Nr. 93Sonntag, 19. April 1936Sekte 5Du gehst zum„Führer"...Für das letzt« Stadium des sozialen Verwesungsprozesses hat Berlin endlich einen Wallfahrtsort. Heißt:„Kanzlei des Führers derNSTAP", Berlin W 8, Wilhelmstrahe 55, I. Dorthin gehen noch manchmal die alten Weiblein, wennsie die Wohlfahrt oder Winterhilfe zu Tode streikt,weil die„Ehrenamtlichen" auch gut leben wollen.Oder es gehen ganz junge SA-Leute hin, die Prügelund Betrug, die sie erfuhren, für eine einzig dastehende Erscheinung halten, die sich abstellen liehe.Es ist ein großes Wartezimmer, das immer leererwird, wie alle Berliner Kultur- und Sozialeinrichtungen. Hder wird mit Polizeiblick von einem langen SS-Jüngel befragt, das sich bemüht, und garnicht bemühen müßte, wie ein Rasiermesser auszusehen.Persönliche Audienz gibts nicht, das ist einedemokratische Schrulle. Bittschriften sind zu Händendes Oberbannführers Cnyriem abzugeben. Hat manGlück und Sitzfleisch von 9 bis 2, kann man ihn vielleicht auch persönlich sprechen, höchstens zwei Minuten, am laufenden Band. Wer besonders wohlfahrtsbetreut aussieht, bekommt vielleicht noch die Fahrkarte ersetzt oder einen Achselklopfer. Und das istalles, bestenfalls bleibt alles beim Alten.Wer dumm ist, erzählt, wo er war.Nach allgemein verbreiteter„gesunder Volksanschauung" ist nämlich der Besuch der„Kanzlei desJubiläums-Briefmarke BrasiliensZur Jahrhundertfeier der Republikanischen ParteiBrasiliens erschienen zwei Gedenkmarken, die einengaloppierenden Pampasreiter zeigen. Es sind dieWerte 290 Reis schwarz und 300 ReiS'lila-rot.Führers" in noch höherem Grade als jede andereRemonstration bei Ministerien, eine rebellischeHandlung. Die von jedem Kurzarbeits-Dienstgeber, besonders wenn er Pg. ist, zwar nicht direkt,doch im üblichen Wege geschickter Provokation mitfrrftloserEntlassung geahndet wird."Heimliche Kriegsschiffe**Japans Rüstungen nach der FlottenkonferenzLondon.„Daily Telegraph" erfährt, daßJapan entschlossen sei, sich nicht an die Beschlüsseder Londoner Marinekonferenz z« halten, dienach dem Verlassen dieser Konferenz durch diejapanischen Delegierten gefaßt worden sind. DerBan japanischer Kriegsschiffe wird in Zukunft inder größten Verschwiegenheit vor sich gehen. Während Großbritannien, die Bereinigten Staatenund Frankreich verpflichtet sein«erden, sich gegenseitig über Neubauten von Kriegsschiffen zuunterrichten, werde Japan im Gegenteil auch dieVeröffentlichung von Informationen unterlassen,dir der japanischen Nationalversammlung bisherlaufend bekanntgegeben wurden. Die japanischeKammer wird nicht mehr über die technischenEinzelheiten des Marinrprogramms unterrichtetwerden; sie wird bloß über di« Gesamttonnageder neuen Kriegsschiffe sowie auch über ihre Kategorien informiert werden. Der japanischenPresse wird eS zur Pflicht gemacht werden, absolutes Stillschweigen über alles zu bewahren,was dm Bau von Kriegsschiffen betrifft.. Moskau.(Taß.) Nach in Chabarowsk eingegangenen Informationen kamen am 11. Aprilauf die Insel Moftnfli im Fluß Ussuri, wo sicheine sowjetrussische Abteilung befand, aus derchinesischen Siedlung Doman eine Gruppe von35 mandschurischen Soldaten, bildete eine Ketteund eröffnete das Feuer auf hje sowjetruffischeAbteilung, die das Feuer erwiderte.Unruhiges FernostPeiping. Eine hohe militärische Persönlichkeit^Chinas erklärt, daß sechs Bezirke der Provinz Schansi von den Kommunisten ganz besetztworden sind. Vierzehn weitere Bezirke dieserProvinz sind von den Kommunisten zum Teilebesetzt worden. Die Mehrzahl der Bevölkerungdieser Provinz ist bolschewistischer Gesinnung.Von anderer Seite wird bekanntgegeben, daß dieKämpfe der Regierungs- und Provinztruppen gegen die Kommunistm ihren Fortgang