Seite 2 Sonntag, 31. Juli 1938 Nr. 178 Die Kraftprobe am Ebro v-r erste Ziel der Offensive erreicht: Die Front Teruel—Castellon entlastet Barcelona. (Ag. EsP.) Rach fünf Lätzen heftigsten Kampfe« und stürmischen Bor- niarfche« auS dem Ebrobogen stehen die Republiktruppen in 45 Kilometer Breite»wischen Eherta im Süden und Fayon im Norden di» zu 32 Kilometer tief in dem bisher von den Redellen besetzten Gebiet. Rund 700 Quadratkilometer Gelände erobert, mehr al» 6000 Gefangene gemacht, unübersehbare» Kriegsmaterial erbeutet, da» ist die Bilanz dieser Woche. Die Ebro -Offensive der Republiktruppen, die allem Anschein nach erst in der Anfangsphase steht, ist die g r o ß a r t i g st e Operation, die der Freiheitskrieg in Spanien bisher erlebt Hai. In ihrer strategischen Konzeption und Methodik, ihrer Vorbereitung und taktischen Durchführung ist sie den klassisch gewordenen großen Oeffensiv- schlachten de» großen Kriege» zumindest gleichwertig. Ihr bisheriger Verlauf ist ein Ruhmesblatt für den Generalstab, und die Truppen der Republik , nicht weniger aber auch für die Zivilbevölkerung, die durch aktive Mitarbeit vor und während der Operation den ganz außergewöhnlichen Erfolg ermöglicht hat. Bi» in» Einzelne war der Uebergang über de» Ebro vorbereitet worden. Mit dem überraschenden Gelingen dieser Operation stand und fiel die gesamte Offensive. Die Notbrücken über den breiten und tiefen Fluß mußten währned der kurzen Nacht geschlagen werden, aber widerstandsfähig genug sein, um gleich zu Beginn auch Artillerie und Fahrzeugen de» Uebergang zu gestatten. ES mußte vom Anfang a» damit gerechnet werden, und e» ist auch damit gerechnet worden, daß der Gegner gleich am ersten Tag der Offensive seine Flugwaffe konzentrisch gegen die Brücken einsetzen werde und durch Oeffnen Lee Pyrenäenschleusen de» Eegreflusse» den Wasserstand de» Ebro erheblich erhöhen werde. Die Brücken waren die Basis und zugleich der Nervenpunkt der Operation. Ihre Sicherung war da» oberste Gebot. Diese Sicherung erreichte schon am ersten Offensivtag da» Höchstmaß an Wirkung. Al» wenige Stunden nach erfolgter Ueberschreitung der Brücken die deutsch -italienischen Flugzeuge angriffen, stießen sie auf vernichtende» Sperrfeuer der Flakbatterien, so daß sie zur Umkehr gezwungen wurden. Auch die täglich wiederholten Angriffe von 30 bi» 40 Flugzeugen gleichzeitig und immer wieder, brachen sich an der Abwehr und stießen in» Leere. Die zahlreichen Brücken, inzwischen erweitert und verstärkt, sind nach wie vor unversehrt und mehr al» ausreichend gesichert und dienen dem Nachschub an Truppen, Kriegsmaterial und LebenI- mitteln.'■• 1 Bar zwei Tagen hat der Gegner, dessen unmittelbaren Angriffen durch die Flugwasfe der Erfolg versagt geblieben war, versucht, durch künstliche Hebung de» Wasserspiegel» de» Ebro die Brücken zu zerstören. Ueber die angebliche Wirkung dieser Maßnahme sind törichte Märchen verbreitet worden. Tatsache ist, daß da» Hochwasser durch die elastische Konstruktion der Brücken an ihren Köpfen ausgeglichen worden ist. Der Verkehr auf den Brücken hat zu keiner Stunde eine Unterbrechung erfahren. In wohlüberlegter Weise war die Offensive nicht al» Frontalangriff auf einer starren durchgehenden Linie angelegt, sondern in einzelnen Säulen, die sich am bestimmten Punkt wieder ver einigen, um sich von neuem zu trennen. So gelang e»— und nur so konnte e» gelingen»— den Gegner durch eine Kette größerer und kleinerer Aliigeloperationen aufzurelben. Diese Taktik war dazu bestimmt, den Republiktnippen die unge- wöhnlich hohe Zahl von Kriegögefmigenen und die Höchstbeute an Kriegsmaterial zu sichern. Reben dem unmittelbaren Erfolg hatte die Ebro -Ofsvnsive auch die mittelbare Wirkung» dast der Gegirer sich genötigt sah, seine Operationen an der Teruel - llastellonfront einzustellen. Rach fünf Tagen relativer Ruhe haben die Republiktruppen nunmehr auch in diesem Abschnitt läng» und beiderseits der Strasse Teruel —Sagunw eine teilweise Offensive eröffnet und eine Reihe wichtiger Stellungen erobert und ihre Linien weit vorverlegt.