kleinbauern und Landarbei­tent, denen der Staat Kredite, Maschinen unh Saaten bristellrn wird. Strenge Maßnahmen werden die Wiederholung von Umtrieben de^ Rechten verhindern, die zum Bürgerkrieg führen müßten. Aus diesem Grunde ist die Fa­schistenpartei aufgelöst worden. Zur Außen­politik erklärte der Minister, Spanien   wolle mit den anderen Neutralen alles tun, um die allge­meine Abrüstung vorwirtszubringen, für die es noch lange nicht alle Hoffnung aufgegrben habe. Der Landwirtschaftsminister erklärte, daß er mit der schnellen Durchführung der Bodenreform in einigen Provinzen Spaniens   sehr zufrieden sei. Rach der Bodenreform wird der Boden den landwirtschaftlichen Arbeitern, und zwar den so­genanntenBunteros*, zugrtrilt, die eigene Ge­spanne und Geräte zur Bearbeitung des Bodens besitzen. Der Minister erklärte, daß innerhalb von 48 Stunden an 3748 Bunteros landwirt­schaftlicher Boden zugeteilt wurde. In der Pro­vinz Cordoba   ist der Boden bereits zu 60 Prozent anfgeteilt, in der Provinz Toledo   zu 45 Prozent und in der Provinz Badajos ist bereits die Zu­teilung an 3103 Bunteros erfolgt. Heute AuBendebatte Im Unterhaus London  . Premierminister Baldwin erklärte im Unterhaus, daß die Debatte über die Außen­politik am Donnerstag im Unterhalts abgeführt werden wird. kornrnunlstenverHettungen In Brasilien  Rio de Janeiro  . Nachdem infolge der Ver­hängung des Kriegszustandes über Brasilien   die Immunität der Parlamentsmitglieder erloschen ist, verhaftete di» Polizei den Senator Abel Cher« niont sowie Mehrere Abgeordnete, denen Teil­nahme an der kommunistischen   Bewegung zur Last gelegt wird. zur See ein- Sie rücken von Stöckl ab! fragt aber nicht die daß in ZukuNst * Dafür hüllen sich die Prager   demokratischen Blätter in Schweigen!. Rüstungen enthalte. Wir haben Hoffnung aufgegeben, sage er, die quantitative Beschränkung der Seestreitkräste verwirflicht werden wird. Der Vertrag, den wir heute unterzeichnen, bildet den Grundstein für ein neues Gebäude. Der französische   Delegierte bedauerte, daß der neue Vertrag nicht die erwünschte große und volle Tragweite habe. Es besteht aber kein Grund, sagte er, die Hoffnung aufzugeben, daß in nicht ferner Zukunft ein vie'l vollkomme­neres Werk geschaffen werden wird, und es ist unsere Pflicht, daraus hinzuarbeiten. Der italienische Delegierte Botschafter G r a n d i sagte, Italien   bedauere herzlich, daß es den Vertrag, an dem die italienische Delega­tion ausgiebig mitgearbeitet habe, nicht unter­zeichnen könne. Die Abkommen über den gegen­seitigen Beistand im Mittekmeer hätten das ita­lienische Volk tief verletzt. Italien   ses gezwungen, sich auf dem Gebiet des Flottenbaues Hand­lungsfreiheit zu bewahren. Zweierlei Moral Die Humanität des sudetendeutschen  Bürgertums Das Urteil imPatscheide r-P r o- z e ß ist, sowohl was das Ausmaß der Strafen als auch was ihren Grad schweren Kerker, Ehrverlust, Geldstrafen anbelangt, gewiß ein h a r t e s Urteil. Aber dieses Maß darf man an den Spruch des Ostrauer Gerichts nur anlegen, wenn man von den Verhältnissen eines demokratischen Rechtsstaates ausgeht, wenn man das Urteil also vergleicht mit Sprüchen, die un­ter den gleichen Voraussetzungen Zustandekom­men. Gem essenander Ju st iz fa­scht st ischer Staaten ist das Ur­teil gegen Patscheider und Genossen milde zu nennen. Man mißverstehe uns nicht! Wir wollen den Spruch des Ostrauer Senates keines­wegs als ein mildes Urteil bezeichnen; auch wir empfinden ihn als hart und wir haben diese un­sere Meinung darum im ersten Satz dieser Be-' trachtung ausgesprochen. Wir möchten aber in diesem Zusammenhang doch feststellen, welche merkwürdigen Formen die Moral unseres sude­tendeutschen Bürgertums angenommen hat. Die bürgerliche Presse zeigt sich von dem Ostrauer Urteil erschüttert. Sie hält sichtlich mit Mühe nur und aus Furcht vor dem Zensor eine Kritik zurück, die auch zwischen den Zeilen unver-. kennbar zu lesen ist. Wir wollen wieder nicht be-. haupten, daß die Entrüstung unehrlich, daß sie gespielt sei. Die Leute, die heute im Sudeten  - deutschttun die öffentliche Meinung des bürger­lichen LagerS machen, find wahrscheinlich ehrlich entrüstet, und das