* Donnerstag, 18. Juni 1936 Nr. 142 16. Jahrgang Einzelpreis 70 Heller (•iMchliaBlich S Hailer Forte) IE NTRALORGAN DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH. Redaktion und Verwaltung frag xii., fochova«r. Telefon 53077. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB . VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, FRAG. Genf soll entscheiden...' Präsident Dr. Benes in Znaim : Unhaltbares Lohnniveau London. (Reuter.) Den Gegenstand der Beratungen des üblichen wöchentlichen KabinrttS- rates bildeten die Richtlinien für das Vorgehen der britischen Abordnung in Genf . Das britische Kabinett hat im Prinzip beschlossen, die Sanktionen nicht fortzusetzcn, wenn dieses Aufgebrn der Sanktionen für Genf annehmbar sein wird. Mit dieser Stellungnahme wird die! Regierung vor das Unterhaus treten. Die Dominien Australien , Neuseeland und Kanada haben Eden mitgeteilt, daß sic gegen eine i Aufhebung der SLHnemaßnahmen und gegen dir Revision der Strafklauseln in den Satzungen! durch de» Völkerbund keine Einwände erheben! würden. Die südafrikanische Regierung hat sich! dagegen eindeutig für die weitere Aufrechterhaltung der Sanktionen ausgesprochen. * London . Der Kaiser von Abessinien wird während der Tagung der Völkerbundsversamm- lung in Genf anwesend sein, an den Sitzungen jedoch nicht teilnehmen. e Rom.(Stefans.) Gut informierte Kreise bemerken, daß einige römische Korrespondenten ausländischer Blätter ihren Blättern eine falsche Darlegung des Standpunktes der italienische« Regierung ungefähr in dem Sinne Lbermittett haben, daß„Italien in Genf neu« Forderungen stellen werde". In Wirklichkeit hat aber Italien stets verlangt, daß der Völkerbund anerkenne, daß ihm Italien gegenüber ein RechtSirrtum unterlaufen sei. Die Aufhebung der Sanktionen-werde die italienische Regierung als hinreichende« Beweis dafür ansehen, daß dieser„Rechtsirrtum" eingrsrhen wurde. Himmler— Chef der Polizei Dem Innenminister Frick unterstellt[ Berlin . Das DNB. meldet: Der Reichskanzler hat zur einheitlichen Zusammenfaffung der polizeilichen Aufgaben im Reiche den stellvertretenden Chef der Geheimen Staatspolizei Preußens, Heinrich Himmler » zum Chef der deut schen Polizei im Reichsministerium des Innern ernannt, dem zugleich auch die Leitung und Bearbeitung aller Polizeiangrlegenheiten im Geschäftsbereich des Reichs- und preußischen Ministeriums des Innern übertragen wird. Himmler ist dem Reichs- und preußischen Minister des Innern persönlich und unmittelbar unterstellt. Kleine kntente-Generale del König Carol Bukarest. Wie der„Universul" mitteilt, hat im königlichen Schloß in Bukarest unter dem Vorsitz des Königs Carol eine zweistündige Konferenz stattgefunden, au welcher Ministerpräsident Tataresku und Außenminister Titulescu, der tschechoslowakische- Generalstabschef Genera! Krejki, der jugoslawische Generalsiabschef General JliL und der rumänische Generalstabschef General Samsonoviki teilnahmen. In allen Fragen, welche die drei Länder der Kleinen Entente vom militärischen Gesichtspunkt interessieren, wurde, so fügt das Matt hinzu, völlige Ueberein- stimmung festgestellt. Der toll gewordene Schweizer Spießer Jouhaux darf in Genf nicht sprechen Bern . Das eidgenössische Justiz- und Poli- zeidcpartement hat auf Antrag der Bundesanwaltschaft verfügt, daß die Teilnahme von Leon Jouhaux und anderer französischer Gewerkschaftler als Redner an einer von der Gewerkschaftsunion des Kantons Genf einberusenen Kundgebung über die Streikbewegung in Frankreich nicht gestattet werden könne. Die Verfügung ist, wie amtlich mitgeteilt wjrd, aus