XENTRALORGAN DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH. Redaktion und Verwaltung frag xii., fochova«. Telefon sjozz. HERAUSGEBER, SIEGFRIED TAUB . VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, FRAG. Ehinlprels 70 Htflir («injchlieBlich$ Heller Ferlo) 16. Jahrgang Dienstag, 31. März 1936 Nr. 77 Lu viel gesiegt 99 Prozent zum Wahlappell kommandiert 98,8 Prozent unkontrollierbar„für den Führer“ Berlin . Triumphierend meldete der amtliche Rundfunk in der Nacht zum Montag, daß sich nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis von 45,428.641 Wahlberechtigten 44,952.476 an der Wahl beteiligt haben, was einer— im der Welt noch nie dagrwesenen— Wahlbeteiligung von 98.95 Prozent entspreche. Für di« einzige Liste»und damit für den Führer" seien 44 Millionen 409.522 Stimmen abgegeben worden, ungültig und gegen die Liste 542.954 Stimmen. Es seien somit 98,79 Prozent aller Stimmen für den Führer abgegeben worden. Das deutsche Volk steht»geschlossen 4’ hinter Hitler Dor Schlepperdieust für di« Wadl-übertraf I alles bisher Dagewesene. In den meist«» Orten wurde der Wahltag durch Musikkapellen, Böller- schüffe etc. eingeleitet. In den Mittagsstunden wurden jene, die noch nicht gewählt hatten, bereits durch Amtswalter der Partei aufgesucht und zur Erfüllung der Wahlpflicht angehaltrn. Auf dem Lande war dir öffentliche Stimmenabgabe, dir dann natürlich zn 100 Prozent»für den Führer" ausfirl, eine ganz allgemeine Erscheinung. In Berlin und in anderen Städten und Gemeinden erhielten diejenigen, die ihrer Wahlpflicht nachgrkommen waren, ins Knopfloch eine weithin sichtbare weiße Metallplakette als»sichtbares Zeichen der Treue zum Führer". Ohne dieses Abzeichen durfte man sich am Nachmittag schon nicht mehr über die Straße trauen. Bon einer gespannten Erwartung der Bevölkerung auf das Resultat der„Wahl" war nichts zu merken. Jeder wußte, daß diese Komödie eien nicht anders ausfallen konnte, als es der Flandin wird deutlich Paris.(Tsch. P.-B.) Außenminister Flandin hielt Sonntag in der Stadt Vezelay in seinem Donner Wahlbezirk eine wichtige Rede. Nach der Schilderung der Londoner Verhandlungen sagte Minister Flandin u. a.: „Es wäre zu hoffen, daß Reichskanzler Hit ler in seinen Reden seine ursprünglichen unbestimmten Vorschläge berichtige und näher darlege. Er hat dies aber in einem Punkte, der wichtig ist, getan, er hat nämlich in allen seinen Reden die Gültigkeit und den Wert der Verträge dem entgegengestellt, was er das„Lebens^ und ewige Recht des deutschen Volkes" nennt. Es drängen sich zweierlei Fragen auf, grundsätzliche und faktische. Die erste grundsätzliche Frage ist die: Welchen Wert wird morgen ein Vertrag haben, wenn sich Deutschland das Recht vorbehält, ihn im Namen der ewigen Moral des Lebensrechtes des deutschen Volkes ungültig zu erklären? Nehmen wir z. B. den Fall Belgien . Belgien Hai keinen Vertrag mit Sowjetrußland, diesen Gegenstand des Haffes Hitlers , abgeschlossen. Deutschland hat aber den Locarno -Vertrag auch Belgien gegenüber im Namen des ewigen Lebens- rechteS des deutschen Volkes gekündigt. Wenn man j einwendet, daß e» dazu kein Recht hatte, antwortet Kanzler Hitler : Ich selbst bin der alleinige Herr der Auslegung der Verträge. Die zweite grundsätzliche Frage: Was wird es morgen gegenüber einem neuen Vertrage mit Herr Propagandaleiter Goebbels bereits vorher bestimmt hatte. Die ausländische Presse nimmt den ganze« Wahlrummel und das Ergebnis darum auch gar nicht ernst. So bezeichnet die Londoner Presse von den»Times" bis zum»Dail« Herold" die ganzen Wahlen als eine Posse und