Sozialdemokrat" Nr. 202

Im ostböhmischen Grenzwald

Von Alfred­

Sonntag, 30. August 1936

Dort, wo das Altvater- und Adlergebirge  | stehen, die er mit dem Fuß in Betvegung steht und aneinanderstoßen, wo die mährisch- schlesische. auf der er die Klöße und Klößchen Rohholz zu­die böhmische und die reichsdeutsche Grenze am recht schneidet. Viele jedoch müssen auch diese Schneeberg zusammenlaufen, liegt, in 550 Meter Arbeit mit der Handsäge verrichten, da die Kreu­Höhe, das Städtchen Grulich  . Das Gebiet, zer zum Kauf einer Bandsäge bisher noch nie für das diese kleine Textilindustriestadt der Ben- ausreichten. Die Luft in den kleinen, niedrigen Arbeitsräumen ist mit Holzstaub geschwängert und ich verstehe sogleich, warum der alte Schnitzer, bei dem ich Einkehr gehalten habe, so gern an die Luft, in das Strahlenlicht des Sonnenballs geht. Er klagt über schlechte Geschäfte und allzu geringen Verdienst. Und ich kann es ihm glau­ben, daß es ein armseliges Leben ist, das er mit seiner Familie fristet. Denn vom Achtstundentag ist keine Rede, denn wenn Aufträge vorliegen, müssen täglich noch immer 16 Stunden gearbeitet werden und wenn dann die Woche herum ist, sind taum 70 verdient. Ich verlasse den alten Holzschnitzer in Erliß, der mir die Hand schüttelt und zum Abschied ein herzliches Freundschaft" zuruft.

Holzschnitzer- Häuschen

tralpunkt des wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Lebens ist, ist im allgemeinen sehr fruchtbar. Landwirtschaft wird in den Dörfern betrieben und wie in allen Gebirgen, ist auch hier die Heimarbeit start verbreitet. Wir finden in der näheren und weiteren Umgebung der Stadt Grulich die verschiedensten Zwergindustrien, in denen bei schlechter Entlohnung und langer Arbeitszeit die Menschen einen äußerst harten Kampf ums Dasein führen. Da treffen wir auf die Holzschnißkünstler in Erlib, kommen zu den Bürstenmachern in Mährisch- Karlsdorf, zu Zwirnknopfarbeitern, Pappschachtelarbeitern und manchen anderen. Viele Menschen, die hier schon seit Jahren arbeitslos sind, haben sich wäh­rend des Sommers einem anderen Beruf zuge= wendet, dem Beerens und Pilzsuchen. Für wenige Kronen bringen sie die Früchte an den Mann. Andere arbeiten während des Sommers auf dem Lande und nur im Winter führen sie das Schnitz messer. Jene sind dann aber häufig leicht geneigt, die Löhne zu drücken. Die Holzschnitzer haben bor   Jahren eine Genossenschaft gegründet, deren Aufgabe es ist, den Absaß der Produkte zu regeln, die Lebensrechte der Holzschnißer zu wahren, für gerechte Entlohnung und Abwehr der Schmutztons kurrenz zu sorgen. Daß sie ihre Aufgaben zu erfüllen tradhtet, zeigt sich daran, daß es immers hin gelungen ist, den Jahresumsab auf 100.000 Kronen zu bringen. Auf den einzelnen entfällt davon freilich nicht allzuviel, doch dem eifrigen Streben der Genossenschaft wird es schließlich doch gelingen, die Holzschnißer in der gegenwärtigen Krisenzeit doch soweit als möglich zu unterstüßen. Auch eine Fachschule für Holzschnißkunst ist in Grulich  , in der die Schnißereien handwerklich und tünstlerisch unterrichtet wird. Mit dem Besuch der Fachschule allein ist allerdings das Gewerbe noch lange nicht erlernt. Denn zum Unterschied au mancher anderer Heimarbeit, die man in vier­zehn Tagen beherrschen kann, erfordert das Holz­schnißen viel Fleiß und Fingerfertigkeit, jedoch auch schöpferischen Kunstsinn.

Das lehrt ein Besuch bei den Holzschnibern in Erlib. Kilometerweit zieht sich das Dorf au beiden Seiten der Landstraße. Kleine, nied liche Häuschen, mit weit vorgebauten Dachgiebeln, in heller Farbe gemalt und dunkel abgesetzt, stehen in diesem Wald- und Wiesengrund. Vom nahen Deutschland   her, aus dem Würfelgrund, bürgerte sich in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhun­

Ein Bürstenholz- Schnitzer berts die Holzschnißtunst hier ein und nährt heute noch ettva 800 Seelen. In den niedrigen Stu­ben sißen die Schnißer an ihren Bänken auf den Schemeln. Ueber ihre Arbeit gebeugt, terben sie mit dem Schnißmesser in robe Holzflößchen Ver­tiefungen, bis sich unter ihren geschickten Händen gar wundersame Tier- und Vogelgruppen for­men. Schwalben und Schwalbennester, Rier­gegenstände, Spielzeug, Midimäuse auf Rollern, Schreibzeuggarnituren, Hirsche, kura alles ferti­gen die Schnißer kunstgerecht an. Mancher einer hat eine Bandsäge in seiner Kleinen Werkstatt

