Sosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRUH. REDAKTION   UND VERWALTUNG PRAG   XII., FOCHOVA 62. TELEFON 53077. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB  . VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG  .

16. Jahrgang

Dienstag, 26. Mai 1936

Einzelpreis 70 Heller

( einschließlich 5 Heller Porto)

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Nr. 123

Staatsverteidigungs- Anleihe Belgiens   neues Parlament

Das Finanzministerinm hat dem Abgeord­netenhause einen Gesezentwurf vorgelegt, durch welchen eine Anleihe zu Zwecken der Staatsver­teidigung ausgeschrieben werden soll.(§ 1) Diese Anleihe wird in Schuldverschreibungen zu drei und viereinhalb Prozent ausgegeben wer­den. Beide Arten werden durch Verlosung in 50 Jahren, beginnend 1938, amortisiert. Der Fi­nanzminister ist ermächtigt, die Amortisation zu beschleunigen und zwar durch Ankauf des Pa­piers auf offenem Markt oder die nichtamorti­sierten Teile bei dreimonatlicher Kündigung zu­rückzuzahlen. Den Emissionskurs bestimmt der Finanzminister.(§ 2) Der Zinjenertrag der drei­prozentigen Anleihe ist von der Einkommensteuer befreit.(§ 3) Die Zeichner der dreiprozentigen Anleihe werden einer Steneramnestie teilhaftig, welche darin besteht, daß die verheimlichten Ge­winne, welche zur Zeichnung benützt werden, nicht einer Stener unterworfen werden.(§ 4) Das Gesetz tritt mit dem Tage der Verlant­barung in Kraft, seine Durchführung obliegt dem Finanzminister.(§ 5)

Im Motivenbericht wird die Notwendigkeit der Anleihe mit dem Hinweis auf außerordent­liche Ausgaben zwecks Verteidigung des Staates begründet.

500.000 marschieren

Erfolgreicher Einbruch des Faschismus ins katholische Lager Sozialisten behaupten sich und werden zur stärksten Partei

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Die Wahlen in die Kammer der Abgeordneten, die Sonntag in Belgien   stattgefunden haben, brachten insofern eine Ueberraschung, als der neuen faschistischen Partei der Regi= sten"( nach ihrem Wahlspruch: Christus Rex Christus der König!) des Léon Dégrelles ein stärkerer Einbruch in das Lager ihrer sozusagen ,, Mutterpartei", der katholischen Kon= fervativen, geglückt ist, als man angenommen hatte. Die seit langem stärkste und vorherr­schende belgische Partei verliert ihre führende Stellung und sieht aus ihrem Schoße eine faschi­stische Gruppe entstehen, die mit 21 Mandaten an die Zahl der ehedem zweiten und bisherigen dritten Partei, der Liberalen heranrückt.

Die Sozialisten behaupten nicht nur im großen ganzen ihre bisherige Stärke, son­dern werden durch den Rückfall der Katholiken auch zur stärksten Partei des neuen Hau­ses. Ueberraschend kommt das Ansteigen der Kommunisten, auf das es vor allem zurück­zuführen sein dürfte, daß die Sozialisten nicht den vielfach erhofften Gewinn heimbringen.

Die flämischen Nationalisten sind weiter angewachsen.

Die Gesamtzahl der Mandate ist um 15 erhöht worden, weil die Bevölkerung entspre= chend angewachsen war. Diese Mandatserhöhung kam vor allem den früher benachteiligten Fla= men zugute was wahl die Mandatsverdoppelung dre Frontisten erklärt. Auch dieser Umstand dürfte sich zuungunsten der Sozialisten ausgewirkt haben Zugleich mit der Kammer wurden 101 Senatoren gewählt. Am 7. Juni werden die neuen Provinzialräte gewählt werden, die ihrerseits wieder weitere 44 Senatoren zu wählen haben. Folgende Aufstellung zeigt die Stärkeverhältnisse der neuen Kammer im Vergleich zu ihren beiden Vorgängerinnen von 1929 und 1932:

Katholiken Sozialisten.

