Sosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRUH. REDAKTION UND VERWALTUNG PRAG XII., FOCHOVA 62. TELEFON 53077. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB . VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: KARL KERN, PRAG .

16. Jahrgang

Freitag, 16. Oktober 1936

eb

Einzelpreis 70 Heller

( einschließlich 5 Heller Porto)

Nr. 241

Lösung Belgiens von den Westmächten Belgien ein Exempel

Rückkehr zur strikten Neutralität Bestürzung in Genf

Ueberraschung in Paris

Brüssel. ( Tsch. P.-B.) König Leopold III. eben deshalb in das Außenministerium an Stelle der Belgier erinnerte in seiner Rede im Minister- Vanderveldes den Sozialisten Spa at berufen, der rat am Mittwoch an die Rüstungen ein Anhänger des dieser Politit geneigten Flügels ist. Deutschlands , an die Aenderungen der Kriegsmethoden durch den Einfluß der fortschrei­tenden modernen Technik und an die Wiederbeset­

Genf ist bestürzt

Landes werden von der Berliner Presse mit uns verhohlener Genugtuung begrüßt. Weit zurück­haltender sind dagegen die Ausführungen über die Eindrücke dieser Erklärungen in Deutschland .

Genf.( Reuter.) Wie der Genfer Reuter- Korres Belgische Erklärungen zung des Rheinlandes und fuhr dann fort: ſpondent erklärt, war man in Genf über die Aus­Gleichzeitig waren wir 3 eugen einer Er- führungen des belgischen Königs sehr überrascht, ja, schütterung der Organisation für die internatio- man könne sagen be stürzt. Man sieht in ihnen nale Sicherheit, von Berlesungen frei- eine ganz neue Drientierung der belgischen Außen­willig unterzeichneter Verpolitit. Es scheint, daß die Doktrin der tollet­träge und fast der Unmöglichkeit, unter den tiven Sicherheit bedroht ist. gegenwärtigen Umständen die Bestimmungen des Bölkerbundvertrages durchzusetzen. Schließlich drohen die inneren Konflikte zahlreicher Staaten eine Rivalität der politischen Systeme und einen Krieg hervorzurufen, der noch schrecklicher und vernichtender wäre, als der Krieg, deffen Folgen

wir noch spüren.

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Englische Zusicherungen?

London . Der belgische Botschafter De­marchienne stattete im Foreign Office dem Staatssekretär für Aeußeres Eben einen Besuch ab. Wie das Neuterbüro erfährt, erklärte der bel­gische Botschafter, es sei keine Rede davon, daß Belgien irgendeine seiner internationalen Ver­bindlichkeiten verletzen würde. Es verlautet, De­marchinne habe erklärt, Belgien werde auch dem Völkerbund gegenüber loyal bleiben.

Die belgische Regierung hat, wie es scheint auf Initiative des Königs der Belgier , zugleich mit der Verlängerung der Militärdienstzeit und einer Erhöhung der belgischen Rüstungen die völ­lige Re Neutralisierung des Landes, also die Lösung des einseitigen Defen­siv- Vertrages mit Frankreich und das Ausscheiden aus dem System der Locarno "-Staaten beschlos sen. Belgien will künftig seine internationale Stellung wieder im Rahmen des 1914 von Deutschland verletzten Neutralitätsvertrages von 1839 gewahrt wissen und im übrigen auf seine eigene Berteidigungskraft bauen. Es sei ne­nebenbei bemerkt, daß der belgische Potentiel de guerre", seine mögliche Striegsstärke seit 1914 be= trächtlich gewachsen ist; im Zeitalter der Massen­heere war der kleine Staat den mächtigen Nach­barn unbedingt unterlegen, heute kann das fleine, aber fapitalsstarke und über eine mächtige daß die vom König der Belgier ſtigaierte Neutra- den eine Respekt gebietende Luftflotte zulegen, die Hiezu bemerkt das Reuterbüro, es sei klar, Industrie verfügende Belgien sich unter Umstän handlungen in Locarno betrifft. Belgien will, daß litätspolitik vor allem die bevorstehenden Ver­auch für Deutschland und die deutschen Rhein­Ruhr- Wupper- Reviere nicht ungefährlich wäre). ihm Garantien gegeben werden, es will jedoch nicht Garant bei dem neuen in Vorbereitung be- obwohl er durch eine Rede des Außenminiſters Der Schritt Belgiens kommt überraschend, bei den bevorstehenden Beratungen mit Erfolg fein Zweifel darüber beſtehen, daß der Schritt findlichen Locarnopakt sein. Wenn diese Politik Spa at vor Wochen vorbereitet wurde. Es kann betrieben werden wird, dürfte Belgien durch Ver- Belgiens die Stellung Hitlersdiplo­handlungen das militärische Verteidigungsabkom- ma tisch stärkt. Er bedeutet ja ein weite= men mit grantreid vom Jahre 1920 modifizie- us abbrödeln der alten Vertragsfronten, eine Berlin . Die Erklärungen des Königs der falls zu irgendeiner Aufhebung dieses Abtom- heit" eine Mißtrauensfundgebung gegen die Belgier über die zukünftige Außenpolitik seines mens tommen.

