16. Jahrgang Sonntag, 19. April 1936 Nr. 93 Etanlprtis 70 Heller (imdiliaOlich S Haller Fort») ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH. REDAKTION UNO VERWALTUNG FRAG XlUFOCHOVA«r. TELEFON am. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR i DR. EMIL STRAUSS. PRAG . DERDEUTTCMENSOZIALDEMOKRATISCHEM ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK Baldwin resigniert Blockade oder militärisches Eingreifen von Genf nicht zu erwarten Londo«. In dem Augenblick, in welchem die Genfer Verhandlungen mit einem vollständigen Mißerfolg abgebrochen und die nächsten Sitzungen des Sanktionen-Ausschuffes bis in die Mitte des nächsten Monats hinausge­schoben wurde«, hielt Ministerpräsident B a l d w i v in Worcester eine Rede, in welcher er das Versagen des Völkerbundes unumwunden aussprach und die Anmöglichkeit zugab, ei« wirksames Einschrette« gegen Italien zu er­ziele«. Zwei Ereignisse von erstrangiger Bedeutung, so erklärte Baldwin, muffen das Siegel auf die internationale Politik und das Geschick der Welt drücken. Die deutsche Aufrüstung und die Bemü­hung, den Völkerbundpakt zur Geltung zu brin­gen. Die Wirkung dieser«wei Ereigniffe brachte mich zu der Ueberzeugung, daß es absolut not­wendig ist die Rüst ungenGroßbritan- nienszu erhöhen und neu zu regeln. Es scheint, daß wir noch keinen wirksamen Mecha­nismus zur Verfügung haben, wie der Krieg zu beenden wäre, ohne daß über den Konflikt bera­ten und er einem Schiedsverfahren unterbreitet werden würde. Die Durchführung der Sanktionen ist lang­wierig und diese Maßnahme verliert viel an Wirksamkeit, wenn sie sich nicht auf die letzten Sanktionen stützen kann, wie dies eine Blockade oder eine bewaffnete Kraft bedeutet. Es ist schwer, sich vorzustellen, wie man sich für eine Blockade im Hinblick auf die gegenwärtige Mitgliedzahl des Völkerbundes entscheide« könnte. >Än der italienischen Preffe wird Minister E de n in der züg ellose sten W e ise äu­ge g r i ff« n, was ich. sehr bedauere. Insoweit eS sich um die Politik handelt, die Eden durch­führt, will ich keine Zweifel darüber lassen» daß dies eine Politik ist, die die ganze Regierung macht und daß die britische Regierung von der überwiegenden Mehrheit des englischen Volkes darin unterstützt wird. Großbritannien wünscht keine Niederlage und Demütigung Italiens , son­dern eine Unterstützung des Bölkerbundpaktes, von dem wir wünschen, daß er ein Weltgeseh werde. Tie kollektive Sicherheit wird niemals funk­tionieren» wenn nicht alle Staaten, welche an ihr beteiligt sind, gleichzeitig dazu entschlossen sind, mit militärischen Sanktionen zu droben und sich mit dem Angreifer militärisch auseinanderzu­setzen, wenn dies erforderlich ist. Der Horizont ist von vielen Seiten von Wolken umzogen, die Aussichten aber sind nicht ganz ungünstig. Wir haben vor allem die Vor-! schlage Frankreichs und Deutschlands , mit denen wir uns ernstlich befaffen. Hitler hat die Macht, mehr zu tun als irgendein anderer Mensch in Europa , um die Schatten und Befürchtungen Europas zu zerstreuen, wenn er dies will." An die Anwendung von Giftgasen in Abes­sinien erinnernd, erklärte Baldwin ferner:Die. Behauptung, daß beide kriegführende Staaten^ die Kriegsregeln verletzt haben, wird Gegenstand von unparteiischen Untersuchungen in Genf sein, wenn aber die Berichte über die Anwendung von Giftgasen sich als richtig erweise«(wir haben allen Grund zu glauben, daß dem so sei), welche Garantie haben wir, daß nicht auch iu Europa Giftgase»»gewendet werden, wenn ein großer Staat, trotzdem er die ent­sprechenden Verträge unterzeichnet hat, sie in Afrika anwendrt? Wenn die europäischen Staaten das gegebene Wort nicht einhalten und in Europa Giftgase an­wenden würden, würden