Erscheint mit Ausnahme h« Montag tSglich feSH/ Einzelpreis 75 Heller «Rtbaltlon u.Verwaltung: PragXII., Fochova 82- Telephon 53077- Herausgeber: Siegfried Taub - Verantwortlicher Redakteur: Kari Kern. Prag

Sozialdemokrat Zkntraloraan der Deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der Tschechoslowakischen Republik

Aus dem Inhalt: Zur Durchführung des 18. Feber SdP-Terror in Plan Steigende Sterblichkeit Im Dritten Reich Die Morde Eduard Brus

18. Jahrgang

Samstag, 12. Feber 1938

Nr. 36

Kabinett der Ministerpräsidenten Der Patriarch Miron Christea hat den Vorsitz/ Wahlen verschoben nuitörisdieVorKchrunften Heden Putschversuche der Eisernen Gorden Bukarest. Die neue rumänische Regierung wurde Freitag«ach Mitternacht gebildet und hat bereits den Eid in die Hand des Königs Carol abgelegt. An der Spitze der Regierung steht als Ministerpräsident der Patriarch Miron L r i st e a.

Mitglieder de» Kabinetts sind: Okurn TatareScu: StaatSminister und Interimistisch Austenministerium(liberal); llonstantin Argetoianu : Handel und Okwerbe(Agrarpartei); Dr. Boicu N i c r S r u: Arbeil-minister (ramLnische Front); Professor JaneSru-Sisesti: Acker- bau und Genossenschaften(parteilos, steht Pro- sessor Jorga nahe); Dr. LonstantineScn: Sanität und stjlole Fürsorge(liberal); Siktor I S m a n d i: Unterricht und interi­mistisch Kultur und Künste(liberal); Dr. Canrieov: Finanzen und interimi­stisch Justiz(nationalliberal); Armand CalinrSru: Inneres(Disst- deut der nationalen Bauernpartei); General AntonrSru: KriegSminister ond interimistisch Lust- und Marine-Minister (parteilos ); »* Der König hat eia Dekret unterzeichnet, durch welche» die auSgeschrirbrnen Wahlen in da» Parlament, in dir Berichte und in die Gemeinden widerrufen werden. Die neue Regierung wird nach einem Auf­ruf dr» König » an daS Land die Politik au» der staatlichen Administrative auSmerzen und jene Verfassungsänderungen durchführen, die mit den neuen Erfordernissen dr» Lande» und mit den höusigen Wünschen Rumäniens , daS sich festigen must, in Einklang stehen.Ich habe mich ent­schlossen," heißt e» in der Proklamation,diesen neuen Weg mit aller Energie und in der Neber- zeugung zu beschreiten, daß daS Heil deö Vater­landes dies gebietet. Ich bin überzeugt, daß die­ser mein Entschluß nicht nur mit der absolu­ten Notwendigkeit, sondern auch mit den Herzenswünschen aller derer, die daS Vater­land lieben, in Einklang steht." StaatSminlster TatareScu hat die Funktion de» Minister» für Auswärtige Angelegenheiten übernommen, die er bi» zur Lösung der aktuellen Problem« behalten

Der neue Ministerpräsident Patriarch Miron ll h r i st e a wurde im Jahre 1868 in Transsylva- nien geboren. Er nahm in seiner engeren, damals ungarischen Heimat an der rumänischen nationalen Bewegung aktiv teil. Im Jahre 1V20 wurde er Metropolit und fünf Jahre später Patriarch/ In dieser Eigenschaft Ivar er Mitglied de» Regentschaft»- rate!, der die Geschicke Rumänien » vom Juli 1927 bi» zum Juni 1080 leitete. . Die Ernennung de» Patriarchen zum Minister« Präsidenten wird als Befolgung einer alten Tradi­tion der rumänischen Volke» angesehen, nach welcher die Kirche In ernster Feit berufen Ist, durch ihren Einfluß auf die Volksmassen die normale und na­türliche Entwicklung zu sichern.

