Sozialdemokrat
Zentralorgan der Deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der Tschechoslowakischen Republik Erscheint mit Ausnahme des Montag täglich früh Einzelpreis 75 Heller
Redaktion u. Verwaltung: Brag XII., Fochova 62- Telephon 53077- Herausgeber: Giegfried Taub- Verantwortlicher Redakteur: Karl Rern, Prag 18. Jahrgang Donnerstag, 5. Mai 1938
Schweizer Demokratie als Vorbild
Die Nationalräte Dr. Oprecht und Bringolf über Weltpolitik, demokratische Innenpolitik, nationale Frage und die Sozialdemokratie Einer unserer Redakteure nahm die Gelegenheit wahr, die gegenwärtig in Prag weilenden schweizerischen Nationalräte Dr. Oprecht und Bringolf über einige Probleme der Außen und Innenpolitik der Schweiz zu befragen. Wir geben die Fragen des betreffenden Redakteurs und die Antworten der beiden schweizerischen Politiker nachstehend wieder:
Jin die nunmehr meistens Leute gelangten, welche für die Landesverteidigung gestimmt haben und der jüngeren Generation angehörten. Am 31. Jänner 1937 fand ein neuerlicher Parteitag, und zwar wieder in Zürich statt, auf dem alle Fra en fast einmütig erledigt wurden und wo sich eine Vierfünftel Mehrheit der Delegierten für die absolute und vorbehaltloſe Landesverteidigung aussprach. Der nächste Parteitag findet am 22. und 23. Mai 1938 in Basel statt und es wird dort zu den großen Problemen der Innen- und Außenpolitik der Schweiz Stellung genommen werden. Der Parteitag wird sich wohl für die Neutralität und den Völkerbund fotvie innenpolitisch für die Zufammenarbeit der Schweizer Demokraten unter Wahrung der Selbständigkeit der Parteien ausAußen- und Wehrpolitik( besonders die neue sprechen. Außer über die Fragen der Innen, Wehrvorlage) wird auch der Parteitag die großen Probleme der Wirtschafts- und Finanzpolitik behandeln.
Aus dem Inhalt:
Neue Franc- Devalvation
Die Konferenz von Sinaja
Ossietzky tot
Nr. 105
Man liebt uns nicht
Zum Trauerspiel:
,, Amtliche Berichterstattung"
Von Wenzel Jaksch Propaganda ist bekanntlich nicht die starke Seite der Demokratien. Wir haben auch noch von niemandem die Behauptung gehört, daß unser. amtlicher Nachrichtenapparat besonders auf der Höhe wäre. Es hat sich vielmehr unsere Oeffent lichkeit mit einem gegenteiligen Tatbestand abfin den müssen. Das soll aber die betreffenden Herren, die von amtswegen mit den Propagandaaufgaben des Staates betraut sind, nicht dazu er muntern, Propaganda gegen die Demokratie Gruppen zu betreiben. Höflichkeit wäre in einem oder zumindestens gegen einzelne demokratische solchen Falle unangebracht, wo es um vitale In teressen der demokratischen Selbstbehauptung geht. Und deshalb sagen wir es einmal rund heraus: ,, Was können Sie uns über die natio- Wir haben das Treiben der Herren Schmo nale und Sprachenfrage in der Schweiz ran 3. Bares und Neumann endlich fatt! fagen?" Und wir wollen ihnen einmal vor aller DeffentAuf Grund unserer Erfahrungen sind wir lichkeit als gute Demokraten unsere Weinung agegen eine absolute zentralistische Staatsgewalt fagen.
