5?r. 125Donnerstag, 28. Mai 1936Seite 5üustandZivilisation der GiftgaseFrankreich und ItalienDie italienische Presse beginnt im Zusammen-hange mit der Bildung der neuen französischen Regierung nervös zu werden. So schreibt die offiziöse„T r i b» n a": ES fei offensichtlich, daß die„Volksfront" die Beziehungen zwischenFrankreich und Italien zu verderben versuchenWerde. ES sei sogar möglich, daß man versuche«werde, biS zu dem Zeitpunkt der offiziellen Regierungsernennung„vollendete Tatfachen" in diesem Sinne zu schaffen. ES ist natürlich schwer zn sagen, ob eine solche Taktik den Absichten der künftigen Regierung entspricht. Aber in jedem Falle erweise die linke Prrffe den Vertreternder Volksfront, die nächstens die RrgierungSgefchäfteübernehmen werden, einen fchlechteu Dienst.Als ein Pendant zu dieser italienischen Pressr-äußrrung soll hier die Ansicht von EdouardH e r r i o t zitiert werden, der in der„E r e91 o a B e I l e" einen großen Artikel der heutigenSituation zwischen Romund Paris widmet. Herriot nennt die Zivilisation, dieItalien nach Abessinien trägt,„die Zivilisation der Giftgas e". Die französische Reaktion sei darüber begeistert, aber wir können unsnicht darüber freue«. Wir würden einem internationalen Mandat, das der Völkerbund Italien übertragen würde, wohl zustimmen, aber Rom habe denKrieg vorgezogen. Rom habe damit die Schleusengeöffnet, und niemand könne wissen, was morgen gr-fwrhen werde. Nicht das ist gefährlich, daß die Regierungen es nicht gewollt haben oder nicht imstandewaren, rechtzeitig zu wirken. Die Hauptgefahr bestehe darin, daß die öffentliche MeinungFrankreichs hinter den Verteidigern der rohen Gewalt herlanfe,daß man in Frankreich beginne, sich über die Verteidiger der Gerechtigkeitsidee lustig zu machen. DieKrankheit fei sehr fortgeschritten. Werde es gelingen,sie zu heilen?Die jttdischen Kolonien in Palästina(schwarz)Befestigung derremllltarislerten RheinzoneStraßburg.(E. B.) Die in deutscherSprache erscheinende Zeitung„Der Elsässer", veröffentlicht einen ausführlichen Bericht über dieAufführung von Befestigungen in dem Grenzgebiet zwischen der Schweizer Grenze und demEifel-Gebirge. Auch beim Zufammenflutzder Saar und der Mosel, in der Gegendvon Conz, werden permanente Befestigungen aufgeführt. Diese Gegend ist für eine Abwehr derfranzösischen Offensive frhr wichtig. Wie verlautet, hat der französische Generalstab, als man inParis am Abend des 7. März militärische Maßnahmen gegen die Besetzung der Rhrinzone erwog,zunächst die Besetzung des Brückenkopfes Trier—Eonz in Vorschlag gebracht. Der BrückenkopfI st e i n am obere» Rhein, nordwestlich vonLörrach, der gemäß dem Bersailler Vertrag abgerüstet wurde, wird jetzt wieder hergrstellt, wobeiin seinen Forts bereits schwere Artillerie montiertsein soll.irr Italien saturiert?(AP.) Die These, daß Italien nunmehrnach der Annexion Abessiniens saturiert sei,wird allgemein angeztociselt. Man braucht dabeinicht einmal an die Züge Italiens aus dem europäischen Schachbrett zu denken: an die noch engereKettung Albaniens an Italien,die Aktivität in B u l g a r i e n, die Bedrohung Griechenlands, das weder dieitalienischen Absichten aus Korfu noch die Annektierung des Dodekanes vergessen hat, und derTürkei, die sich noch sehr wohl an die italienischenAnstrengungen in Südanätolien erinnert, ganzzu schweigen von den Verbuchen zur Einkreisung Jugoslawiens.Weit wesentlicher sind die italienischen