hält es für unwahrscheinlich, daß die ausländische öffentliche Meinung diese Demonstration allzu ernst nehme» könnte. Die„Time s" sagen, für Leute außerhalb Deutschlands sei eS schwer zu verstehen, warum das ganze Berfahren überhaupt notwendig war. Auch die französischen Blätter verzeichnen das Wahlresultat ohne Urberraschung. Sie bekunden eine gewisse Unruhe über die zum Ausdruck gekommene Begeisterung,' die sich einem Delirium nähere. Hine andere Rechnung: Vier Millionen gegen das Regime Wie der Korrespondent des Tsch. P. B. aus ganz zuverlässiger Quelle erfährt; sind bei der Ermittlung der Abstimmungsergebnisse im Gegensatz zu'allen früheren Auslegungen auch jene Stinunzettel für'die Liste gezählt worden, die in dem vorgesehenen Kreise ein Kreuz nicht enthielten, sondern bei denen der Rawn leer geblieben war. Die Wahlvorstände hatten eine einheitliche Weisung erhalten, die unverändert abgegebenen Stimmzettel mit.leerem Kreise für die Liste zu zählen. Es verlautet gerüchtweise, daß etwa dreiMillionenSti mm e n von den abgegebenen 44 Millionen Stimmen abgezogen werden mußten., Da die Angehörigen der Wehr macht und die Juden diesmal nicht mitwählten, und ferner eine halbe Million oppositioneller Stimmen abgegeben wurde, kämen auf diese Weise wieder rund die v i e r M i l l i o n e n S t i m- men gegen die Regierung zusammen, die schon bei der letzten Volksabstimmung am 19. August 1934 zu verzeichnen waren. Deutschland für einen unabhängigen und unparteiischen Richter geben, den Deutschland anerkennt und dessen Entscheidung es sich nnterlvirft? Es ist wirklich unmöglich, den tiefen Widerspruch zwischen der zweierlei Auffassung des internationalen Lebens nicht zu begreifen:- die’ eine>—'die deutsche — ist die Auffassung der Gewalt, die zweite— ich könnte sagen die Auffassung der übrigen Welt— ist die Auffassung des Rechtes. Vorläufig und wahrscheinlich aus Gründen seiner diplomatischen Propaganda erklärt Reichs- känzler Hitler, daß er den Frieden- wolle. Auf 25 Jahre sagt er; morgen wird er vielleicht sogar sagen,„ewigen Frieden mit Frankreich ". Wenn er eiligst die entmilitarisierte Zone mit Truppen besetzt hat und wenn er Befestigungen Bern . Der Borsteber des eidgenössischen Militärdepartemcnts Bundesrat M i n g e r hat in der Bundesratssitznng von Montag die Notwendigkeit einer Verstärkung des schweizerischen Grenzschutzes I dargelegt Der Bundesrat erklärte sich grundsätzlich mit den Ausführungen Mingers einverstanden. Es soll die Frage geprüft werden, ob der nötig« Geldbetrag nicht auf dem Wege der Aufnahme einer Volksanlribe znm niedri- > gen Zinsfuß beschafft werden könnte. Nach den baut, so deshalb, weil er diesen Frieden vorbereitet. Gegen wen sind diese Befestigungen gerichtet und warum werden sie gebaut. Wenn Reichskanzler Hitler in seiner Frie- drnsbehauptung aufrichtig iss, ist es notwendig, daß er seine Gedanken über die Definie- rung des Lebensrechtes des deutschen Volkes genau ausdrücke. Reichskanzler Hitler sagt: Deutschland will niemandem etwas nehmen, aber er hat bereits nach dem Saarplebiszit erklärt, daß Deutschland und Frankreich keine territoriale Frage trenne. Damals hat er den Locarnovertrag bestätigt und jetzt ihn verworfen. Will Reichskanzler Hitler im Namen der Souveränität des deutschen Volkes, bis ihm die Gelegenheit zu seiner Absicht günstig erscheint, die Frage des Danziger Statuts^stellen? Wenn Reichskanzler Hitler Litauen einen Nichtangriffsvertrag vorschlägt, anerkennt er damit definitiv das Memel -Statut? Oder sind das nur Ausflüchte und Hinausschiebungen für eventuelle Gewalttaten, neue