Sosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRUH. REDAKTION   UND VERWALTUNG PRAG   XII., FOCHOVA 62. TELEFON$ 3077. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB  . VERANTWORTLICHER REDAKTEUR. DR. EMIL STRAUSS, PRAG  .

16. Jahrgang

Julius Tandler  

Genosse Dr. Iulius Tandler ist in Mosta   u, wohin er zur Neuorganisierung des Gesundheitswesens berufen worden war, im acht­undsechzigsten Lebensjahre einem Schlag= anfalle erlegen.

Ein großer Gelehrter und ein großer Mensch ist dahingegangen. Einer der Männer, die nach dem Kriege zuerst mit Neumann, dann mit Karl Seiß das neue Wien   aufbauten, es nicht nur zu einer vorbildlich verwalteten, sondern vor allem zu einer Stadt mit einzigartiger sozialer Fürsorge machten. Mit der glorreichen Ge­schichte des Roten Wien" ist Julius Tandlers Name für alle Zeiten verbunden.

Julius Tandler  , wie so viele Führer der öſterreichischen Sozialdemokratie seiner Herkunft nach ein Sudetendeutscher er war gebürtiger Iglauer, war an der Wiener Universität   Pro­fessor der Anatomie, war ein Wissenschaftler von Weltruf und zugleich einer der populärsten Män­ner Wiens  .

Vor der Uebernahme der Stadtverwaltung durch die Sozialdemokraten gab es natürlich auch schon ein wenig Armenfürsorge und Krantenfür­forge. Aber sie wurde als Wohltätigkeit geübt. Zwar nicht aus Privatmitteln, sondern aus städ tischen Mitteln, aber der Auffassung der die Stadt beherrschenden Christlichsozialen entsprechend so, Daß

Donnerstag, 27. August 1936

Eine große Schlacht bei Irun   Wer hält

Heldenmütige Abwehr

Einzelpreis 70 Heller

( einschließlich 5 Haller Porto)

Nr. 199

den letzten Trumpf?

Die Lizitation der Rüstungspolitiker

General Mola scheint, ehe er etwas zur[ Der Hava 3 berichterstatter meldet über Hitler   hat die militärische Dienstzeit auf Rettung des bedrängten Saragossa   unternimmt die Schlacht bei Irun  :: zwei Jahre hinaufgesetzt. Die deutsche Propa­oder die Offensive gegen Madrid   fortsetzt, um Die Schlacht tobt auf der Straße 3 wi ganda beruft sich darauf, daß die Maßnahme rein jeden Preis Jrun und San Sebastian   nehmen zu fchen I run und Pampel una, und defensiv und die Antwort auf die Feststellung der wollen. Er hat Truppen aller Waffengattungen zwischen Alunda und Lapun ch a. Es Russen sei, daß der Friedensstand der Roten zu einem regelrechten Großangriff gegen die be- wird auch auf den umliegenden Hügeln gekämpft, Armee nach den letzten Reformen zwei Millionen festigten Stellungen zwischen der franzöfifchen die ganz in Geschüßrauch eingehüllt sind. Die Mann betrage. Aber Hitler   hat hier nicht das letzte Grenze und San Sebastian   eingefeht und ver- Aufständischen versuchen den Durchbruch an drei Wort. Kaum ist seine neueste Aufrüstungsorder fucht unter Aufopferung vieler Menschenleben verschiedenen Stellen. erschienen, so beraten die Generalstäbe zu Mos­die zähe Verteidigung der Milizen zu brechen, ohne daß es bisher gelungen wäre.

Die Regierung meldet Erfolge an der Front vor Saragossa   und einige kleinere Erfolge ihrer Flieger. Auch bei Oviedo   scheint die Sache der Regierung gut zu stehen.