Gründen der Sicherheit und Neutralität des Landes getroffen wor- I den. Die Arbeitergruppe der Internationalen Ar- j beitskonferenz hat in der Mittwoch-Sitzung eine' Erklärung abgegeben, in welcher sie gegen dieses Sprechverbot protestiert. Die unter dieses Verbot fallenden Redner wollen in der nächsten Woche eine Manifestation in einer benachbarten franzö sischen Ortschaft organisieren., Baldige definitive Verständigung zwischen Tschechen und Deutschen Brünn . Der fünfte Tag der Reise des Präsiedenten Dr. Benes durch Mähren war dem südwestlichen Gebiete Mährens gewidmet. Ueber- all längs des Weges standen Ehrenwachen der tschechischen und deutschen Vereine, Feuerwehren, Turner usw., die Ortsschaften waren mit Fahnen und Reisig geschmückt. In.? na im wurde der Präsident vom Bürgermeister Skursky tschechisch und vom.ersten Stellvertreter Dr. Haase deutsch begrüßt, der an den Präsidenten appellierte, dem deutschen Volke zu glauben, daß es dem Staate treu bleiben werde. In seiner Erwiderung sagte der Präsident u. a., er glaube, daß wir jetzt wieder besseren Zeiten entgegengehen. Die inncrpolitische Situation bessere sich und in internationaler Beziehung sei unser Staat bestrebt, den Frieden zu erhalten und zu festigen und die gesamte Bevölkerung, die Tschechen und die Deutschen , vor dem Verfall zu bewahren. In deutscher Sprache fuhr der Präsident sodann fort: „Daß ich von den deutschen Mitbürgern ebenso herzlich begrüßt wurde, wie von den tschechischen, erfüllt mich wahrlich mit aufrichtiger Genugtuung und Freude. Ich brauche nicht be-, sonders hervorzuheben, daß ich zum lovalen Verhalten der deutschen Bevölkerung in ihrer Gesamtheit volles Vertrauen habe. Ich ertrage in der Politik keineZweideu- t i g k e i t e n, Unklarheit und Ungewißheit, keine taktischen Spielereien, welche alles, was man will, bedeuten. Auch das Mißtrauen liebe ich nicht. Das Mißtrauen bedeutet sehr oft Furcht und Schwäche. In den Angelegenheiten unseres Staates habe ich aber keine Furcht und will ich nicht schwach sein. Meine Beziehung zu den Deutschen dieses Staates ist eine menschliche: Sie sind meine Mitbürger, meine Mitarbeiter, die Mitlridenden in der Not und die Sich-Mitfreuenden im. Glück. Ich habe Vertrauen zu den Deutsch e n u n d T.s ch e ch e n. Ich glaube an meine eigene Arbeit und ich bin überzeugt, daß die Tschechen und die Deutschen zur definitiven politis ch c n Verständigung im Staate ziemlich bald kommen werden. Ich arbeite stets hiefür und bin des Erfolges sicher. In gewiffem Maße ist von dem täglichen Zusammenlegen beider Rationen manchmal mehr zu erwarten als von der abstrakten Politik. Wir bräuchm weniger politische Ideologie und nrehr positive Arbeit. Die Politik erfordert aber immer Zeit und Geduld. Deshalb ist die Verwirklichung der politischen Bedürfnisse so langsam und so schwierig. Haben wir den Mut, uns gegenseitig zu sagen, daß beiderseits manches verbessert werden kann und verbessert werden muß. Ich bin dafür, daß die Deutschen in unserer Republik alles erhalten, was sie zu ihrem kulturellen und wirtschaftlichen Gedeihen brauchen und bin überzeugt, daß ihnen dies durch a l l- m ä Jj.l t e u n d. sic t-e.E.v o l u t i o y und bei Aufrechterhaltung des demokratischen politischen Systems gewährleistet werden kann. Unser Staat ist demokratisch und wird demokratisch bleiben. Das ist auch eine von den größten Garantien für die Deutschen in unserem gemeinsamen Staate." Auf der weiteren Reise ging die Fahrt zur Frainer Talsperre, wo er auf dem neu entstandenen See mit seiner Gemahlin und seiner Begleitung eine einstündige Fahrt