Dir. 260

Sonntag, 8. November 1936

Sudetendeutscher Zeitspiegel

Warnsdorf, die Stadt der Konjunktur

Unternehmer- Initiative und Qualifikation der Arbeiterschaft

Es ist kein Zweifel, daß sich die Wirtschafts- gegen 9100 in den Hochkonjunktur- Jahren besserung auch im sudetendeutschen Lebensraum 1928/29. Aber es ist zu berückſich igen, daß seit bemerkbar macht. Nicht durchwegs, aber in einigen 1931 sieben Betriebe stillstehen, von denen in der Gebieten. Vor allem in der Warnsdorfer letzten Zeit nur einer in beschränktem Umfang Gegend, deren wirtschaftliches Leben von dem wieder in Gang gesezt wurde! Es gibt in Warns glänzend prosperierenden großen Kunertbetrieb dorf- Stadt kaum noch Jugendliche, die nicht in start beeinflußt wird, ist die Wendung zum Besse Arbeit stehen. Allerdings sind viel Alte auf der ren zu spüren. Sowohl die Textilindustrie, wie Strecke geblieben, die das neue Arbeitstempo nicht auch die Metallindustrie - mit Ausnahme der mehr durchhalten. Hier tut sich das Problem ihrer Messererzeugung sind voll beschäftigt, ja, es dauernden und zureichenden Befürsorgung auf. fann in einzelnen Fällen von einer och kon Wir brauchen keinen Hitler! junktur gesprochen werden! Bei dem Versuch, den Ursachen dieser Konjunktur nachzuspüren, ge= langt man zu interessanten und lehrreichen Er­gebnissen.

Die Kunert- Fabrik

Die Kunert Fabrik ist seit Jahren in einem stürmischen Aufstieg. Die Entwicklung wurde durch die Krise zwar gehemmt, aber nicht unterbrochen. Es würde zu weit führen, die märchenhafte Ge­schichte der Firma Kunert hier ausführlich viederzugeben. Die Familie wandte sich nach dem Kriege der Strumpferzeugung zu. Einige Ra­scheln und Kettenstühle, in einem klenen Raum untergebracht, bildeten in den ersten Nachkriegs­jahren das ganze Vermögen des Unternehmens. Kühnheit und Entschlußkraft haben es so weit ge= bracht, daß die Firma 3. Kunert und Söhne heute über vier mächtige, moderne Objekte verfügt( von denen eines acht Stocktverke hoch ist) und daß sie gegenivärtig 2600 Arbeiter beschäftigt. Kunert beherrscht die Strumpferzeugung der Republik , er beherrscht den englischen Markt, wie er überhaupt vor allem in die Länder mit freier Valuta liefert. Als die Kunstseide auffam, zögerten viele altein­gesessene Unternehmungen, sich der Verarbeitung dieses neuen Produktes zuzuwenden. Kunert pro­duzierte sofort Strümpfe aus Bemberg- Seide. Die Billigkeit erhöhte die Nachfrage, der auch bei der höchsten Ausnüßung der Arbeitskapazität faum genügt werden konnte. Heute arbeitet man in den Objekten der Kunertschen Fabrik Tag und Nacht in höchstem Tempo, aber die Entwicklung des Betriebes ist noch nicht abgeschlossen: es sind neue, mächtige Zubauten geplant. 1929 beschäf= tigte die Firma rund 900 Arbeiter. Nach einem Streit in diesem Jahr sank der Beschäftigtenstand auf etwa 600. Vier Jahre nach dem Streif, 1933, war die Arbeiteranzahl wieder auf 900 gestiegen, 1934 hielt Kunert bei 1500 Beschäftigten. Im Laufe der letzten zwei Jahre kamen noch mehr als 1000 Menschen hinzu!

einige Umstände erschwert. Es fehlt zum guten Teile das ältere Arbeiter- Element, das eine Tra= dition des Klassenbewußtseins entwickelt hatte. Die jungen Arbeiter, die jahrelang arbeitslos waren, müssen gewissermaßen ganz von vorne anfangen. Dazu kommt, daß in den meisten Be­trieben ein mächtiger Zuzug aus den reisendes proletarisierten mittelstandes zu bemerken ist: bei Stunert in Warnsdorf arbeiten viele junge Mädchen, die unter denselben sozialen Verhältnissen wie früher als sogenannte" Haustöchter" in der Familie ge­blieben wären und nie daran gedacht hätten, sich gegen 50 oder 70 Wochenlohn an eine Tertil­maschine zu stellen. In solchen Menschen entwif­telt sich das Gefühl der Klassenzugehörigkeit naturgemäß später. Uebrigens ist dieser Zuzug aus dem Mittelstand die Erklärung dafür, daß der Beschäftigtenzuwachs größer ist als das Sin­fen der Arbeitslosenziffern. Das geht zumindest aus den Warnsdorfer Statistiken hervor.

