Nr. 138 Samstag, 13. Juni 1933 Seite 3 fudetcndeutscfier Xcitepiegci , Die Steuemovelle (Fortsetzung von Seite 1) ders wenn er nicht aus bösem Willen gefehlt hat. Daher wird bei Steuerverfehlungen zwischen culpa und dolus unterschieden, d. h. zwischen einem bloßen Vergessen und der direkten Absicht den Staat zu schädigen. Dieser Unterschied kommt auch in den Strafsätzen zum Ausdruck. Im Falle des dolus(böse Absicht) wird die Höchstgrenze der Steuerstrafe von dem Zehnfachen auf das Sechsfache bzw. von dem Zwanzigfachen auf das Zehnfache herabgesetzt. Wo es sich nur um ein Vergessen oder um eine geringere Unachtsamkeit handelt, wird die fünffache Steuerstrafe auf die dreifache herabgesetzt. In Bagatellsachen und dort, wo die Verkürzung der Steuer höchstens 1000 Xc beträgt, genügt es, wenn der betreffende Steuer­träger die verkürzte Steuer nachzahlt. Die Erkenntnis-Senate werden künftig aus zwei Berufsrichtern und einem Steuerbeamten zu­sammengesetzt sein, der Laienrichter entfällt. All­gemein wurden die Fristen im Steuerstrafverfah- rcn bestimmter gefaßt und auch die Bestimmun­gen über die Zustellung neu geregelt. Anstelle der Verzugszinsen werden gleiche Zinssätze sowohl für Ueberzahlüngcn als auch für Rückstände eingeführt. Der Berichterstatter schloß mit der Feststel­lung, daß die Steuerstruktur des Gesetzes erhalten bleibt. Nach der materiellen Seite hin war das Bestreben maßgebend, im Interesse der Staats­kaffe dort zuzugreifen, wo man eine größere Be­lastung noch durchführen kann, ohne eine Herab­setzung der Lebenshaltung der betroffenen Schich­ten befürchten zu müssen. Das Steuersubkomitee hat sich bemüht, einen Mittelweg zu findens da­mit der Steuerträger vor unberechtigten Schika­nierungen seitens der zuständigen Aemter be­schützt werde, damit andrerseits aber die Finanz­behörden alle Mittel gegen jene zur Hand haben, die zum Schaden des Staates und der übrigen Bevölkerung die Steuer verkürzen und ihre Pflich­ten nicht erfüllen. * Hierauf wurde die Generaldebatte eröffnet, in der u. a. Dr. Peters(SdP) sich gegen die geplante Erfaffung der Einkommensbezüge über 260.000 Kd durch eine Ertragssteuer einsetzte. Das erste Interesse der SdP in Sachen der Steuernovelle gilt also bezeichnenderweise den Industriekapitänen und Bankdirektoren mit einem Einkommen von mehr als einer Viertelmillion jährlich! Die Debatte wurde mittags abgebrochen und auf Montag Nachmittag vertagt. Ministerrat Prag.  (Tsch. P.-B.) In der am Freitag, den 12. Juni, nachmittags stattgefundenen Sitzung des Ministerrates erstattete der Minister des Aeußern Bericht über Bukarest   und Wer die gesamt« inter­nationale Lage. Der Bericht wurde zur Kenntnis genommen und di« Grundsätze des weiteren Vor­gehens in den aktuellen außenpolitischen Fragen festgelegt. Auf dem Gebiete der Berordnungsgewalt der Regierung wurden folgend« Entwürfe genehmigt: Die Verordnung Wer die Staatsverteidigungstvache, durch welche ein organischer Rahmen für die Bil­dung eines einheitlichen Ganzen aus den einzelnen Komponenten auf dem Gebiete der Gendarmerie, der Polizei- und Finanzwache ustv. zur Unterstützung der Wehrmacht   für dringende Bedarfsfälle der Staatsverteidigung geschaffen wird; die Verordnung über die Verarbeitung einiger inländischer Oelsamen bei der Erzeugung von Kunstspeisefetten im Jahr». 