nehmen.Line Tagung der SozialistischenErziehungs-InternationaleAls Auftakt zur internationalenFalkenführerkonferenz, die zuOstern in Brüssel, in der Arbeiterhochschule derbelgischen Arbeiterpartei tagte, trat am Samstag,den 11. April, das Exekutivkomitee der Sozialistischen Erziehungs-Internationale unter dem Vorsitz ihres Sekretärs Kurt Löwenstein zusammen.Es galt, eine überaus reiche Tagesordnungzu erledigen. In seinen einleitenden Wortenstellte der internationale Sekretär die Tatsachefest, daß in einigen Ländern die Tendenz bestehe,die Organisation der Roten Falken, wenn auchnur in ihrem äußeren Rahmen, zu neutralisieren. So verschieden die Beweggründe für dieseAuffassung in Ländern, in denen sozialistischeParteien m der Regierung sitzen und in anderen,wo die sozialistischen Parteien in die Illegalitätgedrängt sind, auch sein mögen, muß es die Aufgabe der obersten Erziehungsinstanz sein, dazuStellung zu nehmen. In einer mit leidenschaftlichem Ernst geführten Diskussion, an der sich fastalle Anwesenden beteiligten, um ihre Erfahrungenzu vermitteln, kam man zu der einheitlichen Auffassung, daß in unserer klassenzerklüfteten, mitpolitisches Sprengstoff geladenen Zeit eine neutrale Erziehung immer nur Illusion bleibe, daßsie überdies geeignet sei, gerade die werwollstenKräfte der Jugend dem Kampf für den Sozialismus zu entfremden.Neben diesem Problem stand die Nationalisierung der Jugend und die— Warum laufen denn die so?— Weil derjenige, der zuerst an das Zielkommt, einen Preis erhält.— Ja, warum laufen denn dann die anderenWit?g^fHrbiMende Erzie.h.uKLMM Kkise asg,grrst iyr Mittelpunkt eichster Erwägungen. DieHeranwachsende Arbeiter-Generation mit revolutionärem Pazifismus zu erfüllen, müsse da erst recht die Aufgabe klassenbewußter Erzieher bleiben.Die Nachmittagssitzung beschäftigte sich mitFragen administrativer Natur und der Vorbereitung der Internationalen Falkenrepublik im Jahre' 1 9 3 7. Eine Reihevon Vorschlägen betreffend das Land, in dem sieihre Zelte aufschlagen soll, wurden erstattet unddas internationale Bureau beauftragt, die nötigen ersten Schritte zu unternehmen.Nach fast achtstündiger Beratung unterbrachdie Exekutive ihre Tagung, um die InternationaleFalkenführerkonferenz zu eröffnen.Eden. Wie der Londoner Mitarbeiter von„Paris Midi" telephoniert, wird Eden in England täglich volkstümlicher. SeinErscheinen auf der Leinwand der Bios wird stetsmit Beifall begleitet. Man nennt Eden immerhäufiger als den künftigen Ministerpräsidenten.Polnische WirtschaftWillst Du, mein Lieber, etwa ein Visum,das Dich zur Einreise nach Polen berechtigt, somußt Du auf.allerhand Widerwärtigkeiten gefaßtsein. Ein Durchreisevisum kannst Du ohne großeMühe mit einem kleinen. Sümmchen erkaufen. Beieinem Aufenthaltsvisum ist die Sache schonschwerer. Da kann es Dir etwa so ergehen:Du sollst z. B. den Kongreß einer sozialistischenOrganisation in Warschau besuchen und gehst inder Meinung, bei den polnischen Konsulaten Entgegenkommen zu finden, um das Visum. Auf demPrager Kosulat drückt Dir ein mürrischerAmtsdiener einen polnisch und französisch vorgedruckten Fragebogen in die Hand, den Du ausfüllst. Schließlich kommst Du zu dem zuständigenBeamten. Der befindet sich gerade in einemfreundschaftlichen Gespräch mit einem Manne, derwie ein Berufsboxer auSsieht. Zwischendurch fertigt er Dich ab: der Paß sei in einem Orte ausgestellt,für den das Prager Konsulat nicht zuständig sei. Die Prager Polizeidircktion müsseDeinen jetzigen PragerAufenthalt im Paß bestätigen. Das tut sie nicht und mittlerweile erfährstDu, daß Du tatsächlich noch nicht solange in Pragwohnst, um die Zuständigkeit des Prager Konsulats erworben zu haben.Du beschließest also,Dichan das Konsulat Deines früheren Wohnortes zuwenden und fühlst die Gewißheit, daß schon allesgut gehen werde, da ja auf dem PragerKonsulatpolitische Bedenken nicht Vorlagen.