London . Die englischen Stimmen zu dem Neutralitätsschritt Belgiens scheinen, wenn sie auch sehr vorsichtig gehalten sind, mit diesem Vor­gehen Belgiens voll übereinzustimmen. Es wird

Unsere militärische Politik, ebenso wie un- Standpunkt Belgiens schon längere Zeit verstän jogar angedeutet, daß England, welches von dem sere Auslandspolitik, welche direkt und unauflös- digt war die gestrige Morning Post" brachte lich verbunden sind, braucht keinesfalls den Krieg über das Wesen der belgischen Militärreform vorzubereiten auch nicht einen fiegreichen auf eine ausführliche Information Grundlage von Bündnisſſen, sondern sie muß den Art Gentleman- Versicherung gegeben hat, daß es Belgien eine Krieg von unserem Gebiet abhalten. Die Neube­sehung des Rheinlandes hat uns faſt in die ihm zu Hilfe kommen würde, wenn sich die Situas Vortriegssituation versetzt. tion vom Jahre 1914 wiederholen sollte.

Unsere geographische Lage gebietet uns, un­ſeren militärischen Apparat zu erhalten, der im­stande ist, jeden in unserer Nachbarschaft davon abzuhalten, sich unser Gebiet zu einem Angriff auf einen anderen Staat auszuborgen. In diesem Grundsatz ist die ganze belgische öffentliche Mei­nung eines Sinnes.

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Genugtuung in Deutschland

Der Vertreter Madrids

De Asua im Prager Gesandtschaftsgebäude

empfängt Journalisten

Westmächte und den Völkerbund. So sehr man den Schritt Belgiens also vom Standpunkt einer einheitlichen demokratischen Friedenspolitik in Europa bedauern mag, so schwer wiegen doch die Gründe, die Belgien für seine neue Politik ins Treffen führen kann.

