Freitag, 5. Juni 1936 Nr. 131 16. Jahrgang Etaztlfnis 70 Heller (amxhliaSlich 5 Haller Porto; 1ENTRALORGAN DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH. Redaktion und Verwaltung präg xii., fochova«. Telefon 0077. HERAUSGEBER« SIEGFRIED TAUB  . VHtANTWORTLICHER REDAKTEUR« DR. EMIL STRAUSS  , PRAG  . Kabinett Blum ernannt Stellvertreter: Daladier/ Aeußeres: Delbos/ Finanzen: Aurlol' Inneres: Salensro Paris.(Tsch. P. B.) Die politischen Ereignisse in Frankreich   nahmen Donnerstag genau den festgesetzten Brrlauf: Gegen 3 Uhr nachmittags trat die Kammer zusammen und wählte mit 377 von 585 Stimmen den einzigen Kandidaten der Linken EduardHerriot zu ihrem Vorsitzenden. Um 16 Uhr traten die Mitglieder der Regierung Sarraut   zu der letzten kurzen Kabinettsfitzung zusammen, bei welcher der Tert der Demission redigiert wurde, und begaben sich sodann in das Palais Elysee  , um den Präsidenten der Republik Lebrun den Rück­tritt der Regierung mitzuteilen. Der Präsident der Republik berief kurz nachher den Senats­präsidenten Jeannenetz und den neuen Kammerpräsidenten Eduard Herriot   zu den üb­lichen Beratungen. Nach 18 Uhr berief der Präsident der Republik sodann den Sozialistenführer Leon Blum   und betraute ihn mit der Bildung der neuen Regierung. Die Regierung Blum zählt im ganzen 21 Minister und 14 Unterstaatssekretäre, also 38 Mitglieder, davon 5"Senatoren, 26 Deputnrrte und vier Mitglieder außerhalb des Parlaments, davon drei Frauen. Politisch gehören 17 Mitglieder der sozialistischen   Partei, 13 den Radi­kalen und drei der republikanischsozialistischen Einigung an. Daß neue Kabinett Leon Blum  (das 191. der Dritten Republik) ist folgendermaßen zu- sammrngestcllt: Vorsitz: LeonBlum(Sozialistischer De­putierter). Staatsminister: Camille Chan- t e m p s(Radikaler Senator); Paul Faurr (Generalsekretär der sozialistischen   Partei); Maurice Violette(Senator der soziali­stische« Einigung)^ Rationalverteidigung«nd Stellvertreter des Vorsitzenden der Regierung: Eduard Dala­ dier  (Radikaler Deputierter). Flugwesen: P i e r r e C- t(Radikaler De­putierter). Kriegsmarine: Gastier Tuparc (Radikaler Senator). Ivon Delbos Aenßerrs: Ivon Delbos(Radikaler Deputierter). Justiz: Mare Rurard(Radikaler De­putierter). Finanzen: Vincent Auriol  (Soziali­stischer Deputierter). ^Inneres: Roger Salengro  (Soziia- listischer Deputierter). Rationale Erziehung: Jean Zay  (Radi­kaler Deputierter). Volkswirtschaft: Charles Spinasse (Sozialistis/;rr Deputierter). Handel: Paul Bastid  (Radikaler De­putierter). Oeffentliche Arbeiten: Albert Bedouce (Sozialistischer Deputierter). Kolonien: Marius Moutet  (Soziali­stischer Deputierter). Post, Telegraphen und Telephon: Jar- d i l l i e r(Sozialistischer Deputierter). Landwirtschaft: Georges Monnet (Sozialistischer Deputierter). Oeffentliche» Gesundheitswesen: Henry Sellier(Sozialistischer Senator). Di*. BeneS nach Bukarest  abgereist Prag  . Der Präsident der Republik Dr. Benes ist Donnerstag um 22 Uhr 30 Minute« vom Wilson-Bahnhofe mittels Sonderzuges über Einladung des rumänischen Königs Carol II.   zu der Zusammenkunft der Staatsoberhäupter der Kleinen Entente   nach Bukarest   abgereist. Zur Verabschiedung haben sich die Repräsentan­ten der gesetzgebenden Körperschaften, der Regie­rung, des diplomatischen Korps, dec Wehrmacht «nd andere eingefunden. Pensionen: Albert Rivikrr Soziali­stischer Deputierter). Soziale Solidarität: I. B. L e b a s(So­ zialistischer Deputiert  «). Unterstaatssekretäre: Im Ministerpräsidium der sozialistische De­putierte Marx D o r m o y und der radikale De­putierte Francois de Tessan; für Nordafrika  der Deputierte der sozialistischen   Einigung Paul V i e n o t; für die Kriegsmarine der sozialistische Deputierte Francois Blancho; für die Han­delsmarine der sozialistische Deputierte Henri Tais o; für die Verwaltung der Bezirke der ra­dikale Deputierte und Generalsekretär der radi­kalen Partei Raoul Aubaud; für die Land­wirtschaft der radikale Deputierte Andre L i a u- t e Y; für die Gruben der Deputierte der soziali- Strelkwelle steigt! Paris  . Die Angestellten der Hachette- Unternehmungrn, welche das Monopol für die Beförderung der Zeitungen in Frankreich   haben, sind Donnerstag vormittags in den Streik getre­ten, so daß seit den Vormittagsstunden