Bemühungen im nahen Osten. Hartnäckig erhält sichdie Nachricht, daß an den arabischen Unruhen in Palästina, für die man auch dasHakenkreuz verantwortlich machte, auch italienische Agenten nicht ganz unbeteiligt gewesen seien.Ausserdem spricht man davon, dass Italien diealten Beziehungen zum Imam des Demen wiederausnehmen wolle, die nach dem arabischen Kriegeeine gewisse Unterbrechung erfahren hatten. EineAchten Sie doch einmal darauf, wie viele Menschendie Zahnpflege noch vernachlässigen. Dann werbenSie sehen, wie angenehm ein stischer Mund mitgepflegten weißen Zähnen auffallen kann.solche Taktik würde diesmal auch die Aufnahmeguter Beziehungen zu Saudi-Arabien bedingen.Abgerundet wiÄ das Bild durch die Liebeswerbungen in Aegypten, das seinerseits jetzt auch seinVerhältnis zu Ibn Saud nach einem langjährigen Konflikt wieder normalisiert hat. Die italienischen Kolonien in Aegypten, die zahlenmässigvon stattlicher Stärke sind, betätigen sich sehrrege. Wenn auch der nationalistischen Wafd-Partei eine Vertauschung der englischen mit deritalienischen Herrschaft gänzlich undiskutabel erscheinen muss, so daß man sich hier sehr vor übereilten Schlußfolgerungen hüten sollte, so gibt esdoch bereits Fäden zwischen Italien und bestimmten peripheren ägyptischen Gruppen, die bei derMachtverteilung übergangen sind oder in Opposition stehen. Rom tut aber auch alles, um Aegypten zu hofieren, und man hat angvdeutet, dass esdie Verhandlungen wegen der Tana-See-Jnter-essen nicht mit England, sondern mit Aegypten zuführen gedenke. Das bedeutet eine Rückenstärkungfür den ägyptischen Nationalismus, gibt ItalienGelegenheit, die Frage nach der SouveränitätAegyptens zu stellen, und erlaubt so, zwischenLondon und Kairo Keile zu treiben, also jedenfalls England neue Ungelegenheiten zu bereiten.Die Plünderung der Sozialversicherung imHitlersystem. Zur Finanzierung der Kriegsrüstungen im Dritten Reich werden den deutschenSozialversicherungsanstalten in unerhörtem Ausmaße.ihre Bargeldreserven entzogen. Sie werdengezwungen, Wertpapiere, d. h. die von der Regierung ausgegebenew mannigfachen Reichs- undStaatsanleihen zu kaufen, die zu einem späterenZeitpunkt einmal ebenso wertlos sein werden, wieehedem die deutschen Kriegsanleihen. Der Umfangdes Zugriffs auf die Gelder der Sozialversicherungsanstalten und auch der Sparkassen wird«r-Um nahezu 1400 Millionen Reichsmark, das sindmindestens 14 Milliarden Kronen, haben demnachallein die Versicherungen und die Sparkasseninnerhalb eines Jahres durch Uebernahme vonReichs- und Staatsanleihen zwangsweise- zurFinanzierung der Aufrüstung Hitlerdeutschlandsbeitragen müssen. Außerdem haben sie einen wohlkaum geringeren Betrag gegen die Hereinnahmeder verschiedenen, von der Regierung in Umlaufgesetzten Wechsel hingeben müssen. Natürlich gehtdiese Ausplünderung der Sozialversicherungsanstalten und der Sparkassen auf Kosten der Versicherten und der Spärer.Politische Schriften. Im Verlag„Graphia"Karlsbad erscheint demnächst«ine Schrift von Gre-gorBien stock„Europaund dieWelt-Politik.