1836; die Verordnung Wer Erleichterungen sür Motorfahrzeuge und die Verordnung Wer die Aen- derung einiger Bestimmungen des Gesetzes Nr. 71/1822 S. d. G. u. V. Wer das Auswanderungs­wesen. Das schwedische Verteidigungsgesetz Stockholm  . Der Reichstag   hat nach zwei­tägiger Aussprache die Neuordnung der Landes­verteidigung mit knapper Mehrheit verabschiedet. Die neue Verteidigungsordnung gilt zunächst als ein Zehnjahrespkan mit einer dreijähri­gen Uebergangszeit. Für diese ersten drei Jahre ist eine Sonderausgabe von etwa 50 Millionen Kronen für Neubeschaffung von Material und Ausrüstungen für die Armee vorgesehen. Für die Erneuerung der Flotte sind rund 52.9 Millionen Kronen zusätzlich vorangeschlagen worden. Mit dem Bau von zwei Torpedobootzerstörern und zwei U-Booten sowie mit der Modernisierung einiger Küstenpanzerschiffe soll im nächsten Haus- I>altsjahr begonnen werden. Die Luftwaffe soll verhältnismäßig am weitestgehenden ausgerüstet, in sieben Geschwader eingeteilt werden und ins­gesamt 257 Kriegsflugzeuge erhalten. Da die Mehrheit des Reichstages die Regierungsvorlage zu Fall brachte und den Vorschlag eines Sonder- ausschuffes annahm, bleibt abzuwarten,-welche Folgerungen das KabinettHansson dar­aus zu ziehen beabsichtigt. Malaga  . Durch einen amtlichen Befehl wurden sämtliche Kanzleien der Nationalen Arbeits-Kon­föderation der anarchistisch-gewerkschaftlichen Rich­tung geschloffen und auch viele ihrer Delegierten verhaftet. Rationalisierungswahnsinn führt zum Streik 1200 Tex ilarbelter der Mauthner A.-G. Grünwald, streiken Im Betrieb der Firma Mauthner, die der ja sicher noch nicht verarmten Interessensphäre der Zivno-Bank nahesteht, ist ein Lohnkampf der Ar­beiterschaft äusgebrochen. Seit Wochen wurde in einzelnen Abteilung«« des Betriebes versucht, un­geheure Leistungssteigerungen von her Arbeiter­schaft in Verbindung mit Herabsetzung des ohne­dies niedrigen Verdienstes zu erzwingen. Alle Interventionen und Vorsprachen des Betriebs­ausschusses, welcher die Wünsche der zerquälten Arbeiterschaft vortrug, blieben unberücksichtigt. Trotzdem d« Arbeiter schon bisher im Akkord- shstem nur bei Einsatz ihrer ganzen physischen Leistungsfähigkeit bei 48stündiger Arbeitszeit kaum auf einen Lohn von 123 bis 130 KL wöchentlich kamen, verlangt man jetzt von ihnen als Rormalleistüng eine Mehrleistung bis zu 40 Prozent und kürzt ihnen ihre Lohneinkommrn um zehn und mehr Prozent. Das rücksichtslose Vorgehen der Zentrallei­tung der Firma löste unter der Arbeiterschaft un­geheure Empörung aus. Die Vertragsgewerk­schaften: Union der Textilarbeiter und Brüyner Textilarbeiterverband, versuchten bei Verhand­lungen, die in Anwesenheit von Vertretern der Bezirksbehürde Gablonz   und der Gewerbe­behörde Reichenberg stattfanden, die Firma dazu zu bewegen, die ungerechtfertigten Rationalisie­rungsmaßnahmen zurückzunehmen und die Ar­beiterschaft unter den bisherigen Lohn- und Arbeitsbedingungen arbeiten zu laffen. Diese