Constantin A n g e l e S c u: öffentliche Ar­beiten und Verkehr(rumänische Front); Außerdem gehören dem Kabinett al» StaatSminister ohne Porte­feuille an: Marschall Alexander A v e r e e u (frühere BolkSpartei); General Arthur Vai- t o i a n u(Liberaler); Dr. Alexander B a j d a- B a e v o d(rumänische Front); Professor Dr. G. G. M i r» n e» r u<Partello», vormal» na­tionale Banrrnpartri); Professor Viktor Jorga (Rationaldemokrat); Professor Dr. Anghe- l e» e u(liberal). Beachtenswert ist die große Fahl der Staats­minister. Da diese auSnahmSlo» ehemalige Ministerpräsidenten sind, ist die für diese Ministergruppe gebrauchte Bezeichnung eine» Staatsrate-" nicht ganz abwegig. Tatsächlich sollen die ehemaligen Ministerpräsidenten als Staatsmi- nifter den Fachministern auf Grund ihrer langjähri­gen Erfahrung beistehen. wird. Seine Person wird al» sichere Garantie der traditionellen Politik Rumänien » angesehen. Ministerpräsident Patriarch Miron Christi» erklärt« bei der Nde»leistung der neuen Regie­rung vor dem König:Die Regierung will Ruh« und Ordnung in die inne-

Die nationalliberale Partei erklärt in einem parteiamtlichen Kommunique, daß sie der neu­gebildeten Regierung keine Schwierig­keiten zu machen beabsichtige. Sie werde viel­mehr die Aktion der Krone und der Regierung zur Befriedigung de» Lande» und zur Wiederherstel­lung der Ordnung unterstützen.

AuS London wird gemeldet, daß der bri­ tische und der französisch« Gesandte in Bukarest noch Donnerstag nachmittag» längere Aussprachen mit Goga hatten und ihn bei dieser Gelegenheit auch die in London und Pari» bestehenden Beden­ken gegen seine Politik darlegten. Lier Gründe werden al» Ursachen seiner Entlassung in der bri­ tischen Presse hervorgrhoben: 1. Internationale Komplikationen im Zu­sammenhänge mit Goga» Wunsch einer An­näherung Rumänien » an Deutschland , 2. die Spannung zwischen Rumänien und der Sowjetunion , 3. innerpolitische Schwierigkeiten, verursacht durch da» Anwachsen der Eisernen Garde und 4. die wirtschaftliche und finanzielle Krise al» Folge der antijüdtschen Politik der Re­gierung. Daily Expreß " meldet, daß der britisch« Gesandte am Donnerstag auch eine private Unter­redung mit König Carol hatte. I« dieser soll er angedeutet Haien, daß ein« Fortsetzung der Poli­tik Goga eine schlechte Wirkung auf den bevor­stehenden Staatsbesuch in England haben und die traditionell« britisch-rumänische Freundschaft be­einträchtigen könnte. Vie Soge abwlrttchaftete... Der Fall deS Kabinette- Goga wurde durch die Schwierigkeiten verursacht, auf welche die Re­gierung hauptsächlich aus innerpoliti­schem Gebiet« gestoßen ist. Die Unsicherheit, welche seit Beginn der Negierung Goga herrschte, die wachsenden politischen und vor allem wirt­schaftlichen Schwieriglei.rn im Zusammen­hang mit den antijüdischen Massnahmen, die grossen Differenzen mit der extremen Recht»-

r r n Angelegenheiten Rumänien » bringen und da» Vertrauen kräftigen, dessen wir so sehr bei unseren Verbündeten und bet allen Rachbarmächten bedürfen, mit welchen wir in gutem Einvernehmen lebm und nach Möglich­keit dir Freundschaft zu ihnen im Interesse de» allgemeinen Frieden» erweitern müssen." Durch ein RegicriingSdekret wurde in ganz Rumänien drrBelagrrungSzustand ringeführt. Die Aufrechterhaltung der Ordnung ist auf die Militärbehörden übrrgrgangen. Die Militärbehörden haben daS Recht, jederzeit über­all Durchsuchungen vorzunrhmrn und bi» zur Be­fassung der zuständigen Justizbehörden auch Un­tersuchungen zu führen. Sie haben ferner da» Recht, di« Uebrrgabe von Waffen und Munition anzuordnen, danach zu suchen und sie zu beschlag­nahmen. Sämtliche Präsrktrn dr» Lande» sind abbrrusen und durch Militärpräfekten ersetzt worden. Gegenüber der«ährend de» Empfange» der AublandSjournalistrn durch Manin bekannt gewordenen Nachricht, daß die politischen Parteien durch RegierungSdrkret aufgelöst wurden, ist frstzustrllrn, daß rin solche» RrgirrungSdekrrt bi» in die Abendstunden noch nichtpublt- -tert wurde. Doch wurde da» Presseregime Rumänien» wesentlich verschärft. ES ist den Zeitungen untersagt, Informa­tionen über die Tätigkeit politischer Parteien, über Erllärungrn von Politkern, Kommentare aller RegierungShandlungen, Informationen be­treffend die Landesverteidigung, Nachrichten über die öffentliche Sicherheit und persönliche Kritiken an Mitgliedern de» Kabinett» zu veröffentlichen. Untersagt find ferner sensationelle Reportagen, Veröffentlichung politischer Broschüren. Ver­öffentlichung verhetzender Zeichnungen und Kari­katuren politischen Charakter» und ähnliche», fer­ner di« Veröffentlichung privater Informationen über den Fall Butenko usw.

