Sosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH. REDAKTION UND VERWALTUNG PRAG XII., FOCHOVA 62. TELEFONI 53077. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB . VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG .

16. Jahrgang

Lockspitzel bestellt

Dumdumgeschosse Erklärungen Edens im Unterhaus

London . Außenminister Eden gab am Montag im Unterhaus eine Erklärung über die von italienischer Seite erhobenen Beschuldigun= gen wegen der Lieferung von Dum- Dum- Ge­

schoffen seitens britischer Fabriken an die Abessi­nier ab. Nach den Darlegungen Edens handelt es sich um einen britischen Staatsangehörigen, der 1. a. unter dem Namen Oberst Lopez be= fannt sei. Dieser habe als 2ockspiel fungiert und von der Munitionsfirma Ba­tes unter falschen Vorspiegelungen schriftliche Un­terlagen für die angebliche Lieferung von Dum­Dum- Geschossen herausgelockt, die dann ihren Weg in die italienische Preise fanden. Geschosse mit Weichspitzen" seien in Abessinien für die Jagd auf Großwild und Raub­tiere gebräuchlich. Solche Geschosse seien in Abes­finien Ta u ich objekt an Stelle von Geld und deshalb sei es durchaus nicht ausgeschlossen, daß diese Munition gelegentlich auch von Abes siniern, die mit alten Jagdgewehren ausgerüstet waren, im Kampf gegen die Italiener verwendet worden sei. Die Bestellungen in England seien je doch nicht wirklich getätigt, son­dern von Oberst Lopez nur vorgetäuscht worden.

Schon in der ersten Märzwoche habe die bri­tische Regierung den italienischen Botschafter freundschaftlich darauf aufmerksam gemacht, wer dieser Lopez sei, von dem man wußte, daß er mit der italienischen Botschaft in Beziehungen stand, und es wurde auch angedeutet, daß eine weitere Beschäftigung dieses Mannes den guten Bezie hungen der beiden Staaten nicht zum Vorteil ge­reichen würde. Der italienische Botschafter habe geantwortet, daß er von der Existenz des Lopez nichts wisse.

Ein paar Wochen später habe Lopez unter dem Namen Mezler den abessinischen Ge­sandten in London aufgesucht und ihn auch eine größere Bestellung unterschrieben lassen, worin 3 Millionen ,, Geschosse mit Weichspiken" enthal ten waren. Auch dieser Bestellschein wurde dann von der italienischen Presse in großer Aufma­chung veröffentlicht. Tatsächlich sei diese Muni tion gar nicht geliefert worden, ja es wurde nicht einmal der Antrag auf Ausfuhrbewilligung für sie

gestellt.

Die italienische Regierung scheint inzwischen eingesehen zu haben, daß sie mit diesem Lockspizel feine Ehre einlegen könnte. Sie har daher eine Protestnote an den Völkerbund wegen der angeb lichen Ausfuhr von Dum- Dum- Geschossen aus England zurüdgezoge it.

Starhemberg in Rom

Betont herzliche Aufnahme. durch Mussolini

Rom. Ministerpräsident Mussolini veran­staltete am Montag zu Ehren des Fürsten Star­henberg auf Schloß Fusano ein Dejeuner, an dem die Mitglieder der Begleitung Starhembergs , die Beamten der österreichischen Gesandtschaft und hohe Würdenträger des Außenministeriums teilnahmen.

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Der römische Berichterstatter des Paris Midi" teilt mit, in informierten italienischen Kreisen werde erklärt, daß das Verbleiben Star­Hembergs im Hintergrund nur vorüber­gehend sei. Seine jamstägige lange und herz­liche Besprechung mit Mussolini sei sehr fenn zeichnend. In Rom kursieren Gerüchte, daß aus die letzten politischen Ereignisse die Tätigkeit eines Wiener Gesandten einer Westmacht( gemeint ist England) einen bedeutenden Einfluß ausübte. Der Umstand, daß zum österreichischen Gesandten in Rom Berger- Waldenegg , ein intimer Freund Starhembergs, einer der Führer der Heimweh und aufrichtiger Freund des Faschismus, ernanni werden soll, wird in Italien in dem Sinne aus gelegt, daß die österreichische Politik von den Richtlinien, die durch das sogenannte römische Protokoll vorgezeichnet sind, nicht abweichen werde.

Tsaldaris gestorben

Athen . Im Alter von 68 Jahren ist der ehe malige griechische Ministerpräsident Panayotis E. Tjaldaris einem Schlaganfall erlegen.