die entfesselten Nationen ihre Regierungen stürzen und das würde eine Anarchie in Europa bedeuten. Alles wird vertagt! Ach^zehner-Ausschuß erst in drei Wochen Genf . Der Treizehner-Ausschuß des Völker­bundrates genehmigte Schnstag in einer kurzen Sitzung den Berscht/des Gesandten Madariaga. Dieser Bericht stellt. fest,; daß die Versöhnungs­versuche aufgegeben werden müssen.. Der drei- zehngliedrige Ausschuß.ist jedoch, der Meinung, daß er, sobald sich die politische Situation geän­dert haben wird, noch einmal zusammentreten wird. D^r Bericht enthält auch ein Gutachten der Juristen über, die Verivcndung, von Gift­gasen durch die italienis chen Truppen in Abessinien und über die Grausamkeiten der abessinischen Soldaten. Der Bericht wird Montag dem Völkerbundrat vorgelegt werden. Hinsichtlich dieser Sitzung des Völkerbund­rates fanden private Vorbesprechungen statt. Es scheint, daß zwischen der britischen und der fran­ zösischen Delegation eine Einigung erzielt wurde. Diese englisch -französischen Beratungen bezogen sich einerseits auf die Resolution, die der Völker­bundrat am Montag genehmigen soll, und ande­Währentz. inTtftckka. Giftgas' tütd Bomben Menschenlsweis zerstören, während der' japanische Imperialismus drohend sein Haupt erhebt, wäh­rend in Europa dir Gefahr eines neuen Kriegs­brandes immer größer wird, rüstet ihr zum Ersten Mai der Arbeit, der Freiheit und des Friedens. Was der Weltsozialismus stets verkündet, ist blutige Wahrheit geworden: Der Faschismus ist der Krieg. Der italienische Faschismus, der sein Land an den Rand des Abgrundes geführt hat, sucht in einem mörderischen Eroberungskrieg einen Ausweg. Der deutsche Faschismus schreitet in den Vorbereitun­gen, seine Eroberungspläne zu verwirklichen, im­mer weiter fort. Ein Vertragsbruch folgt dem an­dern. Der vertragswidrige Einmarsch der deutschen Truppe« ins Rheinland droht zum Auftakt eines gewaltigen Offensivstoßrs des deutschen Faschis­mus zu werden, der Europa in Brand stecken wird. Selbst der schwächliche Faschismus Oester­ reichs wagt es, auf Geheiß seines italienischen Schirmherr« die Verträge zu brechen und Europa herauszufordern. Rur c,..c gewaltige Anspannung aller Kräfte des WeltprolrtariatS, aller jener, die Freiheit und Frieden wollen, vermag den gefährdeten Frieden noch zu retten. Nur die Verwirklichung der kollektiven Sicherheit, die dem Angreifer eine übennächtige Koalition von Kräften entgegenstellt, bereit, für den Frie­den zu kämpfen, vermag den drohenden Angriff noch zu vereiteln. Aber die Sozialisten, die wah­ren Friedensfreunde asler Länder, erkennen» daß imperialistische und kapitalistische Interesse« die bürgerlichen Regierungen immer wieder daran hindern, die kollektive Sicherheit voll zu. verwirk­lichen; daß sie sogar die furchtbaren Greuel des italienischen Faschismus in Ostafrika nicht, zu ent­scheidender Tat veranlassen. Nur im rücksichtslosen Kampf gegen den kriegslüsternen Faschismus kann die Kriegsgefahr abgewendet, nur durch den Sturz des Faschismus dauernder Friede gesichert werden. Der Kampf um den Friede« und der Kampf um die Freiheit, sind untrennbar. Darum gilt unser erster Gruß am Festtag der Arbeit den heldenmütigen illegalen Kämpfern gegen- den Krieg, für die Freiheit und den Sozialismus in allen Ländern der faschistische« Diktatur!. Darum grüßen.. wir die Arbeiter Spa­ niens , die den Klerikofaschismus in ihrem Lande gestürzt und den Helden des Oktoberauf- standes die Freiheit gebracht haben! Brüssel , April 1936. rerseits auf einige Fragen, an denen Frankreich und England direktes Interesse haben. Es han­delte sich namentlich um die Frage des Verhält^ nifles Frankreichs zu Deutschland . Uetzer Ersuchen des Ministers Paul