| Cor» era<rechte» Ebro -Ufer). Der Ha- vas-Sonderberichterstatter meldet von der Front: Die von den republikmtischen Truppen bei ihrem Uebevgang über den Ebro errichteten Brücken ntüssen immer wieder erneuert werden, da sie von den Francoflicgern ständig durch Bomben zersch-t werden. Die Tätigkeit der Francoflieger hat Freitag den ganzen Tag über nicht einen Augenblick nachgelassen. 50 Flugzeuge befinden sich ständig in der Luft und bombardieren beide Ufer sowie den Flusslauf, wobei die Jadflngzeuge bi» in ganz geringe Höhen heraigehen, um alle beweglichen Objekte mit Maschinengewehrfeuer zu überschütten. Dir Fliegerabwehr der Republikaner ist jedoch sehr wirksam. Starke neue Abteilungen der Republikaner überschreiwn ständig den Fluh. Die Mannschaft benützt kleine Boote oder leichte improvisierte Stege, während da» schwere Material, Geschütze und Anto» auf festverankerten Ponton- Brücken über den Fluß geschafft werden. Die Pioniere arbeiten Tag und Nacht im Kugelregen und unter den Bombenexplosione». So bessern sie schon seit drei Tagen und drei Rächten ohne die kleinste Ruhepause die von den Franco-Fliegern zertrümmerten Brücken au». Die Moral der repu- Zur Ebro -Offenslve Die Frontlinie, die vor der Offensive am linken Ebro.Ufer war, verläuft jetzt von Fayon Uber Villalba und Gandeaa nach Tortoaa blikanischen Truppen, biv in ständig größerer Zahl den Brückenkvpf am rechten Ebro -Ufoplorweitern und befestigen, ist ausgezeichnet-' Die Soldaten überschreiten de» Fluß unttr wildem Krieg»-. geschneit»Nach Saragoffal Nach Daragossal", worauf si» sofort t« Bchützenformaiion übergeE.'» und dig Positionen st» der Sier» besetzen. Aussagen italienischer Deserteure zufolge wurde« rasch zwei Franco-Divisionen von der Ostfront abberufen und an die Ebro -Front gebracht. Diese Informationen werden auch durch Meldungen au» anderer Quelle bestätigt. ES wird betont, daß die Zieste, die sich die Republikaner bei dem Angriff über dm Ebro -Fluß gesteckt hatten, voll erreicht wurden. Das Flaue an der Ebro -Offerisive Urteil eine» französischen Obersten Pari».(0g. Bsp.) Oberst Mudet schreibt in der Zeitung„La Dbptche de Rouen et de Normandie * über die neue Offenswe der spanischen Republiktruppen: „Alle» ist neu an diesem Kampf. Bor allem ist eine so schnelle Vorbereitung getroffen worden, und dabei so sorgfältig, daß die Deuffchen darin ihre eigene Offenswe von ISIS wiedererkennen könnten, die ohne den Opfermut der französischen Soldaten ihnen den endgültigen Sieg auf der Hochfläche der Picardie eingebracht hätte. Die Brücken, die über den Ebro geschlagen wurden, der durch Gewitter stark angeschwollen war, die schnelle und mächtige Artillerievorbereitung. die außerordentlich gut durchdachten Manöver, die Durchbrechung und Umzingelung der WiderstandSzentren, während bisher die republi- kanischen Angriffe von Belchite und Teruel so komplizierte Frontalattacken gewesen waren, die Organisation der eroberten Stellungen auf dem rechten Ufer de» Ebro und schließlich, dank einem sehr guten Nachrichtendienst die Kunde, daß der einzig zu erwartende Widerstand in Flugangriffen bestehen würde, und daraufhin die Aufstellung