,, Wie stellt sich Ihnen die gegenwär- nicht ein kleinerer Streis schweizerischer Politiker, tige Stellung der Schweiz in der welche schon im letzten Sommer Nachricht erhalten Weltpolitik dar und wie ist insbe. hatten, daß der Anschluß Oesterzeichs an Deutschsondere die augenblickliche Haltung der land in furzer Zeit vollzogen werden solle. Ez Schweiz zum Völkerbund?" haben sich dann allerlei Dinge dazwischen gestellt, welche eine Bremswirkung ausgelöst und den AnDie außenpolitische Stellung der Schweiz ist schluß hinausgeschoben haben. In der Schweiz war von jeher gegründet auf dem Grundsatz der Neu- bekannt, daß der damalige österreichische Bundestralität. Das datiert schon seit der Schlacht bei fangler Schuschnigg zum Dichter Franz Werfel im Marignano 1515, nach welcher König Franz I. November 1937 gesagt hat, dieser möge seine Bevon Frankreich der Schweiz einen ewigen Frieden sißung in Oesterreich verkaufen und aus dem gewährte. International völkerrechtlich wurde Lande wegziehen. Einem Mitarbeiter der österreidiese Neutralität von den Großmächten in der chischen Gesandtschaft, der im Dezember 1937 von Wiener Afte von 1815 anerkannt, ebenso in den London nach Desterreich fuhr, wurde von führenFriedensverträgen, welche den Weltkrieg beendet der Seite einer Großmacht gesagt, daß er sicher haven( 1919). 1920 ist die Schweiz dem Völfer- das letzte Mal nach Desterreich fahre. Das alles bund beigetreten, aber das geschah erst nach einer war aber, wie gesagt, nur in fleinem Streise be- in der Schweiz und vielmehr für einen Aus- Für Eingeweihte war es schon seit längerer Volksabstimmung, welcher Auseinanderseßungen fannt. Deswegen hat die Bejißergreifung Defter gleich der Kräfte zwischen den Zeit fein Geheimnis mehr, wo die Clique ihren borausgingen. Es mußte der Schweiz erst zuge- reichs durch Deutschland in der Schweiz vielfach Santonen und dem Bund. Selbstver- Siz hat, denen die deutsche Sozialdemokratie auf ſagt werden, daß der Grundsatz der militärischen erschütternd gewirkt. Die Bevölkerung wurde von ständlich gibt es Fragen, welche eine zentrale dem Wege zu weitergehenden Plänen ein Stein Neutralität oder wie man in der Schweiz sagt, einer Psychofe ergriffen, denn man wußte nicht, Lösung verlangen. So ist seit dem Jahre 1874 des Anstoßes ist. Wo die Quelle verschiedener una „ das Nichteinmiſchen in fremde Händel", aus was in den nächsten Tagen kommen werde. Frei- bereits die Bollpolitik verfassungsmäßig Bundes- wahrer Nachrichten zu finden ist, die in den letzten drücklich anerkannt wird, was in London 1920 lich ist seither eine Selbstbesinnung und ruhigere angelegenheit. Wir haben eine einheitliche Zivil- Wochen über unsere Partei in die Auslandspresse durch die Weſtmächte geschah. Wäre dies nicht er- Beurteilung der Dinge eingetreten, wenn auch gefeßgebung seit 1912 und sind eben daran, ein lanciert wurden, ist glücklicherweise dokumentarisch folgt, wäre auch der Eintritt der Schweiz in den der Ernst der allgemeinen Lage nicht unterschätzt einheitliches schweizerisches Strafrecht in der nachweisbar. Die Adresse lautet: Prag II., Völlerbund, wofür sich damals sowieso nur eine wird. Sie kommt zum Ausdrud in einem gewissen Vollsabstimmung zu beschließen. Selbstverständ- Lützowova 5. Dort erscheint bekanntlich jene Inappe Mehrheit aussprach, nicht beschlossen wor- Busammengehen der Parteien. Es ist über die lich verlangen auch die Militärfragen eine gen- ,, Revue quotidienne de la Presse tchécoslowaden. Die Sozialdemokratie der Schweiz hat sich Parteien hinweg eine Konzentration der Kräfte trale Lösung. Dagegen ist schon in der Finanz- que", die in ihrer Ausgabe vom 10. April die in grundsäßlich immer zum Völkerbund bekannt, was in Bezug auf die Fragen der Arbeitsbeschaffung politik ein Ausgleich zwischen Bund und Kantonen Aussig gehaltene Rede eines deutschen sozialdemo sie aber nicht davon abhielt, gelegentlich Kritik an und der Außenpolitik eingetreten in der Linie der notwendig. fratischen Politikers im französischen Auszug un der Genfer Institution zu üben. Prinzipiell aber eindeutigen Verteidigung des Unsere Kantonalverfassung und unsere De- erhört verfälscht hat. Es ist nicht un wurde stets der Grundsatz der internationalen Landes. Ein Beispiel für die Wandlung ist, daß mokratie ermöglichen es uns, auch den sprachlichen interessant, aus einer Serie von falschen Zitaten Rechtsordnung als die sozialistische Lösung der nun auch hohe Militärs an Sundgebungen zusam- Minderheiten völlige Gerechtigkeit angedeihen zu eines noch nachträglich besonders festzuhalten. In außenpolitischen Probleme betrachtet. men mit Sozialdemokraten für die Unabhängig- lassen. Die Kantone sind zum Teil einsprachig, Aussig wurde von mir erklärt: feit der Schweiz teilnehmen. zum Teil zweisprachig, der Kanton Graubünden sogar dreisprachig, nämlich deutsch, italienisch und räthoromanisch. Es ist ja allgemein bekannt ge= worden, daß im Vorjahre das Räthoromanische, obzivar es nur von 40.000 Schweizer Bürgern Die Sozialdemokratie der Schweiz hat 1935 gesprochen wird, zur vierten Landessprache erho= ihr Parteiprogramm geändert bzw. den bestehen- ben wurde. Im eidgenössischen Parlament und in den Verhältnissen angepakt. Sie hat sich darin den kantonalen Parlamenten kann jeder Schweieindeutig auf den Bodender Demokrazer Bürger seine Muttersprache gebrauchen. tie und der Landesverteidi
„ Welches sind die gegenwärtigen Strömungen in der schweizerischen Sozialdemo
fratic?"