Meine Wanderung führt mich weiter. Ber­gan geht es, durch den Hochwald und in etwa einer Stunde stoße ich auf der Höhe auf die ersten Häuser von Mährisch- Karlsdorf. Bis an den bemalten Höhenrücken schiebt sich dieses Dorf heran, das gegen 700 Einwohner zählt. Eine lange, kaum endenwollende Sied­lungskette ist dieses Dorf, in dem die Bür ste n- ma cherei zu Hause ist. Unten im schönen Friesetal plätschert der Bach dahin, und die gut

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nepflegte Landstraße führt abwärts nach Noth-| nommen doch für ein Elendsgebiet ist. Denn die wasser. Gegenüber der Kirche steht das Haus, Bürstenmacherei, im vorigen Jahrhundert hier in dem sich die Verteilungsstelle des Konsumber- eingeführt, nährt die Menschen heute kaum mehr, eins Grulich befindet. Das ist mein Ziel, denn da die Maschinenarbeit die Handarbeit verdrängt der Lagerhalter Weiß ist zugleich auch Ver- hat. Und wenn nicht die Konsum- und Produk­tivgenossenschaft Grulich ihren Bedarf an Bür­sten bei den Heimarbeitern von Mährisch- Karls­dorf decken würde, müßten die schaffen gewohnten Hände der Bürstenmacher noch mehr feiern. Die­ses kleine Mährisch- Karlsdorf, in seiner abge­schiedenen Waldeinsamkeit zwischen Altvater- und  Adlergebirge, hat aber dennoch seinen Anschluß an die große weite Welt gefunden. Denn aus  Rußland,   China, Siam,   Kalkutta, Merito tommt die zur Verarbeitung kommende Nohware, die Reißwurzel und die Vorsten in das stille Dorf. Die Heimindustrie, sonst wenig beachtet, wird so zum Mittler zwischen Waldeinsamkeit und Welt­handelspläßen. In früheren Zeiten hatten die Bürstenmacher auch ihre Berufsfrankheit. Unge­nügende Desinfizierung der ausländischen Bors sten verursachte eine Krankheit, die die Brand­blase genannt wurde. Ein schwarzer Punkt, so groß wie ein Knopf, entstand an Händen oder im Gesicht. Und wenn dieser Punkt sich in der Nähe einer Blutader bildete, dann legte sich binnen drei Tagen der stärkste Mann zum Sterben hin. Gin 70jähriger Bürstenmacher, bei dem wir Ein­tehr halten, erzählt resigniert, daß er früher zehn bis zwölf Leute beschäftigt habe und heute kaum selbst für sich zu tun hat. Ein anderer Alter, bei dem ich eine photographische Aufnahme machen will, empfängt mich verärgert: Sch hoa foa Arbeit, hoa foa Bürst." Aus seinen alten, aber noch jugendfrisch glänzenden Augen spricht der Groll über das erzwungene Nichtstun. Bei einem anderen, der Hölzer für die Bürsten schnißt, werde ich Zeuge, wie unser Vertrauens mann helfender und aufklärender Apostel sein muß. Die von der Not gepeitschten Leute lau­schen den Aufklärungen unseres Vertrauensman­nes. Und den Leuten geht die Wahrheit seiner Worte ein. Ja, die Sozialdemokraten sind nich: schuld, das sehen wir!"

Holzschnitzer bei der Arbeit

trauensmann unserer Lokalorganisation. Ueber dem Tisch in seiner Stube hängt groß das Bild­nis von Start Mary. Weiß führt mich nun in die Behausungen der Bürstenmacher und erklärt mir, was dieses schöne Friesetal im Grunde ge­

Mährisch- Karlsdorf

Die siamesischen Zwillinge

Von Hans   Kudlich

309 201

Hans Ku dI ich, der österreichische Bauern-| fein Mensch weiß, ob fein Urahn ein   Deutscher befreier, war ein Emigrant. Bolle dreiund- oder ein Slave war was übrigens jedem ganz zwanzig Jahre vergingen, bevor er seinen Fuß zum ersten Male wieder auf heimatlichen Boden feßen fonnte. Seine Ansichten, um derenttvillen er au einem Führer der Uchtundbierziger- Revo­lution geworden und aus seinem Vaterlande ge­hetzt worden war, hatten sich in der freien Luft  Amerikas nicht geändert. Als er am 12. Mai 1872 wieder nach   Troppau   lam, hielt er bier vor   Deutschen und   Tschechen eine Rede, deren Grundgedanken sich heute vor allem jene zu Herzen nehmen sollten, die dem Rassegedanken huldigen, vom Hasse gegen deutsche Emigranten leben und fich einem, sührer" verschrieben und trospem hans stublid als einen der ihren feiern. Hans   Kudlich, der in   Troppau auch vom

Arbeiterverein begrüßt wurde der Arbeiterverein war dem Bauernbefreier bis weit vor die Tore der Stadt entgegengekommen

feierte vor allem die Freiheit einen Begriff, der der Mehrheit der heutigen Deut­  schen fremd zu sein scheint, und wandte sich dann dem Verhältnis zwischen   Deutschen und Slaten zu. Im nachfolgenden bringen wir Teile aus feiner Troppauer Rede nach der Wiedergabe in der Deutschen Zeitung",   Wien, vom 14. Mai 1872.

