Sir. 117 eite 7 Dienstag, 19. Mai 1936 iDie panarabische Bewegung macht Fortschritte den die sprechen von arabischen Zeitungen und illustrier­ten Wochenblättern. Im Zentrum der politischen Bewegung des Pan-Arabismus steht der Waha- bitenkönig Ibn Saud , dessen Einfluß in der letzten Zeit im Wachsen begriffen ist. Es'st Ibn Saud gelungen, einen Allianzvertrag mit dem Königreich Irak zu schließen. Zwischen dem britischen Gesandten am Hofe von Ibn Saud , Sir Andrew Ryan und Ibn Saud sind gegen­wärtig Verhandlungen über die Regelung aller Grenzstreitigkeiten im Gange. Andererseits ver­sucht Ibn Saud alte Mißverständnisse z w i s ch e n S a ü d i-A r a bien und Aegypten zu bereinigen. Seit zehn Jahren bestehen nämlich zwischen Aegypten und Saudi- Arabien keine diplomatischen Beziehungen. Man konnte sich damals um die Organisierung der Pilgerfahrten nach Mekka , die Ibn Saud voll­kommen in seine Hand genommen hat, nicht einigen. Nun ist in Kairo ein besonderer Abge­sandter des Wahabiterikönigs eingetroffen, mn diese Frage endgültig zu regeln. Auch hier denkt Ibn.Saud modern: für, ihn handelt es sich,vor. allem um die Hebung des Fremdenver­kehrs nach Mekka ! Volkswirtschaft und Sozialpolitik Fertigwarenausfuhr und Rohstoffeinfuhr Die zwei wichtigsten Posten unserer Handelsbilanz In der Entwicklung des tschechoslowakischen Außenhandels in den ersten Monaten des laufen­den Jahres konnte die günstige Erscheinung fest­gestellt werden, daß die Ausfuhr von Fer­tigwaren und die Einfuhr von Roh­stoffen eine steigendeTendenz auf­wiesen. Insbesondere die Rohstoff-Einsuhr­steigerung, die auf eine Voreindeckung unserer ver­arbeitenden Industrie mit Rohstoffen zurück­geführt wurde, rechtfertigte die Hoffnung auf ein Fortdauern und eine Verstärkung der wirtschaft­lichen Belebung. Die Außenhandelsbilanz für April weist nun wohl eine weitere Zunahme der Rohstoff- Einfuhr aus, bringt aber gleichzeitig einen Rück­gang der Fcrtigwarenausfuhr von 459 Millionen Kronen im März auf 432 Millionen Kronen im April. Bei der Bedeutung gerade der Fertig­warenausfuhr für unsere Wirtschaft im allgemei­nen und für die Bekämpfung der Massenarbeits­losigkeit im besonderen» wird ein solches Um­schlagen der Entwicklung mit Besorgnis ausge­nommen. Es wird befürchtet, daß es mit der weiteren Ausfuhrsteigerung für unsere verarbei­tende Industrie vorbei sein könnte und daß aus der so srhnlichst erwarteten Wiedereinreihung von erlichen zehntausenden Arbeitslosen in den Pro­duktionsprozeß vorläufig nichts wird. Nun zeigt aber der Außenhandel in voraufgcgangenen Jahren wenigstens für Fcrtigwarenausfuhr das gleiche Bild. Im Jahre 1934 war von März zu April ein Rückgang um 48,5 Millionen Kronen, 1935 von April zu Mai ein solcher von nahezu 100 Millionen Kronen in der Fertigwaren- autzfuhr zu verzeichnen. Die Verminderung war als» in den beiden Vorjahren stärker alS 1936. Aber schon von Juni ab ist dann jedes- mal ein erneutes Ansteigen festzuftellrn ,e- grwrsen. ES sind keine besonderen Anzeichen dafür zu er­kennen, die eine gleiche oder ähnliche Entwicklung unserer Fcrtigwarenausfuhr in diesem Jahre auSschlietzen. UebrigenS liegt, obwohl der Rück­schlag im April«ingetrcten ist, die Fertigwaren- auSfuhr