Dienstag, 19. Mai 1936

Entscheidungen an der Donau Ein Jahr

Gömbös erledigt Bethlen im Aufstieg

Die Entwaffnung der Heimwehr

Budapest . Das Havas- Büro meldet, daß Minister Gömbös sich aus Gesundheits­rücksichten für die Zeit von sechs Wochen seiner amtlichen Tätigkeit begeben müsse. Einige oppo­fitionelle Kreise sind der Meinung, daß Gömbös nicht mehr in der Lage sein werde, sein Amt wieder zu übernehmen. Einige Blätter sprechen die Ansicht aus, daß Gömbös nicht auf seinen Blas zurückkehren werde und daß der bisherige Landwirtschaftsminister Daranyi sein Nach­folger sein werde. Im Außenministerium soll es zu keinem Wechsel kommen, weil Außenmini­ster Kanya ständig die Sympathie auch der Opposition genieße.

Wien . Wie die Amtliche Polizeikorrespondenz mitteilt, hat der Polizeipräsident einen Tagesbefehl erlassen, in dem er die Tätigkeit des Freiwilligen Schuhforps auf dem Boden des Wiener Polizeibezirkes für been det erklärt. Das Freiwillige Schußkorps ist etwa 2000 Mann stark und setzte sich aus Angehörigen aller Wehrverbände zusammen, haupt­sächlich jedoch ans Heimatschußlenten.

Schlag gegen Starhemberg führte.

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Nr. 117

nach dem Erdrutsch"

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Am 19. Mai 1935 hat die Partei Konrad Henleins die Mehrheit aller sudetendeutschen Stimmen auf sich vereinigt. Wir wollen hier nicht wiederholen, was alles zusammenwirken niußte, um diesen Wahlsieg herbeizuführen. Nicht zuletzt waren es die maßlosen Versprechungen der Hen leinpartei, die für den Fall des Sieges gegeben wurden, die Verteilung der Posten in Konsumber= einen und Krankenkassen, die Hoffnung auf den Einmarsch der SA, die Volksabstimmung und den Anschluß an das Dritte Reich, war es der ganze irrsinnige Inhalt der Flüsterpropaganda, der die Schwankenden und Schivachen der SdP zutrieb und das Ausmaß ihres Sieges über die Erwar tungen der eigenen Parteigänger erhöhte.

Nichts von dem, was in den hißigen Wochen vor der Wahl versprochen und was noch im Sies gesrausch ausgeplaudert wurde, ist eingetreten.

Zu der Budapester Meldung erfahren wir sprechend verstärkt habe. Es scheint, daß Schusch- Der eigentliche Sinn des Sieges ging verloren, von ungarischer Seite, daß der Abgang Gömbös nigg systematisch die Polizei durch verläßliche weil die Politik der Totalität, über­so gut wie beschlossen sei. Er wird von dem Kran- Anhänger seiner Politik aufgefüllt hat, ehe er den tenurlaub nicht mehr in die Politik zurückkehren. Bethlen hat nach dem Zusammenbruch der Göm­ bös - Politik das Heft wieder in der Hand, wenn auch der Form nach ein St abinett Daranyi gebildet werden dürfte.

Als unmittelbaren Anlaß für den Sturz Gömbös ' sieht man neben den Erfolgen des öster­reichischen Legitimismus, die auch nach Ungarn ausstrahlen, die Enthüllungen der Sozialisten über die Korruption der Gömbös - Presse durch Goebbels und die neuerliche Entfremdung zwischen Stalien und dem Völkerbund an. Es hat sich dabei erwiesen, daß llngarnauf einen Krieg, in den Gömbös zu steuern schien, nicht vor bereitet ist. Man holt also den geriebensten Politiker heran, über den Ungarn verfügt, eben Graf Stephan Bethlen.

Die neue Regierung will sich auf eine na­tionale Konzentration" stüßen, das heißt es sollen die bisherige Opposition mit Ausnahme na­fürlich der Sozialdemokratie und die Teile der Regierungspartei, die gegen den Hitlerkurs des Gömbös sind, die Basis des Kabinetts Da­ranyi- Kanya abgeben.

Tie Reise Bethlens und Tibor Eckardts nach Wien und eine wahrscheinlich bevorstehende Reise Gömbös nach Rom sollen im übrigen dazu die= nen, die Restauration der Habs­ burger hinauszuschieben. Vor allem soll Mussolini dafür gewonnen werden, die Restauration zu verhindern und für den Fall eines Austrittes Italiens aus dem Völkerbund Ungarn das Verbleiben in Genf zu gestatten.

