Gelte 8
Sozialdemokrat"
Donnerstag, 15. September 1038. Nr. 21?
Deutsche   Demokraten auf dem Präser Rathaus Prag  . Auf dem Altstädter Rathaus fanden sich am 14. Sepiember Vertreter der deutschen  demokratischen Parteien und Organisationen ein. um ihre absolute-Bereitschaft zur Unterstützung aller Bestrebungen zum Ausdruck zu bringen, die auf die Sicherung der Ruhe und des Frieden» im Staate gerichtet find, sowie den entschlossenen Willen, das gemeinsame Vaterland mit allen loya­len Bürgern der Tschechoftolvakischen Republik zu verteidigen. Die Vertreter stellten auch ihre werk­tätige Hilfe bei den öffentlichen Aktionen verschie­dener Art zur Verfügung. Eine geisteskranke ffrau. Gestern vormittag» öffnete die ö4jährige Pensionistin Olga Schick da» ffeniler ihrer Wohnung in W r k ch o w i v, Ko- danskä 42, und schrie den JustgänMrn unzusammen­hängend« Worte zu. Er wurde die Polizei gerufen, welche die ffrau in die Irrenastalt brachte; er wurde bei ihr eine Geistesstörung festgestellt. Gin rücksichtsloser Chauffeur. Gestern nachmittag ging die 52jährige Marktlicferantin Magdalena Podhradskä über die Lilienstraste in der Altstadt. Ein rasch fahrende» Auto überfuhr sie und verletzte sie schwer. Der Thauffeur fuhr davon und kümmerte sich nicht um sein Opfer. Ein Dieb in Karolienthal. In da» Hau  » Nr. 00 in der Krälovskä in Karoljnenthal kam gestern ein junger Mann eben in dem Augenblick, al» grau Elisabeth Boticky nach Hause ging. Sir fragte den Mann, wa» er dort suche. Er antwortete, er warte auf seinen Bekannten. Al» sie aber die Türe ihrer Wohnung aufmachen wollte, rist er ihr die Ein­kaufstasche au» der Land. Sie hatte dort 800 Kc nebst dem Einkauf. Et» Hotcldieb ertappt. In der StephanSstraste in P r a g II wurde der 87jährige Lackierer Franz L r a b i angehalten. Lrabi wurde nämlich vom Verwalter de» Palai»Charitas" auf dem KarlS- platz verfolgt. Er wurde beobachtet, al» er in die Zimmer der betreffenden Pension eindringen wollte. Am selben Vormittag hatte er dort Patentschlüssel von den Zimmern entwendet. Al» er ertavvt wurde, er­griff er die fflucht. Wenn ihm lein Vorhaben gelun­gen wäre, hätte er einen Schaden von 18.000 KC verursachen können, denn e» wäre notwendig gewesen, alle Schlösser in der Pension umzuarbeiten. LrabC sagte, er habe die Schlüssel gefunden und sie in der Pension abgeben wollen. Er wurde in» KreiSaericht in Prag   eingeliefert. Rege-Inanspruchnahme deS versah.Amte». Beim Versatz- und Leihamte in Prag  . wurden im Monate August 1088 verpfändet, ozw. verzinst: In der Abteilung für Schmucksachen 16.008, in der Kleiderabteilung 14.507 Versatzstücke. Die gesamte" Darlehenssumme betrug 4,116.504 KC. AuSgelöst Wurden in der Schmucksachcnabteilung 15.188, in der Kleiderabteilung 18,420 Versatzstücke. Die Ge­samtsumme der auSgelösten Beträge betrug
8 872.804 KC. Auf Wertpapiere wurden 230.508 KC geliehen. Die hastende Gesamtsicherheit betrug gegen Ende de» Monat» in der Abteilung für Schmuck­sachen 17,154.345 KC(um 602.515 Kf weniger al» int vergangenen Jahre), in der Klriterabteilung 6,243.310 KC(um 36.660 Xi weniger al» im ver­gangenen Jahr), in der Wertpapierabteilung 6.823.667 KC(273.006 mähr al» im vergangenen Jahre). AuSflugSzllge der Staatsbahnen. Vom 17. bi» 28. September achttägiger Ausflug in die Beskiden und Unterbringung in der Schützhütte auf dem Belky Polom 480 KC, in die Hohe Tatra ml» einem Auf­enthalt am Strba  -See oder in Tatransktt Lomntca 560 Ki. Informationen und Anmeldungen im Basar neben dem Wilsonbahnhofe, Tel. 88885.
