Seite 2 Mittwoch, 3. November 1937 Nr. 258 der aus Spanien herausgeht, so lassen wir mit uns reden; wir sind dann bereit, Franco goldene Brücken zu bauen. Man darf nicht vergessen, daß England von einer konservativen Regierung ge­führt wird und daß auf die britischen Staatsmän­ner das Schlagwort von dem spanischen Bolsche­wismus doch anders, stärker wirkt als etwa auf französische Linkspolitiker. Die Konservativen vertreten das besitzende englische Bürgertums nicht nur, was nicht das schlimmst« wäre, die groß­bürgerliche Besitzklasse, die vor dem Bolschewismus keine so kindische Angst hat, sondern vor allem die bürgerlichen Mittelschichten, die sich unter Bol­schewismus nichts Rechtes vorstellen können, ihn aber auf jeden Fall als den schrecklichsten der Schrecken fürchten. Eden hat sehr vorsichtig be­tont, daß er persönlich anderer Meinung sei, daß er aber die Aversion weiter Volkskreise gegen die Valencia -Regierung in Rechnung stellen müsse. Was Spanien betrifft, so bleibt das Ideal der Briten , wie die Rede Edens zeigt, eine Lösung ohne faschistische Diktatur und ohne republikanische Volksfront. Es bleibe dahingestellt, ob sich dieses Ideal der Downing street verwirklichen läßt. Die nächste Folge der Eden-Rede wird vermutlich ein Vorstoß der Achsen-! Mächte sein, wahrscheinlich eine Rede Hitlers , der Mussolini sekundieren wird. Man nimmt zur Zeit an, daß im Vordergrund der Hitler -Rede die Kolonialfrage stehen, daß Deutschland vielleicht seine Zustimmung zu dem 8 119 des Vertrages von Versailles widerrufen wird. Das wäre just die Methode, die Eden ausdrücklich ab­gelehnt hat, aber eS wäre eine recht gute Lehr« für die britische Diplomatie. Es ist nicht ausge­schlossen, daß Hitler , der die Ueberraschungen liebt, von etwas ganz anderem sprechen wird, es ist denkbar, daß er zwar das Kolonialproblem angeht, aber ausnahmsweise sanft spricht und den Briten um den Bart geht. Für Mitteleuropa , das uns zunächst angeht, bedeutet der neu« Zug der britischen Poli­tik, mag es auch nur«in kaum merkbares Anzie­hen sein, doch eine Entlastung. Nicht nur, weil England sich, stärker geworden, auch für Mit­ teleuropa eher«insetzen wird, sondern vor allem deshalb, wellsich die Entscheidungenno 1- wendignachdemWestenversckiieben. Es kann uns nur recht sein, wenn das Kolonial- problem in den Mittelpunkt der politischen Ge­spräche rückt und wir fahren sehr gut, wenn die unausbleibliche Auseinandersetzung zwischen dem Westen und der»Achse" beschleunigt und auf die wesentlichen weltpolitischen Streitfragen fefigelegt wsrd. die Schikane der Polizisten oder Gendarmen. Die Verurteilungen regneten nur so auf Barsa. Es war immer ein und dasselbe: Beleidigung von Amtspersonen, öffentliche Gewalttätigkeit und ähnliche unpolitisch« Vergehen. Am Scheidewege mit den Ueberschriften»Ins Kriminal" oderIn die SSSR " entschied sich Barsa für die zwelle Möglichkeit. Noch weilte er nicht lange im Lande der Sowjets und schon tröpfelten Nachrichten, welche bei den Linienkommunisten Aufmerksamkeit und Mißfallen bei den Führern weckten. Man ver­tuschte das, verschwieg es. Es war aber nicht mög­lich ein« Tatsache zu vertuschen: Ein Brief von Barsa, in welchem dieser aussprach, daß es von ihm nicht klug gewesen sei, der Strafe auszu­weichen, nach deren Verbüßung er wieder ein freier Bürger gewesen wäre, sagt viel. Die Pilsner Kommunisten hatten keine leichte Stellung, als sie ihre Organisation ins Leben riefen. DieWestböhmische Konsumgenos­senschaft", die Bezirkskrankenversicherung, die Ge­meinde Pilsen mit einem sozialdemokratischen Bürgermeister und eine Reihe anderer Unterneh­men, von Sozialdemokraten verwaltet, konnten ein« genügende Anzahl von Leuten beschäftigen, welche sie jederzeit in den Kampf werfen konn­ten. Nicht nur das. Das Pilsner Bier hat eine