Schicksal der Volksgenossen, die so hart verurteilt wurden, geht ihnen wirklich zu Herzen. Aber diese Haltung, gerade wenn sie ehrlich ist, wenn sie auf em Gefühl der Mensch­lichkeit, der Solidarität, auf eimn tieferen Glau­ben an die Gerechtigkeit zurückgeht, steht doch in krassem Widerspruch zu jenerHal- tung, die das sudetendeutsche Bürgertum seit drei Jahren gegenüber dem braunen Terror in Deutschland   einnimmt. Gemessen an allem, was sich in Deutschland  seit Adolf Hitlers Regierungsantritt abgespielt hat, ist das Urteil im Patscheider-Prozeß natür­lich milde zu nennen, ja in der Sprache des Na­zismus wäre es als ein schwächliches, bängliches, unmännliches Urteil zu bezeichnen. Der Natio­nalsozialismus und das heißt heute die ganze deutsche Justiz machen zunächst einmal in den seltensten Fällen mit irgendeiner Sache einen so langen Prozeß". In den meisten Fällen werden Hoch- und Landesverräter, beziehungsweise sol­che Volksgenossen, die irgendwet denunziert hat, deren Gesinnung verdächtig ist, die dann und wann beimMeckern" betreten wurden, in den meisten Fällen werden also, solche Gegner des Regimes schon von der Polizei oder den verhaf­tenden und diensttuenden SS oder SA-Mäimem bestraft" das heißt gefoltert, geprü­gelt, zu Krüppeln gemacht oder totgeschlagen. Kommt es aber zum Pro­zeß, so gilt kein Gesetz und kein Menschenrecht, son­dern nach dem schöpferischen Rechtsgrundsatz des braunen ReichesRecht ist, was Adolf Hitler  Die Tschechoslowakei   keine Sowjet*Flugbasls London  . Um den Gerüchten, daß die, Tsche­choslowakei Sowjetrußlgnd die Benützung aller ihrer Militärflugplätze gestattet habe,- definitiv ein Ende zu setzen, teilte Staatssekretär für Aeüßeres Eden in Beantwortung der an ihn gestellten Anfragen im Unterhaus mit, daß die britische   Regientng von der tschechoslowakischen Regierung die kategorische Versickerung erhalten habe, daß zwischen Prag   und Moskau   kein der- Kein Wettrüsten England-Amerika Der neue Fiottenpakt unterzeichnet London.  (Reuter.) Der neue Flottenvertrag wurde am Mittwoch im St.-James-Pa- last von Großbritannien  , den Bereinigten Staaten von Amerika  , Frankreich   und den Staaten des Britischen   Reiches mit Ausnahme Südafrikas   und des Freistaates Irland unterzeichnet. Norman Davis und Eden tauschten Schreibe» aus, in denen erklärt wird, daß die Staaten des Britischen   Reiches und die Bereinigten Staaten von Amerika   gegenseitig de» Grundsatz der Flottenparität wahren werden und daß zwischen ihnen kein Wettrüsten trete» werde. Alle bedauern... Der Erste Lord der britischen   Admiralität Lord M o n s e.l l führte u. a. aus, der vcrlie- gende Vertrag unterscheide, sich von seinen Vor­gängern dadurch, daß er keine Bestimmungen über eine quantitative Begrenzung enthalte. Eng ­land bedauere diese Tatsache außerordentlich- aber es glaube, daß das Wettrüsten für eine wei ­tere Reihen von Jahren vermieden werden könne, falls sich alle maßgeblichen Flottenmächte dem Vertrag anschlössen. Einer der Gründe, warum man hoffe, daß es in Zukunft nicht zu einem quan­titativen Wettrüsten kommen werde, sei die Be ­stimmung, durch die die vertragsschließenden Par­teien zu einer vorherigen Bekanntgabe ihrer Bau ­programme, sowie zum Austausch von Informa­tionen verpflichtet seien. Der Delegierte der Bereinigten Staaten von Amerika   Norman Davis sprach ebenfalls das Bedauern aus, daß der neue Ver­trag keine Bestimmungen über die quantitativen und des Herbrischaffens von Belastungsmaterial gab, die dann noch durch das Verfertige» ganzer Aktenstöße ergänzt wurde. Bor allem aber, warum sie die teueren Spitzel bezahlt hat, deren Erklärung das Gericht jetzt einfach ad acta legt. Die Polizei hat eine Weltblamage erlitten. Was den Stöckl betrifft, der eine Strafe von vier Jahren abzusitzen hat, so hat sein schmählicher Verrat nicht dazu beigetragen, seine Strafe zu verringern. Der Verrat hat im Gegen­teil nur ihm geschadet. Die Strafen der von ihm Verratenen sind durchwegs geringer als seine eigene. Eine bürgerliche Stimme Die bürgerlicheBasler Nationalzeitung" schreibt u. a.: »Die wirkliche Schuld dieser 30 revolutio­nären Sozialisten besteht darin, daß sie