Sosialdemokrat
ZENTRALORGAN
DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK
ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRUH. REDAKTION UND VERWALTUNG PRAG XII., FOCHOVA 62. TELEFON 53077. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB . VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG .
16. Jahrgang
Mittwoch, 15. Juli 1936
Rätselraten um die Folgen
Nazistische Drohungen gegen die ČSR
Alle Acußerungen der betonten Gleichgültigkeit und der Bereitschaft zu ruhigem Abwnrten in den Ländern, die von der preußisch- italienischen Einigung über Desterreich überrascht wurden, können nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich über Mitteleuropa ein Alpdruck ausbreitet, den auch der sorglose Westen mitzuempfinden beginnt. Man sicht nun langsam doch die Gefahr der völligen Gleichschaltung und vielleicht des staatsrechtlichen Anſchluſſes Desterreichs an Deutschland auftauchen. Zwar betont man den Gegensatz zwischen Italien und Deutschland , aber man verkennt nicht mehr, daß sich Mussolini und Hitler unter Umständen in einem großen Kompensationsgeschäft auch über die völlige Liquidierung Desterreichs als Staat ebenso einigen könnten, wie sie sich jetzt über den sogenannten modus vivendi geeinigt haben. Man sieht mit bangen Erwartungen der großen Ueberraschung entgegen, die Mussolini zu dem Termin seiner Rückkehr vom Urlaub angekündigt hat. Daß damit, wie einige seit Jahr und Tag falsch informierte oder falsch kombinierende Blätter meinen, die Restau ration der Habsburger in Desterreich gemeint sei, erscheint natürlich ausgeschlaffen. Die
Fernhaltung der Habsburgc das stärkste Aktivum Hit
Iers bei dem Paft. Dagegen erscheint es
Retauration in Ungarn burchführen wird, um fich zugleich einen fideren Woften.
gegen das Angreifen Deutschlands im Donau raum und eine Vedette gegen Jugoslawien zu schaffen, das durch seine Zustimmung zu dem Wiener Paft aufs neue feine Hinneigung zu Deutschland zu erkennen gibt.
Die östereichischer Nationalsozialisten. haben bereits im Widerspruch mit dem Buchstaben, aber in Uebereinstimmung mit dem Geist des Vertrages eine heftige Rampage eröffnet.
Binz . Die Tagespost ", ein mit den Natio- den Betrachtungen der regierungsfreundlichen, als nalſozialiſten ſympathiſierendes Blatt, schreibt auch der oppositionellen Preſſeorgane an. Diese zu den außenpolitiſchen Auswirkungen des neuen wiederholen die bereits geäußerten Befürchtun deutsch - österreichischen Abkommens u. a.: gen, daß Polen wirtschaftlich und politisch die Ko" Deutschland und Österreich haben sich gefun- sten der Annäherung zwiſchen Deutschland und den. Jubel erfüllt unsere Herzen, seit wir wissen, Desterreich werde trägen müſſen. daß der deutsche Bruderzwist beendet ist. Von den Karawanken bis zur Ostsee fühlt man in tiefster
das gecinte deutsche Volk wird Europa genesen. Wer es anders wollte, wird daran zugrunde ge= hen; er verdient es nicht anders. Die größte Wichtigkeit des deutsch - österreichischen Abkommens liegt auf außenpolitischem Gebiet. Man kann nur ahnen, was dieser Tat vorausge
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34 Millionen demonstrieren
Paris.( Tsch. Pr.-B.) Der französische Nationalfeiertag wurde heuer nicht nur in Paris , sondern in allen Provinzstädten und auf dem Lande durch gemeinsame Umzüge und Manifestationsversammlungen der Volksfront festlich begangen.
In Paris formierten sich gleich nach Mittag zwei Umzüge, welche durch die mit Staatsfahnen und roten Flaggen übersäten Straßen zogen. An der Spitze der Züge schritten die Möglichkeit der Bentralausschüsse der koalierten Parteien und der Volksfrontorganisationen und zahlreiche Minister. Ihnen folgten unter wechselweiser Absingung der Marseillaise und der Internationale, mit erhobener Fraust grüßend und unter Ausrufen wie ,, Nie wieder Krieg" die Mitglieder der einzelnen Drganisationen mit ihren Fahnen. Die ersten Polizeinachrichten schätzen die Zahl der Umzügler auf dreiviertel Millionen.