Große Schwierigkeiten für die Schweiz er gaben sich anläßlich der Sanktionen, welche gegen Italien zur Zeit des Abessinischen Krieges ergriffen wurden. Die Schweiz hat sich mit den fibrigen Staaten grundsäßlich auf den Boden der Sanftionen gestellt. Freilich wurde ihr die Art der Durchführung der Santtionen überlassen, das mit sie nicht in Stonflikt mit ihrem jahrhunderte alten Grundsatz der Neutralität gerate. SelbstStammt der Vorsißende des eidgenössischen Parverständlich hat die Anwendung der Sanktionen zu wirtschaftlichen Schäden geführt, da ja Ita ung gestellt, welche Wandlung sich freilich nicht lamentes aus der welschen Schweiz , gebraucht er lien das Nachbarland der Schweiz ist; insbeson ohne schwere Stämpfe innerhalb der Partei voll die französische Sprache, stammt er aus der dere der Kanton Tessin hat schwer darunter gezogen hat. Diese Kämpfe wurden vor allem auf deutschsprechenden Schweiz , gebraucht er die litten. Die Schweizer Bevölkerung ist damals zu 1936 ausgetragen. Noch auf dem Parteitag von litischen Behörde und bei Geden Parteitagen zu Luzern 1935 und in Zürich deutsche Sprache. Im Verkehr mit derpoder Erkenntnis gelangt, daß die Anwendung von wirtschaftlichen Sanftionen einem Nachbarland Zürich 1936 wurde die erste große Wehrvorlage richt kann jeder Schweizer Staats mit einer Mehrheit von zehn Stimmen abgelehnt. bürgerinjedem Santon, auch in gegenüber zu unhaltbaren Konsequenzen führen fönne. Infolgedessen ist heute die Schweiz ein Darauf trat eine Kriſe in der Partei ein. Der eine meinsprachigen, seine Ilmdeutig gegen das Obligatorium Parteitag hatte beschlossen, daß sich die sozialde- gangssprache gebrauchen. Indem wir der Sanktionen. Der Bundesrat hat sich mokratische Fraktion im Nationalrat der Stimme jedem schweizerischen Staatsbürger das volle Recht im Frühjahr 1936 dem Völkerbund gegenüber 3 enthalten habe, woran sich aber nicht alle Mit- gegeben haben, seine Sprache zu gebrauchen, haben auf den Standpunkt gestellt, es sei Sache der glieder der Fraktion hielten. Diese Ereignisse führ- wir grundsäßlich und praktisch die volle Schweiz , zu entscheiden, ob und wann Santtionen ten zur Verlegung der Parteileitung von Bern sprachliche Gleichberechtigung anzuwenden sind, damit die Schweiz nicht in Mi- nach Zürich bzw. zur Neuwahl der Parteileitung. 1 in der Schweiz durchgeführt. derspruch zu ihrer Neutralität gerate. Das Parlament hat sich dieser Auffassung des Bundesrates einmütig angeschlossen, und es ist im Volfe von reaktionärer Seite eine Bewegung eingeleitet wor den, welche verfassungsmäßig den Grundsatz der integralen Neutralität festlegen und damit im Effekt den Austritt aus dem Völkerbund provo- No m. Ministerpräsident Mussolini stattete deutschen Stellen in Nom im gegenwärtigen Zeitzieren wollte. Diese Absichten der Rechten sind am Mittwoch vormittags dem Reichskanzler Hitler punkt als ein 3 weitrangiges" Problem durch die Sozialdemokratie, die im Dezember im Quirinal einen halbstündigen Besuch ab, wobei bezeichnet, das in den Gesprächen nicht die Haupt1937 einen Beschluß gegen den Austritt aus dem seine Begleitung im Vorzimmer verblieb. Nach rolle spielen wird. Völkerbund faßte, durchkreuzt worden. Vor fur- offiziellen Kranzniederle4ungen erfolgte der mehr Der Osservatore Romano ", das offizielle zem hat nun die Schweiz in einem Memorandum als einstündige Gegenbefuch Hitlers im Palazzo Organ des Vatikans, bringt ein Wort über das Begehren an den Völkerbund gestellt, ihr die Venezia. Am Nachmittag wohnte Hitler großen den Besuch Hitlers in Nom. Der Papst hielt in integrale Neutralität zuzuerkennen und mit der militärischen Darbietungen der faschistischen Ju- Castel Gandolfo an 436 Neuvermählte eine AnMitgliedschaft im Völkerbund als vereinbar zu
erklären.
