Sonntag, 10. Mai 1936 Nr. 110 16. Jahrgang Ehinlmis 70 Heller (ainuhliaBlich S H.ll.r Porto) IENTRALORGAN DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH. Redaktion und Verwaltung präg xii.,fochova«r. telefon sjotz. HERAUSGEBERS SIEGFRIED TAUB . VERANTWORTLICHER REDAKTEURi DR. EMIL STRAUSS, PRAG . Mussolini stellt die Welt vor vollendete Tatsachen: Erneuerung des Römischen Imperiums Viktor Emanuel Kaiser des annektierten Abessinien< Badoglio Vizekönig Rom . Muffolini hat Gamstag abends vom Palazzo Benezia aus verkündet, daß der König von Italien de« Titel eines Kaisers von Abessinien annimmt und datz sämt­liche Gebiete und Bolksstümme des abessinische« Kaiser­reiches unter die volle und mreingeschrünkte Souveränität des italienische« Königreiches komme». Marschall Badoglio wurde zum Generalgonverneur von Abessinien mit dem Titel eines Bizekönigs ernannt. Für Samstag abend- um 22 Uhr war die Sitzung des Großen faschistischen Rates angesetzt, in dem der formale Beschluß über das Schicksal Abessiniens gefaßt werden sollte. Eine halbe Stunde später fand ein Ministerrat statt, der nur drei Minuten dauerte. Dann trat Mussolini auf de» Balkon des Pallazo Benetia und vorküudetc der unabsehbaren Menge, die seit vielen Stun­den auf dir Entscheidung fieberhaft wartete, u. a. folgendes: I Das Schicksal Abessiniens wird heute, am 9. Mai, im 14. Jahre der faschistische« Aera besiegelt, Alle Knoten wurden von' unserem Schwert zerhauen. Der faschisti» sche Sieg bleibt in der Geschichte deS Vaterlandes erhalten. Ita­ lien hat endlich sein Im­perium, u.-w. das faschi­stische Imperium, denn eS trägt die untrüglichen Zeichen deS Willens deS römischen Liktoren- bündelS. Vor unS öffnet sich jetzt eine breite Bresche in die Zukunft. Ich rufe eS euch zu: DaS Land Abessinien und die Stämme Abessiniens stehen von heute an unter der unumschränkten Herrschaft des italienischen Rei ­ches. Der Titel Kaiser von Abessi­nien wird vom König von Italien angenommen. Königliche Offiziere und Unter­offiziere in Afrika und Italien , Schwarzhemden, Italiener und Italienerinnen! DaS ttalienische Volk hat sich in seinem Kampf sein Kaiserreich selbst geschaffen. ES wird eS in seiner Arbett erhalten und eS wird eS gegen jedweden Feind mit den Waffen verteidigen. Und dieser Ruf ist ein heiliger Schwur vor Gott und vor den Menschen auf Leben und Tod. Die riesige Menschenmenge bereitete dem Duce Ovationen, die Musik spielte dir Rational­hymne, worauf dann die ersten Kolonne» in marfchmäßiger Ordnung abzumarschirren be- gönnen. . Der Negus In London nicht genehm London . Entgegen den aus der Umgebung des Negus stammenden Meldungen, daß Hails Selassie in einigen Tagen nach London reisen werde, wird hier amtlich bekanntgegeben, daß der Negus vorderhand in Jerusalem verbleiben werde. Reuter zieht daraus den Schluß, dem NeguS sei eröffnet worden, daß sein Besuch in London vor Abschluß der Session des Bölkerbundrates, die am Montag in Genf be­ginnt, Nicht genehm sei. Die Interessen Wes­finiens in Genf wird der abessinische Gesandte in Paris Wolde Mariam vertreten. WieDaily Expreß " aus Jerusalem mel­det, mache der Regus einen kranken Eindruck; er leide unter den Nachwirkungen einer Gas­vergiftung, die er in der Nähe von Magdala erlitten habe. . Die vom Negus mitgebrachten Schätze wer­den in einer englischen Bank in Jerusalem nn- tergebracht. Sie wiegen neun Tonnen und beste­hen aus 158 Kisten, von denen 123 silberne Maria Theresien-Thaler und die übrigen Gold enthalten. kln neuer Thronan Wärter? Jerusalem .(Reuter) Wie in Jerusalem verlautet, befinde» sich der Neffe des,Kaisers Ren- neltk, Degattt. mit 120.000 Mann(??) auf dem Marsch auf Addis Abeba . Er beabsichtigt, vom Süden her die Italiener anzufallen und ist krampfhaft bestrebt, die Kaiserkrone für sich zu erhalten. Degatte ist ein Todfeind des Kaisers Haile Selassie . normale Verhältnisse In Addis Abeba Addis Abeba . Die Wiederherstellung nor­maler Verhältnisse in der Hauptstadt ist schnell und ohne Zwischenfälle erfolgt. Viele ehemalige Würdenträger des kaiserlichen Hofes erschienen beim Marschall Badoglio, gaben ihre Unterwer­fung bekannt und legten das Treugelöbnis für .das italienische Regime ab. Die englischen Direk­toren der Bank von Abessinien haben den Gold­schatz der Bank von Wessinien den Italienern zur Verfügung gestellt und um die Bewilligung