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Nr. 163
Unsere Porzellanindustrie
Die Arbeiter in der westböhmischen Keram Industrie sind von großer Unruhe erfaßt, denn einige Porzellanfabriken sollen nach dem Willen ihrer Besizer still gelegt wer den. Gegenivärtig wird über die Stillegungsanträge in den zuständigen Ministerien verhan delt. Die Oeffentlichkeit aber fragt nach den lir sachen dieser neuerlichen Bedrohung hunderter Existenzen; sie ist daran um so stärker interessiert, als die Keram- Industrie neben dem heuer entscheidend verschlechterten Bäderbetrieb der wich tigste Wirtschaftszweig West böhmens ist; sie ist übrigens auch für den Außenhandel und die Bewirtschaftung der Devisen von der allergrößten Wichtigkeit.
Ueber die Bedeutung der Exportfch wiez rigkeiten für die Porzellanindustrie sind sich Arbeiter und Industrielle einig. Einige Ziffern mögen das Sinten des Auslandskonsums tschecho= Gegen 17 Uhr vereinigten fich die beiden Porzellanivaren veranschaulichen: Im Blige auf bet place be in Nation, or dem Kabre 1929 wurden noch für 310 Millioner kö Republikdenkmal sprachen hier die Vertreter der Porzellanprodukte exportiert. Diese Exportziffer einzelnen Parteien und Organisationen der ist allerdings abnormal hoch gewesen. Sie fant Volksfront. 1931 auf 193 Millionen Kč und erreichte 1933
Zum Schlusse sprach Ministerpräsident mit 90.9 Millionen Kč den Tiefstand. Da sie in Léon Blum , welcher des Umzuges und des den ersten bier Monaten 1936 nur 27.9 MilSchwures der Volksfront an dieser Stelle vor lionen Kč beträgt, dürft: sie sich für das ganze einem Jahre gedachte und ausführte:„ Der heurige Jahr auf etwa 95 Millionen Kč belaufen, Schwur ist eingehalten worden und wird auch in also nur um wenige 3 höher sein als Bukunft vom Volfe wie von der Regierung, in der Zeit des ärgstens Tiefstanwelche durch dessen Willen gefiegt hat, gehalten des. Es ist verständlich, daß diese Tatsache auf werden. Dieser Schwur verlangte nach der Ein- die allgemeine Lage der Keraminduſtric“ fühlbar ber Linksparteien und die vereinigte Links- wirkt. front wird unerschüttert bleiben." Léon Blum Die Exportschwierigkeiten sind auf mancher= befprach dann das bisher von der Volksfront - lei Ursachen zurückzuführen. Da ist zunächst die Ergriffenheit die Größe des Geschehens. Durch malisierung der österreichisch deutschen Bezie- will. Der Mai- Wahlfieg, fagte er abschließend, tionen mit der Mark und durch eine Exportprämie Regierung geleistete Werk und stellte das weitere Schmußtonturrenz durch DeutschProgramm auf, das die Regierung verwirklichen land zu registrieren, das durch seine Manipula= hungen werden in den nächsten Tagen einstweilen muft zu weiteren Siegen führen. Die Voltsfront- mit Hilfe von Stribs auf 35 Prozent des Fatfünf große deutsche Blätter in Desterreich zugelassen werden. Desgleichen sollen fünf österrei- regierung ist die wirkliche Regierung des franzö- turenwertes ein Dumping betreibt. Fast der ganze fifchen republikanischen Volkes. Sic will die Balkanmarkt wurde auf diese Weise von Republik festigen und stärken, sie wieder auf die Deutschland erobert, auch der Markt in neuen günstigen Geſchicken führen. Höhe ihrer ruhmreichen Vergangenheit und zu den Ländern der Kleinen Entente . Die wirtschaftliche Verivegenheit Deutschlands hat zudem die Balkanstaaten in eine gewisse Zwangslage gea bracht: Deutschland hat aus diesen Ländern Waren über Waren bezogen, ohne zu bezahlen. Nunmehr den Verantwortlichen zu eröffnen, daß Deutsch land