9tr. 120 Freitag, 22. Mai 1930 eite 5 Deutsche   Stiefkinder Von Kurt Kersten  dusland Moskau   und Berlin   über die Situation in Frankreich  . Der bekannte französische   Autzen- politiker d'O r m e s s o n erzählt imFigaro" über sein Gespräch mit einem ausländischen Freund, der vor einigen Tagen Moskau   und Ber­ lin   besucht hatte. In M o s k a u habe der Sieg derVolksfront" keine besondere Freude ausgelöst, eher das Gegenteil. Man sei im Kreml   der Ansicht, datz dieser Erfolgzu grotzsei. Moskau   habe auf die Stärkung der früheren Mehrheit gehofft, eine bestimmte Ver­breiterung des extrem linken Sektors im Parla­ment hätte man willkommen geheißen. Man habe aber erwartet, datz das Schwergewicht der Ab­geordnetenkammer bei den Radikalsozialisten ver­bleiben werde. Moskau   wolle keine Wirren in Frankreich  : die Sowjetregierung brauche ein ruhiges; starkes Frankreich  , ein Frankreich  , das Deutschland   Furcht einflötzen könne. Die Er­folge der Sozialisten und Kommunisten lasten jedoch demagogische Auswüchse befürchten. Mos­ kau   befürchte, datz die aufgeregten Masten den allzu schlaffen Führern den Gehorsam verweigern könnten. Die größte Sorge Moskaus   sei aber» daß die Sozialisten zu ihren alten Träumen von der allgemeinen Abrüstung zuriickkchren. Was Berlin   anbetrifft, so sei man dort, wie der Gewährsmann von d'Ormeston berichtet, nach dem ersten Schreck, den die sozialistisch-kommunstischen Wahlerfolge erregt haben, bedeutend beruhigt. Man erwarte nämlich dort, datz die einzelnen Elemente derVolksfront" einander paralysieren würden. Berlin   hoffe, datz die künftige Re­gierung kein Programm haben werde. Hitler werde wahrscheinlich gegenüber der neuen Re­gierung gute Miene zum bösen Spiel machen. Man werde die neue Regierung nicht rtizen und nichts in Europa   unternehmen. Man werde Frankreich   Zeit geben, sich über Deutschland   zu beruhigen. Frankreich   beruhige sich nämlich so leicht und so rasch! Sobald aber Frankreich   in seine innenpolitischen und kolonialen Wirren ver­sunken sein werde, dann werde es an der Zeit sein, wieder mit der Faust auf den Tisch zu schlagen. Rach der Zerreitzung der Front von Stresa   haben Deutschland   fünf Monate lang ge­duldig gewartet, bis der Zeitpunkt des Angriffes kam. Jetzt sei Hitler   bereit, noch länger zu war­ten, wenn es notwendig ist. Der Hauptschlag werde aber von feiten Berlins   nach den französi­ schen   Kolonien gerichtet sein. Man erwartet dort mit Bestimmtheit früher oder später bedeutende Verwicklungen in den französischen   Kolonien. Der ausländische Freund von d'Ormeston wendet sich zum Schlutz an ihn mit der Aufforderung: Ihr seid gewarnt. Gebt acht auf Eure Kolonien. Von dort wird ein Schlag gegen Euch vorbereitet! Skandinavische Wehrfrage»(bn.) Die Sozial- demokratie Schwedens   hat auf ihrem jüngsten Parteitag die Notwendigkeit einer Stärkung der Landesverteidigung anerkannt und der ReichStags- fr^rion sowie der Regierung Vollmacht zur Erfül­lung dieser Aufgabe erteilt. Staatsminister Per Albin H a n s s o n hat seither in mehreren Reden betont, daß es mit der Erhöhung der militärischen Kampfkraft nicht getan ist, die Unabhängigkeit und Freiheit des Landes vielmehr den Volk-masten auch