— In Mäh-mul äosialpalUifeAußenhandel im ersten QuartalSteigende Umsätze— Stärkere Zunahme der FertigwarenausfuhrIm ersten Vierteljahr 1936 hat sich derAußenhandel der Tschechoslowakischen Republikweiter günstig entwickelt. Der gesamte Außenhandelsumsatz hat sich auf 3388 Millionen Kronen erhöht. In der gleichen Vorjahrszeit hatte er2927 Millionen Kronen betragen. Infolge einergegenüber dem Vorjahr starken Steigerung derRohstoffeinfuhr ist das Aktivum mit 66 MillionenKronen in diesem Jahre allerdings bedeutend geringer als 1935, wo es 233 Millionen Kronenbetrug.Wertmäßig entwickelte sich der Außenhandelim reinen Warenverkehr(also ohneEdelmetalle und Münzen) im ersten Quartal derletzten vier Jahre folgendermaßen:Jänner/MärzEinfuhrAusfuhrin Millionen Kronen19361661.71782.519351347.01580.419341452.81478.219331206.41303.6Es ist gegenüber dem ersten Quartal 1938 bei derEinfuhr eine stärkere Zunahme zu verzeichnen alsbei der Ausfuhr.Seit 1933 ist die Ausfuhrsteigerung nicht unterbrochen. Im Vergleich zu 1933 ist die Steigerung der Einfuhr und Ausfuhr perzentuellgleich.Während auf der Ein fuhr feite sich fürdie Rohstoffe die größere Zunahme ergibt,weist auf der Ausfuhrseite der Fertigwarenexport die höhere Steigerung auf.Jeweils im ersten Quartal zeigt der Außenhandeldieses Bild;...'RohstoffeJänner/MärzEinfuhrAusfuhrin Millionen Kronen1936931.1386.41935693.0358.01934805.4362.11933572.6291.4FertigeWarenJänner/MärzEinfuhrAusfuhrin Millionen Kronen1936480.81263.81935426.71134.31934437.91032.91933377.1902.0Die Rohstoffimporte Haden gegenüber 1935 umetwa 34 Prozent zugenommen, die Ausfuhrvon Rohstoffen ist um 8 Prozent gestiegen. Fürdie Fertigwaren« i n f« h r ist eine Steigerung«m 12 Prozent z« verzeichnen; um etwas mehrhat die Fertigwarenausfuhr zugenomme«.Bei dem Vergleich mit 1934 und 1933 muß auchder Währungsunterschied zwischen heute und damals in Berücksichtigung gezogen werden. Bekanntlich erfolgte die Kronenabwertüng im Fe-,ber 1934.Da. außerdem aus den Weltmärkten auch diePreise angezogen haben, sind die Rohstoffimporteder Menge nach nicht im gleichen Umfang gewachsen, wie das aus der wertmäßigen Entwicklunggeschlossen werden könnte. Immerhin läßt die Zunahme der Rohstoffeinfuhr darauf schließen, daßein Teil der Industrie zu Eindeckungen überge-gangen ist. Das berechtigt zu der Hoffnung, daßin diesen Kreisen mit einer Verstärkung der leichten Befferungserscheinungen in der tschechoslowakischen Wirtschaft gerechnet wird.Ole Großhandelspreise in der ÖSR1929—1936Schlechte Lase Im KohlenbergbauDer»Glück auf" berichtet in einem Artikelüber die Lage im Kohlenbergbau. Hielt sich dieFörderung und die Zahl der Arbeitstage im Dezember noch auf der Höhe des Jahres 1934, sotrat im Jänner«ine besonders im Braunkohlenbergbau fühlbare Verschlechterung ein. Die Steinkohlenförderung war im heurigen Jänner zwarhöher als im gleichen Monat des Vorjahres,dennoch ist aber die Zahl der Belegschaften kleiner.Die Braunkohlenfürderunz blieb im heurigenJänner im Vergleich zum Jänner 1935 um rund41.000 Tonnen zurück, die Zahl der Arbeiter warum 628 geringer. Im Feber waren zwar Förderung und Arbeitstage höher als im Feber 1935,wiesen aber gegenüber dem Monat Jänner einenbedeutenden Rückgang auf: Die Steinkohlenförderung sank gegenüber dem Monat. Jänner umruyh/90,0ü^-^>nnML.die B.raunsohtznjörderiing.uin 80.000 Tünnen. Die»Zahl der'Bergarbeitergeht weiterhin"zurück. IM'Steinkohlenbergbauwaren im Feber 1936 um 2051 Arbeiter(rin-'schließlich, jener, die sich auf