„Die Zonen der Kriegsgefahr"; mandarf dem Werte des bekannten Schriftstellers undGelehrten mit Interesse entgegensehen. Ferner willder Verlag ein' Buch von Fr. Stampfer„Die 14Jahre der ersten deutschen Republik" und eineSchrift von A. Stein„Adolf Hitler, Schüler derWeisen von Zion" herausbringen.Vorstand-Stellvertreterder Präser„Phönlx“-Exposlturzu 18 Monaten verurteilt„Interne Affäre als Auftakt kommenderDingePrag,(rb.) Während Untersuchungsrichter undPolizei alle Hände voll zu tun haben, das belastendeMaterial gegen die Mitschuldigen des„Phönix"-Skandals zusammenzutragen und zu sichten, kamgestern vor dem Strafsenat Tro st eine interneAffäre der gleichen Versicherungsgesellschaft zur gerichtlichen Austragung. Unter der Anklage schwererVeruntreuung stand nämlich der V o r st a n d-Stellvertreter der Prager Expo-situ r des„Phönix", der aus^Wien stammendeRobert Wolf vor den Richtern.Robert Wolf bezog das bescheidene Monatsgehalt von 1500 KL, dazu noch Provisionen, so dasssein Jahreseinkommen mit 40.000 KL veranschlagtwird. Er hatte indessen so noble Passionen, dass auchdiese, immerhin auskömmlichen Bezüge nicht hinreichten. Verlor er doch in Rennwetten bei verschiedenen Bookmakern über 200.000 KL, war Stammgast in den teuersten Nachtlokalen und hatte, obwohlverheiratet, wie sich die Anklage so schön ausdrückt,„viele Frauen' und sogar- eine Geliebte". Die erforderlichen Gelder verschaffte ersich dadurch, dass er bei Schadensauszahlungen, mitderen Durchsiihrung er betraut war. grössere Beträgeunter allerlei Vorspiegelungen zurückbehielt und erstauszahlte, wenn die Parteien ganz energisch wurden.Seine Veruntreuungen deckte eil durch immer neueund stets grössere Malversationen und so kann eSnicht wundernehmen.. dass der Gesamtbetrag derunterschlagenen Gelder schliesslich die von der Anklage- errechnete horrende Höhe von 190.592 KL erreichte.Der Angeklagte betätigte sich indessen(seinenAngaben nach auf Wink des sanft entschlafenenGeneraldirektors Dr. Berliner) noch in allerleianderen üblen Machinationen, die aber in die Ge-schäftssphäre dieser verkrachten Anstalt fallen. Wennein Schaden ausgezahlt werden sollte, überredete erngsemtzfünger,. das Versicherungskapitalaiprümie"-für eine neue«LerjjcheilUM^zviu,.derdoppelten Höhe ausgezahlt werden sollte(I). Eine prächtige Gelegenheit zuallerlei„Nebenverdiensten" für Leute vom Schlagedieses Robert Wolf.Der Angeklagte war im wesentlichen geständig,seine Ausflüchte sielen ernstlich nicht ins.Gewicht.Bemerkenswert, dass der Vertreter des„Phönix" aufbedingt e Verurteilung plädierte, wogegen derStaatsanwalt Dr. Kabale nachdrücklichst protestierte.Das Gericht verurteilte Robert Wolf zu achtzehnMonaten schweren und verschärftenten Kerkers.Viertägiger SplonageprozeBReichsdeutscher Gendarm(!) und sechsinländische HelfershelferPrag,(rb.) Vor dem Strasienat des GR.P t ä L n l k wurde gestern ein grosser Spionageprozess eröffnet, der auf vier Tage berechnet ist undsich unter strengem Ausschluss der Oeffentlichkeitvollzieht, so dass erst nach der UrteilsverkündigungNäheres wird berichtet werden können. Des Militärverrates nach 8 6 des SchutzgesetzeSsind angeklaat: der 31jährige technische BeamteErwin Scheichenost, der 46jährige reichSdeuffcheGendarmeriewachtmeister Walter AlfredEnderS, ferner die Arbeiterin Marie Schmiedl,112J1verwenden>-4>ie nach- eh n Jahrenkennbar ber einem Vergleich der Wertpapierbestände dieser Institute am 29. Feber 1936mit dem 28. Feber 1935. Sie betrugen:Ende Feber1985 1936 Zunahmein Millionen ReichsmarkAflgestelsienbersicherung 850$.. 