von mächtigen Flakbatterien, die allen francisttschen Flugangriffen begegnen — da» sind die neuen Merkmale diese» Kampfe». Da» Erstaunlichste daran ist, daß der amtliche Rebellenbericht den Erfolg der Republiktruppen auf die Hilfeleistung der Zivilbevölkerung zurückführt. Da» ist nicht nur ein beweiskräftige» Zcugni» de» Geisteszustände», in dem sich da» spanische Boll befindet, sondern auch der Unordnung beim Feinde, für den ein solche» Bekentnit die Widerlegung aller seiner früheren Behauptungen darstellt. Wa» Franco auch tut— die gegen Par« celona und Valencia vorbereiteten Rebellenoffen» swen sind bereit» lahmgelegt.* Oberst Mudet schließt, indem er unterstreicht, daß diese» beachtenswerte Ergebnis ohne außerordentlichen Materialaufwand erreicht wurde und den Kriegswert de» republikanischen Generalstab» beweist. " Hodgson wieder nach Burgos London . Der britische Agent bei Franco, Sir Robert Hodgson, derzeit länger al» einem Monat sich in England aufhält, wird Samstag nach Burgos zurückkehren. Wie nunmehr bekannt wird, hat die Franco-Regierung zugestimmt, die Bombardements britischer Schiffe in Regierung»- Häfen und die Frage de» Schadenersätze» durch eine gemischte Kommission untersuchen zu lassen. Die Aufgabe Hodgson» wird e» u. a. auch sein, Einzelheiten dieser Kommissionsarbeiten zu besprechen.•• Weiterhin ernste Lase zwischen USSR —Japan Tokio .(HnvaS.)' Das Hauptquartter der Korea -Armee in Seoul hat" ein Kommunique« veröffentlicht, in dem t» heißt: Die japanisch- mandschurische Armee und die Sowjetarmee stehen einander unmittelbar an der Grenze beim Berge Tschan-ku-feng, wo es Freitag vormittag» zu eiiiem Zusammenstoß kam, in völliger Ruhe auf Schußweite Aug in Auge gegenüber. Nach dem Kommuniquee überschritten zehn Sowjet« soldaten die mandschurische Grenze und begannen mit Arbeiten an BerteidigungSgräben. Die japanisch-mandschurische Grenzwache nahm sofort ihre Verfolgung auf und e» gelang ihr, die Sowjetsoldaten über die Grenze zurückzutreiben. Bier Stunden später unternahmen die Sowjetsoldaten, die beträchtliche Verstärkungen erhalten hatten, einen Angriff auf die japanisch-mandschurische Grenzwache, der aber abgewiesen wurde. Der Domei-Agentur zufolge hat dieser neue Grenzzwischenfall die amtlichen Kreise in Tokio beunruhigt, wo betont wird, daß die Verhandlung gen wegen der Besetzung des Berge» Tschan-ku- feng durch Sowjettruppen ständig andauern. Schwere japanische Verluste del Kinklang Die chinesische Gesandtschaft in Prag stellt den Blättern folgenden Bericht zur Verfügung: Die Heftige» Kämpfe in der Umgebung von Kiukiang dauern an; die Stadt wurde nach dreitägigem Ringe» dem Erdboden gleichgemacht. Japanische Kriegsschiffe und Flugzeuge bombardierten die neue» Stellungen der chinesische» Streitkräfte, die in der Umgebung von Kiukiang angelegt wurden. Rach den Schätzungen der Chinesen haben die Japaner im Laufe der Kämpfe um Kiukiang gegen 10.000 Mann verloren und neu» Kriegsschiffe und Kanonenboote sowie 96 Flugzeuge eingebüßt. Der Vormarsch der chinesischen Strettkräfte und Freiwilligenabteilungen in Nordchina dauert an, besonder» im südlichen Teile der Provinz Schansi. Nach dem Berichte de» chinesischen Generalstabes räumten die Japaner alle ihre Positionen entlang der Tungpu-Eisenbahn im südlichen Teile der Provinz Schansi und begannen den allgemeinen Rückzug nach dem nördlichen Teile derProvinz, wo neue Kampfe zwischen Lanfeng und Tajuan aufflammten. Die Japaner haben auf ihrem Rückzüge Überall große Mengen von Waffen, Munition und Lebensmitteln-znrückgr- lassen. (hlnesvche Vffenslve del Hankau Hankau.