"

1929

1932

27. Nov.

1936 24. Mai

76

79

63

70

73

70

"

28

23

12

8

16

Kommunisten

1

Rexisten.

21

Summe der Abg- Mandate

187

187

202

B

Liberale

Flam. Frontisten

W

222435

Kabinett Vandervelde?

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Paris  . Der traditionelle Umzug der Ar­beiterparteien und der Linksorganisationen an der Mauer des Friedhofes Pére Lachaise  , wo in Massengräbern die Opfer der Pariser Kommune Brüssel.( Tsch. P.-B.) Dienstag nach der te i zum Ausdruck, die, ebenso wie fürzlich bei den beerdigt sind, trug heuer einen würdevollen und Sitzung des Kabinettsrates wird Ministerpräsident Wahlen in Frankreich  , als die stärkste Partei aus disziplinierten Charakter. Heuer vereinigten sich von Zeeland König Leopold III. die Demission der den Wahlen hervorgegangen ist. die Kommunisten und Sozialisten zusammen mit Regierung unterbreiten. Der König wird hierauf allen Linksorganisationen. Der Umzug währte die Beratungen zur Lösung der Regierungsfrise länger als fünf volle Stunden. Die Polizei schäßt aufnehmen. Vor den Parlamentswahlen waren

unzufriedenen Arbeiter und Arbeitslosen an sich zu reißen.

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Bezeichnend ist die Tatsache, daß insgesamt die Regierungsparteien verloren haben, obwohl das Kabinett Van Zeeland de Man eine Politik höchst erfolgreicher Krisenbekämpfung durchgeführt, die Zahl der Arbeitslosen innerhalb eines Jahres um mehr als die Hälfte vermindert hatte und keineswegs schlecht gerüstet in den Wahlkampf ging. Dieses Ergebnis überraschi insbesondere, wenn man es mit den Erfolgen der skandinavischen sozialistischen  Parteien vergleicht. Aber der Unterschied liegt wohl darin, daß die Skandinavier   ihre Krisenpolitik gegen eine starke bürgerliche Rechts­opposition verteidigen, daß also flare Fronten ge= zogen waren, während in Belgien   die gleichen Parteien, die gemeinsam die Politik Van Zee­lands im Parlament ermöglicht und gedeckt hat­ten, im Wahlkampf gegeneinander zu Felde zogen. Rühmten sich die Sozialisten, daß der Plan der Arbeit" Hendrik de Mans die Grundlage für die erfolgreiche Krisenbekämpfung war, so erzählten die Katholiken und Liberalen ihren Wählern, daß es ihnen gelungen sei, dem Plan" die sozialisti schen Giftzähne auszubrechen, die freie Wirtschaft zu retten, und warben jene für eine Verstärkung der Plan"-Politik, so die Koalitionsgenossen für eine Abschwächung. Dabei machte kein Partner ein Hehl daraus, daß er die Bündnispolitik nach der Wahl fortzusehen wünsche. Gerade diese Kämpfe innerhalb einer Koalis tion, die doch nicht ein Zufallsgebilde sein wollte, sondern vorgab, eine höhere Einheit im Interesse des Landes zu bilden, mußten der demagogischen Opposition Dégrelles, mußten auch den Kommunisten und Frontisten schwankende Wähler zutreiben.