Ein Bündnis, wenn es auch nur ein Defensiv Bündnis ist, führt nicht zum 3iele, denn, mag die Hilfe des Bundesgenossen Da ist zunächst einmal das Versagen noch so rasch kommen, sie würde erst nach dem des Völkerbundes in dem großen Test ersten Ansturm, der schrecklich wäre, eintreffen. case", an dem Prüfstein der abessinischen Frage, Zur Verteidigung gegen diesen ersten Anprall zu nennen. Wir Sozialisten haben immer wieder Gestern nachmittag empfing der Prager Ge-| faltung einer unglaublichen Hezkampagne durch darauf hingewiesen, daß die Haltung des Völker­muß unsere Armee vorbereitet sein. Wenn wir fandte der spanischen Regierung, der abends bor- die Rechtsblätter am 17. Juli die Rebellion der bundes und der Großmächte gegenüber der Ver­nicht ein eigenes Verteidigungssystem errichten her in Prag eingetroffen war, Minister I Me= Armee einsetzte, die Rebellion, die lediglich eine gewaltigung Abessiniens nicht ohne allgemeine und würden, könnten wir keinen Widerstand leisten nez de Asua, die Prager Journalisten. militärische ist, während das gesamte spanische weitreichende Folgen bleiben würde. Die kleinen und der Feind würde tief in unser Gebiet ein­Die erste Frage, nämlich, wie sich der Volt über jeden Zweifel erhaben auf Seiten der dringen und es verwüsten. Nach dieser ersten Pe- wechsel in der Gesandtschaft Regierung stand und steht. Er gibt der Empö- Sicherheit" nicht mehr geschützt. Ihnen ist mit Staaten fühlen sich seither durch die kollektive riode könnte das Eingreifen der Freunde den vollzogen habe, beantwortete Ajua, der ein pracht- rung darüber Ausdruck, daß die Rebellen gegen theoretischen Bekenntnissen zum, Völkerrecht nicht Endsieg sichern, aber unser Gebiet wäre verwüstet volles Französisch spricht, mit ernstem zurückhal- das spanische Volk Marokkaner und gedient, sie wollen wirklichen Schuß. Dann spielt in einer Weise, dessen schwaches Abbild die Zeit tendem Lächeln dahin, daß diese ganze Angele- rem den legionäre vorſchicken. zwischen 1914 und 1918 wäre. da eine Rolle die merkwürdige Haltung, die genheit eine Anekdote, eine Episode ge= Ein Journalist so sagt er, hat sehr wohl Großbritannien seit drei Jahren immer wieder Daher dürfen wir nur ausschließlich eine belgische Politik machen. Diese wesen sei, daß er Herrn Sanz Tovar gar nicht das Recht und wohl auch die Pflicht, zu tritijie- gegenüber der Politik Hitlers eingenommen hat. Politik muß darauf gerichtet sein, daß wir außer gesehen habe und daß ihn dieser Mann so wie der ren, aut interpretieren und etwa auch seine Wün- Die britische Weigerung, bindende Garantien für halb aller Konflikte unserer Nachbarn stehen. ganze Fall überhaupt nicht intereſſiere. Mit ab- sche für den Sieg der einen oder anderen Sache die Sicherheit auf dem Feſtland zu geben, die Diese Politik entspricht unseren nationalen Idea- olut imponierender Selbstverständlichkeit ergibt auszusprechen. Aber die erste Pflicht des Jour Hilfe, die Hitler vielfach in London gefunden hat, sich de Asua rechtens als Bevollmächtigten der listen ist, auf Grund genauer Informationen die konnten die kleinen Staaten zu einer entschieden spanischer Regierung und erledigt mit einer Wahrheit auszusprechen eine Pflicht, der Handbewegung seinen illegitimen Vorgänger. 3. B. etliche Pariser Journale in der Frage des ablehnenden Haltung gegenüber dem deutschen spanischen Kampfes leider durchaus nicht nachge- sich der Völkerbund zeigte, je mehr die Politik Imperialismus nicht ermuntern. Je schwächlicher Der Gesandte schickte sich sodann an, die kommen sind. De Asua erklärt sich als Vertreter Londons schwankte, je unklarer- vor allem in ſchen Nation und nicht etwa nur der ſpaniſchen wurde, desto stärker mußte die Wirkung der deut­der spanischen Regierung und der gesamtspani- der Aera Laval auch die Pariser Politik Sozialisten, obzwar er sich mit ſtolzer Selbſtver- schen Werbungen und Drohungen in den kleinen

ständlichkeit als Sozialist bekennt.