verteidigungswert blechen muffen, also die sozialen und kulturellen Aufwendungen nicht eingeschränkt werden und die Last der Mehrausgaben nicht allein den Werktätigen auferlegt werden dürfen. Auch in Dänemark   ist die Verteidigungsfrage und zwar ganz plötzlich, aufgeworfen worden. Der Generalstabschef W i t h hat nämlich im Kopen­hagener Grundbefitzerverband einen Vortrag ge­halten und darin di« Schaffung einer starken Luft- verteidigung für die Hauptstadt und die Wiederauf­füllung der Armee auf jene 15 Regimenter gefor­dert, die sie wahrend des Weltkrieges al» Reutra- litätswache hatte.Socialdemokraten" befragte den Vcrtechigungsminister Genoffen Alsing An­oer s e n wegen dieser Rede des Generalstabschefs. Der Minister hielt sein Bedauern über das Auftreten eines leitenden Militärs nicht zurück und betonte, daß es erfolgt ist, während die von der Regierung angeordnete Untersuchung über die Sicherheit des Landes noch im Gange ist. Der Wiederaufbau der Notstandsgebiete in England. Schatzkanzler Chamberlain   hat in sei­nem neuen Budget die Schaffung xines Sonder- verbandeS zum Wiederaufbau des Notstandsge­bietes mit einem Kapital von einer Million Pfund angekündigt; es handelt sich um öffent­liche Mittel. Die neue Anstalt soll namentlich kleineren Unternehmungen zur Errichtung oder Ausgestaltung des Geschäftes Kredite bis zu 10.000 Pfund gewähren. Dieser Weg zur Ver­stärkung der Arbeitsmöglichkeiten in den Not­standsgebieten ist seinerzeit vom Staatskommiffär für diese Gebiete empfohlen worden. Roosevelt   für höhere Löhne. In einer Rede im demokratischen Klub in New f)ork verteidigte Roosevelt   seine Wirtschaftspolitik. Gegen den Vorwurf, daß der Bundeshaushalt ein Defizit von 3 Milliarden Dollar aufweist, verwies er dar­auf, daß das Einkommen der Bevölkerung von 35 Milliarden Dollar im Jahre 1ff32 auf 65 Millionen Dollar im laufenden Jahre ge­stiegen ist. Zum Schluß seiner Rede gab er fol­gendes Ziel an:Höhere Löhne für die Arbeiter, höheres Einkommen für die Farmer bedeuten mehr Güter» die erzeugt werden, mehr und bes­sere Nahrung, weniger Arbeitslose und niedrigere Steuern. Das ist meine wirtschaftliche und soziale Philosophie. Ich glaube an» tiefstem Herzen, daß cs die Philosophie des Amerika   von 1936 ist." Lenau  'ist von Amerika   ganz besessen. Er läßt sich nichts einreden, denn seine ganze dämo- nische Phantasie macht ihm da Dinge vor, die ganz nach seinen Wünschen sind... Europa   ver­fault immer mehr in der Gemeinheit, und auch mir wird ganz bang in ihm... Lenau   denkt an gar nichts mehr, als an die Reise und das Wesen in Amerika  ...", so schrieb der alte Justinus Ker­ ner   am 11. März 1832 einem Freund, als Lenau  von seinem Plane, nach Amerika   auszuwandern, nicht abzubringen war. Wenige Monate später weilte Lenau   müer zweihundert Auswanderern auf einem Rheindampfer, der sie nach Amsterdam  bringen sollte. Es waren arme Leute aus Schwa­ ben   und Baden  , einer Ausivanderer-Gesellschaft hilflos unwissend in die Hand geaeben; die Direk­tion betrog sie, schon auf dem Rhein   kam es zu furchtbaren Austritten mit dem Vertreter der Ge­sellschaft, welche die Menschen verfrachtete wie Vieh.Nicht nach Amerika  , nicht nach Amerika  ", jammerten die