in den ersten vier, Monaten 1936 noch immer nicht unerheblich über der in der gleichen Zeit der letzten Jahre. Es betrug die tschecho­slowakische Fertigwarenausfuhr: Fertigwarenausfu hr: Todesdrohung gegen Thälmann Bor Wochen reisten einige Mitglieder des Britischen Unterhauses nach Berlin , um die Ein­gabe von 108 ihrer Kollegen aus allen Parteien zu, unterstützen, daß nämlich Ernst Thälmann endlich vor Gericht gestellt oder aber enthaftet werde. Im Reichsjustizministerium erklärte man der Abordnung, der Prozeß stehe bevor und Thäl­ mann sei nicht von Todesstrafe bedroht. Nun verzeichnet derDaily Herald" eine neue Berliner amtliche Auskunft, die mit jener Erklärung im schreienden Widerspruch steht. Da­nach ist die Anklage aufintellek­tuelle Urheberschaft der Ermo r- dung von 4 0 0 Nationalsozia» listen" erweitert worden. Wird Thälmann in diesem Punkt schuldig erkannt, so ist ihm das Todesurteil sicher. Die Nachricht von einer solchen in Millionen KL 1286,5 9Y3,0 1125,9 774,5 Hinter den arabischen Unruhen in Palästina, | den ägyptischen Spannungen und syrischen Auf­ständen zeichnet sich mehr und mehr eine neue P h a s e in der Entwicklung der arabischen Bewegung ab. Als ein äußeres-Zeichen für die Wucht dieser Bewegung kann auf die eben er« ' folgte Erklärung des französischen Hohen Kom- missärs für Syrien , Grafen de Märtel, hinge­wiesen werden, in der den syrischen Arabern eine Autonomie versprochen wird. Der moderne Pan- Arabismus unterscheidet sich entscheidend von allen früheren nationalen Bewegungen int mittleren Orient dadurch, daß das religiöse Mo­ment völlig in den Hinter­grund getreten ist. Der verstorbene König Feisal von Irak hat bereits vor Jahren das Wort geprägt, das heute im mittleren Orient als Schlagwort gilt: ,,W ir sind Araber gewesen, bevor w i r Musel­männer wurden!" Durch dieseSäku­larisierung" der arabischen Bewegung tritt all­mählich auch der alte Gegensatz zwischen christ­lichen Ufld muselmännischen Araberräder heson-, derS in Syrien eine große Rolle gespielt hat, zurück. Man beschäftigt sich heüte statt mit sol­chen früher beliebten Problemen wie dem Kali­fat, das seit der Abdankung der türkischen Ka­ lifen die Rolle eines Streitapfcls zwischen den verschiedenen arabischen Sekten und Klanen ge­spielt hat, mit der künftigen Verfassung einer p a n-a r a b is ch e n Föderation oder der Gründung einer arabischen Akademie, nach Art der Acadcmie Fran- caise, die sich als Hüterin und Mehrerin der modernen arabischen Kultur betätigen soll. Auch die Organisation eines einheitlichen wirtschaftli­chen Körpers in Gestalt einer mittelorientalischen Z o l l u n'i o n wird diskutiert. Die große arabische Bank Misr in Kairo erstreckt ihren Ein­fluß weit über Aegypten hinaus nach Syrien , Libanon und Hedschas . Ueberall versucht man ,,, eigene arabische Industrien zu abwertung viel stärker als in anderen Jahren ge»' schaffen. Ansätze zu einer modernen Gewerk­wesen. Betrachtet man die Steigerung der Fer- schästsbewegung und zu einer bäuerlichen Ge- tigwarenausfuhr und berücksichtigt man die Tat-1 nossenschaftsbewegung sind bereits vorhanden. Es fache, daß die Rohstofflägcr unserer Industrie 1 gibt sogar arabische Filmschauspiele, nicht zu alS 