„ Welchen Eindruck hat die Besetzung Desterreichs durch Hitler in der Schweiz gemacht und wie ist die Haltung der schweizerischen Bevölkerung zum Nazismus?"
gend und später einer Kundgebung der in Italien wohnenden Auslandsdeutschen bei. Abends war er Gast des Königs im Quirinal , worauf die Weiterfahrt nach Neapel erfolgte.
sprache, in der er sagte: ,, Weit und nahe von uns geschchen sehr traurige Dinge, und darunter auch das, daß in Rom am Feiertag des Heiligen Kreuzes ein anderes Kreuz aufgerichtet wurde, das kein Kreuz Christi ist."
„ Wenn man es schon in Asch nicht wissen sollte, so weiß man es ganz bestimmt in Berlin , wie die beutige europäische Machtlage aussieht, und daß das ganze deutsche Volt nichts schlimmeres zu befürchten bätte, als in einen Strieg nach allen Fronten hineingerisienzuwerden." In der französischen Aussendung des Presse deutscher Rüdübersetzung) folgende Gestalt an: departements nahm der Satz( bei gewissenhafter
Soffen wir, daß, wenn man es nicht in Asch sieht, man in Berlin sicht, wie heute die Gruppierung der Mächte in Europa ist und daß das deutsche Volk nicht zu fürchten hat, in einen Krieg nach allen Fronten hineingeriffen zu werden."
So ging er auch durch die französische Preſſe. Demnach sollte also das deutiche Volt von einer Politik der nazistischen Striegsvorbereitung nicht a zu befürchten haben. Das Ausland mußte also den Eindruck empfangen, daß ein fudetendeutscher Sozialdemokrat in Aussig wie ein Hafenfrenzler gesprochen hat. Die Sache wurde von uns öffent lich Klargestellt. Von einer Entschuldigung oder gar einer Richtigstellung der erwiesenen alich meldung durch die zitierte Korrespondenz des Pressedepartements ist zur Stunde nichts bekannt. Damit ist auch jedweder Grund zu der harmloseren vorliege, hinfällig geworden. Das Urteil über Annahme, daß etwa eine schlampige Ueberfebung folche Methoden, die sich über die Regel primitivsten journalistischen Anstandes hinwegseven, fann getrost der demokratischen Oeffentlichkeit überlassen werden.
In der Lüßotvova 5 erscheint auch eine„ Pras. dakteur: Wilhelm Neumann ). In der Ausgabe ger Wochenkorrespondenz"( Verantwortlicher Revom 27. April 1938 erschien ein aufschlußreicher Artike!„ Nach Henleine Rede". Dort wurde den Lesern und Beziehern als offiziöse Meinung vorgesetzt, daß, obwohl ein zustimmendes Echo zu den Sarlsbader Erklärungen des SdP- Führers nor aus Berlin vorliege ,,, die čechoslowakische Oeffent Der Einmarsch der Nazis in unserem Nach lichkeit trotzdem einer Diskussion nicht ausweicht barlande Desterreich hat auf große Teile der Hitler überreichte Mussolini bei seinem Besuch und sich bemüht, auch in der Kundgebung Henlems schweizerischen Bevölkerung die Wirkung eines im Palazzo Venezia eine Schenkungsurkunde über einen Beitrag für die Lösung der NationalitätenSchocks gehabt, und zwar deswegen, weil die brei- Wie das Havas- Büro erfährt, foll die Kodie Schentung eines Beiß"-Observatoriums, ferner frage zu finden". Welche tschechoslowakische öffentten Bevölkerungsmassen dieses Ereignis nicht er- Ionial frage von Hitler in den Vorder- ein Bildwerk Mussolini in Deutschland ", das die liche Meinung hatte da Herr Neumann im Auge? wartet haben und davon völlig überrascht worden grund der Beratungen gestellt werden. Die schönsten Aufnahmen von dem Ducebesuch in Deutsch Er jiüßte jich offen herausgesagt bei dieser find. Zu diesen Ueberraschten gehörte allerdings if he cholowakische Frage wurde von land enthält, sowie eine Kopie des Olympiadefilms. Irreführung nur auf die hinlänglich bekannte
Während Hitler im Palazzo Venezia im Arbeitszimmer Mussolinis weilte, fanden in einem anderen Saal Beratungen zwischen den deutschen und italienischen Ministern über verschiedene Fragen statt.
Gastgeschenke