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Mittwoch, 10. November 1937
Wir möchten heute auch nicht verabsäumen zu sagen, daß das Budget, so wie es dem Abgeordnetenhause gestern vorgelegt wurde, insofern unvollständig ist, als die fehlende Bedeckung von 1150 Millionen, wie sie von den Koalitionsparteien in der letzten Woche besonders intensiv beraten wurde, im Voranschlag selbst nicht im Detail enthalten ist. Eine offizielle Mitteilung, die wir heute veröffentlichen, besagt, daß die mei sten der bezüglichen Gesezentwürfe, durch welche einige Steuern erhöht und einige neuein
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Nr. 264
außerordentlichen und ordentlichen Ausgaben für| Millionen betrug, ist dies um 437 Millionen geführt werden, bereits fertiggestellt sind. Die auch der Dekonomisierung und Vereinfachung der die drei genannten Jahre 9910 Millionen. Für weniger, eine ebenso auffallende wie erfreuliche sozialistischen Parteien haben sich, wie wir bereits Staatsverwaltung größte Aufmerksamkeit ges das Jahr 1938 sind nun im ordentlichen Haus- Erscheinung. Daß die Eisenbahnverwaltung sogar dargelegt haben, bemüht, damit die ärmeren schenkt werden da liegt ein Problem, dem noch halt 2098 Millionen, im außerordentlichen 2360 daran denkt, zum erstenmale dem Staate eitvas Boltsschichten nicht ungerechtfertigter Weise mehr zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde, eine Millionen vorgesehen, so daß die Ausgaben für an Frachtsteuer abzuführen und zwar 100 Mil Lasten auf sich nehmen müssen, als ihrer wirt- Aufgabe, der sich das Parlament ebenso wie die Landesverteidigung in vier Jahren insgesamt lionen, zeigt, daß die Eisenbahnen im nächiten schaftlichen Zage entspricht. Diese Bemühungen eine verantwortungsvolle Bürokratie unterziehen die Summe von 14.368 Millionen Kč erreichen. Jahr einen mächtigen Schritt zu ihrer wirtschaft- find nicht ohne Erfolg geblieben und wir werden müßte. Schon deswegen müssen wir uns mit der In dieser Zahl kommen die Opfer zum Ausdruck, lichen Gesundung machen werden. Allerdings sind dies bei einer Besprechung der neuen Steuerge Frage befassen, weil die Rüstungen in aller Welt welche die Bevölkerung angesichts einer in Waffen die Eisenbahnen noch immer mit dem größten setze darlegen, wenn diese dem Parlament vor- und daher auch bei uns noch Jahre hindurch anstarrenden Zeit zu tragen hat und deren Größe Teil ihrer Investitionen auf den Kreditweg an- gelegt werden was die Frage nur weniger dauern werden. Man kann nur hoffen, die das Verdienst oder besser gesagt die Schuld jener gewiesen. Tage sein kann. friedliebenden Demokratien würden dadurch so ist, welche zum Kriege treiben. Die Bevölkerung Zum Schlusse möchten wir sagen, daß die stark werden, daß die faschistischen Staaten den aller demokratischen Länder muß eine hohe Verfinanziellen Leistungen, welche die Bevölkerung Waffengang auf Leben und Tod nicht wagen, daß sicherungsprämie dafür zahlen, daß dem Faschisfür die Berteidigung des Staates bringen müssen, sie den Rüstungswettlauf mit dem britannischen mus der Eroberungszug durch Europa nicht als außerordentlich hohe sind. Es muß dafür gesorgt Weltimperium, nit Frankreich , der Sowjet- Union ein Spaziergang erscheine und damit die dyna werden, daß mit den bewilligten Geldern ratio- und den Vereinigten Staaten von Nord- Amerika mischen Staaten erfennen, daß für sie ein fünfnell umgegangen und daß die Kontrolle so streng nicht aushalten werden und daß nach den bangen, tiger Krieg ein Kampf auf Leben und Tod würde. als möglich ausgeübt wird. Es wäre unerträg- schrecklichen Jahren der Kriegsgefahr und AbDer größte Teil der Mehrausgaben lich, wenn sich jemand an den für die Staatsver- rüstung, wenn auch nicht die Epoche des ewigen des ordentlichen Budgets für 1938, die gegen teidigung bestimmten Geldern bereichert jeder Friedens so doch wenigstens eine Zeit kommen über jenem des Vorjahres 1.663,680.000 Kč bez derartige Versuch muß erbarmungslos bestraft wird, da der Rüstungswettlauf auf tragen, entfällt auf die Verteidigung des Staawerden. Bei den wachsenden Staatsausgaben muß ihört. tes. Die ordentlichen Ausgaben des Ministeriums Millionen), diejenigen fürAutomobile( 89.5 Mil lionen( 1937) auf 2098 Millionen( 1938), d. i. um 738 Millionen Kronen erhöht. Die Mehrausgaben betreffen u. a. die Munition( 126.5 Millionen, diejenigen für Automobile( 89.5 Mi Tionen), die Luftwaffe( 82 Millionen) u. ä. Größere Mehrausgaben weisen auf das Ministes rium des Innern um mehr als 163 Millionen, wovon auf die Gendarmerie 86 Millionen, auf die Motorisierung der Polizei fast 20 Millionen und auf die Luftabwehr 11.5 Millionen entfalTen; das Ministerium für öffentliche Arbeiten um mehr als 243 Millionen, wovon das meiste Straßen, öffentliche Bauten und die zivile Luftschiffahrt betrifft; das Schulministerium, bei wel chem die Mehrausgaben 70 Millionen betragen, davon Volksschulen 22 Millionen, Mittelschulen 17 Millionen, Fachschulen 13.5 Millionen, Hochschulen 6.55 Millionen. Kleinere Mehrausgaben weisen auf: das Justizministerium 18 Millionen, Das Ministerium des Aeußern 17 Millionen, Mis nisterium für soziale Fürsorge und Ministerratspräsidium je 12.5 Millionen, Gesundheitsministerium 6.5 Millionen, Handelsministerium 6 Millionen, Landwirtschaftsministerium 1.5 MilTionen.