be­rechtigten Wünsche der Arbeiterschaft wurden ab­gelehnt. Darauf wurde am 11. Juni 1936 in geheim durchgeführter Abstimmung mit mehr als 85 Prozent der Belegschaft beschlossen, in den Streik zu treten. Die Streikleitung hat nach ihrer ersten Sitzung folgende erste Erklärung ver­öffentlicht: Trotz des guten Willens der Arbeiterschaft, eine friedliche Beilegung des Konfliktes bei den im Rathaus in Gablonz   unter Führung der Ge­werkschaften statt gefundenen Verhandlungen her­beizuführen, verliefen dies« infolge der Haltung der Firma ergebnislos. Dadurch hat die Firma die Arbeiterschaft gezwungen, den Kampf aufzu­nehmen, den sie bereit ist, bis zur Durchsetzung ihrer sicher berechtigten Forderungen durchzu­kämpfen." L)er kämpfenden..Texsilarbeiterschaft. des Betriebes Mauthner in Grünwald   gehören sicher all« Sympathien jedes vernünftig denkenden Menschen! Wir werden über den weiteren Verlauf des Streikes in Grünwald   jeweils berichten. Wichtig« Angelegenheiten der Handelsangestellten bildeten den Beratungsgegenstand der am 7. Juni in Reichenberg abgehaltenen gemeinsamen Konferenz der Leitung derFachsektionHan- delundBerkebr im Allgemein enAn- ge st eilten- Verband und des Vorstandes der Vereinigung der Gehilfe nver- treterinHandel, Spedition un- Ex­port, Sitz Reichenberg. U. a. wurde berichtet über die durchgeführten und laufenden Aktionen betreffs der vollständigen Sonntagsruhe im Handelsgewerbe in jenen Gebieten, in denen sie noch nicht besteht, weiter über die Sonntagsruhe in der Weihnachtszeit, über eine einheit­liche Regelung der Ladensperre an Feier­tagen, über die Mittags- und Abendsperre an Wochentagen im allgemeinen sowie in einzelnen Gebieten. Weiter wurden eine Reihe von Berich­ten aus einzelnen Gehilfenausschüffen besprochen. Aussührlich Stellung genommen wurde zu Ange­legenheiten der Einheitspreisgeschäfte, Fabrikfilia­len, Syndizierungspläne usw. und die Auswirkun­gen der verschiedenen Maßnahmen und Forderun­gen auf die soziale, wirtschaftliche und rechtliche Lage der Angestellten gründlich beraten. Gegen die Absichten, Lehrlingsprüfungen im Handel ein­zuführen, wurde aus maßgebenden Gründen wie­derum Verwahrung eingelegt. Eine Reihe von sonstigen Berichten, Gutachten zu Gesetzentwürfen, einschlägigen gerichts- und verwaltungsbehörd­lichen Entscheidungen und besonderen Berufs- und Fachfragen der Handelsangestellten und Gehilfen- ausschüffe wurden weiter behandelt. Uebcx die verschiedenen Gegenstände der Tagesordnung ent­wickelte sich eine rege Aussprache, an der sich neben dem Berichterstatter Löwit-Reichenberg, Kirchhof- Reichenberg, Schönfelder-Prag  , Mildner-Teplitz- Sckiönau, Hübner-Reichenberg, Marie Proksch- Brüx  , Rahm-Bodenbach, Kolisch-Gablonz  , Schi- mana-Saaz, Meier-Bvhm.