500 Millionen über der FertigwarenauS- fu hr in den gleichen Monaten des Jahre- 1933! Die Entwicklung der Rohstoffeinfuhr in der­selben Vergleichszeit zeigt dieses Bild: Rohstoffrinfuhr: Jänner bis April 1936 1935 1934 1933 , Im Jahre 1934 war die Rohstoffeinsuhr in den ersten Monaten mit Rücksicht auf die. Kronen ­weitgehend gelichtet waren, so zeigt die Eillwick-. lung der Rohstoffeinfuhr durchaus normalen Charakter. Die Voreindeckung mit Rofstoffen auf längere Zeit könnte erst dann bedenklich wer­den, wenn inzwischen größere allgemeine Preis­stürze an den Rohstoffmärkten zu verzeichnen wären. Aber dazu muß es,'selbst wenn- seit ein paar Tagen die Preise für einige Rohstoffe sinkende Tendenz zeigen, keineswegs kommen. Dennoch sollte der Rückschlag in unserer Ausfuhr im April erneut Veranlassung für die ^Verstärkung der A.n.st.r.e n g u n g e n zur Exportförderung, und für die. Hebung. d.e. r_ M. ajj enk a u f- kraft zur Belebung des Jnlandsmarktcs sein. Um die 40-Stunden-Woche Unter der Leitung des Internationalen Ge- ! werkschafrsbundes und in' Zusammenarbeit mir I den internationalen Berusssekretariaten der Tex-s !tilindustrie, des Baugewerbes, der Metallindustrie l "und des Bergbaues fanden vom 8. bis 11. Mai. i in Paris vier vorbereitende Berufskonferenzen' statt, die prüften, unter Welchen Bedingungen sich das Problem der 40-Stunden-Woche in der dies- , jährigen Internationalen Arbeitskonfercnz für die verschiedenen Industrien stellen wird. An den Tagungen nahmen Vertreter von sie­ben Ländern teil(Belgien , Frankreich , Großbri­ tannien , Niederlande , Schweden , Spanien und !die Tschechcjlowakei), ferner Delegierte der vier direkt vertretenen internationalen Bcrufssekre- tariate. Das Internationale Arbeitsamt war vertre­ten durch seinen Direktor Harold Butler Und zwei j seiner Mitarbeiter. Der"Vorstand des IGB halle ,die Gen. Citrine, Jouhaux , Mertens und den Generalsekretär Schevcnels abgeordnct. Jede der vier Konferenzen prüfte die ver­schiedenen Aussichten der Ucbereinkommensent- würfe für die 40-Stunden-Woche und die Mög­lichkeit ihrer Annahme durch die Internationale Arbeitskonferenz dieses Jahres. Cs wurden die verschiedenen Eventualitäten der Stellungnahme während der AvbeitSkonferenz geprüft und Vorschläge gemacht betr. die zweck­mäßigste Taktik der Arbeitergruppe in Genf .- Der Gedankenaustausch war von der größ­ten Objektivität getragen; alle Beschlüsse wurden in einer Atmosphäre der Einstimmigkeit und gegenseitigen Verständnisses gefaßt. Selbstverständlich ist es die am Vorabend der Konferenz in Genf tagende ganze Arbeiter­gruppe, die sich über die verschiedenen Verschlage auszusprechen und endgültige Beschlüsse zu fassen hat, um so mehr, als ihr auch verschiedene Ver­treter von Arbeiterorganisationen beiwohnen wer­den, die an diesen vorbereitenden Konferenzen nnbt'teilnehmen konnten. Die im den vorberei­tenden Konferenzen in Paris erzielten Resultate gestatten, mit Vertrauen entscheidende Inter­ventionen seitens der Arbeitergruppe in Gens an­läßlich der wichtigen Debatten ins Auge zu fassen, die sich aus dem Gebiete der Einführung der 40- Stunden-Woche ergeben werden. Jänner bis April in Millionen KL 1988» 1695,-5 1935 1608,8 1934. 