Ein besonderes Kapitel ist die Staatsschuld, für welche die Verzinsung 1938 mit 1852 Millionen angenommen wird, d. i. um 151 Millionen mehr als voriges Jahr. Von den gesamten Staatsausgaben, die einschließlich der Ausgaben der Staatsunternehmungen 17.986 Millionen betragen, macht die jährliche Verzins fung der Staatsschuld etiva zehn Prozent aus. Der Kapitalswert unserer Staatsschulden beträgt 47 Milliarden, so daß auf den Kopf der Bevöl= ferung 3101 Kč entfallen, weniger als in Defterreich und der Schweiz , vor allem aber weniger als im faschistischen Italien , wo auf einen Menschen mehr als der doppelte Betrag, nämlich 7082 Kč entfällt.
Ein erfreulicher Lichtblick ist im Zifferngewirr des Staatsvoranschlages das Budget der Staatsbetriebe, welche voraussichtlich 1.3 Milliarden Kč an die Staatskasse abzuführen in der Lage sein werden. Der Gewinn der Staatsbetriebe beträgt 1503 Millionen, der Ver Tust 150 Millionen. Den Löwenanteil am Ge= winn bringt die Tabakregie mit 1266 Millionen, dann folgen die Staatswälder und Güter mit 78 Millionen, die Staatsgruben und-Hütten mit 60 Millionen und die Post mit 53 Millionen. Dec Verlust der Eisenbahnen beträgt zwar 147 MilTionen, da aber dieser Verlust im Vorjahre 584
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DER KLEINE
VON EUGENE DA BIT Berechtigte Uebertragung aus dem Französischen von Bejot
Das Budget der wichtigsten Staatsbetriebe
Tabakregie
Post
Staatsbahnen..
1938.977,803.576,025
Abfuhr an die Staatskaffa
1.266,434
Zuschuß der Staatskaffa
Investitionen ( Einschl. der Erneuerungen)
Ausgaben
1938 1937
690,799 657,894
Einnahmen 1.957,234 1.936,554
Gewinne
Verluste
1.266,434 1.278,660
12,654
1.278,660
13,742
1936
694,607
1.880,989
1.186,381
1.182,736
8,200
Staatslotterie
1938
112,856
136,046
23,189
23,189
0,030
1937
108,589
130,916
22,327
22,327
0,030
1936
107,009
129,097
22,088
22,088
0,026
1938 1.292,458 1.345,500
53,041
50,525
147,957
1937
1936
1.217,795 1.298,751
1.265,882
48,086
48,070
149,977
1.334,023
35,272
35,256
103,353
Postsparkasse.
1938
108,168
123,596
15,428
15,428
6,500
1987
106,573
122,584
16,011
16,011
6,700
1936
105,445
120,002
14,557
14,557
1,991
1938 4.171,087
4.023,875
147,212
157,391
1.528,138
1937 1936
4.063,995
3.479,411
584,584
401,255
390,000 401,255
1.077,942
781,770
Staatsgüter und Forste
620,168
698,477
78,309
77,502
80,497
1937
561,946
595,500.
33,554
33,554
50,832
1936
522,801
534,262
11,460
11,460
51,110
Staatliche Berg u. Hüttenwerke 1938
725,626
785,380
59,754
58,601
53,092
1937
596,445
655,245
58,800
58,800
52,100
1936
683,087
719,164
36,077
36,077
40,913
1938
.