Wenn auch etwa 80 Prozent der Warns­dorfer Textilindustrie vom Kollektivvertrage er faßt sind, so weigerte sich die Firma Kunert bis her mit größtem Nachdruck, einen Kollektivvertrag abzuschließen. Ihre Gesinnung ist nicht zuletzt Konjunktur in der Metallindustrie auf die Tatsache zurückzuführen, daß die Arbei­terschaft zu einem großen. Teile stimmungsmäßig In der Warnsdorfer Metallindustrie herr­der Deutschen Arbeitergewerkschaft anhängt und schen so gute Beschäftigungsverhältnisse, daß z. B. die Beschäftigten angesichts der großen Arbeits- die Maschinenfabrit Plauert ihren Beschäf­

Blick auf Warnsdorf mit den Kunert- Fabriken

Es ist richtig, daß die Firma Kunert alle für losenarmee eingeschüchtert waren. Nunmehr aber den Aufstieg ihres Betriebes gegebenen Möglich beginnt sich unter der Wirkung der Konjunktur feiten ausnüßte. Die Energie der leitenden Men- und des schon festzustellenden Mangels an Qua­schen und ihr Geschick führten zur restlosen Aus- litätsarbeitern das Selbstbewußtsein der Arbeiter wertung der Situation, die durch die Erfindung zu heben. Vor einigen Monaten unternahmen die der Kunstseide gegeben war und erkämpfte der Arbeiter der Stunert- Firma. eine spontane Ab­Firma große Absaßgebiete, aus denen sie heute wehrattion gegen einen sie schikanierenden Vor­kaum mehr zu verdrängen ist. Strupel gegenüber gesetzten, die mit der Entlassung dieses Vor­der Arbeiterschaft kannte das Unternehmen nicht: gesetzten endete. Dieser Vorfall führte dann auch das System des Lohndrucks wurde besonders in zur Wahl eines Betriebsausschusses. Man kann der Zeit der Krise rücksichtslos angewandt. Die nicht verschweigen, daß die Warnsdorfer Textil­Löhne sind auch heute sehr niedrig. Mit Erfolg industrie, vor allem aber die Firma Kunert, die hat sich die Firma nach dem für die Arbeiter vers unterstützung unserer Inlands lorenen Streit des Jahres 1929 gegen den Ab- und Auslandsbehörden genießt, eine schluß eines Kollektivvertrages gewehrt und die Tatsache, die zur Proſperität nicht wenig beige­Aufnahme von Beziehungen zu den freien Ge- tragen hat und das von der SdP verbreitete Mär­wertschaften abgelehnt. Die sozial- hygienischen chen widerlegt. daß das Heil von ihr, bzw. von Einrichtungen der Kunert- Betriebe lassen zu Deutschland komme. Die Warnsdorfer Tex­tilarbeiter verdanken ihre gute Beschäftigung zum wünschen übrig. Die Arbeit vollzieht sich in einem rasenden Tempo, die Kräfte der Arbeiterschaft nicht geringen Teile dem Umstand, daß sie in der werden bis zur Erschöpfung ausgenüßt. Die rie- Tschechoslowakei leben. Sie täten gut daran, senhaften Reingewinne des Betriebes wurden der daraus die politischen Konsequenzen zu ziehen. Vetriebserweiterung zugeführt, die Steuererleich­terungen, die für Neubauten gewährt wird, wurde restlos in Anspruch genommen. Alle diese Fak­toren haben zu dem Aufstieg der Firma zu einem Welt- Unternehmen beigetragen.

Unternehmer- Initiative

Ohne die Gewerkschaft geht es nicht

Seite 3

Senator Rickard Lindström, Göteborg spricht in der Zeit vom 14. bis 22. November in verschiedenen Städten der Tschechoslowakei

86 Prozent gesenkt.( Eine interessante Beobach­tung nebenbei: in der Zeit der Beschäftigungs­losigkeit ist die qualitative Leistungsfähigkeit mancher Arbeiter gesunken. Das wird ihnen von den Unternehmern bei Lohnforderungen und -Verhandlungen vorgeworfen.).

