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Sonntag, 16. Jänner 1666
Nr. IS
Pa ihien der großen westlichen Demokratien, an denen nnö doch in jedem Fall gelegen sein muß, erhalten kann. In der gegebenen Situation ist e9 eine Staatsnotwendigkeit, daß die vorjährige Vereinbarung der Regierung mit den deutschen Aktivisten, welche am 18. Feber abgeschlossen wurde, folgerichtig und loyal durchgeführt werde. Jeder vernünftige Mensch wird einsehen, daß eS nicht möglich ist, die aus dieser Vereinbarung erflietzenden Folgen mit einem Schlage durchzusühren. Und in dieser Hinsicht können wir von den deutschen demokratischen Aktivisten verlangen, daß sie die Schwierigkeiten begreifen, auf die man in der Praxis notwendigerweise stößt und daß sie nicht die Geduld verlieren, welche die unentbehrliche Tugend des demokratischen Politiker- ist. Aber es ist die staatliche Pflicht jedes ehrlichen tschechoslowakischen Patri oten, nicht nur dieser Vereinbarung kein Hindernis zu sein, sondern sich wirksam um ihre Durchführung zu bekümmern. Im übrigen können wir nur so mit Erfolg die umstürzlerische Agitation deS Henlein 'schen Radikalismus, welcher die Zersetzung der Republik und ihre Einordnung in den deutschen Machtbereich anstrebt, abwehren. Solange sich die Sudetendeutsche Partei als Expositur fremder mit der Unabhängigkeit und Unteilbarkeit der Tschechoslowakei unvereinbarer Lntereffen fühlen wird, ist mit ihr ein Vergleich, ja nicht einmal eine Diskussion möglich. Ernstlich könnte
Samstag vormittags besuchte Staatspräsident Dr. Bene» da» Akademische Haus in Prag , wo er vom Primator Dr. Zenkl, dem Vorsitzenden de» Akademischen Hauseö Professor Dr. Ausob» s k v, den Ministern B e ch y n i, Dr. Czech, Dr. Derer und Außenminister Dr. K r o f t a, den Rektoren und akademischen Würdenträgern empfangen wurde. Auf die Begrüßungsansprache Professor AusobskY», der ihm die Verleihung der Ehrenmitgliedschaft mitteilte, antwortete Prä« <indent Dr. BeneS mit einer Ansprache, in der er erneut seinen Glauben an die Demokratie bekannte und die Aufgaben der Jugend bei der Gestaltung der Zukunft skizzierte. Präsident Dr. BeneS verglich die politischen und sozialen Umwälzungen seit 1614 in ihrer historischen Tragweite mit dem Untergang deS Römerreiches, den Religionskriegen oder der französischen Revolution. Die Liquidation solcher Umstürze könne in zwanzig Jahren nicht beendet sein, da» ganze Leben der jetzt Heranwachsenden Generation werde von ihr auSgefüllt sein. Deshalb, dürfe man die Ereignisie nicht bloß vom Standpunkte der Tagespolitik aus beurteilen, sondem müsie sich bemühen, die Ereignisse, vor denen wir stehen, in ihrer Physiognomie und Entwicklung während der ganzen längeren Zeitpersdie zu sehen. „Wir wollen Ruhe und Besonnenheit bewahren und von unserem heutigen Weg nicht abweichen. Wir werden skeptischer sein und unS von AugcnblickSereignissen nicht täuschen lassen. Wir müssen ein großer Block aus Granit sein, an dessen Wänden sich die Brandung de» Weltensturms täglich bricht."
man mit ihr erst dann diskutieren, wenn sie sich von ihrer ganzen bisherigen Tätigkeit, die in sichtbarem Widerspruch zu den Staatsinteressen dieses Landes steht, völlig abkehrte, und sich nicht nur äußerlich, sondern aus ehrlicher Ueberzeugung in eine wirklich demokratische Partei verwandelte. Vorläufig kann man nicht bemerken, daß sich diese Partei so entwickeln wollte und deSlvegen ist es nicht nur überflüssig, sondern auch schädlich, wenn der Eindruck-hervorgerufen wird, daß e» doch möglich wäre, mit ihr zu verhandeln. Ich sage offen, daß es in jedem Falle ungehörig, unehrlich und für den Staat schädlich wäre, wenn von unserer Seite die deutschen Demokraten verlassen würden, denen wir nicht vergessen dürfen, daß sie nicht nur durch äußere loyale Kundgebungen ihre Treue für die Republik bezeugt haben, sondern durch aufopfernde tapfere Arbeit, die in den Ber« hältniffen, in denen wir leben, sehr schwierig war und ist. Gerade in diesem Falle muß Treue fürTreue gelten! Ich glaube fest, daß wir das nationale Problem der Republik glücklich und zufriedenstellend lösen, ivenn wir un» in allen Konsequenzen von der Politik MasarykS und BeneS' leiten lassen werden. ES ist dies die Politik der s ch ö p f e- rischen Demokratie, eine europäische,, synthetische Politik, welche von den ewigen Idealen einer gerechten Menschlichkeit inspiriert ist, von Idealen, welche mit gleicher Innigkeit die besten Geister der tschechoslowakischen und der deutschen Nation sowie aller übrigen Nationen ausgezeichnet haben und auSzeichnen.