1425,5 1933 1188,4 Sie liegt also«och nm etwa 87 Millionen Kronen höher als im Vorjahre und um mehr Ausdehnung der Anklage hat alle Wahrscheinlich­keit für sich, denn da Thälmann seit dein 6. März 1933 verhaftet ist, ist die Anllage hochverrijtcri­scher Tätigkeit gegen die Hitlcrxcgierung gar zu lächerlich. Was dieermordeten" Nazis bstrifft, so sind sie alle in dem latenter: Bürgerkrieg der letzten Jahre der Demokratie, zumeist sogar durch Abwehr ihrer verbrecherischen Terrorvcrsuche ge­gen Sozialdemokraten und Kommunisten zu Tode gekommen. Aber es ist ja bekannt, daß der Richardstraße-Prozeß in Berlin-Neukölln unge­achtet seiner Austragung im Jahre 1931 kürzlich neuverhandelt wutde, umnachzuweisen", daß alle jene Stratzenkämpfe von der Leitung der KPD veranlaßt" worden seien. Das wurde na­türlichfestgestellt", Dutzende Arbeiter auf lange Jahre ins Zuchthaus geschickt und nun wollen sie Thälmann von Rechts wegen köpfen. So will man vor dem Ausland, das sich für diesen Fall lebhaft interessiert, die mehr als dreijährige Unter­suchungshaft des Vorsitzenden der KPD recht­fertigen". Reform des Völkerbundes? Aus wohl infor­mierter Quelle wird uns berichtet: Die Re­gierung Baldwin oder jedenfalls ein­flußreiche konservative Kreise hinter der Regie­rung neigen mehr und mehr zur Ansicht, daß das gegenwärtigeS y st e m d er k o l l e k t i- venSicherheit" und damit der Völker­ bund selbst einen gewaltig enSchlag erlitten haben. In London wird nun das P r o- jekt einer neuen Organisa­tion der kollektiven Sicherheit erwogen. Da­nach wird Europa in vier Staaten­gruppen aufgeteilt: England, Frankreich , Belgien , Holland und Deutschland ; 2. Italien und die mitteleuropäischen Staaten, zu dieser Staatengruppe würden also die Kleine Entente und die Staaten des römischen Blockes gehören; 3 Deutschland , Polen , USSR und die baltischen Staaten; 4. Mittelmeerstaaten; zu dieser Gruppe würden sowohl die unmittelbaren Anlieger des Mittelmeeres(Frankreich , Italien , Spanien , Balkanstaaten, Türkei ) als auch England ge­hören. Für die Mitglieder jeder Staatengruppe untereinander gilt die automatische Verpflich­tung, gegen jeden Staat, der ein Mitglied dieser Staatengruppe angreift, mit allen wirtschaftlichen und militärischen Sanktionc. sofort yorzugehen. Alle anderen Staaten, die Mitglieder des Völ­kerbundes sind, verpflichten sich lediglich dazu, dem Angreifer weder direkt noch indirekt zu hel­fen. Bis jetzt ist dieses englische Projekt den an­deren Völkerbundsmitgliedern nicht mitgeteilt worden, eS wird aber während der Herhstsession des Völkerbundes sehr wahrscheinlich zur De­batte gestellt werden. . Gemrindcwahlcn in Jugoslawien . Tic bisherigen Wahlresullate der GeMetndewahlen ergeben durch­aus nicht das Bild, daß die jetzige Regierungspartei, die JRZ, stärker im Volke verankert ist als hi? frühere Regierungspartei zu Jeftitsch'S Zeiten die INS. In Kroatien , Dalpmtien, Bosnien und der Herzegowina konnte die Regierungspartei-in zahlrei­chen Orten nicht einmal eine Kandidatenliste auf­stellen, und die Bevölkerung stimmte geschlossen für die Vereinigte Opposition. Teilweise erhielt sie, wo sie kandidierte, unter zehn Prozent der. abgegebenen Stimmen. In Slowenien , wo