Die politische Aufgabe

So bietet denn die Warnsdorfer Industric entwicklung ein durchaus erfreuliches Bild. Wir wissen, daß es anderswo noch immer sehr, sehr schlecht ist. Aber es lag uns daran, aufzuzeigen, wie wertvoll die Unternehmerinitiative ist und wie ziveckmäßig die Anerkennung der freien Ge­werkschaften als gleichberechtigte Partner, hinter denen auch die Kraft der politischen Arbeiter­bewegung steht. Diese Kraft wurde in tausenden Fällen zum Vorteil der sudetendeutschen Arbeiter­schaft. eingesetzt, auch ihr gebührt mit das Ver­dienst daran, daß es der sudetendeutschen Indu= strie heute etwas besser geht. Aus der Wandlung der wirtschaftlichen Verhältnisse wird sich auch die Wandlung des politischen Bewußtseins der sude­ tendeutschen Arbeiterschaft ergeben. Auch hierbei fommt es auf initiatives Wirken an. Daran hat es bei uns nie gefehlt, daran wird es auch in Zukunft nicht fehlen. K. K.

Henleins Hohlbaum

-

tigtenstand von 164 Mann am 31. Dezember 1935 auf gegenwärtig 453 Mann steigern konnte. Die Firma arbeitet für den Export. Vor. allem Wie die bürgerlichen Blätter Prags und der für die Sowjetunion , aber auch für andere Län­Provinz berichten, veranstaltet der Verband der deutschen Akademiker", Prag , der. Die Präzision der Plauertschen Werkzeug­am 14. November im Saal des Deutschen Hand­maschinen ist nicht zuletzt infolge der Qualififa- werkervereins einen Vortragsabend mit Robert tion der Arbeiterschaft unerreicht und schlägt alle ohlbaum, wofür Starten bei der Deutschen Sonkurrenz. Der Unternehmer kümmert sich wirk- Studentenfürsorge zu erhalten sind. Ganz abge­ich um seinen Betrieb, er hat auch in der Zeit schen von der Tatsache, daß dieser österreichische der Krise darauf gesehen, daß der Arbeiternach- Dichter er bekleidet im Nebenberuf das Amt ein wuchs geschult werde und sorgt selber dafür, daß eines Wiener Universitätsbibliothekars in seinem Betriebe der rechte Mann am rechten wütender Tschechenhasser iſt, deſſen Plaze steht. Aehnliches iſt auch von den übrigen Bücher zum Teil wegen ihres irredentistischen In­Metallfabriken zu sagen, die aus dem guten Ein- halts hierzulande verboten sind, mutet es gerade­vernehmen mit der freien Gewerkschaft( es domi- zu wie ein Hohn auf die tschechoslowakische Demo­niert hier der Internationale Metallarbeiterver- tratie von seiten der Henlein - Studenten an, wenn band) Vorteil gezogen haben, wie auch die Ar- man die folgende Notiz in Nr. 518 der Ber beiter der Kraft und dem Einfluß ihrer Gewerk- liner Börsen 3eitung" liest: schaft gute Arbeitsverhältnisse und entsprechend hohe Löhne verdanken. Die Firmen haben übri­gens auch Staaisaufträge. Die gute Be­schäftigung ist für die nächsten Monate gesichert. ( Unsere Warnsdorfer Jugendorganisation hat keine Arbeitslosen mehr. Die Jungen sind in der Metallindustrie beschäftigt, die Mädchen in der Textilindustrie. Die Verdienste der Jugendlichen sind vor allem in der Textilindustrie noch gering, damit aber die Arbeiter wieder um höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen kämpfen fön­nen, müssen sie wieder in die Betriebe hinein! Diese Vorbedingung ist in Warnsdorf gegeben. In anderen Gegenden, z. B. in Dur, ist noch immer mehr als die Hälfte der Jugend­

=

-Vortrag Robert Hohlbaums. Zur Eröff nung der kulturellen Winterveranstaltungen des NSD- Studentenbundes und des Studentenringes der NS.- Kulturgemeinde spricht am 10. Novem­ber, 20 Uhr, in der Alten Aula der Universität der österreichische Dichter Robert Hohlbaum über: Pflicht und Sendung des grenz deutschen Dichter 3". Ein Streich­quartett der Staatlichen Hochschule für Musik wird den Abend musikalisch ausgestalten. Starten in den Ausgabestellen des Studentenringes und in der Geschäftsstelle der NS. - Kulturgemeinde, Ber­ lin W 9, Herrmann- Göring- Straße 6.