be­merkenswert übereinstimmende Wirkung wie das bayrische. Ständig in reichlichem Maß genossen macht es den Menschen langsam und bequem. Und schließlich ging es der Pilsener Arbeiter­schaft immer verhältnismäßig gut, sie verstand es schon früher, sich gewisse Verbesserungen zu er­kämpfen und deshalb galt für sie daö Radikali­sieren nicht. Eine solche Hauspflanze von Pilsner Ur­sprung war der Arbeiter Dvokäk aus den Skoda - werken. Als furchtloser Mensch, guter und fröh- licher Kamerad, war es ihm eigen, verständlich zu sagen, was er sich dachte. Er begann mit der untergeordneten Furcktion eines Ersatzmannes in einer unbedeutenden Organisation und endete im Parlament. DaS Mandat wurde sein Verderben. Berauscht durch das Bewußtsein seiner Immuni­tät, nahm er fälschlich an, daß ihm alles erlaubt sei. Es häuften sich die Klagen, dann die Urteile. Er verlor das Mandat. Er machte politisch Bankrott. Dvorak entschloß sich für die Front bei Madrid anstatt für die Werkstatt in Moskau . Er reifte ab und nach nicht ganz einer Woche wußte man in der Karolinenthaler Führung, daß er in Deutschland gefangen sei. Schon damals wurde vom Ausschluß gesprochen. Es kam erst jetzt dazu bei einer sehr unklaren Situation. Harus. Barsa, Dvokäk drei Arbeiter, welche die kommunistische Partei erschlagen hat. Ihr Schicksal ist belehrend: Di« Führung der kom­ munistischen Partei verstand nicht, drei ehrlichen Menschen die Arbeit für die Idee zu ermöglichen, der sie dienen wollten. Sie jagte sie in Konflikte mit der Staatsmacht, um sie dann, geschlagen, dem Schicksal preiszugeben. Diese Unfähigkeit trifft freilich nichts nur diese drei zufällig Genannten. Der kommunisti­ schen Partei wurde ein unendliches Kapital anver­traut. Es vertrauten sich ihr seinerzeit eine Mil­lion Wähler an, sie hatte 180.000 ordentlich zah­lender Mitglieder. Und heute? Trümmer, Wracks. Der Historiker, der die ersten zwanzig Jahre der KP§ beschreibt, wird die Tatsache nicht übergehen können, durch welche die kommunistische Partei in der Tschechoslowakei dem Faschismus gedient hat. I Um den Bürgermeister von New York London.(Eigenbericht.) Man erwarte! in den USA , aber auch in England mit größter Spannung dm Ausgang der Wahlm in New Kork, die über-die Besetzung des Bürgermeister­postens entscheiden. Die Polizei hat umfangreiche Maßnahmm getroffen, um insbesondere Aus­schreitungen der Gangster zu verhindern. Der bisherige Bürgermeister La Guar­dia wird von dem Kandidatm der berüchtigt« korrupten Tammany Hall , M a h o n e Y, be­kämpft. Obwohl Mahoney Demokrat und La Guardia Republllaner ist, find fie beide Anhän­ger Roosevelts. Für La Guardia traten aber die Amerikanffche Arbeiterpartei und LewiS ei«. Man würde einen Sieg La Guardias vor allem für ein Zeichen der Stärke und wachsend« Kon­solidierung der Arbeiterpartei halten. DaS Amt des Rew-Aorker Bürgermeisters gilt in den USA als das bedeutsamste nächst dem Präsidentenamt. bannst endlich verhaftet Auf Ersuchen der belgischen Staatsanwalt­schaft wurde Montag abends der berüchtigte Schieber Julius Barmat in seiner Amsterdamer Wohnung verhaftet. In der nächsten Zeit wird das holländische Gericht über das Auslieferungs­begehren Belgiens gegen Barmat, dem Unter­schlagungen und betrügerischer Bankrott zur Last gelegt werden, zu entscheiden haben. Die in Bel­ gien seit einigen Monaten geführten Prozesse we­gen dunklerMachenschaften imZusammenhang mit den Bankrotten der Norder -Bank und der Gold­zieher L Penso-Bank haben bisher eindeutig die Schuld Barmats an unzähligen Betrügereien. Buchfälschungen und Unterschlagungen an da» Tageslicht gebracht. Der Präsident der Republik empfing am Dienstag Dr. I. Zollschan aus Karlsbad . Tschechische Minderheilsschullehrer sollen deutsch können. Sonntag fand in Prag die Hauptvcr-* sammlung des Verbandes der tschechischen Lehrer an staatlichen Minderheitsschulen statt, bei der eine Entschließung angenommen wurde, in der es heißt, daß sich die Verhältnisse im Grenzgebiete gegen­über dem Vorjahre in staatspolitischer Hinsicht ge­bessert und gefestigt haben, was hauptsächlich auf die Schaffung von Arbeitsgelegenheit zurückzu- 1 führen sei. Neben verschiedenen Forderungen nach einer materiellen Besserstellung der Lehrer an Minderheitsschulen wird u. a. verlangt, daß bei der Besetzung von Lehrerstellen-im Grenzgebiet«.