-Leipä, Kauders-Eger und Plohs-Teplitz-Schönau beteiligten. Den durchgeführten bzw. in Angriff genommenen und für. die nächste Zeit vorgeschlagenen Veranlassun- gen der beiden Körperschaften wurde einmütig zu­gestimmt. Die Ergebnisse der Beratungen und verschiedenen Anregungen wurden iss entsprechen­den Beschlüssen niedergelegt. Massenprotest aus Saaz  E i n i g ehundertSdP-Mitglie- der aus Saaz   haben an Konrad Henlein   ein Schreiben gerichtet, in dem sie schärfstens prote­stieren gegen die Disziplinierung Friedrich Brehms und die sofortige Rückberufung Kaspers in die Hauptleitung verlangen. Sie fordern weiter die sofortige Zurück- nahme aller Ausschlüsse und Disziplinierungen und die Wieder­einsetzung in ihre früheren Aemter und- die sofortige- Abberufung des Dr. WalterBrand als des Hauptschuldigen an den letzten Ereignissen und dessen Ausschluß aus der Partei. Auf das nachdrücklichste legen sie Verwahrung ein gegen die Betrauung des Abg. Rudolf S a n d n e r mit der'Säube­rungsaktion". Reichsdeutsches Flugzeug bei Komotau   gelandet Freitag mittags landete oberhalb der. alten Schießstätte bei Trauschkowitz ein reichsdeutsches Flugzeug. Es handelt sich um ein Militärflug­zeug, das angeblich auf einem Flug von Erfurt  nach Dresden   die Richtung verfehlt hat. Die Gendarmerie hält den Doppeldecker momentan unter Bewachung. Der Pilot, Reichswehrgefrditer Franz Arno H o f m e i st e r von der 4. Flieger­gruppe in Erfurt   wurde vorläufig in Haft ge­nommen. Die notwendigen Erhebungen werden durchgeführt und erst dann wird über das Schick­sal des Flugzeuges und seines Besatzungsman- nes entschieden werden. Herrrmziehrnde Schauspielertruppcn... Das Auffiger Tagblatt" hat eine für die Partei Kon­rad Henleins nicht erfreuliche Entdeckung gemacht, die sogar zum Gegenstand einer Interpellation der SdP-Abgeordneten Künzel und P e s ch k a wurde. Nach der Mitteilung des Auffiger Henlein- blattes stützen sich zahlreiche Verbote und Ein­schränkungen, denen Veranstaltungen der Sude­tendeutschen Partei ausgesetzt-sind,, auf einen Er­laß des Kaisers Ferdinand des Gütrgen, den der Kaiser gegen ,,h e r u in z i x h e n d e S ch ä u- spielertrüppen. Seiltan z e r, g-y in- n a st i s ch e K ü n st l e r, herumzie'hende Musik­banden oder Eigentümer sonstiger Schaugcgcn- stände erlassen hat. Ob dasAuffiger Tagblatt" seinem Schützling mit dieser Feststellung einen Dienst crlviescn hat, muß man dem Urteil des Teiles der Oefsentlichkeit überlassen, der die Wahlvorgänge des Mai 1935 noch nicht ver­gessen hat. Der Mord an Rosenzwkig vor Gericht. Der Mörder unseres Genossen Rosenzwcig ist bekannt­lich von Deutschland   noch immer nicht ausgelie­fert worden. Dagegen fand jetzt gegen drei Per­sonen, den Anton S t e f f e k, den Adolf Zim­ mermann   und dessen Gattin A l o i s i e wegen Verheimlichung von Umständen und Drohungen gegen Rosenzweig die Verhandlung vor einem Troppauer Strafsenat statt. Die drei Angeklag­ten wurden zu je vier Monaten schweren Kerkers unbedingt verurteilt. Die Strafe erscheint durch die Haft verbüßt. Kultur und Ardeit im Jsergrbirge". Die Aus­stellung in G a b l o n z a. N. vom 12. bis 26. Juli wird zeigen, welch gewaltige Umstellung zur Erzeu­gung von erstklassiger, künstlerisch hochwertiger War«, bedingt durch die Konkurrenz in marktgängi­ger Maffenware, erfolgt ist. Im Wetteifer mit der tragenden Kunstindustrie werden auch alle anderen Schaflensgebiete Spitzenleistungen bringen, darunter auch Ausfuhrinduftrien, wie künstlerische Spiel­waren, die