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tragen auf eine nationale Minderheit, not we n dig in die Sadgasse führen mußte. Je In reichsdeutschen und außerdeutschen nazi- größer der Sieg der totalitären Partei war, je stischen Streisen legt man dem Erfolg des Legiti näher jie ihrem idealen Ziel der völligen Aus­mismus in Oesterreich eine große Bedeutung bei tilgung ihrer Gegner fam, desto schwerer mußte ( so auch die Zeit" Henleins!). Das Eintreffen es für sie werden, im tschechischen Lager noch der Erzherzogin Adelheid in Wien wird als poli- einen Partner zu finden, sich irgendwie nubbar in tischer Präzedenzfall gedeutet. In den ,, Münch das Kräftespiel des Staates eingliedern zu ner Neuesten Nachrichten"( übrigens tönnen. dem Blatt, dessen Außenberichte gewöhnlich am Die Parteien aber, die am 19. Mai Stim selben Tag auch in der Zeit" erscheinen, die also men und Mandate verloren, die Splitterpar mit einem führenden Naziblatt die gleichen Korteien", wie die SdP sich seither auszudrücken be­respondenten in den europäischen Hauptstädten liebt, konnten trop des großen Aderlasses eine unterhält), befaßt sich an leitender Stelle Wolf- politische Rolle spielen, die bedeutsamer und der ganghöpfer mit der Habsburgergefahr. Nation nüßlicher war als das Treiben der infla Er formuliert die Befürchtungen Hit- tionistisch aufgeblähten Sieger. Die Sudetendeut­I ers im Donauraum sehr deutlich in folgen­dem Passus:

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schen haben es nicht in der Hand, in einem Staat, in dem sie eine Minderheit darstellen, die poli­tische Führung an sich zu reißen, das Gesetz des Handelns zu diktieren oder auch nur das Gesetz der politischen Gliederung umzustoßen. Sie kön nen politische Geltung nur gewinnen, wenn sie mit den realen Voraussetzungen rechnen, die im Staate gegeben sind.

Ottos großer Blan heißt ,, Donaueuropa". Es klingt an die Phantasien eines Kranken an und muß doch, wenn auch nur am Rande, gestreift werden: Habsburg hält für den Fall, daß der Vor­stoß nach dem Südosten allzu hohen Mauern be­gegnet, eine zweite imperiale Jdee in Bereitschaft, die der nordwestlichen Stoßlinie, die auf Süd- Der Gedanken der Gleichschaltung, der Ge­deutschland, Westdeutschland , vielleicht auch auf danken der Totalität, widerspricht den politischen Luxemburg und Belgien zielt. Nicht nur unver- Formen, in denen sich das tschechische Volk aus­bindlich hingeworfenen Redensarten entstammt es, lebt. Eine totalitäre deutsche Bewegung im wenn man heute in Wien von Bemühungen hört, Staate mußte, was immer auch ihre innen- oder die auf eine V roklamation Ottos außenpolitischen Ziele waren, als Fremdkörper zum ,, Kaiser der Denti che n" zie- wirken. Sie mußte dort scheitern, wo es gegolten Ien .. Wenn auch nur als Sympton, es bleibt hätte, den Sieg der großen Zahl, der Quantität, jedenfalls festzuhalten, daß der alte Traum in einen machtpolitischen Weri zu verwandeln. vom Gegerdeutschland, von der Main - Auf keinem einzigen Gebiete der Staatspolitik hat linie, von der Barriere der katholi- die SdP etwas durchsetzen können. Der Schutz fchen Staaten in Verknüpfung mit Habs­ burg neu zu geistern begonnen hat.

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In Oesterreich setzt Schuschnigg seine Aktion gegen die Heimivehr fort. Obwohl die römische Presse behauptet, daß Starhemberg noch nicht Der Sturz Starhembergs und der wahr ausgespielt habe und es also scheint, daß Musso- scheinlich unvermeidliche Sturz Gömbös , haben lini doch noch seine Hand schüßend über den Ent- jedenfalls die Dinge im Donauraum in Bewe­thronten hält, jieht man in Wien die Entwaff- gung gebracht und werden zur Zeit in Rom nung des Schutzkorps als den ersten Schritt zur und in Berlin als unangenehme & n't waffnung der Heimwehr an, Störung des imperialistischen Konzepts über die Schuschniggs Blätter als über eine fer- empfunden. Umjo aussichtsreicher wäre vielleicht tige Tatsache berichten. Es wird jetzt mit jezt eine Initiative der Kleinen deutlicher Spike gegen Starhemberg belanntgenten te und die Wiederaufnahme der kon geben, daß man die Polizei in jüngster Zeit ent- struktiven Ideen Hodžas!