Paris   fast vollständig ohne Zeitungen ist. DerParis Midi" und das Abendblatt  Paris Soir" sind nicht er­schienen. DerJntransigeant" ist zwar erschienen, wird aber nur von den Camelots verkauft, welche sich die Zeitungen in der Administration selbst ab­holten. Die weiteren Abendblätter wieTemps", Journal des Tebats" undInformation" sind zwar erschienen, werden nur den Abonnenten und durch die Post zugestellt. Die Streikbewegung hat sich auf etwa 50 weitere Unternehmen der Metallindustrie ausge­dehnt. Dir Eisenbahner auf den Bahnstationen in Lens und Wingles in Nordfrankreich in einer Ge­samtzahl von etwa 600 Personen haben mit ver­schränkten Armen den Streik prottamiert und ha­ben die Abfahrt aller Züge verhindert. Das Syndikat der Metallarbeiterschast hat abends ein Kommunique veröffentlicht, in dem es heißt, daß die Arbeiter unerschütterlich auf der Forderung der Kollektivverträge beharren. Sie er­klären die Behauptung der Arbeitgeber für un­wahr, daß in den Betrieben die Freiheft der Betriebsdirektoren bedroht sei, und ersuchen die Arbeiter, auch weiterhin Ruhe zu bewahren. Bergarbeiterstreik In Asturien  Madrid  . Da das asturische Grubenarbeiter- Syndikat bei den Schlichtungsverhandlungen mft dem Minister für Handel und Industrie zu keiner Verständigung gelangt ist, begann Donnerstag in sämtlichen Bergwerken Asturiens   der sogenannte friedliche Generalstreft", Die Ursache für den Streik ist in erster Linie die Tatsache, daß eine Reihe von Bergwerks­direktionen mit den Lohnzahlungen bis zu fünf Monaten im Rückstand ist. Die den Arbeitern geschuldeten Beträge belaufen sich auf zwölf Millionen Peseten. In Santander wurde der Chefredakteur eines sozialdemokratischen Blattes erschaffen. Die KaffehauSgäste verfolgten den Täter und er­schaffen ihn. In der Stadt wurde der General­streik proklamiert. stischen Einigung Paul Ramadier  ; für Schöne Künste und Sport der sozialistische Depu­tierte Leo Lagrange  ; für technischen Unter­richt der radikale Deputierte Jules Julien; für Körpererziehung der radikale Deputierte Pierre Dezarnaulds; für wissenschaftliche Forschungen Frau I o l l i o t- C v. r i e; für Kinderfürscrge Frau Suzanne Lacorre und Unterstaatssekretärin Frau B r u n s ch w i g, de­ren Funktion erst später festgesetzt werden wftd. XiM Frau in der französischen   Regierung Die RobekprLiSkrägetin Frau Jöl'iot-Curie würde in die neue Regierung berufen und es wurde ihr das Untersekretariät des Gesundheits­ministeriums übertragen In Barcelona   Verkehren nunmehr die Züge wieder normal. Demgegenüber proklamierten die Straßenkehrer, Friseure und Bäcker, sowie einige andere Fachgruppen den Streik. Völkerbundplenum 29. Juni G e nf. Rach Besprechungen, die in diesen Tagen zwischen dem Generalsekretär des Völker­bundes Avenol, dem argentinischen Vertreter im Völkerbünde und dem Präsidenten der Bölker- bundsversammlung geführt worden sind, wurde, wie verlautet, beschloffen, die Bölkerbrmdsver- sammlung auf den 29. April rinzuberufen. Auch die Tagung des Bölkerbnndsrates, der am 16. Juni zusammentreten sollte, wurde an das Ende des Monates verschoben. Neutrale Zonen Im Kriegsfall? Genf  . Der General des Sanitätsdienstes der französischen   Armee Dr. Saint Paul srach hier über die Humanisierung bewaffneter Konflifte. Er empfahl allerorts die Errichtung sogenannter Genfer Zonen", welche im Kriegsfälle niemals von. irgendeiner militärischen. Aktion, bedroht wären und in welche Mütter, Kinder, Kranke, Greise und Krüppel Zuflucht finden würden. Diese Zonen würden von neutralen Kommiffären kontrolliert werden, welche die beiden kriegführen­den Parteien einvernehmlich ernennen würden. Es wird eine besondere Gesellschaft gegründet werden, welche in der Schweiz   die Schaffung solcher Zonen vorbereiten Wird. Befestigung der Grenzen vom Obersten Verteidigungsrat beschlossen Prag  . Untor dem Vorsitze des Präsident«« der Republik fand Donnerstag auf der Burg eine Tagung des Obersten Rates der Berteidigimg des Staates statt, in der eine Entschließung betreffend die Ausstattung der Arme« und der Befestigung der Grenzen getroffen wurde. Di« Frage des Ausbaues der Befestigungen wurde in allen prinzipiellen Angelegenheiten auch bezüglich dem Fortgang der Arbeiten definitiv entschieden. Außerdem wurden einige prinzipielle