Akte einer groben Vertragsverletzung? Wir haben das Recht, diese Fragen zu stellen und darauf präzise Auttvorten zu erhalten, da Reichskanzler Hitler sich eines Tages darauf berufen könnte, daß er en bloc alles verurteilt hat» was sich aus dem Bersailler Vertrag in Europa ergibt, ohne daß er um eine kategorische Antwort ersucht worden sei. Wenn dos neue System der Organisierung des Friedens so wäre, wie eS Reichskanzler Hit ler vorschlägt, würde es in Wirklichkeit nur auf ein« bessere Vorbereitung des Krieges bei Garantierung der Straflosigkeit des Angreifers abzie- len. Ist es übrigens nicht bezeichnend, daß in dem Augenblick, da Reichskanzler Hitler d«r Welt sein« Friedensauisorderungen vorfetzt, di« natiaualso- zialistische Propaganda in Oesterreich » in Dänisch- SchleSwig, in Polnisch -Schlesien , unter der deut schen Minderheit in der Tschechoslowakei und sogar auch in der deutschen Schweiz verdoppelt wird? Ja odernein, verzichtet Reichskanzler Hitler auf dir territoriale Annexion und jede Absorbierung der Bevölkerung dieser Gebiete durch Deutschland ? Wenn Reichskanzler Hitler zu einer allgemeinen Auslegung ohne Vorbehalte und ohne Ausflüchte bereit ist, möge er auf alle Fragen antworten, die wir ihm stellen und möge er sich seinem Volke gegenüber nicht in unklaren zur Täuschung wenigstens eines bestimmten Teiles der öffentlichen Meinung bestimmten Reden, sondern in einer kategorischen und präzisen Erklärung aussprechen. Rekrutierungen In Danzig für die Reichswehr Warschau. (Havas.) Trotz dem internationalen Statist, welches dies nicht gestattet', werden gegenwärtig auf Danziger Gebiete R e k r u- tenausHebungen für die Reichs wehr durchgeführt. Einige oppositionelle polnische Zeitungen führen an, daß Danziger Bürger zwischen dem 18. und 20. Lebensjahre neuerlich die Aufforderung erhalten haben, sich vor einer im Gebäude des Polizeikommiffariats amtierenden ärztlichen Kommission einzufinden. Die als tauglich befundenen Bürger müssen erklären, daß sie f r e i w i l l i g in die Reichswehr eintreten. Jene, welche dies ablebnen, erhalten keine Unterstützungen ausbezahlt, wenn sie arbeitslos werden. Aehnliche Aushebungen fanden vor einigen Wochen unter den Danziger Arbeitslosen statt. Die polnischen oppositionellen Blätter fordern' daS Einschreiten des Völkervorläufigen Feststellungen des Militirbeparte- ments würde es sich um die runde Summe von etwa 35 Milliqnen Franken handeln. *- Der Bundesrat hat beschlossen» für die Beschaffung von 40 Militärflugzeugen dem Erneue- rungsfonds für Flugzeuge einen Betrag von 5.1 Millionen Franken zu entnehmen. Die Flugzeuge sollen in de? Schweiz und nach schweizerischen Modellen gebaut werden. Ja oder nein, Herr Hitler?! bund-Kommissärs. 4 Die Schweiz verstärkt den Grenzschutz Noch ein„Wahlsieg“ Und was wird weiter? Das Wort„Wahl" ist in solchem Zusammenhang« überhaupt nicht zulässig. Denn es setzt das Wählenkönnen zwischen zwei oder mehreren Möglichkeiten voraus. War das in Deutschland am 29. März der Fall? Nur bezahlte Hitler - Agenten können dies behaupten. Schon die Verkoppelung einer außenpolitischen„Volksbefragung" mit der Neuwahl des sogenannten Reichstages war einer der üblen Pro« pagandatriks des Herrn Goebbels . Die Wähler wurden doch gar nicht gefragt, was sie von der Wirtschaftspolitik, von der Sozialreaktion, von der braunen Spitzel- und Bonzenwirtschaft denken. Davon war in keiner der bombastisch aufgezogenen„Wahlkundgebungen", bei denen jeder kritische Zwischenruf Selbstmord bedeutet hätte, die Rede. Hitler ließ über seine„Friedenspolitik" abstimmen. Aus