| die unbedingte Kenntnis der deutschen Sprache ge­fordert werde.(DND) Autostraden unrentabel und für ichr Tsche­choslowakei nicht aktuell. Bei dem Studium der Frage, ob Autostraden auch in der Tschechoslo-' wakei errichtet werden sollten, kam das Arbeiten­ministerium nunmehr zu dem Schluffe, daß diese nur einem Bruchteil der Bevölkerung zugute kämen und wegen ihrer Unrentabilität über kurz oder lang durch Einführung neuer Steuern und Gebühren in Betrieb gehalten werden könnten. j Grundlegend für diesen Standpunkt sind die durchwegs ungünstigen materiellen Resultate der italienischen und deutschen Autostraden, die eine i ziemliche Belastung für die Staatskassen dar-* stellen.(DND) Drei Arbeiter Der Menschenverbrauch der Kommunisten DiePritomnoft" schildert in einem Ar­tikel, den wir nachstehend wiedergeben, das Schicksal dreier Arbeiter, welche zu führenden Vertrauensmännern ihrer Partei aufstiegen und das Schicksal ist chpisch von der Partei rasch verbraucht wurden. In einem verlassenen Winkel des Böhmisch­mährischen HöhenzugeS, entfernt von der Bahn, liegt ims kleine Städtchen Polniöka. Vielleicht leben noch heute dort zwei gute alle Leute, denen das Schicksal eine große Freude beschieden hat: Ihr Sohn war Abgeordneter. Jan Harus oder ,Hans", wie sie ihm zu Hause sagten, war in der Werkstatt und später auch in der Partei ein eige­ner Typus des tschechischen Kommunisten. Er stammte aus einem lleinen Milieu, kannte die Not und schlug sich schwer durchs Leben. Auch als Abgeordneter fühlte er sich mehr als Glasarbeiter denn als Gesetzgeber. Er fühlte sich viel Wohler in einer Arbeiterkantine als im Restaurant des Prager Parlaments. Sehr empfindlich für die Stimmung der Massen, sorgfältig den Stimmen von unten lauschend, war-er eigentlich eine glän­zende Resonanzplatte. Deshalb wurde er bei den Karolinenthalern", als sie sich beim fünften Kongreß der kommunistischen Partei bemächtigten, sehr bald in Gnade ausgenommen. Harus diente der neuen Führung gut, auch wenn seine Mei­nung über die Führer nicht die beste war. Seine robuste Gestalt, sein Uebermaß an körperlichen Kräften und seine wirkliche innere Beziehung zu den Ideen des Kommunismus ver­wickelten Harus in unzählige Konflikte. Wenn ein Polizeiinspektor in Prag schöne blaue Blutunter­laufungen von der Berührung durch Harus' Hände hatte, schwollen dem Harus die Finger an nach der Begegnung mit den Gummiknüppeln der Kladnoer Polizei. Das Ergebnis ließ sich leicht voraussagen: Pankräc. ES kam dazu. Aber HanS Harus zeigte auch bei den veränderten Verhält­nissen, daß er ein anderer TypuS ist. Er lehnte<&, \ als ihm die Führung der KP§ knapp vor seiner Gefangennahme anbot, ihm die Flucht in die SSSR zu ermöglichen, er lehnt« ab«in Gesuch um bedingte Entlassung einzubringen und nach seiner Entlassung wollte er nicht in die SSSR fahren. Glaubte er vielleicht nicht an die SSSR ? Wer weiß. Er fuhr dann doch hin. Die Verhält­nisse in der SSSR begeisterten HanS HaruS kei­neswegs. Er verheimlichte seine Ansichten nicht und kritisierte den Bürokratismus der Sowjetbe­hörden und die Unzulänglichkeiten, die er sah, scharf. Er vergaß freilich die geänderte Lage, welche den früheren Harus, einen einflußreichen kommunistischen Arbeiter in Harus den Emigran­ten