962,9Invalidenversicherung"568,4^-^67,4Lebensversicherung 862,8^1183,1Sparkassen 2984,4 3750,0zusammen 5246,0 6643,4296#765,61397,4Jerusalem Mai 1936:Zwischen dem Judenviertel und dem Araberviertel sind spanische Reiter aufgestellt.die 46jährige Gisela Schrichenost. der 22jährigeOtto Rauscher und die gleichaltrigen RomanPfog und Josef Gört.Liebesdrama Im SprachgrenzortPrag,(rb.) Vor dem Schwurgericht wurdegestern bei den Einvernahmen fast ausschliesslichdeutsch gesprochen. Der Prozess, der zur Verhandlung stand, spielt nämlich in der deutschen Sprachgrenzortschaft Swojetin im Rakonitzer Bezirk,der zum Amtsbereich des Prager Kreisgerichtesgehört.Angeklagt war des Verbrechens desMordes der 24jährige Landwirtssohn AntonW a ch t l, der in der Nacht zum 15. Jänner seineGeliebte Franziska Wa ch t l erschoffenhat. Dir unmittelbaren Beweggründe dieser Bluttatklärte auch das umfangreiche Beweisverfahren diesesfast.den ganzen Tag aussüllenden Prozesses nichtrestlos auf. Anton Wachst hakte eine ernste Bekanntschaft mit der Getöteten, die seine enffernte Kusinewar. Gleichzeitig bestätigten aber sämtliche Zeugen,daß dieses Mädchen, welches Anton Wachst ernstlichzu heiraten gedachte, seit ihrem 16. Lebensjahrhöchst intime Beziehungen zu dem GrundbesitzerWOLLE:lawiouLXO swald Zenz unterhielt, der heute übrigens bereits 41 Jahre zählt und verheiratet ist.Das Zeugenprotokoll des Zennz gibt dieses Verhältnis auch ohne weiteres zu. Es scheint, dass verschiedene Zuträgereien den blamierten Bräutigamin einen Zustand wütender Eifersucht versetzt haben.Kurz vor dem kritischen Tag hatte er neuerlichNachricht von intimen Stelldichein seiner Braut mitZennz erhalten. Auf dem Heimweg von einer Tanzunterhaltung schoss er ihr eine Kugel in die Brust.Weder über den Hergang der Bluttat, noch übereventuelle Vorbereitungen dazu konnten die Zeugenetwas näheres aussagen. Sie hörten nur den Schußfallen, hörten den Auffchrei der Betroffenen:„Hilfel H i l f ei M e-i n Herz 1* ESwar tatsächlich ein Herzdurchschuß und die Verletzt«verblutete auf dem Transport ins Saazer Krankenhaus. Die Zeugen stellten dem Angeklagten, der sichmit sinnloser Aufregung verteidigte, das beste Zeugnis aus.Außer der Hauptanklage hatte di« Staatsanwaltschaft Anton Wachst noch der Ue b e r t r«-tung gegen d ie kö r p erlich e S i ch e r-heit angeklagt, weil dieser in der Silvesternacht1933 einen Schuß aus einem scharfgeladenen Re-Polder gegen das Dach eines- Nachbarhauses abge-.;■feuert hatte. Angeblich aus Silvesterlaune. Imübrigen bezeichnen sämtliche Leumundszeugen Anton.Wachst als gutherzigen, wenn auch ziemlich reizbaren Menschen. Er habe die Erschossene wirklichSEIDE:iWMhvite»wtrniim/lieb gehabt. Unter den Zeugen befand sich derVater der T o t e n, ein alter Mann, dererklärte, er würde feine Tochtererschlagen haben, wenn er von ihren Beziehungen zu jenem Oswald Zennz gewußt hätte.Die alte Mutter des Angeklagten brach in fassungsloses Weinen aus.Nach dem Plädoyers, die zu temperamentvollenAuseinandersetzungen zwischen Anklage und Verteidigung führten, wurde gegen 6 Uhr abends derWahrspruch der Geschworenen verkündet, welcherdie Schuldfrage auf Mord mitneun Stimmen verneinte. Dagegenbejahten die Geschworenen die Eventualfrage aufdas Vergehen der fahrlässigenTötung und ebenso di« Schuldfrage au* Ueb« r-tretung des Waffe npatentes.Der Schwurgerichtshof(Bors. GR. Dr. N o s«k).verurteilte hierauf den Angeklagten zu acht Monaten strengen Arrestes unbedingt.Staatsanwalt Dr. T r z i ck h meldete N i ch-tigkeitsbeschwerde an und beantragtedie Jnhaftsetzung des Angeklagten bis zur Entscheiddüng des Obersten Gerichtes. Der Gerichtshof gabdiesem Anftag statt.WOLLE UND SEIDE:UtraniL/