in einem Motorboot unternahm. Syrien und Libanon ' werden selbständig Paris . Im„Echo de Paris" beschäftigt sich Pertinax ebenso wie die diplomatische Redakteurin des„Oeuvre" Tabouis mit der Konferenz, die eben amQuai d'Orsay zusammengetreten ist. Nach den Informationen Pertinax' wurde über verfas- sungsmäßige Einrichtungen für Syrien und den Libanon beraten, welche zu unabhängigen mit Frankreich durch einen Bündnisvertrag verbündeten Republiken erklärt werden sollen. Die beiden Republiken sollen die Bezeichnung„Levante Staaten" erhalten. Die entsprechenden Verträge habe die ftanzösische Regierung mit den Vertretern der syrischen Nationalisten und den Vertretern des Libanon vereinbart. In den nächsten Tagen werde dieser Beschluß dem Ministerrate vorgelegt werden. Syrien und Liba non werden also aus dem französischen Mandat ausscheiden, ähnlich wie Irak im Jahre 1932 aus dem britischen . Bereits im September d. I. werden die beiden neuen unabhängigen Staaten in den Völkerbund eintreten können. Französische Militärabteilungen werden in den beiden neuen unabhängigen Staaten als bundesgenössische Hilfe für den eventuellen Schutz der Grenzen der beiden Staaten verbleiben, aber sie werden nur in einigen Bezirken, ähnlich wie dies im Irak ist, stationiert werden. Heue Bestialitäten in Danzig Ueberfälle der Nazi auf Sozialdemokraten und Deutschnationale Mordhetze des Nazl-Gaulelters Eine neue Terror welle ist über Danzig hereingebrochen. In demselben Maße, in dem das Vertrauen der Danziger Bevölkerung zum nationalsozialistischen Regime schwindet und der Forderung nach Neuwahl des Bolkstages ein immer stärkeres Echo verschafft, wächst das Be; streben der Nazis, sich durch wüstesten Terror an der Macht zu halten. Ganz offensichtlich trägt zur Haltung der Nationalsozialisten auch die Schwäche des Völkerbundes bei, die sich eben jetzt groffenbart hat. » Zunächst haben die Nazis die sozialdemokra- tifMe„Bolksstimmr" wiederum auf zwei Monate eingestellt. Daraufhin haben die Sozialdemokraten Flugblätter verteilen lassen, in denen gegen das Verbot ihrer Zeitung protestiert wnrd. Die Flugzettelvertriler wurden von Nationalsozialisten überfallen und schwer mißhandelt. Der sozialdemokratische Abgeordnete Moritz wurde dabei so schwer verwundet, daß er ins Krankenhaus geschafft werden mußte. Sozialdemokratische Versammlungen werden jetzt planmäßig gestört, die Besucher von SA-Leuten ver prügelt. Auch die Deutschnationalen, die ebenfalls die Neuwahl des Bolkstages verlangen, werden terrorisiert, ihre Versammlungen werden gesprengt. Zwei deutschnationale Bürgerschaftsabgeordnete namens Gamm und Steinbruch wurden schwer verwnndet.— In einem Aufruf an die Nationalsozialisten und insbesondere an die Mitglieder der nationalsozialistischenFormationen teilt der Gauleiter F o r st e r, ein Liebling Hit lers , imStilc des bekmrntenPotemba-Telegramms seines blutigen Chefs mit, daß ihm das Leben seiner eigenen Parteigeilossen wichtiger sei als das vaterlandsloser, volksverräterischer und zerstörender Pgrteihetzer. Diese klare Aufforderung zu Mord»nd Terror ist nicht vergeblich geblieben. Die Henleinleute, die so gern von der Kulturverbundenheit aller Deutschen reden, hätten Gelegenheit, z« sagen, ob sie es mit dem Mörderhäuptling Forster oder mit der Danziger Opposition halten. Wir wissen, wie sie zu Hitler stehen: also ist uns auch bekannt» daß sie Forster bevorzugen. Sollte das Gegenteil der Fall sein, wird es die„Zeit" wohl sagen. Alle statistischen Ziffern, die in der letzten Zeit veröffentlicht werden, ob sie nun die Produktion oder den Außenhandel