In Berlin wird also Robert Hohlbaum wohl im Sinne der Hitler, Krebs und Jung über die follten ihm Pflicht und Sendung des geenzdeut­schen Dichters" bedeuten?, in Prag aber soll er wohl die ,, Loyalität" der SdP unterstreichen ( sein Vortragsthema ist bisher noch nicht ange= kündigt worden)! Jedenfalls konnten sich die Kelsen- Barbaren feinen geeigneteren Redner für

Das Bestreben der Firma Kunert ,, sich ohne und gegen die freien Gewerkschaften durchzusetzen, scheint sich nicht zu bewähren. Dazu mag nicht wenig der Anschauungsunterricht bei­getragen haben, den die Verhältnisse in anderen Stunert hat aber auch die anderen Textil- Betrieben gewähren. Immer mehr stellt sich her­unternehmungen des Warnsdorfer Gebietes zur aus, daß es ohne die freien Gewerkschaften nicht Vervollkommnung ihrer Betriebe angeeifert. Vor geht und daß die Unternehmungen gut daran tun, dem Kriege erzeugte man hier den bekannten das Verhältnis mit ihren Arbeitern auf der Warnsdorfer Hosenstoff, eine ziemlich grobe Grundlage von Verträgen mit den freien Gewerklichen arbeitslos.) In der Warnsdorfer Metall­Ware, die man auch anderswo unschwer herstellen schaften zu klären. Das gereicht nicht nur den Ar- industrie sind viele Facharbeiter aus anderen Tschechoslowakei sprechen denn was anderes kann und die auch tatsächlich nach dem Kriege beitern zum Vorteil, sondern auch den Unterneh- Gebieten beschäftigt, da hier schon Mangel an nicht mehr gangbar war. Die Industrie hat sich mungen, denn es vermehrt die Möglichkeit der Facharbeitern herrschte. Die Beschäftigung wäre darum auf Qualitätsware umgestellt: friedlich- einvernehmlichen Austragung von Kon- noch besser, wenn die Devisenfchwie neben der Wirkerei hat sich die Wollstoff- Indu= flikten durch die Vereinbarungen der gleichberech rigkeiten nicht wären. Aufträge strie entwickelt, die Modewaren- und Samterzeu- tigten Vertragspartner. In nicht wenig Fällen rengenug zu bekommen! Auch die gung, und das Veredelungsverfahren wurde ver- haben es die freien Gewerkschaften verstanden, Warnsdorfer Metallindustrie ist übrigens ein vollkommnet. Der Film- und Seidendruck hat eine durch das Einsetzen ihres Einfluſſes die Fortfüh- Beweis für den Wert und die Wirkung der Un- ihren Akademiker- Abend verschreiben als Hohl­hohe Vollendung erreicht. In den Textilfabriken rug dieses oder jenes Betriebes und damit die ternehmerinitiative, die sich nicht baum. des Warnsdorfer Gebietes, die alle gut beschäftigt Sicherung der Arbeitspläße zu ermöglichen. nur auf das Erschließen von Absazmärkten er­sind, stehen die modernsten Maschinen von Schließlich kann man in einer Zeit, da die Kon- streckt, sondern auch auf Erzeugungs­enormer Leistungsfähigkeit. Auch in der Zeit der junttur die Steigerung des Selbstbewußtseins der Normal- Konjunktur war der Beschäftigungsgrad Arbeiterschaft bringt, nicht mit den gleichen faum besser als heute. Das widerlegt die kürz- Methoden regieren wie in der Zeit der ärgsten lich von unserem Ministerpräsidenten aufgestellte Kriſe, da jeder Arbeiter um seinen Arbeitsplaß Behauptung, daß der Textilindustrie nicht zu hel- gezittert hat. fen sei: zum guten Teil hängt das mit der Unter­nehmer- Initiative zusammen, die in der Warns­dorfer Gegend eben vorhanden ist.

Heute arbeiten in der Textilindustrie des Warnsdorfer Bezirkes wieder 8500 Menschen den

Schimpf- Rosche

ideen, auf das Verhältnis zur Arbeiterschaft und die Schulung des Arbeiternachwuchses. In der Der Herr Abg. Rosche machte in der Situng Meſſerindustrie herrschen noch sehr schlechte Ver- des Budgetausschusses des Abgeordnetenhauses hältnisse. In dieser Industrie ist die deutsche Ston- vom Freitag seiner Gereiztheit, in die er durch furrenz nicht zu schlagen gewesen, die mit allen die Polemiken des Abg. Jatsch und des Senators Mitteln arbeitet. Ihr haben viele der sudeten- Dr. Heller gegen ihn geraten ist, dadurch Luft, deutschen Arbeitslosen denn diese Konkurrenz daß er den Leßigenannten in einer jedem parla­ist in fast allen Industrien zu bemerken ihr mentarischen Niveau hohnsprechenden Weise be= Die Neubildung des Klassenbewußtseins in Schicksal zu verdanken. Jedenfalls hat die Warns- schimpfte. Schimpfworte sind stets als ein Man­Großbetrieben mit Neukonjunktur ist durchdorfer Metallindustrie ihre Arbeitslosenziffer um gel an sachlichen Argumenten aufgefaßt worden

Die Bewußtseinsbildung bei den Arbeitern

-