Es wäre ein schwerer Fehler, in dem Aus­bleiben eines, vielfach erhofften, großen sozialis stischen Sieges nun einen Mißerfolg des de Man Nazi- Erfolg in Eupen  schen Planismus zu sehen. Es läßt sich heute nicht die Zahl der Teilnehmer auf mehr als 400.000, die drei Hauptparteien die Katholiken, die Sozias dem Jahre 1884 zum erstenmale ist, daß die Wahlentscheidung gehabt hätte. Sein ursprüng­sagen, welche Erfolge der Planismus gebracht Der Temps" erinnert daran, daß dies seit hätte, wenn er agitatorisch freie Bahn bis zur die Linkspresse auf 5 bis 600.000 Personen. listen und die Liberalen darin einig, daß van Zee­Die Blätter der Rechten bedauern, daß land auch nach den Wahlen an der Spiße der Re- katholische Partei in Belgien   die Führung verliert. licher Sinn war ja, die Maſſen für pen der künftige Ministerpräsident Léon Blum   an gierung verbleibe. Da jedoch die Wahlen den So- G ist unsicher, wie ſich der große Erfolg der totalen Plan, nicht für eine Kompromiß­der Manifestation teilgenommen hat, der noch zialisten um sieben Mandate mehr brachten als die Registen auswirken wird und welche Haltung sie und Teil- Lösung zu gewinnen. Noch schwerer dazu ,, während des Gesanges revolutionärer Lie- Katholiken bejizen und die Sozialisten so die einnehmen werden. Einige Politiker befürchten, läßt sich sagen, me Ich großen Anteil der der mit dem antifaschistischen Gruß grüßte". stärkste Partei wurden, erwartet man allgemein, daß die Rezisten im Parlament eine reine Obſtruk- Plan an der durchaus ehrenvollen und er­daß der König entsprechend dem parlamentarischen tionspolitik betreiben werden. Man glaubt jedoch folgreichen Behauptung der sozial­Delbos Blums Außenminister? Brauch mit der Bildung des neuen Kabinetts den nicht, daß ihr großer Erfolg das politische Gesicht stischen Macht hat. Man muß wiſſen, daß dem Vorsitzenden der sozialistischen   Partei Vandervelde Belgiens ändern wird. Sieg des Planismus in der Partei eine schwere Ziemliche Aufmerksamkeit in Frankreich   rie- trise der belgischen Arbeiterbewegung vorange­fen die Wahlergebnisse in Eupen   gangen war( Schwierigkeiten der Arbeiterbant, malmé dy hervor, das früher zu Deutschland   der Wirtschaftsorganisationen etc.). Wenn der

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Paris  . Léon Blum   hatte am Montag Unter­redungen mit verschiedenen politischen Führern, darunter mit dem radikalen Minister Iwon

betrauen wird.

Der sozialistische Peuple  " schreibt im Leit­Delbos, ter allgemein als fünftiger artikel, daß die belgiſchen Sozialisten zu lebernahme der Verantwortlich= feit bereit seien. Die kommende belgische

Außenminister bezeichnet wird.

Delbos ist im gegenwärtigen Kabinett

gehörte und durch den Versailler Vertrag an Bel- Verlustträger der Wahl die Katholiten sind, wenn gien kam. Auf die Aufforderung der deutschen   die Sozialisten vom Faschismus selbst nicht an­nationalsozialistischen Propaganda gaben im gefressen wurden, so darf man das wohl nicht zu­

Sarraut Juſtizminister und stellvertretender Regierung wird sich wieder auf die Koalition der Kreise Eupen  - Malmédy von einer Gesamtzahl von lezt als einen Erfolg de Mansund des Ministerpräsident. Er hat seinerzeit vor dem drei Hauptparteien, der Sozialisten, Katholiken 10.350 Wählern 5870 Ieere Stimmzet Planismus buchen.

und Liberalen, stüßen.

tel als Protest gegen das parlamentarische

Sturz Lavals dessen Außenpolitik in der Kammer So ist das Wahlergebnis in Belgien  , was ja einer überaus scharfen Kritik unterzogen. Die Paris  . Die Pariser politische Oeffentlichkeit System in Belgien   ab und nur 4480 Personen auch der Lage und Struktur des Landes ent­republikanisch- jozialistische Vereinigung, die sich und die Presse verfolgen mit Interesse das Ergeb- wählten normal. Die Pariser   Blätter zitieren die spricht, einzuordnen etwa in der Mitte zwischen an der Regierung gleichfalls beteiligen wird, kan- nis der belgischen Wahlen und die dadurch ge- Stimmen der Berliner   Preffe, die ihre Freude den standinavischen. Erfolgen des Sozialismus didiert auf den Posten des Außenministers den schaffene Lage. Die Sozialisten in Frank- über diesen Erfolg der nationalsozialistischen Pro- und seiner mitteleuropäischen Erschütterung. Es bisherigen Staatsminister Paul- Boncour  . reich bringen ihre Freude über den Er- paganda in Eupen- Malmedy   und über den Erfolg fragt sich nun vor allem, wie die Katholiken auf Die neue Regierung wird, wie verlautet, folg der belgischen sozialistischen   Parder Reristen zum Ausdruck bringt. anfangs Juni den neuen Gesetzentwurf über die politische Amnestie und den Gesetzent­wurf über die Einführung der vierzig­stündigen Arbeitszeit unterbreiten. Ein glückliches Land