25,363
26,002
0,638
0,628
0,801
1937
24,491
25,047
0,555
0,555
0,518
1936
45,392
45,478
0,085
0,085
1,720
Militärische Forste.***
1938
29,662
30,578
0,916
0,354
1,308
1937
31,612
0
38,405
6,7.3
14,488
1936
34,530
28,969
5,560
7,011
42,949
1938
16,509 say
13,799
2,709
2,919
1,505
1937
15,975
12,532
3,443
3,487
2,735
1936
14,917
12,821
2,096
2,096
3,300
1938
22,639
24,243
.
1,603
1,546
1,631
1987
20,958
22,123
1,165
1,165
1,866
1936
22,967
23,686
0,719
0,719
0,949
1938
9,397
8,943
0,454
0,483
0,600
1937
9,445
8,046
1,399
1,399
0,700
1936
8,878
8,307
0,571
0,571
0,217
1938
7.869,141
9.221,828
1.503,109
150,422
1.497,633
160,847
1.841,521
1937 1936
7.452,199 7.555,125
8.329,805 8.452,446
1.468,046 1.308,256
590,440 410,935
1.461,016
395,899
1.376,654
1.304,292
412,386
1.041,262
Militärflugzeugfabrik.
Staatliche Bäder
Staatsbruckereien
Pressebureau.
Gesamte Staatsbetriebe
Das Defizit der Staatsbahnen bergrößert sich um den Betrag der dem Betrieb zur Deckung des Defizits überlassenen Frachtensteuer( 300 millio nen) und um die Zuweisungen an die Kaschau- Oderberger und die Privatbahnen aus der III. Budgetgruppe( 167.008 Millionen) auf insgesamt 624.399 Millionen. Im Vorjahr betrug dieses Defizit jedoch noch 921: 494 Millionen. Das tatsächliche Defizit der Staatsbahnverwaltung hat sich also gegenüber 1937 um 297.095 Millionen, das ist um 32.24 Prozent verringert.
umgehängt, kommen vorüber. Ich möchte Ich möchte sie streife ich die rote Armbinde mit eingestickten fragen, wage es aber nicht. Der Zug seßt sich Blitzen ab, die man mir bei der Nord- Süd gegeben pfeifend in Bewegung, frißt sich weiter ins hat. Weiter. Ich wende öfter den Kopf. Aber Dunkel. Châlons ist nicht mehr zu sehen. Man sieht nur noch den Hof, an dem wir vor einer Weile vorübergefommen sind, und wo ein Hund heulte.
Mama erklärt ihrer Nachbarin, daß wir den Vater aufsuchen wollen. Beim Schein einer Sterze zeigt sie ihr die Postkarte. Einige Mitreisende jammern. Ich will gegen den Schlaf anfämpfen, aber mein Kopf sinkt an Mamas
,, Du machst mich nervös, Kleiner. Ich bin Schulter. doch kein Kind."
Ihre Zuversicht wirkt ansteckend. Sie zieht sich an, macht ihre Tasche zurecht, steckt zwei Hundertfrankenscheine in ihr Portemonnaie.
Sie sieht sich noch einmal im Zimmer um. ,, Wir wollen uns beeilen", sagt sie mit glücklichem Lächeln.
,, Also, zum Ostbahnhof."
*
Der Morgen dämmert, als ich erwache. Meine Stirn ist heiß, meine Glieder sind wie gerädert.
,, Wir sind bald da", sagt Mama. ,, Rüttle dich auf. Du weißt, wir dürfen uns nicht von den Gendarmen erwischen lassen."
Wir steigen aus und mischen uns unter die Evakuierten, die sich lärmend vorwärtsdrängen, ihre Habe auf dem Rücken. Unter ihrem Schutz Der Zug nach Châlons steht schon bereit. tommen wir glücklich aus dem Bahnhof. Dann Wir steigen in ein Abteil dritter Klasse. Andere gehen wir der Nase nach, bis wir auf einem Reisende kommen, Männer und Frauen, schwer| Plaze stehen. bepackt. Es sind Evakuierte, die in ihr Heimatdorf zurückkehren dürfen.
Der Zug fährt ab.
,, Gehen wir in ein Café", sagt Mama... Jch frage nach dem Weg."
Wir trinken heißen Kaffee. Der Wirt gibt
Ich drücke die Nase ans Fenster. Endlich Mama Auskunft. werde ich etwas sehen.
Es heißt, Artillerietransporte lägen vor uns auf der Strecke. Deshalb fahren wir so langsam. Wir nähern uns der Kampfzone. Ich sehe ein geäscherte Bauernhöfe, Gräber, halb zusammens geschossene Dörfer. Vielleicht sind es die, die man aus den Heeresberichten fennt? Ich denke an die Schilderung, die ich meinen Arbeitskollegen geben werde.