erst in neuerer Zeit ausgebildet wurden. Im ganzen bleibt kein Schaflensgebiet unberück­sichtigt. Eine Reihe besonderer Abteilungen, wie geistige Kultur, Erfinderschutzverband u. a. sollen das Bild abrunden. Sechs große städtische Schul­gebäude sind von der Ausstellung vollkommen besetzt. Dis Prager Deutsche   Arbeitersendung bringt in dieser Woche: Sonntag, 14: Juni, 14.30 14.45: Lehre und Uebung im bürgerlichen Unterricht(Jo­ hann Storch  ); M i t t w o ch, 17. Juni, 13.40 13.50 Ar­beitsmarkt; 18.20 18.40: Gedanke» Wer die Selbstverwaltung(Franz Schön- Saaz); 18.40 18 45: Soziale Information: Erworbene Rechte der Angestellten der Krankenverficherungsan- stalten(Dr. Otto Hahn- Reichenberg); Freitag,' 19. Juni, 18.35 18.45: Aktuelle zehn Minuten; S o n n t a g, 21. Juni, 14.30 14.45: Zur Frage der Toppelverdiener(Dr. Max Adler- Pilsen  ).' an die Zuständigkeit der eigenen Moral, an die eigene Objektivität und Unbestechlichkeit, an di« eigene Fähigkeit, den Dingen auf den Grund zu sehen, die Phrase zu durchschauen und den wahren Wert zu erkennen. Ohne solche Eitelkeit, ohne solches Selbstvertrauen, mag es auch ost zu Fehl­urtellen, Fehlschlüffen und ungerechten Worten führen, ist ein Leben und Schaffen wie das Karl Kraus  ' nicht vorstellbar. Man erwäge nur ein­mal: ein Mann, der seit Jahren Anspruch darauf evheben kann, der bedeutendste Essayist in deut­scher Sprache, einer der größten Sprachschüpier und Stilisten der deutschen Literatur, ein Sati­riker von säkularem Format und ein Lyriker von Rang zu sein, dabei als Künstler auch am Vor­tragspult einzigartig, wird von der Presse, von dem größten Teil der zünftigen Literaturwissen­schaft, von den Zeitschriften und Universlläten totgeschwiegen! Man nennt ihn nicht, kennt ihn nicht, kommt ihm jahrelang nicht einmal auf den Namen. Ohne den fanatischen Glauben an seine Berufung kann solch ein Mensch nicht schaffen, und der Satiriker ist, auch wenn er nicht von der Mauer, des Totschweigens umgeben ist, zu sehr Prophet und Richter, um Kompromisse schließen zu können. Im Welürieg sieht Karl Kraus   die furcht­barste Bestätigung seines Pessimismus. Der Krieg wird ihm zum Gottesgericht über die ge­schändete Erde. Aus solchem Glauben entsteht seine TragödieDie letzten Tage der M e n'sch h e i t". Aber die Menschen überleben den Krieg und nachher ist alles wieder, wie es vordem war, ja es ist, wie Kraus meint, um vieles schlechter geworden. Die Technik rast wei­ter, die Gewissen sind stumpfer, die Phantasie ist vollends tot, das Geschäft regiert und der Geist verkauft sich am Hellen Tage schamlos an den Kaufmann. Kraus, der vor dem Kriege aus sei­ner konservativen.Gesinnung nie ein Hehl ge-. stünde dem jungen, begabten und vrm Geist der Sprache besessenen, mit dem Geist der Sprache rin­genden Adepten der Literatur offen. Aber Wie; läßt ihn nicht los. 1899 gründet erDie Fackel  ". Die Zeitschrift mit dem roten Um­schlag nimmt den Kampf gegen den Moloch der Wiener   liberalen Presse, gegen die Welt des Ge- schästs, des Inserats, der täglichen und stünd­lichen Prostitution des Geistes auf. Die Mit­arbeiter sind in den ersten Jahren