Kinder der Auswanderer. Zahllos strömten in den dreißiger und vier­ziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Massen armer Bauern und Manusakturarbeiter über die Grenzen Deutschlands  . Es war die zweite große Welle erzwungener Auswanderer, die sich aus Deuffchland in fremde Länder ergoß; sechzig Jahre zuvor hatten sich Schwaben   und Westfalen verleiten lassen, den Kolonisationspro? festen der Zarin Katharina II  . Glauben zu schen­ken; Zehniausende verließen die Heimat und zo­gen unter unsäglichen Mühen nach Rußland   in die mittleren Wolgagebiete und siedelten sich dort an. Als eine Kommission erschien, um die Beschwer­den der Kolonisatoren festzustellen» sie an die Zarin weiterzuleiten, wurde der Leiter dieser Kommission seines Amtes enthoben uno mußte schleunigst Rußland   verlassen, weil man in Petersburg   die Wahrheit nicht hören wollte. Der Führer dieser Kommission war der Na­turforscher Johannes Reinhold Forster, in sei­ner Begleitung befand sich sein zehnjähriger Sohn Johann Georg  , jener Forster, der später mit Cook um die Welt segelte, in bis dahin unerforschte Südpolargebiete vordrang, diese Fahrt in einem fast vergessenen, aber herrlich Natur- und Insel­bewohner der Südsee schilderndem Reisebuch über­liefert hat, in Kassel  , Wilna   und Mainz   vergeb­lich Boden zu fassen suchte, 1792 in den Strudel der Revolution gerissen wurde und zu den weni­gen Deutschen   jener Tage gehörte, die sich rück­haltlos für die ftanzösische Revolution einsetzten. Als die siegreichen Heere der Jakobiner in Mainz  eindrangen und die Mainzer   Bürger den Frei­heitsbaum umtanzten, war eS dieser Forster, der sich der republikanischen Regierung zur Verfügung stellte, Manifeste gegen die deutschen  , Fürsten  schrieb, die Standesherren aus dem Lande ver­jagen half und im Pariser   Konvent im April 1793 den Anschluß der rheinischen Republik an Frank­ reich   verkündete. Neun Monate später starb For­ster, dessen Reiseschilderunyen vom Niederrhein  zu den schönsten klassischen Reisebüchern gehören, einsam in einer Dachkammer einer Pariser Gasse als Emigrant, arm, verlassen, geschmäht und miß­verstanden, vom eigenen Vater verflucht, der ihn an den Galgen wünschte, von der Frau verlassen; Goethe allein fand herzliche Worte des Bedauerns für diesen Menschen, der nur seiner Ueberzeugung gefolgt war, zu den ersten deutschen   Demokraten zählt und bereits von sozialistischen   Ideen erfüllt war. Eine Frau, Caroline Schlegel  , dieVielge­liebte", die in der Mainzer Zeit Forster als Ka­meradin treu zur Seite stand, bekannte:Bei Forsters   Tod war mir, als hätte ich ein Kind in den Schlaf gewiegt." Sein Grab ist unbekannt, sein Werk fast ver­gessen. Er war ein deuffches Stiefkind, und die Verse eines andern deutschen   Stiefkindes Georg Herwegh   sind wie für ihn gedichtet: Du wirst nicht hingehn wie das Abendrot, Du wirst nicht stille wie der Stern versinken. Du stirbst nicht einer Blume leichten Tod, Kein Morgenstrahl wird deine Seele trinken. Wohl wirst du hingehn, hingehn ohne Spur, Doch wird das Elend deine Kraft erst schwächen. Sanft stirbt es einzig sich in der Natur, Das arme Menschenherz muß stückweis brechen. Mit Forster beginnt jener endlose Trauerzug so vieler