AuS einer längeren Erklärung, welche der Präsident der nationalen Bauernpartei, Ma­nin, am Freitag nachmittags vor der Auslands­presse abgab, geht hervor, dass er und die ande­ren Mitglieder der nationalen Bauernpartei, welchen der Eintritt in die Regierung angeboten wurde, dieses Angebot abgelehnt haben.

bewequng der Eisernen Garde und besonder» die blutigen Ausschreitungen im Berlaufe der Wahl- kampagne riefen im Lande eine starke Span­nung hervor. Vollkommen abgewirtschaftet hatte Goga ater in wirtschaftlicher Beziehung. Bom ersten Tag an gab e» riesige Abhebungen in den Banken und Sparkassen. Handel und Industrie stockten, da nie­mand mehr wußte, ob der Geschäftspartner seine Verbindlichkeiten werde rinhalten können, die Pro­duktion ging vielfach um b0 Prozent und mehr zurück. Biele Fabriken mußten ihren Betrieb ganz «instellen. Namentlich da» Auslandskapital zog sich zurück. Dazu kam, daß außer den Juden kaum noch jemand Steuer» zahlte, so daß auch die Kassenlage Rumänien » außerordentlich schwierig wurde und Goga bereit» bei der Nattonalbank Hilfe suchte, ohne sie jedoch zu finde». Die Regierung war in den letzten Tagen nicht mehr Herr der Lage. DerT i m p n I" meldet, dass der Innenminister Mittwoch abend» dem König eine Denkschrift überreicht habe, in welcher er erklärte, die Verantwortung in jenen Verwaltungsbezirken nicht mehr übernehmen zu können, welche von einem Anhänger Tuza» als Präfekten verwaltet wurden. Diese Präfekten ftihrtrn nach Angabe dieser Denkschrift die Auf­träge der Regierung nicht auS und ermutig­ten vielmehr zu den Ausschreitungen. Marschall AvereSeu, welcher dem neuen Kabinett al» Staatsminister ohne Ressort ange­hört, erklärte demTurentul" u. a-, dass die Ungeschicklichkeit der letzten Regierung imJnlande so grosse Störungen und in den aussenpolitischen Beziehungen eine s o unangenehme Situation herbei­geführt habe, dass deren Beseitigung zu einer Lebensfrage für da» Staatsinteresse ge­worden sei. Da» Land brauche vor allem Ruhe.