die Äoroschctz-Pyrtei, die an der Regierung beteiligt ist, früher eine er­drückende Mehrheit hatte, sank die Wahlbeteiligung auf 50 bis 75 Prozent, und die Regierungspartei hatte gleichfalls Verluste an die Opposition. In Maze­ donien weist die JRZ zwar gute Resultate auf, aber es kam dabei zu etwas seltsamen Begleiterscheinun­gen.. In Negotin am Wardst erhielt die Opposition z. B. nur vier Stimmen, obwohl für di« Einreichung der Kandidatenlisten 60 Unterschriften der Wähler nötig waren. In Serbien waren nur an zwei. Orten Wahlen ausgeschrieben. Tort erlangte die JRZ 50 Prozent der Stimmen. Wen Blum Schriftsteller und Kritiker Parteipolitiker Staatsmann Verweile doch, Du bist so schön" mit die­sem Fauftzitat ist ein Kapitel des ersten Buches überschrieben, das der junge Lion Blum ver­öffentlicht hat, und das den Titel trägt:Reue Gespräche mit Eckermann". Aber Lton Blum selbst ist nicht der Mann, der gernverweilt", er nutzt den Augenblick und weiß, daß das Leben ständig im Fließen ist. Sein eigenes Leven kennt zahl­reiche Etappen. Er wurde 1874 geboren, ein echtes Pariser Kind, als Sohn wohlhabender Eltern, der Pater war ein Tuchhänbler. Seine Erziehung konnte sorgfältig vorbereitet und durchgeführt werden. Natürlich warf er sich, kaum daß er die Schule absolviert hatte, mitten hinein in den Strudel des literarischen Lebens der 90er Jahre. Die großen Namtn von Mallarme und Verlaine , die Lehrmeister des Symbolismus, beherrschten di« Epoche, und der Student Leon Blum widmete ihnen seine ersten begeisterten Artikel, die er in den zahlreichen kleinen Studentenzeitschriften ver­öffentlichte. Ein paar Jahre später schloß er die Bekanntschaft mit drei anderen hervorragenden französischen Schriftstellern, eine Bekanntschaft, die bald zur Freundschaft wurde; diese drei Freunde waren: Marcel P r o u st, Ä n d r i G i d« und PaulValern. Proust ist tot, aber mit Gide und Valöry pflegt auch heute noch Leon Blum , obwohl die Wege sic weit auseinander führten, engste Freundschaft. Seine ersten Aufsätze in Studentenzeitschrif­ten erregten Aufsehen, bald wurde er literarischer Kritiker an derRevue Blanche ", der besten lite­rarischen Zeitschrift jener Zeit. Seine ersten Bü­cher erschienen, zunächst dieNeuen Gespräche mit Eckermann", dann ein Buch über die Ehe, das be­trächtlichen Skandal erregte, da Blum für die freie Liebe eintrat. Plötzlich begann sich Blums literarischer Ge­schmack zu ändern. Er interessierte sich für das Theater, und wurde vomMatin" als Theater­kritiker engagiert. Zehn Jahre schrieb er über das Theater, seine Kritiken wurden schnell berühmt und gefürchtet. Er war es, der Maeterlinck entdeckte, der sich leidenschaftlich für Firmin Gimier einsetzte und Knut Hamsun als Bühnendichter pries. Er schrieb, als sei er für das Theater geboren, eS interessierte ihn nichts an­deres als die Welt der Bretter. Aber alles ist im Fluß, und allmählich führte das Theater Löon Blum zum Leben zu­rück. Er entdeckte die Wirklichkeit, und der Kri­tiker begann sich mit den Ereignissen des täglichen Lebens zu befassen. In seinenErinnerungen an den Fall Dreyfutz" setzte er auseinander, wie er dazu kam, sich allmählich für die Politik zu inter­essieren. Einmal entschlossen, das