Den Studenten rief der Präsident zu: »Seien Sie äußer st kritisch und vorsichtig gegen all das, was Ihnen in der heutigen zerrütteten Welt von link» und rechts al» messianische Theorien in den Weg kommt. Di« geistige Grundlage unserer Demokratie istder Mensch, da» Individuum in seiner Menschlichkeit, nicht die Partei, nicht die Klasse und auch keineswegs nur da» Volk; das heißt: kein Kollektivum. Ich bin gegen jede Totalität im sozialen Geschehen, in der Wirtschaft und in der Politik. Unsere Demokratie beruht auf der Philosophie der reinen Humanität. Deshalb ist sie so real und so fest bei unS verankert." Dr. BeneS forderte würdige» und ehrliches Verhandeln, Anerkennung der Rechte des andern, Respekt vor seiner Meinung.»Die Vorzüge d e r Demokratie", erklärte der Präsident,»übersteigen so sehr ihre Schwächen, daß sie das Beste ist, was un» als Patengeschenk vor zwanzig Jahren in die Wiege gelegt werden konnte. Eie ist die Garantie dafür, daß wir alle diese europäischen Leiden in unserem Organismus nicht werden durchmachen müsien."— Nachdem der Präsident noch erklärt hatte:»Wir lasien uns nichts Fremdes aufnötigen, wir mischen un« nicht in die Angelegenheiten unserer Nachbarn ein, wollen aber auch nicht, daß sich andere in unsere Angelegenheiten mischen", schloß er seine Ansprache mit einem optimistischen Ausblick auf das Gelingen des Werke» deS Friedens und der Versicherung seines Glauben» an die gute Entwicklung von Staat und Volk, weil er an die junge Generation glaube.
Lln Verleumdungsfeldzug gegen BechynE zusammengebrochen Vor den Wahlen des Jahre» 1088 halte die Stkibmh-Presie'in unerhörter Weife den Eisenbahnminister B e ch y n i und seinen Sohn Zdenkk verleumdet. Da wurde der ärgste Tratsch über einen Gntrkauf Zdeniks Bechyni» und die angeblichen Begünstigungen, die ihm fein Vater dabei verschaffr habe, wiedergegeben und Schauergeschichten darüber erzählt, wie ihm die Eisenbahn einen eigenen „Milchzug" für den Transport der Milch von seinem Gut zu den Abnehmern zur Verfügung stelle, die Milch in der Stadt durch eigene Auto» verteilen lasse usw. Mit einem Wort, e» sollte der Eindruck erweckt werden, daß der Eisenbahnminister das ihm unterstellte Unternehmen dazu mißbrauche, um seinem Sohn persönliche Vorteile zu verschaffen. Rach den Wahlen wollten dann die Verleumder die Sache durch«ine Ehrenerklärung au» der Welt schaffen. Die Verleumdeten gingen darauf jedoch nicht ein und erzwangen eine umfassende Klarstellung der Angelegenheit durch da» unabhängige Gericht. Die geklagten Blätter zogen den Prozeß durch immer neue Beweiianträge durch zweieinhalb Jahre hin. Ihre Verteidigung brach jedoch vollkommen zusammen, da e» sich einwandfrei her« auSsttllie, daß Zdenik Bechyni!, der die ordentliche Vorbildung für die Bewirtschaftung seine» Gute« besitzt, diese» auf ganz einwandfreie Weise ohne Protektion oder Intervention erworben hat und ihm auch bei der Kreditbeschaffung keine wie immer gearteten Begünstigungen gewährt wurden, die nicht auch jeder andere hätte erhalten können. Bei der Benützung eine» MowrzugeS zum Transporte der Milch handelte e» sich nicht um ein Geschäft Bechyni», sondem vielmehr um ein Geschäft d« r B a h n, die ein Interesse daran hatte, den Transport an sich zu ziehen, und die selbstredend auch die normalen Fracht« und Zustellungsgebühren erhielt. Schon am 18. Dezember v. I. war deshalb der verantwortliche Redakteur der„Polednl List" voll schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe von 1606 Xü verurteilt worden. Am SamStag wurde nun auch der verantwortliche Redakteur des„N e d t I n i L i st", der noch im letzten Moment eine außergerichtliche Beilegung versucht und sich zur Zahlung eine» größeren Sühnebeirage» bereit erklärt hatte, verurteilt, da ihm weder der Wahrheitsbeweis noch der Beweis der entschuldbaren Irrtums gelungen war. Mit Rücksicht auf die Schwere der Verleumdungen und auf da«. Fehlen erleichternder Umstände verhängte das Gericht über ihn eine unbedingte, nicht in eine Geldstrafe umwandelbare Straf von zwökfTagen Gefängnis und zur Veröffentlichung der Urteils in mehreren Blättern. Damit ist die Verleumdungskampagne gegen dm bewährten Führer der tschechischen Bruderpartei restlos zusammengebrochen.