ersucht, die Geschäfte der Bank unter italienischer Flagge weiterführen zu können. Unmut in Berlin Uber die englischen Fräsen Berlin . Der englische Fragebogen hat in Berlin wenig gefallen. Zunächst macht sich der U n- m u t dagegen Luft, daß die Veröffentlichung seitens Londons so schnell erfolgte. DieDeut­sche Allgemeine Zeitung" begründet die deutsche Ablehnung, indem sie u. a. schreibt: Wir hatten erwartet, daß Enland den Wunsch haben würde, einige Tatsachenfragen zu klären. Es werden wieder j u r i st i s ch e Fragen gestellt, die un­verkennbar auf dem Boden der fran­ zösischen Dialektik gewachsen sind. Vor allem macht uns stutzig, daß man in London die Bedeutung des franzüsisch-sowjetrussischen Paktes für das Gesamtproblem noch immer nicht richtig erkennt. Obwohl dieser Pakt die eigent­liche Spitze gegen Deutschland enthält, wird durch die englische Anfrage der Versuch gemacht, uns doch noch in dieses gefährliche Netz zu ver­stricken. Niemand darf von uns verlangen, daß wir die Bestimmung übersehen, wonach sich Frankreich und Sowjetrutzland das Recht Vorbe­halten, s e l b st zu entscheiden, wenn kein Gen­ fer Beschluß zustandekommt. Starkenberg holt sich neue Weisungen Wie». Vizekanzler Starhemberg wird sich in den nächsten Tagen, wahrscheinlich am 12. d. M., neuerdings nach Rom begeben. In der Umgebung der Hauptstadt sind etwa 30.000 Soldaten bemüht, dem Räuöerunwesen Einhalt zu gebieten. Italienische Carabinieri haben die Organisation des Polizeidienstes in Addis Abeba begonnen. Systematisch werden die Wohnungen der Eingeborenen durchsucht und dir aus den Plünderungen stammenden Gegenstände konfisziert. Seit Samstag ist für die Einreise nach Abessinien über Dschibuti das Visum des italie­nischen Konsulates notwendig. Den ausländischen Diplomaten in Addis Weba wurde eröffnet, daß ihre Akkreditierung hinfäl- l i g geworden sei, da eine abessinische Regierung nicht mehr existiere. Doch soll ihre Exterritoriali­tät bis zu ihrer Abreise aus Abessinien respektiert werden.' Die Gesandtschaften würden alsprivate Unter­künfte von Gentleman und Freunden" angesehen werden, denen die höchste Ehrerbietung erwiesen und jede Bequemlichkeit gewährt werden müsse. Auch Harrar besetzt Die Truppen des Generals Graziani sind in Harrar eingedrungen und haben die Ord­nung in der Stadt wieder hergestellt. Vorher war die Stadt drei Tage, lang in der Hand von plündernden abessinischen Soldaten. Die Ita­liener setzen den Vormarsch auf die Eisenbahn­station Diredaua fort, wo Eingeborene bei dem Versuch, die Zollager zu plündern, von französischen Bahnschutztruppen durch Maschinen­gewehrfeuer vertrieben werden, mußten. Die Italiener besetzen von Addis Abeba aus allmäh­lich alle wichtigen Punkte der Eisenbahnstrecke. Graziani wurde vom König zum Marschall er­nannt. britische Flottenmanöver bei Malta London . Von Dienstag bis Donnerstag früh werden an allen Küsten Maltas Vertei- digungsmanöver großen Stils beginnen, an denen die dortigen Landtruppen, die Flotte und die Luftstreitkräfte teilnehmen werden. Neun englische Zerstörer trafen am Samstag, von England kommend, in Gibraltar ein. Mit der Ankunft des GroßkampfschisfesRod­ney" wird für Montag gerechnet. Berlin Belgrad Nur wirtschaftlich, nicht politisch Belgrad . Ministerpräsident Stojadino- v i 6 gab einem rumänischen Journalisten eine eingehende Darstellung der Lage des jugoslawi­schen Außenhandels, dessen jüngste Entwicklung bekanntlich zu Gerüchten über eine politische An­näherung zwischen Jugoslawien und Deutschland geführt hat. Italien und Deutschland seien die Hauptabnehmer jugoslawischer Waren. Durch die Sanktionen gegenüber Italien sei Jugoslawien schwer geschädigt worden. Es sei ein begreifliches Interesse der jugoslawischen Wirtschaft gewesen, nicht auch noch den deutschen Absatzmarkt zu verlieren; jugoslawische Forderungen in der Höhe von 450 Mill. Dinar sind in Deutsch­landeingefroren. Da Deutschland in Gold nicht bezahlen könne, bezahle es in Waren. Das bedeute jedoch in keiner Weise eine po­litische Annäherung Jugoslawiens an Deutschland . Es sei sinnlos, die gegenwärtige sugosla- wische Regierung z« verdächtigen, sie mache deutschfreundliche Politik, wenn sie durch Ret­tung der in Deutschland eingefrorene« For­derungen das jugoslawische Wirtschaftsleben retten wolle. Mann dürfe Wirtschaftsbeziehungen und politi­sche Beziehungen nicht