Sozialdemokrat

Sentralorgan der Deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der Tschechoslowakischen Republik

Erscheint mit Ausnahme des Montag täglich früh Ginzelpreis 70 Heller

Demokratie

ist die politische Form der Menschlichkeit

T. G. Masaryk

Redaktion und Verwaltung: Prag XII., Fochova 62

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Telephon 53077

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Herausgeber: Siegfried Taub - Verantwortlicher Redakteur: Rarl Kern, Prag

17. Jahrgang

Dienstag, 14. September 1937

T.G. Masaryk

Lány. T. G. Masaryk ist Dienstag früh um 3 Uhr 29 Minuten verschieden.

Von den Hängen des Erzgebir­ges bis an die Waldkarpathen herrscht heute in der Tschechoslo­wakischen Republik, des Staates, den Thomas Masaryk geschaffen hat, tiefe Trauer und es wird wohl kein Heim eines Bürgers, Bauern oder Arbeiters geben, in dem nicht der große Schmerz gefühlt wird. tein Gemüt von Mann, Frau oder Kind, das nicht bewegt ist. Ja, über die Grenzen dieses Staates hinaus, wird jeder gebildete Mensch in Europa und werden Tausende in den fernsten Erdteilen fühlen, daß ein Großer von uns gegangen ist, ein Mensch, in dem fich wie in einer zarten Blüte die wahre Kultur Europas verkörpert hat, höchste Sittlichkeit mit tapfe­rer Kühnheit, edelster Idealismus mit schärfstem Verstand, unend. liche Weisheit mit realster Politik gepaart haben. Von Masaryk kann

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man mit Recht des deutschen Dich­terfürsten Wort zitieren: wird die Spur von sei­nen Erdentagen nicht in Aeonen untergehen".

Mit Masaryk ist wohl der größte Mann gestorben, den das tschechische Bo tschechische Volt hervorgebracht hat. An geschichtlicher Bedeutung und historischer Größe kann man vielleicht noch Hus und Ko­menský ihm zur Seite stellen. Aber er überragt Hus geistig weit­aus und an Komenský gemessen. war er der Erfolgreichere und Glücklichere. Während Komenský bis an sein Lebensende als Emi­grant in der Welt umherirrte, tehrte Masaryk nach vier Jahren Emigration als Staatspräſident in das befreite Vaterland zurück, er hat das Erbe des großen Comenius voll streckt. Auch die politischen Ge­stalten der neueren tschechischen Ge schichte reichen an Masaryk nicht heran: weder der größte tschechische Journalist a bliček.Bo. rovský, der in seinem politischen. Realismus an den ersten Präsi

denten der Tschechoslowakischen Republik erinnert, noch Palacký, dem Masaryk wieder durch seine Allseitigkeit überlegen war. Dem tschechischen Volk ist das geradezu unermeßliche Glüd auteil geworden, in der entscheidenst en Stunde feiner neueren Geschichte seinen größten Sohn herbor. gebracht zu haben. Nicht oft treffen objektive und subjektive Faktoren in der Geschichte zusammen, wie es im Weltkriege für das tschechische Volt gewesen ist. Masaryk hat durch Jahrzehnte unerhörte geistige Arbeit für sein Bolt

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geleistet, hat die Nation geistig revolutioniert, um ihr schließlich Freiheit, Eigen­staatlichkeit und Selbstbestimmung zu geben. Das Lebenswerk ist mit einem Diadem gekrönt, dessen Strahlen durch die Jahrhunderte leuchten werden.

Und nicht nur bei den Tsche. chen. Man wird uns nicht eng­stirnigen Patriotismus vorwerfen, wenn wir sagen, daß Masaryk zu den bedeutendsten Staatsober­häuptern eines Jahrhunderts ge­zählt werden kann und wohl der weiseste der letzten Jahrzehnte gewesen ist. Der alte Traum des großen Griechen Plato hat sich erfüllt, daß

ß die Philosophen regie­

ren sollen und daß der weiseste auch der erste Mann im Staate sein möge. In dieser von Bar­barei und Unkultur geschändeten Welt, in diesem Jammertal der Konzentrationslager und der Er. schießung politischer Gegner, in diesem Erdteil, dem die Brand­fackel des

droht und Strieges unheimlich

damit der Untergang einer mehrtausend Jahre alten Zivilisation, war die Präsident­schaft Masaryks ein Trost für die Menschheit, eine Hoffnung, daß Menschlichkeit und Kultur noch nicht erstorben, daß Ideale und Sittlichkeit noch nicht vor die Hunde gegangen sind, da ß ,, n och ein Edles unserem Tun

iit na h". Was die Lichechoslo­wakei an Geltung im Auslande dadurch, gewonnen hat, daß Ma­faryt von 1918 bis 1935 ihr Führer war, iſt unabschätzbar. Jeder, der m Auslande gewesen ist, weiß, hohe menschliche Achtung der erste Präsident ge­nossen hat Masaryk und Beneš sind zwei Namen, die der süd­amerikanische Kaufmann ebenso tennt wie der orientalische Student an Europas Hochschulen. Voll­gesogen mit europäischer Kultur, hat das Wirken des großen Tsche­chen wieder weit hinaus.

gestrahlt in die Welt, über die Grenzen von Nation und Staat. So bewahrheitet sich wieder, daß die Größten der Menschheit nicht nur einer Nation. sondern allen gehören, wie Plato und Aristoteles , Goethe und Kant, Rousseau und Voltaire, Baco und Shakespeare , Dostojewski und Tolstoj. Comenius und Masaryk . Wahre Liebe zur Nation muß wünschen, daß die Größten des Volkes allen gehören; Kultur und Menschlichkeit, wahres Ingenium und echte Größe sprengen die Tore eines beschränkten Nationalismus und lassen unsere Augen

Nr. 216