betreffen, zeigen eine leichte Belebung der Wirtschaft, was wohl noch nicht im Abnehmen der Arbeitslosenarmee genug deutlich, aber.in der Ausdehnung der industriellen Produktion zum Ausdruck kommt. In dem Maße, indem mehr Güter erzeugt werden, st eigen auch diellnternehmer- gewinne. Der Tiefpunkt der Gewinne der Unternehmer war im Jahre 1933 erreicht. Nach einem Bericht der Nationalbank haben in dem Jahre 340 Gesellschaften Dividende von 273,278.916 Kronen ausgezahlt, 1934 aber 325 Gesellschaften 323,905.779 XL. 15 Gesellschaften weniger haben also ungefähr 50 Millionen Dividende mehr ausgezahlt und es besteht kein Zweifel, daß diese günstige Entwicklung sich im Jahre 1935 fortgesetzt hat. Ein Beweis dafür ist die S t e i- gerung der Kurswerte der Industrieaktien an der Prager Börse. Das Kurskapital aller nominierten Jndustriepapiere betrug am 30. Dezember 1934 4415.4 Millionen XL, am 30. Dezember 1935 jedoch 5853.5 Millionen XL. Das Kurskapital ist also in einem Jahre um 1438.1 Millionen Kronen, das ist um fast 1.5 Milliarden XL gestiegen. Der-Kurs der.Jndü-, strieaktien ist selbstverständlich deswegen heraufgegangen, weil die Erträge der Unternehmungen gewachsen siird. Was in zweiter Linie interessiert, ist, daß auch die Preise im letzten Jahre ein Ansteigen erfahren haben. Der Index der Lebenshaltung einer Arbeiterfamilie, wie er vom Statistischen Staatsamt berechnet wird, betrug im April 1934 684, im April 1935 aber 707, er ist also um 23 Punkte gestiegen. Fast in demselben Maß ist in demselben Zeitraum der Index einer Beamtenfamilie gestiegen, nämlich von 664 auf 685, das sind um 21 Punkte. Wir stehen also der Tatsache gebenüber, daß die Gewinne der Kapitals st en und die Preise steigen. Wie schaut es nun mit den Löhnen aus? Seit dem Jahre 1929 sind die Löhne Jahr für Jahr heruntergegangen, so daß die Lebenshaltung der Arbeiter einen seit Jahrzehnten nie gekannten Tiefpunkt erreicht hat. Im Jahre 1930 waren 39.17 Prozent aller Versicherten in den drei niedrigsten Versicherungsklassen(bis zu 14 XL täglich), im Jahre 1935 dagegen 53.35 Prozent. Minister NeLas hat seinerzeit in seinem Expose Löhne angeführt, die geradezu unfaßbar sind. Früher erhiellen z. B. Glasarbeiter bei der Herstellung von Gablonzer Waren einen Stundenlohn von 5 bis 7 XL, heute 1.50 XL. Ein Heimarbeiter verdient in der Glasbranche bei vierzehnstündiger Arbeitszeit wöchentlich 30 bis höchstens 40 XL. Junge Arbeiterinnen erhalten in der Glasschleiferei 50 bis 70 Heller pro Stunde. Bei den Bauarbeitern gibt es Stundenlöhne von XL 1.—, es gibt Erdarbeiter, die bei achtstündiger Arbeitszeit nur 6 bis 8 XL verdienen, ja es sind sogar qualifizierte Metallarbeiter, die einen Stundenlohn von XL 1.50 erhalten. Es gibt ferner Weberfamilien, die bei vierzehnstündiger Arbeitszeit nicht mehr als XL 100.—7 monatlich verdienen. In der Textilbranche kennt man Betriebe, wo Löhne von XL 40.— wöchentlich gezahlt werden(solche, in denen es keine Kollektivverträge gibt). Diese wenigen Feststellungen werden genügen, unr darzutun, daß d i e V e r h ältnisse unhaltbar sind und daß die Arbeiterschaft an dem Aufstieg der Produktion unbedingt wird teil-- nehmen müssen. Es geht nicht an, daß die Gewinne wachsen,; die Preise steigen und die Löhne dieselben bleiben. Wenn die Unternehmer die Notwendigkeit der Erhöhung der Arbeiterlöhne nicht einsehen werden, wird ihnen eine menschlichere Lebenshaltung der Arbeiterklasse im Kampfe cwgerungen werden müssen..
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16 (18.6.1936) 142
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