(Reuter.) DaS chinesische Heer hat läng» der Eifenbahnstrecke nach Schien- schang, etwa 100 Kilometer nordästlich von Kiukiang, eine mächtige Offensive eingeleitet. E» trachtet den rechte» Flügel der japanischen Front durch einen Angriff in der Umgebung von Teih« zu umfassen. Auch südöstlich von Kiukiang haben sich heftige Gefechte in der Nähe de» Berge» Kusin entwickelt, wo daS japanische Heer in Berteidi- glingSstellung ist. 33 I Zwischen| Mann und Kind Roman von Llli Körber „Wie du siehst!" Die Worte kamen ganz spitz. Geräuschvoll ließ sie sich auf einen Sesiei nieder. DaS konnte Geßler nicht auSstehen, instinktiv tat sie jetzi alles, was ihm unangenehm sein konnte. Tvbei wollte sie ihn zurückgeioinnen. Jawohl, er sollte sehen, wie eine Frau wird, die man zum Aeußersten treibt. Und vielleicht würde sich zugleich mit den Gewissensbissen auch noch mitleidige Zärtlichkeit in seinem verhärtete» Herzen rühren. Aber es rührte sich nichts in ihm, so sehr er sich anstrengte. Ast es doch letzthin egal wie sich eine Frau, die man nicht mehr liebt, benimmt. Ob sie sich mit gekränkter Würde zurückzieht oder einem nachläust, ob sie stille Dulderin oder rabiate Rachegöttin markiert. Krach» find peinlich, können aber Asche nicht mehr zu glühender Kohle aufrühren. DaS vermag nicht einmal ein feudaler Madonnenblick mehr. Vorbei! Vorbei!„Besen, Besen, seid's gewesen!" „Also du spielst heute nicht," wiederholte mechanisch und wie mit Bedauern Albert Geßler. Er schwitzte Blut und Wasser. „Ein Mokka!" warf Alma beleidigt dem Kellner zu. „Trinke doch keinen Schwarzen, es ist schon .spät", bat freundlich der Doktor.„Du schläfst ja so wie so nicht gut." „Ich bin hier nicht in deiner Ordination," schnitt die Braun ab.„Und außerdem schlafe ich in letzter Zeit so wie.so nicht." Sie sah Albert 6»r deutungsvoll an. Lui» Mayer tat der Freund leid. Da war die Liest doch eine andere. Sie schrieb ihm nur rekommandierte Briese, suchte ihn nicht auf. Er bemühte sich, ein Gespräch in Gang zu bringen: ,,Wa» glaubst du eigentlich, Albert, wird ein Buch beschlagnahmt, wenn man... hm... beispielsweise... die Prügelstrafe an einer... Minderjährigen(er wollte nicht„Backfisch" sagen, da» klang zu pornographisch) vollziehen läßt?" Er mußte seine Frage wiederholen, Albert Geßler hatte nicht zugehört. „Ja, ich weiß nicht, darf man da» nicht? ?lber warum willst du ein Kind prügeln lassen? Solche Erziehungsmethoden sind doch gänzlich veraltet!" „DaS kann ich nicht finden," ließ sich plötzlich Alma Braun vernehmen, ,Hüben gehören geprügelt, bei denen, die nicht geschlagen wurden, merkt man'» doch bi» in» späteste Alter". Sie warf Geßler einen Blick zu, damit er auch recht begreife, wen sie meine. „Es handelt sich nicht um einen Buben, sondern um ein Mädel," berichtigte versöhnlich Lui» Mayer.„Selbverständlich bin ich nicht dafür, daß man Kinder haut, im Leben? Aber im Rmnan tut es niemand weh und..." „Herr Mayer zum Telephon," rief der Kellner. Luis fuhr zusammen.„Da haben*wir die Bescherung. Ich habe die Ruhe verschrien, die sie mir ließ. O Gott, o Gott , o Gott ! Und ich weiß nicht einmal, ob sie in mir den Mann oder den insolventen Gläubiger beweint. Wer vielleicht bin ich'» gar nicht. E» gibt, Gott sei Lob und Dank, so viele Mayer» auf der Welt und infolgedessen vermutlich einige davon im Taft". Der Kellner kam an den Tisch: '„Sie heißen doch Lui» Mayer, Herr Dokwr? Litte zum Telephon." Alma Braun warf ihm«inen gehässigen Blick nachr „Ich kann ihn nicht auSstehen, diesen Schnorrer!" „Warum?" fragte Geßner ehrlich erstaunt und zugleich erfreut, daß Alma selbst angefangen hatte, von einem Dritten zu reden..