verwandelte, der auf die Gnade und Ungnade der Kommunistischen Internationale und der Sowjetbehörden angewiesen war. Er spürte von neuem die Ungnade der Mächtigen. Ohne Arbeit er konnte während einer Reihe Monate keine Beschäftigung in einem Land finden, wo Mangel an Arbeitskräften ist lebte et im größten Elend. Jetzt beschuldigt die Gruppe Guttmann- Kalandra in ihrem Organ die Stalinisten, daß sie HaruS eingesperrt haben, wenn er überhaupt noch am Leben ist.;..... Gegen den heldenmütigen Harus war der Brünner Barsa ein lleines Geschöpf. Körperlich von schwacher Beschaffenheit, war er ein Mensch, der sich ungewöhnlich für die Sache des Kommu­nismus begeisterte. Der Textilarbeiter Barsa lebte auch weiter in dem Abgeordneten Barsa. Sein Mittagessen bildete ein Stück Wurst, eine Semmel und ein Glas Bier. Hohe Sttefel waren der einzigeLuxus", den er sich erlaubte. Er ging darin gut und er ärgerte sich über niemanden, der ihmder geftiefelle Kater" sagte. Während Harus durch seine körperlichen Kräfte mit der Staatsmacht in Konflikt geriet, unterlag Barsa momentanen Anstürmen heftiger Erregung und konnte sich unsinnig erbittern gegen I der Kleine VON EUGENE DABIT Berechtigte Uebertragung au* dem Französischen von Bejot An schönen Sommersonntagen gingen wir aufs Land zu unseren Verwandten Brandy, die ein Landhaus in Saint-Gratien besaßen. Nach­mittags liefen wir durch die Felder und gingen bis zur Mühle von Orgemont, einem Tanzlokal. Dort sah ich zu, wie die Eltern tanzten. Mitten in der Nacht kamen wir nach Paris zurück. Die Männer zu Rad, die Frauen und ich auf der Straßenbahn. Ach liebte den Abend, der uns alle drei am Tisch unter der Lampe vereinte. DaS Tagewerk war vollbracht. Ach erzählte meine LehrlingS- ge schichten. Vater, der einen Lieferwagen fuhr, sprach von seinen Freunden und seinen Pferden. Mama hörte zu und warf nur gelegentlich ein Wort über ihre Dame dazwischen. Wir waren glücklich. Das Haus war ruhig. Wir hatten den Abend vor unS und die lange Nacht mit ihrem Schlafs Am Morgen standen wir auf, tranken eine Taffe Kaffee und gingen unserer Wege. Alles in unserem Leben schien vorauSgesehen zu sein, sich unaufhörlich zu wiederholen. Wir lebten still, hatten keine besonderen Sorgen. Vater las keine Zeitung, ging nicht zur Wahl. Die Welt? Eine Katastrophe ader ein Kapitalverbre­chen mußte geschehen, ehe wir uns ihrer erinner­ten. Dann vergaßen wir sie wieder. Zweiund- fünfzigmal im Jahr und an den Feiertagen waren Wir frei. Frei, zu träumen, zu lachen, spazieren­zugehen, Verwandte und Freunde zu empsangen. Wir aßen, plauderten und sangen auch, wenn wir aufgegeffen hatten. Ae mehr wir uns kann­ten, desto stärker und dauerhafter erschien uns tzinser Glück. Ammer dichter rückten wir zusammen. Es ist Wend, als ich meinen Fensterplatz ver­lasse. Mama legt die Wäsche, die sie auSgebessert hat, auf den Tisch. Vater müßte schon dasein, Kleiner. Wahr­scheinlich hat er wieder Freunde getroffen". Die Straßenbahn verkehrt nicht mehr. Er mutz zu Futz gehen". Wer ich fange auch an, unruhig zu werden. So warteten wir auf ihn, wenn er nach außerhalb fahren mußte. In Mamas Vorstellung geschahen die furchtbarsten Dinge,»hoffentlich hat man ihn nicht überfallen". Oder:Wenn ihm nur kein Unfall zugestotzen ist". Plötzlich horte man die Haustüre auf« und zugehen und ein Geräusch von Schritten, das nicht so bald wieder verstummte. Schnell decke ich den Tisch. Mama gibt mir ein Leichen, mich nicht zu be­wegen. »hörst du?" Wir gehen hinaus und beugen uns LberS Geländer. Ach erkenne das Knirschen der essenbeschlage­nen Sohlen und, vom vierten Swck an, seinen pfeifenden Atem. Bist du's, Henri?" fragt Mama unge­duldig. Er kommt. Schweiß perll ihm auf der Stirn. DaS Haar steht ihm ganz struppig vom Kopfe. Die Halsadern treten dick hervor. Seine