Die neue Verfassung der USSR

Moskau.( Taß.) Am 15. Mai fand unter dem Vorsiße Stalins die ordentliche Sigung des Plenums der Kommission für die Ausarbeitung der Verfaſſung statt. Die Kommission legte den endgültigen Text fest und beschloß, ihn in der nächsten Session des Zentralerefutivkomités zur Erörterung vorzulegen. Das Projekt der Verfas­jung besteht aus folgenden 13 Abschnitten: Ge­sellschaftliche Organisation, Staatsverfassung, Höchste Organe der Staatsmacht der USSR , Höchste Staatsmacht der Unions- Republiken, Or gane der Staatsverwaltung der USSR . Organe der Staatsverwaltung der Unionsrepubliken, Höchste Organe der Staatsmacht der autonomen sozialistischen Sowjetrepubliken, Dertliche Organe der Staatsmacht, Gerichtswesen und Staatsan waltschaft, Grundlegende Rechte und Pflichten der Bürger, Wahlſyſtem, Wappen, Fahne und Hauptstadt, Modus einer Abänderung der Ver­

ja, ung.

Erweiterter Ausnahmszustand in Jerusalem

des deutschen Arbeitsplaßes, die Rettung der deut­ schen Arbeitslosen vor dem Verhungern, die Be­treuung des deutschen Schulwesens und anderer kultureller Einrichtungen, all das blieb den Splitterparteien" überlassen, insbesondere dem

Erz- und Erbfeind, gegen den die SdP zu Felde

gezogen war, den deutschen Sozialdemokraten.

Schwäche der SdP am 18. Dezember, dem Tage Am sinnfälligsten erivies sich die innere Schwäche der SdP am 18. Dezember, dem Tage der Präsidentenwahi. Die Partei der 67 ihrem Vorhaben, die Stimmen einem geſchivore­Parlamentarier tam gar nicht zum Zuge. In nen Gegner des sudetendeutschen Volkes nachzu werfen und einem Exponenten des tschechischen Nationalismus in den Sattel helfen, wurde die SdP durch das Abschwenken jener Gruppen im tschechischen Lager gehindert, in denen Henlein seine Partner gesehen hatte und für die er selbst fein Partner, sondern nur ein Werkzeug, ein Ge­Jerusalem. Der Ausnahmezustand, der bis- brauchsartikel gewesen ist und sein wird! her nur über die Jerusalemer Altstadt und die Denn auch hier rächt sich die faschistische Ideologie. nächste Umgebung verhängt war, ist nach den Vor- Eine totalitäre, auf die ganze Macht ausgehende fällen am Samstag auf ganz Jerusalem ausge- Partei, fann feinen ehrlichen und dehnt worden. Zwischen 20 und 6 Uhr ist der dauernden Partner im andersnatio­Aufenthalt auf den Straßen verboten. Samstag nalen Lager finden. Denn eben der wäre ja wie­ereigneten sich neuerdings blutige Zusammen- der eine faschistische Partei, also eine, die ihrer­ſtöße. Sonntag patrouillierte in den Hauptstra- seits die Totalität und die ganze Macht im Ben Jerusalems ein schottisches Bataillon. Der Staate für sich, aber eben für sich allein an­Hohe Stommissar hat alle höheren Beamten bestrebt. Eine bürgerliche Rechtspartei ohne die huis Beratung der Lage einberufen. Daily Tele- demagogische Aufmachung der SdP, ohne die graph" erfährt aus Londoner Quellen, daß die faschistische Ideologie und die faschistischen Allü­britischen Behörden in Palästina die jüdische Ein- ren könnte ihren Partner im tschechischen Lager wanderung nicht einzuschränken beabsichtigen, finden und zu einer zeitlich begrenzten, klassen­wie dies von den Arabern gefordert wird. Der mäßig gebundenen Zusammenarbeit mit ihm fom­Hohe Kommissar genehmigte die Liste der jüdischen men. Die Leidtragenden wären die Arbeiter bei­aber immerhin, solche Koalition Einwanderer für das nächste Halbjahr. Dieses der Nationen wäre denkbar. Eine kleinbürgerliche oder halbpro= Verzeichnis umfaßt ungefähr 4000 Namen.