len. Mögen diejenigen, die an der Möglichkeit einer solchen auswärtigen Politik gezweifelt haben, das stolze und entschlossene Beispiel Hol­ lands und der Schweiz betrachten, mögen sie sich daran erinnern, welche entscheidende Rolle zu Journalisten furz über die Geschichte der spani­unseren Gunsten und zugunsten unserer Verbün- schen Republik zu informieren, die vom Anfang beten die Tatsache gespielt hat, daß die Vorkriegs- an vor drei Fragen stand: dem Problem des Mi­neutralität Belgiens verletzt worden ist! Unsere lit är 3, dem Agrarproblem und dem moralische Stellung wäre unvergleichlich schwä- Problem der Kirch c. In sehr instruktiver Weise Es ist nicht richtig anzunehmen, so sagt de Staaten sein. Nun kommt noch d asspanische cher gewefen und die ganze Welt hätte uns nicht schildert de Asua insbesondere das Verhältnis, Afua unter anderem, daß das katholische Spa- Erempel dazu. Eine Regierung, die durch die gleichen Sympathien entgegengebracht, wenn daß die Spanische Republik zur Kirche einnahm, nien durchaus auf feiten der Rebellen ſtehe. zweifelsfrei feſtgeſtellte Intriguen der faschisti­fich der Angreifer zur Begründung seines Ueber- die bei vollkommen liberaler Konſtitution Spa- Ueberzeugte spanische Katholiken kämpfen in den ſchen Mächte in einen Bürgerkrieg geſtürzt wurde, feiner Gegner hätte berufen können. Ich wieber- ſich und der Kirche zog, ohne diese aber auch nur ein Chriftlich ſozialer zum Gesandten fleinen Staaten ſich auf andere Art zu ſichern ver­falls auf unsere Bundesgenoffenfchaft mit einem niens einen Trennungsstrich zwischen Meihen der Volksfront mit und erst kürzlich wurde ſieht sich wiederum von den. berufenen Vertrags­hütern nicht unterstützt. Was Wunder, daß die hole daher, daß unsere militärische Politik einzig im mindeſten zu verfolgen. Das Bekenntnis zur in Brüssel ernannt. unferem Schuts vor dem Kriege entsprechen muß; katholischen wie zu jeder anderen Kirche iſt in Ueber die augenblickliche Situation an der suchen, auf eine lebensgefährliche und kurzsichtige möge er von welcher Seite immer kommen. Es ist Spanien nach wie vor frei, nur hat die katholi- Front befragt, erklärt der Gesandte, daß er im Art, wie man hinzufügen muß, aber auf eine bis notwendig, daß die öffentliche Meinung Belgiens sche Kirche aufgehört, Staatsreligion zu sein. Augenblick darüber nicht mehr sagen könne, als zu einem gewissen Grade zu verstehende Art. De Asua, der als Rechtslehrer der dem Zeitungsleser ohnehin bekannt ist, da de Asua Gerade das spanische Beispiel mag auf Bel­Universität Madrid natürlich in juri- drei Tage auf der Reise nach Prag gewesen und gien sehr nachdrücklich eingewirkt haben. Denn stischen Fragen ebenso zuhause ist, wie als einer während dieser Zeit ohne direkte Verbindung mit auch Belgien ist inner politisch von sch wv e- Paris.( Havas.) Der Entschluß des Königs der der bekanntesten sozialistischen Führer und Vi z e- der Madrider Regierung gewesen ist. Auch sonst renkonflikten bedroht. Die Unterschätzung Belgier wird von der gesamten französischen Presse pra si dent der Madrider Kam kann de Asna über das Leben in Madrid aus der nationalen Frage, die jahrzehnte­als äußerst wichtiges Ereignis bezeichnet. Im Echo mer in den Fragen der Politik, beschäftigte sich eigener. Anschauung nichts, aussagen, da er seit lange nationale Unterdrückung der flämiſchen de Paris" vergleicht Pertinag den Beschluß Belgiens dann noch eingehend mit dem republikanischen dem 14. Juli Spanien verlassen hatte; er war Mehrheit durch die franco- wallonische Minder­mit der Tat Hitlers vom 7. März. Das Blatt fagt, Erziehungswesen in Spanien und mit der Agrar- die ganze Zeit stellvertretender Gesandter Spa- heit, die Anmaßung der französisch orientierten Belgien wird sich künftighin nur dann verteidigen, reform, die durchaus nicht so weit reicht, wie etwa niens in Paris. Streise gegenüber Flandern und dem flämischen, wenn auf sein Gebiet ein Einfall unternommen die Agrarreform in der Tschechoslovakischen Re- De Asua unterhielt sich dann noch zusam- mit der Geschichte Belgiens untrennbar verbun wird. Ez lehnt also den Rhein- und Locarno- Patt publit, ging dann zu einer Analyse der Links- men mit dem Sekretär, den er nach Prag mitge- denem Element, rächen sich jetzt. Denn unter den ab. revolte und sodann zur Schilderung der Auf- bracht hat, in zwangloser Weise mit den Journa- Flamen hat die Hitlerpropaganda am stärksten

davon überzeugt ist. Was Frankreich meint

Dem Populaire" zufolge stimmen zahl- richtung der Voltsfrontregierung nach dem listen, die sichtlich ohne Rücksicht auf die Einstel- Fuß gefaßt. Schon hat die nationale Aufipal­reiche Sozialisten in Belgien, insbesondere die triumphalen Sieg der Linksparteien über. Im lung ihrer Blätter in dieser Stunde den Ein-| tung der großen Parteien bei den Katholiken be­Freunde Vanderveldes mit dieser Politik des mer wieder betont de Asua mit Nachdruck die druck gewonnen hatten, daß die spanische Regie- gonnen. Schon haben die Flamen mit den Regi­Ministerpräsidentén Van Zeeland und des König Mäßigung. mit der die republikanische Re- rung einen ihrer besten Männer nach Prag ge- iten" Dégrelles gemeinsam gegen die Politik der Leopold nicht überein. Van Zeeland habe jedoch gierung vorging. Er schildert, wie unter der Ent- schickt hat. Regierung demonstriert. Die, natürlich von Ver=