Ein Riditiblatt gegen Beran An der Polemik gegen die Neujahrslund» gebung Beran» beteiligt sich auch die Wochenschrift„Fronta", was deswegen bemerkenswert ist, weil es sich hier um ein ausgesprochene» Blatt der Rechten handelt. Da» Blatt schreibt u. a.: In England mehren sich ständig die Sttm- men, daß Großbritannien durch seine Politik zur Gefahr der deutschen Gleichschaltung Mitteleuro pa » beigetragen hat. Und gerade da auch schon England die Augen öffnet, kam die Kundgebung de» Abgeordneten Beran, welche dafür zeugt, daß unser Polittker entweder nicht sieht, wa» man schon in England zu sehen begimtt oder daß er davor die Augen schließt... Im Sinne SvehlaS sucht
die gegenwärtige Regierung seit der Präsidentenwahl fortzuschreiten. Es zeigte sich die» sehr deut, lich in den schaffen Kundgebungen HodjaS und Kroftal gegen die Henlein -Politik im Parlament. ... So wie der Kundgebung Beran» erfolgte, ist sie al» Durchkreuzung de» RegierungSplane», also auch der Aktion vom 18. Feber anzusehen. Zum Schluß sagt da» Blatt, daß Beran« Politik. die Fortsetzung der Politik BranhS sei.
Der Präsident der Republik empfing am Samstag den Gesandten in Pari» Dr. Osuskh, weiters den Universitätsprofessor Dr. Helfert aus aus Brünn und schließlich den Redakteur Roderich Menzel au » Prag .
Ole antijüdischen Maßnahmen in Rumänien Da» angekündigte Dekret, wonach jüdische Haushalte keine nichtjüdischen Hausangestellten beschäftigen dürfen, ist nun im rumänischen Amtsblatt veröffentlicht worden. Diese Kopie deS deutschen Vorbilde» durfte aber in den Zeitungen nicht veröffentticht werden. Aber: alle Juden müsien sich darnach richten! Dem AuSlande wird— denn man will doch noch al» zivilisiert gellen, auch igenn man sich den Faschisten zugesellt hat— vorgeredet, daß e» sich »nur" um eine Ueberprüfung der Staatsbürgerschaft der Juden, keineswegs aber um Drangsalierungen oder Existenzzefährdungen handelt, Die Taten widerlegen die Worte der rumänsschen Regierung. Arbeitsminister Tuza hat angeordnet, daß die jüdischen Aerzte auü dem Verband der Arbeiterkrankenkasien und sonstigen dem Ministerium unterstehenden WohlfahrtSan- stalten entlassen und durch Rumänen erseht werden.— Lizenzen für Monopolgesetze werden nur noch an rassenreine Rumänen vergeben.— Und wo ist für die begeisterten Nazi die Gewähr, daß die Deutschen zu den rasienreinen Rumänen gerechnet werden? Und: kommt e» nicht auch ihnen ein wenig lächerlich vor, wenn Rumänen, die noch viel mischblütiger sind als die Deutschen , von Rasiereinheit reden?
Ungarn nicht mehr unter VBIkerbundkontrolle Budapest . Die bereits gemeldeten Besprechungen zwischen der ungarischen Regierung und dem Finanzkomitee de» Völkerbundes über die Befreiung Ungarn » von der Völlerbundkontrolle sind zu einem befriedigenden Abschluß gelangt. Sicherem Vernehmen nach wird die Aufhebung der Völlerbundkontrolle vom Böllerbundrat anläßlich seiner bevorstehenden Tagung mit Wirksamkeit vom 1. März d. I. verkündet werden.