In   Amerika hat es mir anfangs gar nicht gefallen. Auch   Amerika hatte seine Stlaven, und ich habe mich darin nicht heimisch gefühlt, bis auch dort sich derselbe Kampf entſpann zwischen den Anhängern der Sklaverei und den Anhängern der Freiheit, und erst als ich diesen Kampf ge= tämpft hatte, zwar nicht mit dem Schwerte, fon= dern mit der Feder und der Zunge, erst dann, als die Sklaverei vernichtet war, fing ich an, mich dort heimisch zu fühlen und ich kann Ihnen mit­teilen, daß die nördlichen Staaten und die Städte Ameritas den Segen der Aufhebung der Skla­verei in ihren Geldbeuteln fühlen. Denn der befreite Sklave kauft zehnmal mehr als der Plan­tagenbesitzer bei den Städtern gekauft hat.

... Sie, meine Herren, sind im Besitze freiheitlicher Zustände, die Ihnen wenigstens einen Kampf plat geben, auf dem Sie eine schönere Zukunft sich erkämpfen können!

Weine verehrten Herren! Wozu ist die Ges schichte da? Ist sie bloß da, daß man darüber fchlechte Wise macht, oder ist sie da, daß man eine Lehre daraus zieht? Und was kann die Lehre sein, die man daraus zieht? Ich ne= stehe zu, ich bin ein Deutscher, ich bin stolz darauf, es zu sein, ich danke   Gott, daß ich es bin!. Das ist aber nicht mein Verdienst; ich müßte ebenso zufrieden sein, wenn ich als Slawe geboren wäre! In diesem Lande Schles sien sind die Geschlechter so gekreuzt, daß kein Mensch weiß, was für Blut in seinen Adern ursprünglich rollte, ob deutsches oder flawvisches,

gleichgültig sein fann- ebensowenig wie unsere Frauen wissen, daß einmal unsere Vor­fahren Protestanten gewesen sind, und als Sie dies am Ende alle wissen. Daraus folgt, daß wir gegenseitig in nationaler, politischer und reli­giöser Beziehung tolerant sein müssen gegen­einander. Die si amesischen Zwillinge, die Sie vielleicht gegen ein kleines Eintrittsgeld zu sehen Gelegenheit hatten, sind in einer sehr unangenehmen Situation, sie sind an einer Seite zusammengewachsen, aber de heiden Herren vers tragen sich sehr gut, fie sehen, sie können sich nicht losschneiden lassen und kommen gut miteinander

aus, vi el besser als die Tschechen und die   Deutschen in   Böhmen!....

Solange Ihr, Deutsche und Slaten, nicht miteinander geht, solange wird an einen Frieden in Desterreich nicht zu denken sein....

Boller Stolz erzählt Weiß, wie troßig sich unsere Leute der Lügenhaftigkeit der Henleins entgegenwerfen. Wie wacker sich unsere Genossen im letzten Wahlkampf geschlagen haben. Wie unermüdlich sie Flugblätter getragen, Plakate geklebt haben und auch jetzt zu jeder Stunde gern bereit sind, der Partei Opfer zu bringen. Trob der heftigsten Angriffe der Henleins hat unsere Partei in diesem kleinen Orte am 19. Mai nur 8 Stimmen eingebüßt. Und das will in so einem Elendsviertel twahrhaftig sehr viel heißen.

Es leben in   Schlesien seit Menschengedenken deutsche Gemeinden hart neben slawischen. So­lange ich mich erinnere, ist weder Slawisierung noch Germanisierung gegenseitig versucht worden. gehen, Gefahr vorhanden? Ihre Freiheit zu Wo ist also, wenn sie hand in hand beschüßen, ihre Schulen zu verbessern, die Selbst­verwaltung ihrer Gemeinden auszuüben und die­fes Land in geistiger und materieller Hinsicht zu heben, ist ihr gemeinschaftliches Interesse; ich sehe aber die größte Gefahr, wenn dieser Zwiespalt unter euch fortdauert....

Ich gestehe, daß die politische Aufklärung, daß der wahre Patriotismus, der darin besteht, daß man sich um die Angelegenheiten der Stadt, des Dorfes, des Landes selbst bekümmert, sie nicht einem, zwei, drei oder vier Führern überläßt, daß diese politische Entwicklung. seit ich fort gewesen bin, ungeheuer zugenommen hat, und ich hoffe, daß Sie in dieser Arbeit fort­fahren werden, daß jeder Mann sich um die öffentlichen Angelegenheiten befümmern wird, eingedent des   amerikanischen Sprichwortes: Ewige Wachsamteit ist der Preis der Freiheit!"

Hans Kudlichs Geburtshaus in   Lobenstein(   Schlesien)

Nach einer Radierung von Helmut   Krommer. einem. Großneffen des Bauernbefrelers.