Boncour wurde definitiv deschloffen» daß der Achtzehner- Ausschuß der Santtionskonferenz erst«ach den französischen Parlamentswahlen zusammen­tritt, falls er Lberhaapt zusammentreten sollte. Zwischen der englischen und französischen Dele- gation trat eine deutliche Entspannung ein, nach gegenseitigen Zugeständnissen der Minister Eden und Paul Boncour . Es scheint, daß die fran­ zösische Regierung bereit wäre, einige Zugeständ- niffe zu machen in bezug auf das Verhalten ge­genüber Italien und den Völkerbund, während die englische Regierung größere Bereitwilligkeit kundgibt, die französische These über die Lösung des sogenannten deutschen Problems in Erwä­gung zu ziehen. Keine wirksame« Htzkftz tzermZgen jtl» So­zialisten in' dien Landsrn der DemokrÄie-Aren be­drängten Kampfgefährten in den Ländern des Faschismus zu bringen, als die, ihrem eigenen Faschismus siegreichen Widerstand zu leisten. Jede Niederlage des Faschismus in einem Land ist eine Niederlage des Weltfaschtsinus. Die Demokratie kann sich nur dann der faschi­stischen Gefahr erfolgreich erwehren, wen« sie stark ist und entschlossen, die werktätigen Mas­sen aus dem Elend der Krise heranszuführen. Der Kampf gegen die kapjjglistische Krise ist zu­gleich der Kampf gegen die faschistische Gefahr. Aber die Sozialisten erkennen, daß nur kühne, weitreichende Maßnahme« die Krise zu mildern, nur der Aufbau der sozialistischen Wirtschaft im internationalen Maßstab ihr ein dauerndes Ende zu bereiten vermag. Daß die Bourgeoisie also immer wieder aus ihrem Klasseninteresse heraus vor den entscheidenden Maßnahmen der Krisen­bekämpfung zurückschreckt. Gegen die Krise käm­pfen heißt zugleich, für den Aufbau des Sozia­lismus wirken. Die kraftvoll Vorwärtsschreitenden Soziali­sten der skandinavischen Länder haben ge­zeigt, wie die Sozialisten die politische Macht aus dem Boden der Demokratie erfolgreich zum Kamps gegen die Krise benützen. Ihr Beispiel ist Ermu­tigung für die Arbeiter aller Länder. Die Arbeiterpartei Großbritan­ niens hat ihre imponierende Kraft in den Wahlen vom November 1935 bewiese« und steht mit gesteigerter Energie im Kampf um die Macht. Die Arbeiter Frankreichs stehen inmit­ten heißen Ringens gegen kapitalistische Reaktion und Faschismus. Die Arbeiter Belgiens tre­ten in die Wahlschlacht im Zeichen der Fortset­zung und des Ausbaus der Politik der Krisen­bekämpfung. Von ihren Erfolgen in den großen Wahlkämpfen hängt Entscheidendes für das Schicksal Europas ab. Darum gilt unser Gruß den Sozialisten Bel­ giens und Frankreichs , unsere leidenschaftliche Sympathie begleitet Are Kämpfe! Wir rufen die Arbeiter, die Sozialisten aller Länder, Männer und Frauen, auf, sich am Ersten Mai unter unseren Fahnen zu sammeln, hi Unser Appell gilt der werktätigen In»' g e n d; wie sie in der ersten Reihe der Opfer deS Krieges.und der Krise steht, so muß sie auch in der ersten Reihe der Kämpfer für die Befreiung der Menschheit marschieren. Es lebe die Freiheit und der Friede! Es lebe der internationale Sozialismusk- Das Bureau der Sozialistischen Arbeiter-Internationale Zum 1. Mai 1936 Arbelter( Sozialisten aller Lünder! Phrase und Wirklichkeit Wie Hitler und Henlein den Sudetendeutschen helfen Seit einiger Zeit tauchen in der deutschlän­dischen Presse Notizen auf, die wahrscheinlich auf eine Weisung des Berliner Propagandaministe­riums zurückzuführen sind und in denen in mehr oder weniger deutlicher Weise vor Reisen in die Tschechoflowakei gewarnt wird, weil sich deutsche Reisende allerlei Unannehmlichkeiten aussetzen können. DaS mutet umso eigentümlicher an, als erst am 14. März d. I. zwischen Deutschland und der Tschechoslowakei ein Abkommen über die Er­leichterung des Reiseverkehrs abgeschlossen