Zwei gefährliche Verbrecher Karl Neumann.   40jähriger ehemaliger Chauffeur, ist schon 22mal vorbestraft: jedesmal bandelte es sich um mehr al» Kleinigkeiten und die Strafen waren dementsprechend arost. Durch die Tat. der er sich am 11. März schuldig machte, kam er in die Reihe der ganz gefährlichen Verbrecher. Er wollte an jenem Tage die Wohnung deS Herrn Schwarz in der Soukenitkä ul. in P r a g ausrauben, irrte fidCT jedoch und schlug das Fenster im Büro Herrn B u l z e r S ein. Dort hätte er vier Schreibmaschinen und Waren im Werte von 15.000 KC stehlen können. Er hatte aber Unglück. Die LauS- messterin B o s p i ch hatte da» Klirren der Scheiben gehört und erriet sofort, dass ein Dieb eingebrochen sei. Sie weckte ihren Mann" und dieser rief die Polizei. Neumann wollte entkommen, aber er sah sich von der Polizei umringt. Er schost auf den Polizei­mann T ü m a. Dann schost er auch gegen sich selbst und warf sich zu Boden, al» ob er getroffen wäre. Er wurde verhaftet und abgeführt. Gestern verantwortete sich Neumann vor dem Senat deS OGR. N e b u» k a. verklagt vom Staatsanwalt Dr. Radechovskv. Er wollte die ganze Angelegenheit so hinstellen, al» ob er nur pro­biert hätte, oh ihm der Revolver funktioniere. Da» half natürlich nicht und er bekam drei Jahre schweren Kerker». Nachher wird er in die ZwanqSarbeitSanstalt ringeliefert werden. » Vor dem Senat de» OGR. S o l n ä r stand ein anderer Dieb, der 86jährige ehemalige Schuster Jaroslav Novotny au» C i m i d. Den Tat­bestand schildert die Anklageschrift folgendermasten: Am 20. August begegneten die Polizisten nacht» in der Altstadt einem Manne, welcher die Kappe eine» Postbedienstcten trug und einen grasten Sack mit Wäsche mit sich schleppte. Trotz dieser Maske fiel ihnen der sonderbare Sack auf; sie stellten den Mann zur Rede und stellten in ibm   den ihnen wohlbekann­ten Novotny fest. Er gestand, dast er die Wäsche einem gewissen Dr. Dvotäk inBubentsch ent­wendet hatte. In demselben Lause wurde aber auch der Hausmeister bestohlen und erlitt 5000 KL Schaden.
E» wurde ihm unter anderem auch lene Kappe ge­stohlen, mit welcher sich Novotny maskiert hatte. Bor Gericht wollte aber Novotny diesen zweiten Diebstahl nicht eingeftehen. Er habe die Kappe angeblich auf der Straste zwischen Abfällen gefunden. Da» Gericht musste über diese alberne Ausrede lachen und Novotny bekam ohne weitere» ein Jahr schweren Kerker» und kommt nachher auch in die stwann»arbeit»anstalt. mg.
Ein Vater vergreift sich an seiner Tochter Bor dem Strafsenat de» OGR. S o l n ä k Vcranttvortete sich gestern der 51jährige Arbeiter Karl P.. welcher der Blutschande an seiner eigenen Tochter bezichtigt wurde. Diese Tochter ist heute schon erwachsen und er­schien vor Ger'schal» verheiratete ffrau. Vielleicht hätte über den ftehltrltt ihre» Baler» nie jemand etwa» erfahren, wenn sie Heuer im ffrühjahr vor der Lochzeit nicht auf der Polizei erschienen wäre, wo sie gar seltsame Sachen erzählte. Danach unterhielt ihr Vater mit ibr unerlaubte Beziehungen schon seit ihrem fünfzehnten Lebensjahre. Sie hatte bamal», al» er ihr einen solchen Antrag stellte, solche Angst vor ihm gehabt, dast sie ihm willfährig war und bie Sache zog sich dann jahrelang hin. auch, al» sie schon eine ernste Bekanntschaft hatte. Nun ist ffrau Emma L. schon 80 Jahre alt. Damals, im ffrichiahr, al» sie sich einen eigenen Daushalt gründen wollte, hatte sie Angst gehabt, der Vater könnte sich dazwi­schen stellen und deshalb suchte sie Lilfe bei der Polizei. Weil sie kein kleines Mädchen mehr ist und die Beziehungen an chdann noch andauerten, al» sie sich hätte schon resolut wehren können, wurde sie gleich­zeitig mit ihrem Vater angeklagt. In geheimer Ge- richtSverhanbluna wurde sie jedoch freigesprochen. Ihr Vater bekam sechs Monate schweren Kerker» unbe­dingt.' mg.