dem mehr als fragwürdigen Ergebnis leitet nun seine Partei ein innenpolitisches Vertrauensvotum ab. Sie möge sich ruhig soviel „Vertrauens" in die Tasche lügen, als ihr beliebt. Auch was die Außenpolitik anlangt, hatten die Wähler keine Wahl zu treffen. Dafür sorgte nicht zuletzt die Uneinigkeit der Locarno -Mächte. Hätten sie dem Vertragsbruch am 7. März ein entschlossenes: enttveder- oder? entgegengesetzt, dann wäre die Frage für das deutsch « Volk so gestellt gewesen: BilligstdudieseAußen- Politik selb st um den Preis eines Krieges? Das hätte jenen Deutschen , die keine Hasardpolitik und kein Kriegsabenteuer wollen, den Einsatzpunkt zur Protesthandlung gegeben. Doch die füpetklug-eü Engländer meinten selber, die Sache wäre ja gar nicht so schlimm und man könne ruhig weiter verhandeln. Man versetze sich nun in die Lage eines deutschen Oppositionellen. Sollte er päpstlicher sein als die Locarno -Mächte? Sollte er sich opfern, während die Hauptinter- effenten unschlüssig debattierten? Die entmilitarisierte Rheinlandzone war ja zum Schutze Frank reichs , Belgiens und indirekt Englands und Ita liens bestimmt. Sache der düpierten Vertragskontrahenten war eS schließlich, die notwendigen Konsequenzen aus dem Handstreich vom 7. März zu ziehen. Kann man sich die Wirkung der englischen Preffestimmen vorstellen, die für Hillers Taktik noch liebevolles Verständnis äußerten und die dafür über alle deutschen Sender nachzitiert wurden? Solche politische Wirkungen wurden anscheinend gar nicht bedacht. Man muß die Wahrheit brutal aussprechen. Das deutsche Voll wurde in den letzten Wochen vom demokratischen Europa einfach dem Trommelfeuer der Goebbels-Propaganda ausgeliefert. Hiller hat unaufhörlich an das Ausland appelliert. Niemmch wagte, von außen her an das deutsche Volk zu appellieren. Die Demokratien werden noch einiges zulernen müssen, wenn sie dem verwegenen Spiel dec braunen Kriegspropagandisten gewachsen sein wollen. Zu dieser polifischen Seite, kommt noch einetechnische. Jedes oppositionelle Votum mußte unter den gegebenen Verhältnissen unter Lebensgefahr abgegeben werden. Es fehlt, wie schon frühere Wahlen unter Beweis- stellten, auch in* Deutschland nicht an Millionen unerschrockener Männer und Frauen, die selbst dieses Risiko nicht scheuen. Diesmal aber mutzten sie sich fragen: hat .solcher Einsatz einen politischen Sinn? War nicht sonnenklar, daß das Regime aus außenpolittschen Gründen doppelt und dreifach Ursache hatte, keine stärkere Opposition in Erscheinung treten zu lassen? Lede Nein-Stimme wurde bekanntlich in die Hände einer absolut unkontrollierten Nazi-Bon- zerie gelegt. Sie war in der Lage, beliebig viel Nein-Stimmen in Ja-Sllmmen umzuwandeln. Für wen wurden unter solchen Umständen die opposillonellen Sllmmen abgegeben? Nur für den Kataster der Gestapo ! Aus Berlin wurde gemel-- det, haß in den„verdächllgen" Arbeitervierteln die Wahllokale möglichst dezentralisiert wurden, damit die individuelle Kontrolle der Wähler erleichtert werde. Im sächsischen Industriegebiet.wurde durch Flüsterpropaganda angedroht, daß jeder Wähler durch ein Loch in der Decke der Wahlzelle bei der Stimmenabgabe gefilmt werde. Wenn auch dieses Verfahren bei durchgängiger Anwendung zu kostspielig erschiene, so ist bekanntlich den brminen Spitzeln für Stichprobenzwecke jede Schandtat zuzutrauen. Unter solchen Umständen mußten illegale Kämpfer, die ihr Leben sckon hundertmal aufs Spiel gesetzt, auf eine oppositio-
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16 (31.3.1936) 77
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