wurde, in welchem einige Bestimmungen enthalten sind« um Einreise und Aufenthalt von reichsdeutschen Staatsangehörigen von allen überflüssigen Schwierigkeiten zu befreien. Wenn nun in den Goebbels unterstehenden deutschen Zeitungen dem reiselustigen Publikum die Lust am Aufenthalt in der Tschechoslowakei genommen wird, so muß man darauf Hinweisen, daß dieses Vorgehen reichsdeutscher Stellen vorallem die Sudetendeutschen schädigt. Wir haben im deutschen Gebiet eine Reihe von Bädern, in deren Umkreis tausende deutscher Menschen mit ihrem Erwerb auf die Kursaison angewiesen find, aber darüber hinaus werden wohl zehntausende Sudetendeutscher im Erzge­ birge , in der böhmisch-sächsischen Schweiz , im Rie­sen- und Jsergebirge, im Adler- und im Altvater­ gebirge mit Sehnsucht dem Sommer entgegen­sehen, wo ihnen der Touristenverkehr einigen Ver­dienst bringt. Das Dritte Reich gibt vor, sich für di^ Ausländsdeutschen besonders zu interessieren, das Institut für das Deutschtum im Ausland ent­faltet eine Tätigkeit, die rührig, aber Nicht immer für die Ausländsdeutschen nützlich ist hier wäre die Möglichkeit, für das Sudetendeutschtum wirk­lich etwas zu tun. Statt dessen schädigt die Pro­paganda Hitlerdeutschlands die Deutschen in der Tschechoslowakei auf das empfindlichste, wenn an­deutungsweise so geschrieben wird, als ob bei uns jeder reichsdeutsche Tourist als ein Spion ange­sehen würde. Seit dem Machtantritt Hitlers sind wohl Hunderttausende deutscher Staatsangehöri­ger bei uns gewesen und sie sind hier in ihrer Freiheit nicht eingeschränkt worden, wenn sie nicht faschistische Propaganda betrieben haben. Aber an gewissen deutschen Zeitungen kann man da wieder die Wahrnehmung machen, in welchem Gegensatz die Worte der deutschen Nationalisten stehen, die von Liebe zum ArtSlandsdeutschtum überfließen und ihren Handlungen, die eine schwere Schädi­gung des durch die Krise ohnehin schwer getroffe­nen sudetendeutschen Volkes bedeuten. Der Schaden, der auf diese Weise dem Su­detendeutschtum durch das Dritte Reich zugefügt wird» ist chber keine verein zelte Er­scheinung. Die ganze Wirtschaftspolitik Hit­lerdeutschlands hat die Krise der sudetendeutschen Wirtschaft verschärft. Ist doch in den letzten Jah­ren die Ausfuhr aus der Tschechoslowakei nach keinem anderen Lande so zurückgegangen wie nach Deutschland . Wenn sich das Reich Hitlers wirt­schaftlich von der Tschechoslowakei absperrt, so sperrt es sich von den Sudetendeutschen ab, von der sudetendeutschen Industrie, von den sudeten­ deutschen Arbeitern. SoistDeutschlandan der Arbeitslosigkeit tausender deutscher Arbeiter bei uns sch uld. Charakteristisch ist zum Beispiel die Schädigung unserer westbühmischen Handschuhindustrie durch Deutschland , indem man zu uns deutsche Hand­schuhe einführt, hier den Aufdruck»Made in Czechoslovakiac anbringt und diese Ware in die anglo-amerikanischen Länder schickt, die deutsche Handschuhe nicht kaufen wollen. Die Wirtschafts­politik des Dritten Reiches nimmt wenig Rücksicht auf die sudetendeutschen Stammesgenoffen..Laßt sie betteln gehn, wenn sie hungrig sind.. Ebenso wenig Rücksicht wie die deutsche Wirt­schaftspolitik auf das Lebensintereffe der Sude- tendeutschen nimmt sie politisch, die Sudeten­ deutsche Partei auf die Existenzintereffen der Massen der deutschen Bevölkerung in der Tschecho­ slowakei . Die SdP hat zwar dieSudetendeutsche Volkshilfe" organisiert, aber was bedeutet das gegen das Problem den Sudetendeutschen Arbeit zu beschaffen? DaS kann nur durch öffentliche In­vestitionen geschehen, auf welch« die SdP keinen Einfluß hat sie überläßt diese Sorge vor allem der Sozialdemokratie oder durch eine großzü­gige Förderung des industriellen Exports. Mit