eine bunt ge­würfelte Auslese aus verschiedenen Lagern. Neben Wilhelm Liebknecht   begegnet man Houston Ste­ wart Chamberlain  ; neben Peter Altenberg   und Frank Wedekind   Maximilian Harden  . Aus der Lokalsatire und dem Kampf gegen dieNeue Freie Presse" wächst langsam die große, die Nebel der Zeit als Ganzes umfassende Satire. Zwar bleiben die kleinen Anlässe, die nichtige Stofflichkeit und die nichtswürdigen Per­sonen des polemischen Jagdgcfildes, aber aus dem kleinen Anlaß wächst die große Anklage. Das Bild der Welt, die dem Goetheschen Zauberlehr­ling gleich die eigenen Mittel nicht mehr zu bän­digen weiß und an der Technik scheitert, die sie erzeugt, verdichtet sich seit 1908 zur apokalyp­tischen Bisirn des Weltunterganges und Oester­ reich   ist seineProbestation". Das letzte Viertel­jahrhundert des Kaiserstaates und der Kaiser- stadt, dieses langsame Vergreisen, Verfaulen, Verschlainpen einer Gesellschaft, eines Reiches, einer Kultur, erscheinen Kraus als das letzte Grauen einer irrsinnigen Welt und doch bleibt er, der freizügig und materiell unabhängig ist, in Kerl Kraus   gestorben In seiner Wiener   Wohnung ist Freitag, den 12. Juni, um vier Uhr morgens, der Dich ­ter und Schriftsteller Karl Kraus   einer Herz ­embolie erlegen. Karl Kraus  , der am 28. April sein 62. Lebensjahr vollendet hatte, litt seit längerer Zeit an trombösen Erscheinungen, in deren Gefolge jüngst auch Lähmungen auf ­getreten wäre». Karl Kraus   wurde 1874 in Jicin   in Böh ­men geboren. Seit seiner frühen Kindheit aber lebte er in   Wien und   Wien im weitesten Sinne des Begriffes ist ihm zum Schicksal gewörden. Er hat diese Stadt gehaßt wie wenige sonst es ver ­mochten, und doch konnte er sich von ihr nicht trennen, weil er sie in allem Haß mit Leidenschaft liebte. Die Wiener   Landschaft und die uner ­gründliche Aura der Altwiener Kultur, das Wie ­ner Theater der achtziger Jahre, die Wiener Li ­teratur und Publizistik vor dem Ausbruch der li ­terarischen Revolution der neunziger Jahre sind Karl   Kraus' starke und unvergängliche Kindheits ­und Jugendeindrücke gewesen. Sommertheater in Weidlinga^, wo erOffenbachs Zaubergeige" zu ­erst mit empfänglichem Ohr hört, das Burg ­theater und seine Shakespeare-Aufführungen, die Feuillctonistik Speidels und Spitzers, die Tradi ­tion, die sich an die Namen Nestroy, Raimund  , Kürnberger  , Grillparzer knüpfte, das Erlebnis* der Sprache, das ihm zuerst das Lateinische brimst.'........... von dem er   zum Deutschen findet, beherrschen den! dieser Hölle, wendet er an sie die satirische Arbeit geistigen Werdegang des jungen   Karl Kraus. Der; seiner Nächte, während er den Tag, vor dem ihm literarische Sturm der neunziger Jahre weckt auch| graut, verschläft  .Die Fackel" schreibt er nun ihn aus der Träumerei idyllischer Zeiten. In i allein. Nur Tote kommen neben ihm zu   Wort. Berlin erlebt er die erste Aufführung von Haupt- Immer stärker tritt das hervor, was man mit  mannsWebern". Die große Welt, von der sich einem schiefen Wort seineEitelkeit" genanut hat. Oesterreich   und Wien mehr und mehr absondern. Diese sogenannteEitelkeit" ist der starke Gkmüe