Mißbrauch des akademischen Bodens Wien . In Wien wurden fünf Nationalsozialisten, hauptsächlich Hochschüler, zu 2 bi» S Mona, ten Kerker verurteilt, weil sie unter Leitung eine» gewissen Gerlich eine sogenannte«Führerschule der 8. Brigade" zu organisieren versucht und zu diesem Zwecke auf dem Boden der Universität Versammlungen und militärische Uebungcn veranstaltet haben.
Die geistige Grundlage unterer Demokratie ist der Mensch Eine Ansprache des Präsidenten Dr. Benei an die Jugend
Begehre nicht, das Leben eines Hirten zu führen, wenn du zum Jäger geschaffen bist. Denn sonst wird dein Tun in Widerstreit geraten mit deinem Beruf, und wenn du auch beim besten Willen niemanden verletzen wolltest, wird eS dir ergehen wie dem Pater Kohont, der einige Lehrer auf dem Gewissen hatte. Es war ihm auferlegt worden, einen Schafstall zu betreuen, er aber faud mehr Gefallen an der Wolfsjagd. Es gibt Triebe, die sich nicht unterdrücken lassen; immer wieder quellen sie über die Außenschicht deS Charakter» hinaus wie ein Ball über den Wasserspiegel. Und so geschah eS, daß der Lehrer Kadekäbek aufs Pflaster geriet. In einem andern Pfarr« sprenge! hätte er trotz seintr Fortschrittlichkeit grau und pensionsberechtigt werden können; zuweilen kommen bei einem Krügel Bier die ärgsten politischen Widersacher einander näher. Aber Ka- dekäbel hatte stets nur Pech gehabt, und deshalb mutzte er in eine Gemeinde geraten, wo der Kohout regierte, der nicht beim versöhnenden Bier verharrte, sondem unablässig nach den Feinden der Kirche auf der Lauer war. Damals hatte der Lehrer bereits zwei Knaben, und kurze Zeit nach seiner Uebersiedlung in die Wohnung mit den roten Dielen in der Küche und dem Bretterfußboden in der Stube kam sein dritter Junge auf die Welt. Die Lehrersfrau, selber blutarm und gebrechlich, schob täglich den Kinderwagen längs der Mauer des Pfarrgartens, die nach Süden gekehrt stand, so daß es dort auch an unwirtlichen Tagen tvarm und still war. Dort
begegnete sie häufig dem Pfarrer, und sie war bemüht, die Spannung zwischen ihrem Mann und dem Priester durch ehrfurchtsvolles Grüßen zu mildern; freilich erniedrigte sie sich niemals so, daß sie dem Kohout die Hand geküßt hätte, wie es die Betschwestern taten. Doch ein Mensch guten Willens konnte aus ihren demütigen Augen her» auSlesen, lvie sehr sie den Frieden herbeisehnt«, damit ihr Nestchen vor dem Verderben bewahrt bleibe. Kohout dankte allerdings wohlwollend für den Gruß, blieb jedoch niemals stehen, um dem blondhaarigen Lockenkopf zuzulächeln; und der war doch der Abgott aller heiratsfähigen Mädchen, in denen Mutterinstinkte wach wurden, wenn sie den sützen Knirps erblickten. Er hätte wahrlich der Engel de» Friedens sein können. Es sollte jedoch nicht Frieden sein zwischen der streitbaren Kirche und dem Lehrer, dessen Kinder kein Tauswasser benetzt hatte und dessen ältester Sohn nicht in die Religionsstunde ging. Der hellhaarige Heine Kamill hatte deswegen einen schweren Stand in der Schule, denn der Direktor, der Klasienvorstand in der Sa lvar, fühlte sich als feste Stütze der Dynastie und der Gesellschaftsordnung. Abweichungen in der Art de» Kadekäbek empfand er als Ueberspanntheiten, und er stellte sich an die Seite des streitbaren Pfarrers. Wenn vor Beginn der Religionsstunde Kamill aus der Schule ging, begleitete er ihn stets mit einer Bemerkung, damit die ganze Klasse auf das Ungebührliche solchen Benehmen» aufmerksam gemacht wurde, und jedesmal verwendete er Worte, die den Jungen aus der althergebrachten Tagesordnung ausstietzen. Die» wurde zu einer Plage für den Kleinen, der, wie all« Kinder sich davor fürchtete, ander» auSzufehen al» die übrigen Mitschüler. Der Reine Kamill litt und wäre am liebsten in der ReligionSstunde geblieben, hätte er nur nach eigenem Gutdünken handeln dürfen. Die Feindschaft vervielfältigte sich, al» Aleö schulpflichtig wurde und gleichfalls» weil er kon«