nicht zahlen könne und wolle. Um nicht illes zu verlieren, müssen die Balkanländer deursche Waren abnehmen. Wir haben z. B. mit Nu= mänien ein" Porzellantontingent vereinbart. Ein bisheriger Bezieher tschechoslowakischer Kerama waren hat vor kurzem von der rumänischen Regierung die Einfuhrbewilligung erhalten; auf der Bewilligung war die Tschechoslowakei als Liefe= rungsland durchgestrichen und durch Deutschland ersetzt. Dies ist für die Situation fennzeichnend; für unser rumänisches Porzellankontingent wurde noch feine einzige Krone bewilligt! Nach Ungarn wurden in den Jahren 1925 bis 1928 durchschnittlich für 18 Millionen Kč Waren geliefert; das Kontingent für 1936, für das ebenfalls noch teine Krone bewilligt wurde, beträgt 810.000 Kč. Aus Ich kann sie nicht alle nennen. Es handelt sich den Ländern, in denen wir eine Clearingspitze
gangen ist. Das eine aber ist heute sicher, daß ein Hauptpunkt des englischen Fragebogens über den deutschen Friedensplan beantwortet ist. Und noch eins ist gewiß: Der österreichisch - deutsche Schritt ist die Antwort und eine deutliche Warnung Botschafters in London zu über- am Abend kam es zu einigen ganz unwesentlichen hat sich Schacht persönlich hinunter bemüht, um
auf die Moskauer Kriegsvorbereitungen in Mit teleuropa . Die Tschechoslowakische Republik geht fie in erster Reihe an. Prag hat dem Kommunismus den Weg zum Herzen des deutschen Mittel europa geöffnet. Sollte Prag daran denken, etwa über Rumänien rote Truppen in der Tschecho= slowakei aufmarschieren zu lassen? Es weiß nun, woran es ist. Daß geeinte deutsche Volt ist zum Aeußersten entfchloffen. Polen und Berlin find über die Moskauer Pläne, über die politische Rolle der Tschechoslowakei gewiß einer Meinung. Desterreich, Italien und Ungarn haben sich in den römischen Protokollen auf eine gemeinsame po= litische Linie festgelegt, die jetzt nach Berlin verlängert worden ist. So liegt der Schluß nahe, daß sich über Rom und Berlin die künftige Gestaltung der Dinge in Europa entwickeln wird. Darüber gibt es allerdings nur Vermutungen. Die Schaf fung eines mitteleuropäischen Blocks von der Ost see bis zum Mittelmeer liegt jedoch nach dem Abschluß des österreichisch- deutschen Friedens durch aus im Bereiche der Möglichkeit. Er könnte Deutschland , Polen , Desterreich, Ungarn und Ita lien umfassen. Gestört würde seine Gefchloffen heit von der Tschechoslowakei werden. Die tschechoslowakischen Staatsmänner find nun gewarnt. Das ist die besondere Seite der außenpolitischen Wirkungen des österreichisch- deutschen Abtom
mens."
Warschau . In politischen Kreisen wird Befremden darüber geäußert, daß von offizieller Seite bisher noch keine Stellungnahme zu der neuen Lage eingenommen wurde. Die oppositionelle Presse neigt der Annahme zu, daß das Ausbleiben einer offiziellen Auslassung zu den lezten Ereignissen auf die Desorientierung der Leitung der polnischen Außenpolitik, bzw. sogar auf die Ueberrumpelung durch die plößliche Wendung in der Politit des Dritten Reiches zurückzufüh ren sei. Das Mißtrauen in die Absichten des Drit tein Reiches gegenüber Desterreich hätt sowohl in
der deutsche Gesandte in Wien von P a p en im In diplomatischen Kreisen verlautet, daß Um 18 Uhr begann der Abmarsch. Der UmHinblick auf seinen Erfolg in Sachen der Normalisierung des österreichisch- deutschen Verhält zug trug einen absolut disziplmierten Charakter. nisses ausersehen sei, den Posten des deutschen Ausschreitungen haben sich nicht ereignet; nur nehmen.
Zwischenfällen.