Von anderem Gesichtspunkt aus betrachtet,

ihre eigene Niederlage reagieren werden. Schlie Ben sie sich zur Niederkämpfung des Faschismus fester an die Linke an, so kann das dem Lande Das Wahlergebnis in Belgien   ist in man-[ Auch in Belgien   wird durch den faschistischen Ein- nur nüßen. Kapitulieren sie wie seinerzeit in nigfacher Weise interessant. Es zeigt gewisse bruch ins katholische Lager die sozialistische Partei Desterreich vor ihrer faschistischen Tochterpartei, Erscheinungen, die wir in den letzten Jah- zur stärksten Kammerfraktion. Aber in Belgien   ist so würden sie und ihr Land unfehlbar auf die= ren auch in anderen Ländern und nicht dieser Wahl eine Koalition von Katholiken und selbe schiefe Ebene geraten wie Oesterreich   und der wenn Sozialisten vorausgegangen, die es in Oesterreich   österreichische Katholizismus 1930-1934. Aber Luxemburg  . Die Durchführung verschie zuletzt bei uns selbst beobachten konnten, Belgien   ist insofern wirklich einmal nicht dener Arbeiten hat zur Folge, daß die Arbeits- auch die Voraussetzungen für das Anwachsen der seit 1920 nicht mehr gegeben hatte. Desterreich" um diese oft mißbrauchte und losigkeit in Luxemburg   fast vollständig verschwun- Rer- Partei etwas wesentlich andere waren als ominöse Wendung doch wieder zu gebrauchen den ist. Man rechnet nunmehr damit, daß es in für den Aufstieg der Henleinbewegung. Schon in Luxemburg   bloß 20 Arbeitslose gibt, die Arbeits- dem zahlenmäßigen Ergebnis erinnert die bel ergibt sich eine gewisse Parallelität zu dem vor- als es zwischen dem Frankreich   der Volksfront"> gische Wahl von 1936 ein wenig an jene österjährigen Wahlausgang im tschechischen Lager. Regierung, dem gefährlichen deutschen   Nachbar lofenunterstüßung erhalten. reichische von 1930, bei der die Christlich   Wie damals die Gewerbepartei als einzige Oppo- und dem wohl konservativen, aber demokratischen sozialen durch den Einbruch des Heimwehr- sitionspartei aus der Koalition aller anderen England liegt, dessen verwundbarsten Punkte auf Der Negus reist inkognito faschismus in ihr Lager die führende Stelle im Gruppen in der Regierungsmehrheit Gewinn zog, dem Festland es darstellt. Die inner poli­London. Der britische halbamtliche Radio- Barlament verloren, die Sozialdemokraten die jo, scheint Dégrelles von dem Zusammenschluß der tische Entwicklung in Belgien   wird dienst meldet zur Reise des Negus nach London  : stärkste Partei wurden und die Faschisten zum drei historischen Parteien zu der Koalition der anders als die Oesterreichs  , das die Westmächte Der abessinische Kaiser reist inkognito und wird in erſtenmal parlamentarisch auf den Plan traten. I nationalen Einheit profitiert zu haben, indem er anno 34 einfach preisgaben, immer weitgehend England keine politischen Beratungen haben. Von Auch in Belgien   ist es die katholische alle unzufriedenen aus dem bürger- eine Funktion der zwischen Pariz Gibraltar aus wird er den Personendampfer Massenpartei, auf deren Kosten sich der selbst start lichen Lager an sich zog, während es den Kommu- London operierenden Außenpolitik des Herifal betonte Faschismus Dégrelles mäitet. I nisten gelungen sein dürfte, die mit der Koalition fleinen, wichtigen und gefährdeten Landes sein. Sorfu" benüßen.

und