nicht, wie Tausende ihrer Volksgenossen, von heute auf mor­gen zu Verrätern an ihren bisherigen Ideen wurden,. sondern mutig im Sinne ihrer Ideale allen Gefahren zum Trotz weiter gekämpft haben. Wir teilen diese Ideale nicht. Aber darum geht es hier nicht! Was jeden gereckt empfindenden Menschen an dem ckeidvollen Schauspiel dieses Hochverratsprozesses beeindrucken mußte, war die Standhaftigkeit solcher Ueberzeugungstreue. stand in krassem Gegensatz wenigstens für schweizerische Begriffe- mit den zweifelhaften Methoden eines Polizeiapparates, der mit Spitzeln und Agents provocateurs   arbeitet, wie es hier der Fall war..." Sie dls Recht erklärt"(Reichsminister Frank) wird der politische Gegner wegen der nichtigsten, meist nicht beweisbaren Vergehen, in der Regel aber; wegen einer bloßen Gesinnung zu Zuchthausstra­fen von phantastischem Ausmaß verurteilt. Da­bei wird heute auch in den Zuchthäusern schon ge- hrügelt und ttzährend es noch vor einem Jahr so war, daß jeder sich glücklich schätzte, der im Drit­ ten Reich  nur in-den-Kerker" und-nicht ins> Konzentrationslager kam, so können einem heute auch schon im Zuchthaus die' Nieren ausgetreten werden. Zu allen diesen Rechtsbrüchen, Gewalt» und' Schandtaten hat das sudetendeutsche Bürgertum geschwiege n, wenn es sie nicht gebilligt, bagatellisiert oder die Opfer dieserJustiz".noch verhöhnt hat. Da wurden inWupperta I Dutzende Menschen einer Gesinnung wegen zu barbarischen Strafen verdammt und nicht weniger als sechs Arbeiter wurden von einem eigens entsandten Mordkommando erschlagen zu keinem anderen Zweck, als um die Zeugen einzuschüchtern. Im Prozeß R i ch a r d st r a tz e wurden notorisch -Unschuldige zum Tode verurteilt. Der Kommunist Aus   Wien Wirtz uns unter dem 24. März berichtet: Man muß schon sagen, daß man bxi diesem Urteil vor einezn Rätsel steht. Zuerst inszenierte man, offenbar auf Weisung der Regierung, die auch jetzt der Scharfmacherei nicht abhold war, einen Monsterprozeß gegen die Sozialisten, wel ­cher, wieder auf Weisung regierender Stellen, mit einem Fiasko für den Staatsanwalt endete. Denn nicht nur, daß von den dreißig wegen Hochverrats Angeklagte  » zwölf freigesprochcn wurden und bei vielen andeven das Urteil nur wegen Ruhestörung und Geheimbündelei ausge ­sprochen wurde, wurde in der Begründung sogar erklärt, daß die Aussagen des Hauptbelastungs- zeugen Stöckl, soweit sie das einzige Belastungs- ntoment bildeten, keine genügende Beweiskraft besaßen, so daß man auf sie kein Urteil gründen könne. Stöckl habe, so wird weiter gesagt, ein zu gutes Gedächtnis gezeigt. Durch dies« Feststellung der Urteilsbegründung ist dem Staatsanwalt anch die Möglichkeit genommen, gegen die Freisprüche zu appellieren. Es ist natürlich nicht gesagt, daß die Frei ­gesprochenen sofort auf freien Fuß gestellt wer ­den. Sie kommen zunächst auf die Polizei, wohin heute nachmittag die meisten schon über ­führt worden find und gewiß werden einige nach Wöllersdorf   überstellt werden. Ebensowenig kann man damit rechnen, daß dieses Urteil einen versöhnlichen Kurs einleitet. Man will jetzt offen ­bar Massenprozeffe nicht wiederholen, sondern den Illegalen einzeln schwere Zuchthaus ­strafen auferlcgcn. Dadurch wirs die Weltöffent ­lichkeit, so rechnet die Regierung, nicht im glei ­chen Maße aufgeregt wie bei diesem Prozeß. Die Strafen find im allgemeinen leicht, doch treffen sie einige Angeklagte schwer. So den Angeflagten Krefsky, der vor dem Doktorat stand und durch dieses Urteil automatisch von der Universität relegiert wird. Sein ganzes bis ­heriges Studium war umsonst, die Existenz ist vernichtet. Auch Dr. Schick wird durch das Ur ­teil aus der Advokatenliste gestrichen und verliert den Doktortitel. Sind wir gut unterrichtet, dann waren vor allem zwei Faktoren' von Einfluß auf das Strafausmaß: Zunächst das Interesse des Aus ­landes und zweftenS die mutige Verteidigung der Angeklagten,'.die' namentlich auf die Laien- richter einen großen Eindruck gemacht hat. Vie Police! Ist wütend Nur   bei der Wiener Polizei herrscht über dieses Urteil aufrichtige Entrüstung. Sir sich, warum sie sich all die Mühe der Untersuchung I artiges Abkommen besteht.