Einige Male wurde die Eroberung Mala. gas durch die Rebellen gemeldet, es scheint fich

hier aber um systematische Falschmeldungen zu

handeln, da nicht nur eine Bestätigung ausblieb,

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Troß der Unterbrechung der Straßenver- fau, Paris  , Warschau  , Brüssel  , Rom   und London  , bindung konnten die Aufständischen bei ihrem wie man den Zug Blomberg  - Hitlers parieren Angriff Tanks verwenden. Die Maschinen- lönne. Der polnische General und Diktator Rydz­gelehre und Geschüße sind ununterbrochen in Smigly heschleunigt seine Reise nach Paris  . Die, und keineswegs nur die Attion. Zwei Regierungsflugzeuge belegen die französische   Presse - betont, daß es dringend nötig Angreifer mit Bomben. Die Aufständischen sind linke" Presse ungefähr einen Kilometer vorgerückt, haben je sei, nun um so enger an dem russischen Bündnis doch die Stellungen der Regierungstruppen nicht festzuhalten, und sie betreibt zugleich die Verſtän­erreicht. Abteilungen des Generals Mola versu digung mit Italien  ( wo fürzlich die Aeußerung chen in Hinblick auf die Unmöglichkeit, auf der gefallen sein soll: die deutsch  - italienische Freund­Straße vorzurücken, eine Aktion auf den Ber- schaft dauere genau so lange, wie Frankreich  gen, aber auch dort finden sie großen Widerstand. wolle!). Stalin   erklärt, daß die Rote Armee   be­Um halb 11 Uhr vormittags ging der Stampf reit und zu allem gerüstet sei und auch die klei­besonders bei den Angreifern, sind zielt, ist also gesteigerte militärische und politische weiter. Die Ver I u ste auf beiden Seiten, nen Staaten strengen ihre Kräfte aufs äußerste an. Was Hitler mit seiner Aufrüstungsorder er groß. Bereitschaft jener Mächte, die nach Berliner   Auf­fassung die gefährlichsten Gegner des Dritten Reis

Hitler   vielleicht fie wi

Senbaye, the tra un ontworten, aber

Festung

sondern, auch alle Anzeichen dafür fehlen, daß die Rebellen die starke Stellung der Milizen MOR Malaga so rasch genommen haben. könnten. ständischen gegen Irun und San Sebastian   ist Hendaye.  ( Reuter.) Die Offensive der Auf­im vollen Zuge. Die Aufständischen eröffneten Mittwoch früh bei Morgengrauen den Angriff gegen die drei, Irun   mit San Sebastian   verbin­franzöſiſch- ſpaniſche auf die man teinen Anspruch hatte. Tandler   aber Grenze wurde sofort gesperrt. Die Kämpfe spiel  - bie Nachricht ein, daß grunge jure het geje ging mit der neuen Stadtverwaltung davon aus, ten sich in dichtem Nebel ab. Der Angriff der San Marcial, die den Schlüssel für die Stadt auf der andern Seite stärkere Gegenwirkungen daß Fürsorge Pflicht der Gemein Aufständischen ist sehr scharf. In der ersten Linie Irun   bildet, soeben begonnen hat. Während des auslösen. sch a ft, ihre Inanspruchnahine ein Recht der Mit- befinden sich 700 maroffanische Legionäre, welche ganzen Tages und am Abend standen die Hügel Man darf sich über den Umfang der deut­glieder der Gemeinschaft ist. Und ferner ließ er durch Tants und Artillerie unter zu beiden Seiten des Flusses Vidassoa unter fchen Kriegsbereitschaft nicht täuschen lassen. Sie sich von der Erkenntnis leiten, daß es keine ftüßt werden. Es scheint, daß es der ersten An- dem Feuer der Geschüße. Auf einen Schuß aus ist wahrscheinlich geringer, als die deutsche Propa­auf weitere Sicht sparsamere Art der Fürsorge griffswelle nicht gelungen ist, die Linie der Geg- den Geſchüßen der Regierungstruppen und der ganda der Welt einredet. Man muß sich darüber gibt als die, die jedes hilfsbedürftige Kind und ner zu durchbrechen. Der zweite Angriff spielt roten Miliz kommen, wie es heißt, gute drei im Klaren sein, daß die Hitlerpolitik zum seine Mutter zu erfassen und zu betreuen sucht. sich noch ab. Das Fort Guadeloupe feuert aus Schüsse aus den Geschützen der Aufständischen guten Teil auf Bluff beruht und daß zahl­Die Schöpfungen Tandlers sind bekannt: weitreichenden Geschüßen gegen die Aufständischen. Beide Seiten sind bestrebt, durch Granaten die die Abgabe von Wäschepaketen an jede Wiener   Früh warfen Flugzeuge der Aufständigen 60 Maschinengewehrnester zum Schweigen zu brin, Mutter, die Einführung der Mutterberatungsstel- Bomben auf die Verteidiger Iruns. Die Flug- gen, welche der Infanterie den Vormarsch vers len, der Bezirksjugendämter, die Anstellung von zeuge gerieten in Nebel, blieben aber unversehrt. wehren.