miteinander verwechseln. Zwischen Jugoslawien und Frankreich gebe es nur minimale Wirtschaftsbeziehungen, trotzdem bestünden die besten politischen Beziehungen. Englands letzte Schlacht Seit dem Beginn des italienischen Feldzuges in Abessinien hat sich die politische Bilanz Eng­lands und des britischen Weltreichs zusehends verschlechtert. Was die Engländer beim Ausbruch der Feindseligkeiten befürchtet haben, ist schneller als gedacht eintreten, echne daß es die englische Regierungspolitik verhindern konnte. Heute ist es soweit, daß eine bedrohlich starke und siegestrun­kene italienische Armee auf der Linie Kairo - Kapstadt steht» daß im Herzen Afrikas Ein- geborenenunruhen begonnen haben, di« leicht auf andere Territorien übergreifen können, daß Eng­lands Prestige aufs schwerste erschüttert ist, daß die Araber in Palästina gegen die englische Herrschaft rebellieren, die anti-englische Wasd- Partei in Aegypten einen großen Wahlsieg errun­gen hat und Japan , der große Bedroher des bri­ tischen Imperiums in Asien , seine Expansion in der Mongolei und in China alarmierend fortseht. Das Kabinett Baldwin, das seinen wenn auch schwachen Wahlerfolg im vergangenen Herbst im Zeichen der von England geführten Sanktions­politik errang, muß heute eingestehen, mit dieser Politik Schiffbruch erlitten zu haben, und der Premierminister Baldwin, der mit der Parole Vertraut mir!" erst Edens Völkerbundspolitik durch den Außenminister Hoare unterminieren, dann diesen Hoare fallen ließ und schließlich auch Eden zurückpsiff, als er sich bei der letzten Völker­bundstagung zur entscheidenden Attacke gegen Mussolini entschloß der Premierminister Bald­win, der auf diese Art die streitenden Gruppen im Kabinett zusammenhalten und Zeit für die eng­lische Aufrüstung gewinnen wollte, steht heute vor der englischen Oeffentlichkeit und vor der Welt­meinung als ein Mann da, der nichts erreicht und alle Gelegenheiten verpaßt hat. Es wird nie­manden überraschen zu hören» daß in der eng­lischen Presse die Gerüchte über den bevorstehen­den Rücktritt Baldwins immer häufiger und be­stimmter austauchen. Es scheint tatsächlich, daß Baldwins Stellung unhaltbar geworden ist, weil es nicht länger mög­lich sein wird, die englische Außenpolitik zwischen allen möglichen Entscheidungen entschlußlos hin- und herpendeln zu lassen. Selbst wenn es Bald­win gelingen sollte, sich im Amte zu halten, so wird er das nur können, wenn er sich für eine der miteinander streitenden Gruppen in seiner eigenen Partei entscheidet. Die Ziele der italienfreundlichen, innenpoli­tisch übrigens zum rechtesten Flügel gehörenden Gruppe Hoare , zu der Neville Cham­ berlain (der jetzige Schatzkanzler), Austin Chamberlain (der frühere Außenminister) und Winston Churchill (der Führer der englischen Imperialisten) zu zählen sind, wurden schon beim Hoare-Laval-Plan einigermaßen klar. Denn dieser Plan hatte einen doppelten Zweck: die Eroberungsabsichten Mussolinis zu befriedigen und zugleich das englische Interessengebiet in Abessinien freizuhalten, im Grunde also eine englisch -italienische Austeilung Abessiniens, die den englischen.Imperialismus ebenso wie den italienischen befriedigen und auf dieser Grundlage eine Versühnung zwischen Italien und England herbeiführen sollte. Die Angehörigen der Hoare - Gruppe sind, kurz gesagt, die alten Ententepoli­tiker, und die hitlerfeindlichen Aeußerungen Churchills und Chamberlains sind vor allem so zu verstehen, daß sie die deutsche Gefahr für das europäische Gleichgewicht durch eine Festigung der alten Entente England-Frankreich -Jtalien be­kämpfen wollen. Wenn es dieser Gruppe gelingen sollte, an die Macht zu kommen(man spricht be-. reits von Neville Chamberlain als den künftigen Premierminister), dann würde sie außenpolitisch den Versuch machen, mit Mussolini gegen Hitler zu gehen, eine Politik, die darauf hinauslaufen würde, Mitteleuropa den Anschluß an denrömi­schen Pakt" zu empfehlen, Mussolini zum Garan­ten des europäischen Friedens zu machen und damit den unsichersten Faktor Europas zum Fun­dament der europäischen Sicherheit zu wählen, dem antihitlerischen Bündnis seine moralische Grundlage zu nehmen und das Ansehen Eng­lands, taS Mussolini vor aller Welt als Friedens­brecher erklärt hat, bedenkenlos zu zerstören. Immerhin ist bei dieser Gruppe wenigstens die Stellungnahme gegen Hitler entschieden und