wirt­schaftliche Fragen, die mit der Verteidigung des Staate» Zusammenhängen, entschiede». Krise der Totalität Die falsche Rechnung des KB Alles Kraftmeiertum und alle Ableugnungs­versuche der offiziellen SdP-Jouryalistik können nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich die SdP in einer schweren ideologischen und or­ganisatorischen Krise befindet, deren Breitenwirkung nicht überschätzt, deren Tiefen­wirkung aber erkannt sein will. Woher rührt der Krach, der so überraschend an vielen Orten zugleich, förmlich an allen Ecken und Enden der Partei losgebrochen ist? Die Hauptursache der Krise in der totalitären Henleinpartei ist zweifellos die starke soziale Spannung zwischen den Nutz­nießern und den Objekten der papierenenVolks­gemeinschaft". Die Henleinpartei hat seinerzeit die Mafien der nationalsozialistischen Parteimitglieder übernommen, die bis heute die stärksten Kaders und gewiß die aktivsten Kämpfer in der SdP stel­len. Die Nazi von 1933 waren keine Klassen­kämpfer, sie waren auch keine zielklaren Soziali­sten, sie waren zum großen Teil rabiate Spießer. Aber Zehntausende unter ihnen waren doch rebel­lisch gewordene Intellektuelle, waren Arbeiter mit einerantikapitalistischen Sehnsucht", waren naive Menschen, die an die Möglichkeit einer fried­lichen Ueberwindung der Klaffengegensätze durch eine sozialistische Volksgemeinschaft glaubten. Die SdP hat. die Illusionen dieser Menschen genährt, hat mit einer buntschillernden, vieldeutigen Sprache den Eindruck erweckt, sie sei eine im Grunde sozialistische Bewegung, zu der die Unter­nehmer nur sozusagen gnadenweise zugelaficn würden. Das inflationistische, mit bewährten Roß« täüscherkünsten wirkende Arbeitsbeschaffungspro­gramm hat ebenso wie dienationalsozialistischen" Flüsterparolen dazu beigetragen, die Rebellen bei der Fahne zu halten. Die meisten von ihnen wären wahrscheinlich auch noch geblieben und hätten sich eine gute Zeit lang betrügen lassen. Der Anstoß zum Klassenkampf in der Volksgemeinschaft kommtvonderGe- genseite. Die deutschen Unternehmer haben nicht deshalb die SdP aufgepäppelt, damit sie im Dienste einer vorschwommenen Volksge­meinschaft Opfer an wirtschaftlicher Macht und an polittschem Einfluß bringen dürfen. Dieselben Kreise des Bürgertums, die schon Lodgmans Traum von einer radikalnationalen Politik mit der Forderung nach Erfolgen in barer Münze zerstört haben, sprengen auch die Henlein'sche Volksgemeinschaft". Sie fordern nicht nur inner­halb der SdP eine rücksichtslose Anwendung des Führerprinzips zugunsten der besitzenden Schich­ten, sie fordern auch eine Poliftk, die auf die real­politische Verständigung mit dem tschechischen Ka­pitalismus, mit den Preiß, Hod ä c, Kra- mäb, Stoupal hinausläuft. Und ebendiese tschechischen Freunde upd Förderer der Henlein­partei fordern wieder von den Rosche und Wan­nenmacher, den Brand und Frank,. daß sie sich ihrer radikalen Mftläufer entledigen, jener Nazis, die sowohl durch ihre sozialradikale Haltung als auch durch ihren Jrredentismus für tschechisch­kapitalistische Augen den einzigen Schönheitsfeh­ler der SdP darstellen. Dem Ausschluß Kaspers sind Verhandlungen der SdP-Kapitalisten mit den Herren aus dem Zivno-Kreis vorangegangen. Der Klaffenkampf in der Volksgemeinschaft ist von rechts her, von den Kapitalisten eröffnet worden. Auch darin vollzieht sich die innere Entwicklung der SdP parallel zu der Entwicklung der NSDAP  im Reich. Der Unterschied liegt aber darin, daß die NSDAP   noch vor dem vollen Ausreisen der sozialökonomischen Krise die Staatsmacht erschlei­chen konnte und daß sie dann leicht imstande war, jede Rebellion der widerspenstigen Arbeiter und lleinen Leute mft Gewalt zu unterdrücken. Hier liegt der Fehler in der Rechnung des Kamerad­schafts-Bundes. Die Totalitätläßtsich nur verwirklichen, wenn man i n d e n Besitz des stärksten vorhandenen Machtappara­tes, also des staatlichen Apparates gelangt. Das zeigt sich auch in dem Scheitern des totalitären Führerprinzips in der SdP. Zu de sozialen Spannungen trift überall der Kampf de' Cliquen und Klüngel, der Widerstand der älterer Poliftker gegen die jungen Herren vom KB, der Kampf der jungen Akademiker gegen die älteren Routiniers, der Kampf der lokalen gegen die zen­tralen Aemter,-er einzelnen Berufs- und. Stan-