Schacht in Paris  

Mit Mißtrauen empfangen Was plant der Magler"?

reiche bombaſtiſche Enthüllungen" über die deutsche Rüstung, die wunderbaren Geheimwaf­fen der Deutschen   und ihren großartigen Poten­tiel de guerre, bezahlte Reklamenachrichten des Propagandaministeriums sind, daß manche wohl meinende Enthüller" dem System unfreiwillig in die Hände arbeiten.

"

Die deutsche Rüstung hat noch im mer gewisse Lücken. Der Mangel an ausgebildeten Reserven, der 1919-1933 entstanden ist und gerade die wichtigsten Jahr­gänge umfaßt, tann bisher noch nicht ausgeglichen

180 Distriksfürsorgerinnen, die sich um die sozia­len Verhältnisse der Neugeborenen zu bekümmern und im Bedarfsfalle für Hilfe und Betreuung zu forgen hatten, die Schaffung der Kinderüber­nahmsstelle und des Zentralfinderheims, der schulzahnärztlichen Behandlung, die vielen, vielen Kindergärten, die Horte und Tagesheimstätten, die Spielpläße, Kinderbäder, Kinderspitäler, die Reorganisation der Tuberkulojenbekämpfung, die Der Präsident der Reichsvant hat den Be- 3. Schacht betreibe die gleichzeitige sein. Das Rohstoff problem, vor allem Erneuerung der Altersfürsorge, die Vermehrung ſuch des Präsidenten der Bank von Frankreich, Abwertung von Mark und Franc, die Frage der Delversorgung, ist noch keineswegs der Spitäler. Die Aufzählung iſt unvollständig, Labchrie, auffallend rasch erwidert und ist Mitt- was ihm eine Inflation erleichtern würde, und gelöst, die deutsche Luftflotte ist nicht so sie soll nur andeuten, was unter Tandlers Füh- woch in Paris   eingetroffen. Allgemein diskutiert zwar wirtschaftspolitisch, sondern auch, hervorragend, wie Göring   es sehen möchte, rung geleiſtet wurde. Es iſt feine Hebertreibung: wird die Bebe tinge offen des ein bist beg, was bie moralife gisting auf ben Wallen bebic b i plomatijde Borbereitung Wiens soziale Fürsorge erlangte bald Weltruf, halb, weil an dem Diner, das Labeyrie für Schacht trifft( diese Version wird seit einiger Zeit von des Krieges läßt sehr viel zu wünschen übrig, von allüberall her kamen, Fachleute, um sie zu gab, die wichtigsten Männer des Kabinetts, näm- Otto Straffer als wahrscheinlich hingestellt). denn bis heute hat Deutschland   nicht einen studieren. einzigen wirklichen Bundes In jedem dieser Fälle würde Schacht vor allem von Frankreich   die Rettung aus seinen Fisgenossen gewonnen, es hat aber neben eini­nanznöten erwarten. Man hat das auch auf die sen höchst zweifelhaften Freunden" einige sch respettable und ernst zu nehmende Gegner. ( Fortschung auf Seite- 2.)

lich BI um, Delbos, Vincent Auriol  .