Theater und die Literatur aufzugeben, warf er sich mit aller Energie dem Neuen, das ihn so sehr lockte, in die Arme. Lucian Herr, sein aller Lehrer von der Ecole Normale , machte ihn mit Lauris be­kannt, und diese Bekanntschaft wurde zum Wende­punkt seines Lebens. Um 1911 herum wurde Blum Mitglied der Sozialistischen Partei Frank­ reichs , deren Führer Joures war. Aber der Mann, der bisher die literarischen Salons von Paris besuchte, und der Freund gro­ßer Schriftsteller gewesen war, vermochte sich nicht auf Anhieb in einen handfesten Revolutionär zu verwandeln. Erst die Ermordung Jaures und der Weltkrieg stießen ihn nach vorn. Am Ende des Krieges hatten die Sozialisten Frankreichs keinen Führer: Jaurös ermordet, Vaillant tot, Guetzde zu alt. Man suchte einen neuen Führer. BlumS Stunde kam. Am 16. November 1919 wurde er zum erstenmal in die Kammer gewählt. Er war 45 Jahre und trug einen großen schwarzenintel­lektuellen" Hut, der schnell zum beliebten Re­quisit aller Karikaturisten wurde. Alle Welt lachte: dieser Kaffeehautzliterat und Schöngeist rin Revolutionär 4 Aber einige Monate später war er der Führer der Partei, Nachfolger auf den Stuhl von Jaures . 1920: die große Spaltung unter den fran­ zösischen Sozialisten. Die Mehrheit war für Moskau , aber Blum widerstand. Auf dem be­rühmten Kongreß von Tours erklärte er Klara Zetkin , der deutschen Kommunistin:In jedem Lande mutz der Sozialismus seinen eigenen Weg gehen." 1924: Sieg des Linksblockes. Herriot bietet Blum das Amt des Außenministers an. Aber Blmn lehnt ab, er hält den Augenblick noch nicht für gekommen. Er glaubt nicht an dieprospc- rity", die Europa und Amerika in jener Zeit über­schwemmt hat. Und er behält Recht. Herriot stürzt. Poiucare kommt. Tie Neuwahlen 1928 ergeben einen riesigen Rechtssieg, Leon Blum verliert sein Pariser Mandat. 1929: Leon Blum geht nach Südfrankreich , zu den Fischern und Weinbauern von Narbonnc, Sie empfangen ihn mit Vertrauen und wählen ihn in die Kammer zurück. In jenem Jahr bricht die große Weltkrise aus. Von jetzt ab geht es wieder vorwärts. Drei wichtige Daten bezeichnen den Weg: Die Stra­tzenkämpfe des 6. Feber 1934, die Geburt der Front Populaire" am 14. Juli 1935 und das Attentat auf Leon Blum am 13. Feber 1936. Es bedürfte nicht dieses Ättentatsversuches, um zu beweisen, datz Leon Blum der unbestrittene Füh­rer nicht nur seiner Partei, sondern derFront Populaire" ist. Jetzt, nach den Wahlen und dem Siege dir Front Populaire" steht Lion Blum vor der drit­ten großen Etappe seines Lebens. Er wird das neue Kabinett bilden. Noch wohnt er in seinem alten Haus, in einem der ältesten Teile von Pa­ ris , auf der St. Louis-Insel. In der Ruhe sei­nes Schreibzimmers bereitet sich Lion Blum, 62 Jahre und schon etwas grau, aber voll über­schäumenden Temperamentes, auf sein drittes Leben vor. Es wird die gefährlichste und die ver­antwortungsvollste Etappe sein. Er weiß, worum es geht, und er sprach in seiner großen Pro- grammrcde die ernsten und klaren Wopte:Die Umstände verlangen es, daß zuweilen im Men­schen ein neuer Mestsch erwacht... Ich werde jetzt der Regierungschef sein, das verantwortliche und seiner Pflicht gegen Frankreich bewußte Haupt." Michel Gorel.