deutscher   Dichter und Schriftsteller, die im Ausland leben mußten, weil sie in Deutschland  die Wahrheit nicht sagen dursten. Der Anherr die­ser Schar von Ausgestotzenen ist jener letzte Ritter Ulrich von Hutten  , der auf der Insel Ufenau   im Zürichsee   nach qualvollem Leiden sein junges Leben hingeben mußte, jener Hutten  , der geschrieben hatte: Ich hab's gewagt. Wie wohl meine fromm« Mutter weint,' Da ich die Sach' häti' fangen an. Gott   woll sie trösten, es muß gähn. Und sollt es brechen, auch vorm End, Will's Gott, so mags nit werden g'wend't. Darum will brauchen Fuß und Hand. Ich hab's gewagt. Es ist kein Zufall, wenn Huttens Name in der Freiheitslyrik der F r e i l i g r a t h, H o f f- mann von Fallersleben  , Herwegh  wiederholt auftaucht. Die Reichsacht, die über Hutten   ausgesprochen war, war auch über sie ver­hängt. Die Generation jener Dichter, die 1815 geboren wurden, ist von einem unheimlichen Schicksal verfolgt worden. 1792 war es unter den deuffchcn Dichtern nur dieser eine Georg For ­ster, der seiner Ueberzeugung wegen kn Deuffchland nicht länger leben konnte. Vierzig Jahre später war es schön ein ganzes Geschlecht von Dichtern und Schriffftellern, welche die Polizei und die Justiz der deutschen   Fürsten   außer Landes jagten. Den Reigen dieser Opfer einer dumpfen Zeit eröffnet HeinrichHeine, der jahr­zehntelang in der Verbannung saß, in der Ma­trachengruft zu Paris  , einen so langen qualvollen schweren Tod starb sechzig Jahre nach Forster. Was er schrieb, wurde von der deuffchen Zensur meist verboten. Wenn er sich empörte und seinem Groll Ausdruck gab, beleidigte man ihn, und weil er in der Fremde sitzen mußte, beschimpfte man ihn doppelt. Heine folgte Börne, diese große journalistische Begabung, der in jungen Jahren nach Fehden und Pamphleten 1837 in Paris  starb; in diesem vierten Jahrzehnt des vergange­nen Jahrhunderts wächst die Gärung in ganz Europa   im Juli 1830 war das Volk von Paris  auf die Straße gegangen, hatte einen König ver­jagt und einen anderen hingesetzt erhalten, aber der furchtbare Druck, der seit dem Ende der Frei­heitskriege auf Europa   gelastet hatte, scheint ge­lockert, die Massen, in Deutschland   vor allem die Bauern, geraten in Bewegung. Man kennt die starke bürgerliche demokratische Bewegung in Süddeutschland  , das Hambacher Fest  , den Sturm auf die Frankfurter   Wache, man weiß von den immer lauter werdenden Rufen nach einem deut­schen Reich. 1832 stirbt Goethe, und um dieses Jahr beginnt tatsächlich ein ganz neuer Zeit­abschnitt in Deutschlands   Geschichte. Man kennt jenes leidenschaftliche Manifest, in dem Büchner sich gegen die ungeheuerliche Mißwirtschaft in Hessen-Darmstadt   wandte, gegen die furchtbare Steuerbelastung der hessischen Bauern. Georg Büchner   wird gejagt und ge­hetzt, sein Kamerad Pfarrer Weidlig im Ge­fängnis zu Tode gequält. Dec,Dichter desWoy- zek", desDanton  " mutz in die Schweiz   flüchten. Wie der Dichter desMichael Kohlhaas", durch dessen Seeleein brennendes Recht floß", sieht auch er keines seiner Sturmdramen auf der Bühne. Diese beiden stärksten dramattschen Ge­nies Deutschlands  , K l e i st und Büchner  , werden bei Lebzeiten durch di« Lande gejagt, den einen finden sie