Der Zug hält, alle Lichter verlöschen. ,, Was ist? Eine Taube?"
,, Nein. In der Nacht können sie nicht
fliegen."
Dann marschieren wir los. Die Straßen sind menschenleer, die Häuser wie ausgestorben.
,, Welch elendes Loch!" sagt Mama. Mit vorgebeugtem Oberkörper, glänzenden Augen, gespannten Gesichtsmuskeln schlägt sie ein Tempo an, dem ich kaum zu folgen bermag.
Wir kommen durch ein Außenviertel. Noch einige Häuser, von Gärten umgeben, eine verlassene Fabrik. Dann, soweit das Auge reicht, zur Rechten und Linken der einsamen Landstraße, das offene Land unter einem traurigen Himmel. Mama murmelt vor sich hin: ,, Man erstickt."
Das rote Licht einer Laterne. Lärm auf dem Bahntörper. Zwei Soldaten, das Gewehr aus.
Sie nimmt den Hut ab, zieht den Mantel Auch ich mache mir's bequem, Vor allem
Mama meint, wir hätten wohl schon zehn Kilometer hinter uns.
Ich sehe auf den Meilenstein. Nein, acht. Wir laufen schon fast zwei Stunden. Mama strauchelt.
,, Jch breche mir noch die Füße auf den verdammten Abfäßen."
Anfangs sprach sie noch. Jetzt schweigt sie, um ihre Kräfte zu sparen. Sie geht auch nicht mehr so schnell. Schließlich bleibt sie stehen und seht sich teuchend auf die Böschung.
Ich lasse mich neben ihr ins Gras fallen. ,, Du bist doch nicht etwa frant, Mama?" Sie schüttelt den Kopf und gibt mir zerstreut zur Antwort:
,, Der Kaffee hat mir gut getan." Ihr Gesicht drückt einen unbeugsamen Willen aus. Dabei ist es schmerzhaft verkrampft. Sie will nicht nachgeben. Sie steht auf, ernst und feierlich in ihrem städtischen Kleid. Und sagt mit harter Stimme:
,, Vorwärts, Kleiner. Wir haben keine Zeit
zu verlieren."
Ich fühle, nicht ausgeschlafen, eine lähmende Müdigkeit. Und wir haben noch einen weiten
Weg!
vom Gewicht des Tornisters gebeugt, mühsam vorwärts. Alle tragen Hacken oder Spaten. Mama läuft ihnen entgegen.
„ Sind Sie von den ersten Pionieren?" Ja."
" Kommen Sie aus Pogny- sur- Marne?" Ein Gefreiter antwortet auf Mamas Fras gen. Papas Truppenteil liegt feit einer Woche in Matougues, südwestlich von Châlons . " Ist das sehr weit?"
" Wenn Sie tüchtig ausholen, können Sie abends dort sein."
Wir sehen ihnen nach. Sie gehen mit müden, schweren Schritten, den Stopf zur Erde gesenkt, gleichgültig, schweigend.
„ Ob Vater wohl ist wie sie?" stottert
Mama beklommen.
An einem Kreuziveg schlagen wir eine andere Richtung ein. Wir wollen Châlons um gehen, um nicht Gendarmen in die Arme zu laufen. Die Landschaft ist ein Bild des Grauens. Kein Dorf, kein Hof. Der Wind hat sich gelegt. Der Himmel hat sich immer mehr verfinstert. Nach einer Weile fängt es an zu regnen. Der Regen peitscht uns, bald von vorn, bald von der Seite. Er rieselt an uns hinab, dringt durch unsere Sachen. Der Weg wird schlüpfrig, wit stapfen durch Wasserlachen, bald dringt das Wass ser in unsere schadhaften Schuhe. Um mich zu trösten, sage ich mir: Unseren Soldaten geht's auch nicht besser.
Mama bleibt zuweilen stehen, zuweilen ver
Wir lassen einen menschenleeren Weiler langsamt sie ihren Schritt. Ich richte mich nach hinter uns, sehen ein Gutshaus mit von Flam- ihr. Ich höre ihren pfeifenden Atem. Ihr Kleid men geschwärzten, kahlen Mauern. Die Fenster ist mit Schmutz bespritzt. Die Haare fleben ihr läden baumeln loſe, die Türen stehen halb am Kopf. Ueber ihr Gesicht rinnen unablässig offen. Vor einem Monat hielt der Tod hier große Tropfen, Schweiß und Wasser. Ernte. „ Ist es noch weit?" fragt sie mich.
" Ah, Soldaten!" ruft Mama.
Sie fommen aus einem von Heden gesäumten Weg und schleppen sich, zerlumpt, bredig,
"
( Fortsetzung folgt)