„Er ist ein armer Kerl. Ich halbe ihn vor Jahren in Berlin getroffen, da ging es ihm gut, er hatte eine nette Wohnung, verdiente, wa» er wollte, war jemand..." «Na, und warum ist er zurückgekommen? Hat er drüben wa» audgefreffen oder ist er nur ein Jud?" „Da» weiß ich nicht, ich habe ihn nie gefragt." „Du bist von einem rührenden Zartgefühl an der unrichtigen Stelle. Dieser Mayer ist ein Schuft, nützt Frauen au» und laßt sie dann stehen. Da» weiß ich au» zuverlässiger Quelle. Egal, ich iveiß es bestimmt. Dar arme Mädel. Nicht einmal al» sie ihm mitteilte, daß sie ein Kind erwartet, hat e» ihn gerührt: So seid ihp alle... alle... alle..." „Ist denn da» wcihr mit dem Kind?" „Nein, aber da» kann er schließlich nicht wissen. So einem Kerl ist alle» Wurst, fünf Schillinge sind ihm lieber al» eine Frau..." Geßler hatte da» Gefühl, daß sie ihn treffen wollte, indem sie auf Mayer schimpfte. Er fühlte sich mit seinem Freund solidarisch. «Da» ist doch selbstverständlich, wenn man so in der Sauer sitzt," meinte er mild.'„Für fünf Schilling kann er schließlich dreimal zu Mittag essen, sogar viermal, wenn er ein Rindfleischmenü wählt.,; E» ist wissenschaftlich bewiesen, daß der Hungertriüb im Menschen stärker ist äl» der Lie« beätrteb..." „Ach du... du... du bist auch so." ,Hch bin auch so," bestätigte freundlich Dr. Geßler.„Wie sagt doch der Weise: Ich bin ein Mensch und nichts Menschliche» ist mir fremd." Lui» Mayer schlich wie ein begossener Pudel wieder zum Tisch und blickte gequält zur Wanduhr hinauf. „Ich glaube, ich muß bald gehen," seufzte er und fach bittend den Doktor an.»Sonst krieg' ich keine Elektrische mehr," setzte er entschuldigend hinzu. Ein sichtbarer Kampf spielte sich in seinem Gesicht ab: die Angst, daß, wenn er bliebe, sie nochmals anrufen könnte und der Kellner ihn unerbittlich holte und die andere, die größere Angst: daß er die zehn Schilling, die Geßler ihm der, sprechen hatte, versäumte. „Wir gehen auch," entschied Alma und winlle den Ober heran— konnte sie da» nicht den Männern überlassen? „Wir" dachte Albert, indem er die Brieftasche zog und für alle drei zahlte.„Will sie, daß ich bei ihr übernachte? Bin ich ein Student? Morgen habe ich ein Konsilium und muß ausge- schlafen sein. Diese Frauen! Niemals ein Einsehen, daß unsereiner älter wird! Wenn ich früh geheiratet hätte und meine Tochter früh geheiratet hätte, könnte ich Großvater sein. Und überhaupt...." Hier fiel ihm der Ausspruch von Ana« tole France ein:„Nichts wiegt so schwer wie der Körper einer Frau, die man nicht mehr liebt." Gr blickte fragend und verzweifelt seinen Freund an, der den Blick erwiderte:„Ja, ja, mein Lieber, so ist da» mit den Weibern, leicht zu bekommen, schwer loszuwerden. In Berlin würde ich einen Artikel darüber schreiben. Aber hier, hier, wo man die Frauen wirklich gern hat, so gern, daß man sich uneigennützig an ihnen freuen kann, hier ziehen solche Dinge nicht. Vielleicht Prügelstrafe al» Ersatz für unerlöste Libido..." „Wo wohnen Sie eigentlich, Herr Mayer", fragte Alma gleichgültig und machte Miene, ihm zum Abschied die Hand zu reichen. Plötzlich kam e» Gehler wie eine Erleuchtung. „Lui», du wohnst doch noch immer in Hiet zing , ja? Dann fährst du durch die Mariahilferstraße. Glänzend. Hier hast du fünf Schilling, bring' Fräulein Braun nach Hause, warte, ich rufe ein Taxi." Er fwpfte ihm 15 Schilling in die Hand.„Nein, nein, Alma, du sollst nicht zu Fuß gehen, e» ist schon spät..." '(Fortsetzung folgte
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18 (31.7.1938) 178
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