erschossen am Wannsee, der andere stirbt dreiundzwanzigjährig im Exil, und fast volle vier­zig Jahre wird es dauern, bis man sein Werk entdeckt... und es ist nicht fange her, als der Woyzek" in Berlin   ausgelacht wurde. Zehn Jahre nach Büchner  » Tod steht Deutschland   in Aufruhr, auf den Barrikaden von Wien   und Ber­ lin   siegt das Voll, Fürsten   fliehen bei Nacht und Nebel, der Mann, der dieser dunklen Geschichte seinen Namen gab: Metternich, flüchtet unter falschem Namen nach England, in Köln   ist eine Zentrale deuffcher Revolutionäre, hier erscheint die erste große deutsche   revolutionäre Zeitung: Die Neue Rheinische Zeitung", Marx und En­gels redigieren sie. Und zur Redaktion gehört Fer­ dinand Freiligrath  , der als Dreißigjähriger ge­dichtet hatte: Der Dichter steht auf einer höheren Warte Als auf der Zinne der Partei." Aber der fast Fünfzigjährige steht kn den vordersten Reihen der Revoluffon. Man kennt seine Verse an Blum, den flammenden Aufruf: Wenn wer noch knieen könnten Wir lägen auf den Knien". Als die Konterrevoluffon gesiegt hatte und das Blatt in Köln   verboten wurde, war es Fr ei­lig r a t h, der ihm den Schwanengesangt so bitter, so anklagend sang: Auf der Lippe den Trotz und den zuckenden Hohn, In der Hand den blitzenden Degen. Roch im Sterben rufend:Die Rebellion!" So bin ich mit Ehren erlegen. Freiligrath   mußte ins Exfl. Und mit ihm so viele, viele andere Bekannte und Unbekannte. Männer mit Namen und unzählige Namenlose, deren Geschichte einmal geschrieben werden muß. Da mutz GeorgWeerthins Exil, dessen Name in weiten Kreisen ebenso unbekannt ist wie seine proletarische Lyrik, die leider immer noch nicht gesammelt ist, nur in Anthologien auftaucht er hat erschütternde Bergmannslieder ge­dichtet: Die hundert Männer von Haswell, die starben an einem Tag, die starben zu einer Stunde, die starben auf einen Schlag. Und als sie still begraben, da kamen Wohl hundert Frau'n, wohl hundert Frauen von Haswell, gar kläglich anzuschau'n. Sie kamen mit ihren Kindern, sie kamen mit Tochter und Sohn. Du reicher Herr von Haswell, nun gib uns unfern Lohn." Der reiche Herr von Haswell, der stand nicht lange an; er zahlte Wohl den Wochenlohn für jeden gestorbenen Mann. Und als der Lohn gczahlet, da schloß er die Kiste zu. Die eisernen Riegel klangen, die Weiber weinten dazu. Weerth   ist 1856 in Havanna   gestorben; Engels hat ihn den ersten Dichter des Proleta­riats genannt. Glasglocken ersetzen Treibhäuser In England hat man wie auch bereits in Holland  erfolgreiche Versuche mit Glasglocken gemacht, die das Treibhaus ersehen sollen. Man sieht hier Gärtner bei der Kontrolle der Pflanzen unter den Glashauben, die in so großer Zahl ein eigen­artiges Bild bieten. Herwegh   machte 1848 einen abenteuer­lichen Zug mit mehreren tausend deutschen   Emi­granten von Paris   nach Baden  . Im Gefecht von Niederdoffenbach wurde die Schar von Regie­rungstruppen auseinandergesprengt. Herwegh   ge­lang es, mit seiner Frau in die Schweiz   zu ent­kommen. Er hat dann noch bis 1865 gelebt, im bittern Groll, niemals wieder ist ihm ein Gedicht gelungen, nie wieder fand er solchen Aufschwung wie einst in denGedichten eines Lebendigen", die ganz Deutschland   erregt hatten. Da