Augen glänzen. Den Strohhut trägt er in der Hand. Er gibt uns einen Kuß, und wir folgen ihm ins Zimmer. Bist wohl mit deinen Freunden auSgewe- sen?" fragt Mama. Nein", gibt er zur Antwort.Mer Durst habe ich." Ach schenke ein Glas ein. Er leert es auf einen Zug, fährt mit der Hand LberS Gesicht und setzt sich. Er brummt irgend etwas Unverständ­liches. Ach glaube, er hat getrunken. Aus der Tasche zieht er ein bedrucktes weißes Blatt. »hier, das ist der Krieg! Deutschland hat uns ein Ultimatum geschickt."Warum, Papa?" Nun... Du verstehst... man hat ein Bündnis mit Rußland .. Mama läßt das Blockt fallen. Sie hat tiefe Schatten um die Augen wie nach einer durchwach­ten Nacht. Ihre Lippen find ganz Weitz. Mußt du mit?" Und ob. Mit mir macht man doch keine Ausnahme." Ach beobachte beide und bin überrascht über ihre Haltung, beunruhigt über ihr Schweigen. Ich fühle mich in meinem Glücke bedroht. Mir ist heiß; dabei fröstelt mich. Dann fühle ich schwere, salzige Tränen über meine Lippen rinnen. Du mußt mit?" wiederholt Mama. Ich will nicht, daß du gehst, Papa. Ich Will nicht!" Ich klammere mich an seine Jack« und lehne mich schluchzend an seine Brust. Aber er streicht mir über die Stirn, wischt meine Augen trocken und sagt, mit einem mir bis dahin ftemden Klang in der Stimme, ernst und zärtlich: Du brauchst nicht in den Krieg, du." Er verzieht das Gesicht, sinkt in sich zusam­men und verstummt. Nach einer Weile schiebt er mich auf die Seite und beginnt, vom Vetter Brandy zu sprechen, der den Feldzug in Tong« king mitgemacht hat. Er ist zurückgekommen. Dabei konnte man sich das Fieber holen, dort unten." Ich höre seine Worte, verstehe sie aber kaum. Immer mutz ich ihn ansehen. Er ist einundvicrzig Jahre alt. Noch nie war mir der Gedanke ge­kommen, daß er sterben könne. Nie mehr seine Stimme hören, nie mehr auf das Lachen seine« hellen Augen antworten, nie mehr die Liebkosung scine» feuchten blonden SckinurrbarteS fühlen.. Ich schütte ihm gewiß niöbt ost meine Herz auS. Aber er ist doch gegenwärtig, wenn ich leide. Wie ein Gott ist er gegenwärttg. Gib mir noch einen Kuß, Papa." So, nun geh schlafen." Ich schlafe in der Wohnstube. Zwischen dem geschnitzten Eichenbüfrtt und dem Kleiderrechen schlage ich mein Gitterbett auf. Ich ziehe mich aus. Meine Sachen lege ich auf einen Stuhl, meine Schuhe stelle ich unters Bett. Ich lege mich hin und bin so zerschlagen, als hätte ich eine Krankheit in mir. Die Eltern sind am Fenster. Ich höre fie kaum. Was mögen sie sich wohl zu sagen haben? Sie kennen sich seit achtzehn Jahren. Ich muß an eine Photographie denken, an ein verblaßtes Bild, das sie als junges Paar zeigt und ich verfolge in Gedanken den Weg, den sie bis heute zurück« gelegt haben. In meiner Kindheit waren sie ost in Sorge um meinetwillen. Ob ich sie jemals glücklich gemacht habe? Schläfst du. Kleiner?" stagt Vater. Ich antworte nicht. Er schläft", flüstert Mama. Glaubst du, Henri, daß er eines Tages auch darankommt? Ach, man hat schon allerhand erlebt." Nein, sie nehmen ihn nie. So einen Jun­gen... ausgeschlossen!" * Ein gewürfeltes Wachstuch liegt auf dem Tische. Vater schiebt automatisch ein Brotkügel­chen von einem Feld inS andere. Du müßtest dich zwingen", sagt Mama. Weißt du, wo du heute abends ißt?" Heute abends..." Und ich hatte doch so etwas Feines für gemacht!" Nie habe ich Mamas Gesicht mit solcher Rührung betrachtet. Selten genug, daß eist Lä­cheln feinest Ernst mildert. Ich kenne es zu genau, um sonst alle Einzelheiten zu sehen: di« Falten auf der Stirn, umrahmt von dem schon erblei­chenden Haar, die schmalen blassen Lippen, die Bitterkeit, Leidenschaft und Willenskraft ausdrük- ken können, die braunen Augen mit den schweren Lidern, in denen soviel demütige Güte liegt. Heute aber seh« ich alles. (Fortsetzung folgt)