Wechselurlaub befanden) weniger beschäftigt als im Feber 1935. DieKohlenausfuhr ist im Feber sowohl im Vergleichzum Jänner d. I. als auch zum Feber des Vorjahres nicht unbedeutend zurückgegangen, beiBraunkohle setzte sich diese rückläufige Tendenz<auch im Monat März fort. Im Braunkohlenbergbau gibt der neue Kohlenaustauschvertrag mit'Deutschland keine Hoffnung auf Besserung derVerhältnisse. Durch den Vertrag wird unsereKohlenausfuhr auf dem niedrigen Niveau derletzten Zeit stabilisiert.Preissteigerungen in Lebensmitteln. Aus dervom Statistischen Staatsamt vorgenommenenBerechnung des Lebenshaltungsindex im Märzgeht hervor, daß gegenüber dem Feber Kalbfleisch um 9 Prozent, Kraut um 8 Prozent imPreis gestiegen ist. Auch die Kleider« undWäschepreise sind danach im Steigen begriffen..risch-O st rau wirst Du von einem noch mürrischeren Amtsdiener als in Prag empfangen, dersowohl auf die deutsche, als auch auf die tschechische Anrede nur ein Grunzen als Antwort hat.Der Beamte, dem er Dich anvertraut, ist freundlicher, aber er will den Zweck der Reise bis in diegeringsten Einzelheiten wissen. Du sagst dieWahrheit: es handelt sich um den Besuch einersozialistischen Tagung. Der Beamte schickt zumBizekonsul, der läßt ihn gleich rufen. Dann gibtder Beamte di« Dokumente mit einem Achselzuk-ken zurück^ das Visum könne nicht gewährt werden, da die Tagung hei den Auslandsbehördennicht angemeldet sei. Du antwortest, daß Du dereinzige Ausländer sein wirst? und es dieWarschauer Behörden ja in der Hand haben, Dichzuzulassen oder nicht, um so mehr, als Du Dichverpflichten würdest. Dich sofort der WarschauerPolizeibehörde zu stellen. Du kannst welchen Einwand immer bringen, der Beamte zuckt die Achseln und schlägt Dir dann vor, das Visum nachden Feiertagen, also n a ch dem Ablauf der Tagung zu beschaffen. Du bedankst Dich für den Ratund willst es direkt beim Bizekonsul versuchen.Der Beamte weist Dich an den Amtsdiener. Dieser geht mit Widerstreben zum Vizrkonsul undgrunzt Dich auf polnisch an:„Der Beamte hatIhnen schon selber geantwortet: Der Herr Vize-konsul empfängt Sie nicht!" Run willst Du nocheinmal den Beamten sprechen.Obwohl alle Beamten des Konsulats nach der Reihe kommen, umden Fortgang der Uhrzeiger zu beobachten(ihreeinzige Sorge ist offenbar, daß sie die Arbeit eineMinute zu spät einstellen könnten), läßt sich jenerBeamte nicht mehr blicken. Du trollst Dich, weilDu erkennst, daß Du gegen solche Mächte nichtsunternehmen kannst.Jedenfalls ist Dir ausgefallen: daß dasKonsulat in Mährisch-Ostrau ein anderes Motivfür die Ablehnung hat als das in Prag; daß manDich außerordentlich unhöflich empfängt; daßman ebenso ungern tschechisch wie deutsch spricht,so daß Du Dir vornimmst, bis zum nächsten Be-.such litauisch zu lernen; kurz, daß die Beamtender polnischen Auslandstellen offenbar keinenWert darauf legen, ob man von ihnen und ihremLand gut oder schlecht denkt. Und Dir fällt beidem ängstlichen„Bemühen". des Mähr.-OstrauerKonsulats,„seine Befugnisse, nicht zu überschreiten", ein, wie o f t es in den.letzten-Monatenseine Befugnisse überschritten hat! Da ging esallerdings um viel bedeutsamere Dinge- als umein Visum,. das man Dir nicht gewährte, weilDu Tschechoslowake,. Sozialdemokrat und Journalist bist, und außerdem Gesinnungsfreunde be-,suchen wolltest. Hättest Du. gelogen, wäre Dir!das. Visum nicht verweigert worden..Wir wissen allerdings daß die polnische Be-'völkerung außerordentlich gastfreundlich ist und.also seine Auslandsvertretungen beschämt. Verweigert man aber den Ausländern unter welchenVorwänden immer das' Einreisevisum/ hat eskeine Gelegenheit dazu. So bleibt nur das Ver-halten der Konsulate in Erinnerung. Keineswegsin guter.