ist der Schwabe Ludwig Pfau  , der das erste deut­ sche   KarikaturenblattEulenspiegel" herausge­geben hat, die Bewegung in Württemberg   leitete und flüchten mußte. Von ihm stammt ein Lied Pom Leinentuch", eine Ballade von aufreizen­dem Rhythmus. Hoffmann vwnFallers- leben nahm man die Profeffur in Breslau  , wies ihn aus, und nun führte er ein unstetes Wanderleben, bis er arm und einsam starb. Da ist D r o m k e, der zur Redaktion derNeuen Rhei­ nischen Zeitung  " gehörte, da. ,ist Kinkel, der jahrelang im Gefängnis saß, uud den man bitter denspulenden Dichter" nannte, weil man ihm im Zuchthaus jede geistige Nahrung entzog und ihn dafür ans Spinnrad setzte. Da ist R e u t e r, der zum Tode verurteilt, aber begnadigt wurde und zehn Jahre auf Festung saß eines der ärgsten Justizverbrechcn der Reaktionszeit, denn er war gewiß unschuldig. Man weiß, datz Ri­ chard Wagner   in den Dresdener Aufstand 1849 verwickelt war, flüchten mutzte, in der Schweiz   lebte, und daß noch bis in die jüngste Zeit hinein seine Werke bei den Hohenzollern   in schlech­tem Geruch standen. Wer aber weiß von den zahllosen Namen­losen,'die in Zeiten furchtbarster ökonomischer Krisen übers Meer gingen und sich allen Schwierig­keiten zum Trotz ein neues Leben aufbauten? Aber bis es so weit war, hatten sie Not und Elend zu bestehen. Lenau   hat in Briefen aus Amerika   die Leiden der Auswanderer geschildert, und empfand sie. so furchtbar, daß er schon nach einem halben Jahre wieder Amerika   den Rücken wandte. Er konnte zurückkehren, denn ihn hatte nur die eigene innere Unruhe hinausgctrieben. Wieviele aber konnten nicht zurück, weil sie das Elend in der Verbannung dem Aufenthalt im Zuchthaus oder dem Tod auf dem Sandhaufen vorzogen l In den großen Kämpfen des amerikanischen   Nordens ge­gen den Süden um. die Aufhebung der Sklaverei hat-eine ganz deutsche Legion unter Heckerts Führung für die Demokratie gekämpft, und viele Emigranten haben ihr Leben geopfert. W i l- helmLiebknecht, der Verwandte des Pfar­rers Weidlig, war am Aufstand in Baden   1849 beteiligt, ein Zufall hat ihn vor dem Ende in den Kasematten von Rastatt   bewahrt, ihm gelang die Flucht nach London  . Liebknecht hat später einmal die Leiden der Emigranten erregend geschildert: Wie sie hungerten, einander befehdeten, ver- zanften, wie das Exil sie geistig aufrieb und alle Beziehungen vergiftete. Von den Dichtern, die damals Deutschland   verlassen mutzten, verloren viele ihre Schaffenskraft. In der unmittelbaren Beziehung zum Volke, zu den Massen, hatten sie ihre Werke schaffen können, aber jetzt fehlte ihnen nicht nur die Möglichkeit gedruckt zu werden, son­dern auch die Berührung mft dem Volke, und es gehörten ein großer Mut, aber auch der Glaube an den endlichen Sieg und vor allem die polittsche klare Erkenntnis dazu, um für eine deutsche Er­neuerung weiterzukämpfen. Die Geschichte der deuffchen Arbeiterbewegung ist aufs engste mit der Wirksamkeit und Widerstandsfähigkeit der Emigration der Mitte des vergangenen Jahrhun­derts verbunden, und es waren zwei große Emigranten, Marx und Engels, die der deuffchen Arbeiterbewegung ihre Stoßkraft, ihre geistigen Fundamente, ihren politischen Inhalt und ihre Zielrichtung verliehen.