fessiouSos war, in die Religionsstunde nicht eingeschrieben wurde. In dieser Zeit schob Frau Ka- detäbek bereit» keinen Kinderlvagen die Pfarrmauer entlang, sondern führte den kleinen Pke- mysl schon an der Hand. Die Kinderschritte hemmten sie freilich, so datz der Pfarrer rechtzeitig auS« weichen konnte, sobald er sie von ferne erblickte. Wohl tobte der Kampf abseits von ihrer Person, aber sie verspürte seine ungestüme Heftigkeit, und eS betrübte sie, datz sie so schwach war. Sie hätte ihm selber die Stirn bieten mögen, es dünkte sie feigherzig, den Mann allein kämpfen zu lassen, und e» bedrückte ihren Sinn, datz sie ihm mit drei stillen, verschüchterten, unbubenhaften Jungen zur Last war. Sie pflegte sich zu sagen: »Weshalb sollen gerade wir streiten, die wir so friedliebend sind, und bloß Ruhe, hellen Frohsinn, freundliches Blau über unser Wachstum wünschen? Weshalb soll just ich Widerpart eines Kämpfers sein, die ich geschaffen bin, mich einem Stärkeren anzuschmiegen und ihn liebzuhaben?" „Herr Pfarrer, riefen ihre Augen über die Gaffe, wenn sie die Waffen kreuzen wollen, finden Sie jemanden, der Ihnen ebenbürtig ist... denn mein zahmes Männchen vermag ja gar nicht, ihre Kampfeslust zuftiedenzustellen. Einen verheirateten Spatzen nennt man ihn, und Sie gelüstet eS, sich mit ihm zu balgen?" Aber der Pfarrer keuchte auf dem andern Gehsteig und die rote Aureole seines geweihten Zornes flutete mit ihm in feindseliger Ablehnung. Wenn der Pfarrer hem Kadekäbek in der Schule begegnete, wichen sie so weit voreinander zurück, datz ohneweiterS ein Heuschober zwischen ihnen hätte brennen können. Dieser böse Zustand durfte keineswegs anhalten: die Jugend soll von vorbildlichen, untereinander einigen, bürgerlich unantastbaren Erziehern geleitet werden. ES liefen Beschwerden beim Schulrat ein, dann noch höher hinauf und dort ganz oben brach«ine Lawine von Disziplinaruntersuchungen, Rügen, Ver
weisen loS, bis alle» in der unausweichlichen Ent- laffung endete. In KadekäbekS schmächtigem Körper schlummerte der Geist eines Helden, der Elan des tapferen Schneiderleins, das den Märchendrachen überwältigte, und so mutzte die Lehrersamilie bald übersiedeln, ohne datz sich Kadekäbek eine Gelegenheit geboten hätte, seinem Feind all die Pathetischen Sätze aus den Polemiken entgegenzurufen, die er während der Zeit ihres gemeinsamen Wirkens insgeheim geführt und für ein letztes dramatisches Aufeinandertreffen aufbewahrt hatte, für ein Treffen, in dem der Pfarrer als Inquisitor erscheinen würde und Kadekäbek als Francesco Ferrer. In Wahrheit jedoch verlief der Abschied von der Schule dermatzen nüchtern, datz Kadekäbek durchaus unbefriedigt fortging mit dem Gefühl, der ganzen Welt Ungerechtigkeit al» Bürde mitzuschleppen. Da» Aktenstück wurde ihm amtlich in» Haus zugestellt und gleichzeitig brachte ihm der Schuldiener alle seine Sachen in einem Getreidesack gestopft; er selber hatte nicht» anderes zu tun, al» den Empfang des Pelde» zu bestätige», da» ihm von dem Boten überbracht worden war. Hiermit wurde ihm desgleichen zwischen den Zeilen aber unwiderruflich zu verstehen gegeben, daß er in der Schule bereits nichts mehr zu suchen habe. Kadekäbek schluckte alle Bitterkeit hinunter, und begann insgeheim sich eben mit dem zu brüsten» wozu er verurteilt worden war. Er fühlte sich geächtet, aber er betrachtete e» nicht al« Schande. Das Selbstvertrauen, das ihm seine atheistische Weltanschauung verliehen hatte, fehle er in das stolze Bewußtsein um, nunmehr den Proletariem zuzugehören, und hes der nächste» Freidenkerversammlung sprach er e» laut au«. Hierfür erntet« er begeisterten Beifall, so datz er nutzer sich vor Freude heimkehrte. (Fortsetzung folgt.)