Verteidigungsanleihe 3'5 Milliarden
Der Finanzminister über den glänzenden Erfolg der Wehranleihe
Finanzminister Dr. K al fus sprach gestern abends im Rundfunk über den Erfolg der Zeichnungen auf die Staatsverteidigungsanleih c. Das Ergebnis beträgt bis her 3.2 Mil= liar den Kč, und dürfte sich nach Aufarbei tung der letzten Anmeldungen auf mindestens 3½ Milliarden erhöhen.
Der Finanzminister faßte sein Urteil in die Worte zusammen:
,, Die Anleihe war ein glänzender Erfolg... Es ist dies für alle tschechoslowatischen Bürger um so erfreulicher, daß der Grfolg auf dem n o r m a len Kreditwege erzielt wurde. Nirgends gab es einen Druck oder 8 wang; die Zeichnungen sind freiwillig, ja man fann sagen, daß die Mehrheit der Bürger diese Gelegenheit begrüßte, um dem Staate gegenüber ihre Bereitschaft auszudrücken, alles für seine Verteidigung herzugeben. Dar über gibt es meiner Meinung nach keinen Zweifel und man muß diesen Umstand besonders hervorheben. In der Nationalversammlung habe ich bei Verhandlung des Gesetzes über die Staatsverteidigungsanleihe gesagt, daß die Anleihezeich
nung
vor allem um
haben, schöpft die Rüstungsindustrie die Zahlangen ab. eben der deutschen Konkurrenz macht ganze Legionen unbekannter fich, besonders in Uebersee , die japanische beund treuer Bürger dieses Staa- merkbar. Die Hungerlöhne der japanischen Ars tes, die einen Stein zum Ausbau des Schut- beiter betragen nur den vierten Teil der Durchs zes unserer Republik gelegt haben." schnittslöhne in der tschechoslowakischen PorzellanZum Schlusse seiner Rede unterstrich der industrie; außerdem wurde der en in der letzten Finanzminister den Umstand, daß mit der Zeit um die Hälfte devalviert. Schließlich haben Zeichnung das Wert nicht abgeschlossen ist. Die auch die Sanktionen gegen Itaen eigentliche Arbeit steht uns erst beyor. Die Re- einen großen Export- Ausfall bewirkt. So wirken politische Ursachen mit Zoll- und Devisenschwierig gierung wird alles veranlassen, um die teiten zusammen.
anvertrauten Geldsummen in wirklich ökono= mischer Weise zu verwenden, um möglichst ausgiebig die Staatsverteidigung zu stärken und dabei die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.
Bemerkenswert ist die Senkung des Inlandskonsume an Porzellanwaren. Dieser war auch in" normalen" Jahren viel nies driger als in anderen Industrieländern. Er sant Ich spreche den Wunsch aus, die Solidari- von 5 Kč pro Kopf und Jahr auf 1.50 Kč! Der tät und Zusammenarbeit, die bei dieser Anleihe Umsaß von Keramivaren war schon immer ein Ausdruck erhalten haben, möge der Regierung Wirtschaftsbarometer; interessanterweise wirkt sich eine Stüße auch bei den weiteren Schritten un- die augenblickliche Wirtschaftsbesserung auf dem serer wirtschaftlichen und Finanzpolitit bleiben. Inlands- Porzellanmarkt nicht aus. Auerdings Wird dies der Fall sein, dann zweifle ich nicht ist daran die Industrie mit schuldig: von daran, daß es uns gelingen wird, die Wirt einer entsprechenden Propaganda unserer Waren Ich komme deshalb, um auf diesem Wege schaftsfrifeniederauringen und fann keine Rede sein. Die einzelnen Unterneh allen den Dank auszusprechen, die sich um das die Grundlagen dieses Staates verläßlich zu mungen glauben vielmehr, sich durch Preisunters Gelingen der Anleihe verdient gemacht haben. fundieren.
eine Probe der Staatlichkeit für uns alle fein wird, eine Probe der politischen Reife und eine Probe der wirtschaftlichen Tüchtigkeit. Es ist eine Freude, feststellen zu können, daß wir diese Brobe mit vollem Erfolg bestanden haben.
bietungen und Lohndruck retten zu können. In der