Es war die Vergeudung" der Steuergelder teilgenommen haben. für Wohlfahrtszivecke, für Wohnhausbauten, es war die Sozialpolitik der Stadt Wien   unter so- scharf und, für französische   Verhältnisse unge­Die Preſſe wendet sich im allgemeinen sehr zialdemokratischer Leitung, die den Haß der Bewöhnlich wenig höflich, gegen den Gast. Das füh fißenden immer höher anschwellen ließ. Wer das rende Finanzblatt, die Information financière" neue Wien   wirklich kennen gelernt hat, wer Wien   nennt Schacht einen" Finanzmann- Magier". Dis nicht als die Stadt der dummen Heurigengemüt- Blätter bekunden ihr Mißtrauen sowohl gegen lichkeit, sondern der ernsten Arbeit für die Arbei die Finanzpolitik Schachts, also auch gegen die ter und Armen kannte, der versteht, warum das deutsche Politik überhaupt und dies um so schärfer, Bürgertum schließlich durch bezahlte Söldlinge als Schacht einen Tag nach der Verkündigung der die Demokratie zertrampeln ließ. Genosse Tandler   war zur Zeit der Feber- deutschen   Heeresverstärkung in Paris   angetom­fämpfe im Auslande, in China  , wo er als Vor­Die Vermutungen darüber, was Schacht tragender und Organisator des Gesundheits­wefens wirkte. Er tehrte sofort nach Wien   zurüd eigentlich in Paris   will, gehen ziemlich weit aus­und ließ sich verhaften, wurde aber, da man ihm einander und sind auch in den beftinformierten bei bestem Willen nichts anhaben konnte, bald Beitungen recht vage. Einig ist man sich darüber, wieder freigelassen. Er kehrte, dann nach China  zurüd. Vor einigen Monaten wurde er nach Moz­fau berufen.

Julius Tandler  , der große Gelehrte, konnte zum großen Sozialreformer nur in der sozialisti­fchen Aufbaugemeinschaft, die das Rote Wien war, sich entwideln. Gerade, an seinem Wirken wird offenbar, daß zur Entfaltung solcher Größe, die Ueberwindung der Bürgerlichkeit, die soziale De nofratie notwendig ist.

men ist."

daß es nichts Gutes sein kann, und daß Schacht, versuchen wird, aufs neue fremde, Mittel zur Rettung seiner deutschen   Wirtschaftspolitik mobilzumachen. Im großen und ganzen gibt es etiva folgende Versionen:

1. Schacht wolle die BIZ, eventuell unter Anschluß der bedeutendsten Noten- Emissions­banken Europas  , deren Gouverneure im Herbst zu einer Konferenz zusammentreten follen, zu einer großzügigen Finanzierung des waren berte hrs, natürlich zunuzen der bevisenschwachen Länder, heranziehen.

Tandler  , der fern der Heimat gestorben ist, wird in seiner Heimat, wird in Wien   nicht verges­fon werden. Er wird fortleben in seinem Werk, das 2. Schacht fuche unter irgendwelchen For die Meritalen nicht ganz zu zerstören wagten, malitäten eine Anleihe in Frankreich  und er wird fortleben in den Herzen der Arbeiter. oder via Frankreich   zu placieren.

Schacht

Die Ursachen der neuesten Maßnahme, die das deutsche Heer zahlenmäßig wohl zum zweit größten der Welt machen, wenn auch nicht so an­schwellen lassen, wie manche Blätter es darstellen ( von einem Zweimillionenheer tann nicht die Rede sein; es dürfte sich um nicht ganz eine Million handeln), sind vielleicht auch zum Teil gar nicht in außenpolitischen Erwägungen zu suchen, son= dern in der bangen Frage, was man mit den 300.000 oder 350.000 Menschen macht, die bei ihrer Entlassung aus der Armee die Wirtschaft belasten. Aber wie immer die Maßnahme Hitlers  politisch und militärisch zu bewerten ist, sie be= wirtt jedenfalls ein noch ras cheres Lizi­tieren der Militärmächte, sie er­höht die europäische Spannung, die täglich in eine Panit übergehen kann, und beschwört die Gefahr eines Krieges her= auf, der bei dem erstbesten Anlaß ausbrechen fann, weil eine der beiden Parteien das Wett­rüsten nicht mehr aushält.

Die deutsche Propaganda beruft sich natürs lich darauf, daß. ja die anderen auch rüsten, daß die andern die größeren Heere haben, daß die andern seit 1919 und gegen ein. entwaffnetes Deutschland   gerüstet haben. Das letzte Argument insbesondere ist leider nicht ganz unrichtig. Aber ce steht ebenso sicher die Tatsache fest, daß sich das Rüsten der Siegermächte um 1930-32 bereit