Einmal Schuschnigg Zum Gedächtnis der Februar-Kämpfe Von Martin Ron Kurt Schuschnigg hat mit seinem Buch »Dreimal Oesterreich" einen»Beitrag zu einer politischen Geschichte des neuen Oesterreich" ge­liefert. Im Vorwort bezeichnet er seine Arbeit als »Bekenntnis eine» Oesterreicher »... der Wahr­heit zu dienen". Ein solches Bekenntnis eine» Schülers der Stella matutina, de» Vorarlberger Jesuitenkonvikts, muss man mit besonderer Vor­sicht werten. Wahrheit ist an sich etwa» Relative». Je nach dem Blickpunkt oder dem Standort, von dem aus ein politische» Geschehnis betrachtet wird, verschiebt sich merklich die Wahrheit der Darstel­lung. Nur dort, wo Wahrheit»erforschung. die Suche nach der Wahrheit erkannt und empfunden wird, nur dort erzwingt Darstellung politischer Geschichte die Empfindung: hier schreibt einer die Wahrheit oder sucht wenigsten» der Wahrheit näher zu kommen. Ander» bei Schuschnigg . Schon Schuschnigg » vornehme» Gehaben hätte ihn gerade in Sachen der Wahrheit doppelt und dreifach bestimmen müssen, auf Wahrheit Rücksicht zu nehmen. Denn nicht» ist herausfordernder, nichts aufrei­zender als Wahrheitsverfälschung unter Assistenz des ganzen staatlichen Gewaltapparates, der e» Unmöglich macht, auch nur den leisesten Versuch zur Korrektur auch nur der ärgsten Entstellungen zu wagen. Da» ist ja überhaupt das Merkmal de» von Schuschnigg gepriesenen autoritären Zeitalter», dass wahr nur sein darf, wa» die Führung al» Wahrheit zu approbieren gesonnen ist, wa» sie al» Wahrheit ausgibt. Jede Meinungsdifferenz mit Konzentrationslager, Kerker und Polizeiter­ror auszutragen, ist die Methode de» Schuschnigg- Oesterreich. Einem Mann, der seine Bildung durch viele Goethe«, Grillparzer«, HoffmannSthal« und WildganS-Zitate beweist und seine Bekenntnisse sogar mit Beethoventakten abschliesst, steht e» wie keinem Zweiten zu, Oesterreich nach der Enzyklika quadragesimo anno zu beherrschen; ihm steht es zu, das Unvermögen zu nazistischer Barbarei (dem KlerikofaschiSmu» fehlt dazu die Massen­basis) kulturell zu verbrämen und soder Wahr­heit zu dienen". Wa» will Schuschnigg mit seiner Geschichts­schreibung? Sie hat ersten» unzweifelhaft den Zweck der Blödmacherei der Oesterreicher, die Schuschniggs»Wahrheiten" wehrlos hinnehmen müssen. Und dann soll mit»Dreimal Oesterreich" das Ausland gewonnen werden, dem Schuschnigg - Darstellung beweisen will, dass Oesterreich nur so regiert Iverden lang, wie es regiert wurde und regiert wird. Wie macht er das? Er stellt einfach die»Untauglichkeit des formal demokratischen Parlamentarismus in Oesterreich " fest und möchte damit daS österreichische Gewaltregime rechtfer­tigen. Warum der demokratische Parlamentaris­mus untauglich gewesen sein soll» erfährt man nicht. Jedenfalls geht au» der Geschichtsdarstel­lung Schuschniggs hervor, dass kein staatspoliti­sches System tauglich ist, das»licht den Klerika­len die unbestrittene Führung ermöglicht. Doll­ fuss hatte nur eine sehr labile Mehrheit im Par­lament(bei entscheidenden Abstimmungen manch­mal nur eine Stimme mehr als die Opposition) und eine Neuwahl hätte Schuschniggs herrschende Partei so dezimiert, dass sie zur Regierungsbil­dung unfähig geworden wäre. Diese Tatsache allein wurde entscheidend für die klerikale Ge­waltpolitik. der sich die Sozialdemokraten entge- genstellten. Diese historische Tatsache tvar e», die die Partei der Dollfuss und Schuschnigg zur Or­ganisierung bewaffneter Haufen bestimmte, zu dem alleinigen Zweck, den Willen der Wähler mit Gewehren zu korrigieren. Das ist die Wahr­heit, die Herr Schuschnigg auch nicht dadurch um­stossen kann, dass er zum Erweis seines Europäer- tum» mit Tenien Goethes herumspaziert. Freilich stand für die E h r i st l i ch so­zialen Biele» auf dem Spiel, viel mehr aber noch für die Kirche, deren Machtstellung auf der Herrschaft der Christlichsozialen im Staate ruhte. Alle Politik, alle Taktik, alle» Zerren an der Verfassung, alle Beunruhigung, alle Provo­kationen der Arbeiterschaft waren von Dollfuss aligestellt auf die Frage: wie bleiben die Christ­lichsozialen an der Herrschaft, da alle Koalitio­nen mit den übrigen bürgerlichen Gruppen de»

Vie Liberalen abwartend, Maniu ablehnend

Gogas Rücktritt von den Westmächten erzwungen