Dee Mm Du und Ich Der Regisseur Fritz L a n g der einst in Deutsch­ land   mit Kolossalfilmen wie.Nibelungen",.Metro­polis" und dem Mörderfilm.M" Aufsehen erregt«, hat in Hollywood   vor nicht langer Zeit einen sehr eindrucksvollen Film gegen den Lynch-Mord insze­niert. Der Film.Du und ich", der jetzt hier ge­zeigt wird, will ebenfalls«in sittlicher Tendenzfilm sein, er will Verständnis für bie Schwierigkeiten Vor- bestraster und der nach amerikanischem Brauch bedingt Strafentlassenen erwecken, und er will auher- dem das Gebot.Du sollst nicht stehlen" durch die mehr geschäftlich gefastte amerikanische Weisheit Crime doe» not pay"(Verbrechen macht sich nicht bezahlt) erhärten. E» ist eine recht originelle Szene, wenn eine ehemalige Verbrecherin rückfällig gewor­denen Gangstern an der Schiefertafel vorrechnet, dast ihr Gewerbe nicht mehr einbringt als eine ehr­liche Arbeit, dafür aber gefährlicher(wenn auch viel­leicht weniger eintönig) ist. Die Sachesieht ein wenig Naiv au», sie hat aber insofern eine wirklich sozial-kritisch« Pointe, als sich bei der Rechnung her« auSstellr, dast auch da» organisierte Verbrechertum «ine Ausbeutung der.Kleinen" durch den.Unter­nehmer" ist, der ein Drittel de» Raube» für sich be­hält und sich bei einem gerissenen Advokaten im Vor­ au  » gegen alle Eventualitäten versichert, nur nicht
gegen die Rache der Konkurrenz-Gangstei, die zum Risiko des Verbrechertums noch hinzugerechnet wer­ben must. Nun ist aber der Film nicht nur ein .Lehrfilm" gegen da» Verbrechertum, sondern auch noch der Roman eines Manne» und eine/ Mädchen», die bedingt au» dem Gefängnis entlasten wurden, in einem Warenhaus Arbeit fanden, einander lieben und heiraten, obwohl sie dazu nach den Bestimmungen der bedingten Strafaussetzung nicht berechtigt sind und in Konflikte geraten, weil das Mädchen bem Manne verschweigt, dast sie unter den gleichen Be­dingungen wie er lebt und weil der Mann von sei­nen ehemaligen Komplicen beharrlich zur Rückkehr in» Räuberleben überredet wirb. Dieser romanhafte Teil bcr Handlung hat zu viel unwahrscheinliche Einzelheiten, um realistisch wirken zu können, und auch der WarenhauSbesiher, der statt philantro» pische Stiftungen zu machen lieber Gestrauchelte in seine Dienste nimmt, verhält sich im weiteren Verlause der Handlung so grostzügig, dast man e» auch nicht mehr glauben kann. Da» Gesamtergebni» ist also ein ost origineller, von besten Absichten bestimmter, aber in seiner Mi­schung(zu der am Ende auch noch etwa» Groteske kommt) nicht recht geglückter Film, dem übrigen» ein paar Song» de» Dreigroschenopernkomponisten Kurt Weil   eingefügt sind. Die beiden Hauptrollen wer­den von der wie immer sehr herzlichen, sympathischen und schlichten Sylvia Sydney   und dem bisher nur au» Tanzfilmen bekannten George Raft   gespielt, der hier al» ehemaliger Gangster und besserung»- burstiger Liebhaber nicht unglaubwürdig wirkt. ei»
Kunst und Mssen Spirlplan des Deutschen Theater». Donners­tag 10.80 Uhr:Banditen". Freitag 20 Uhr:Banditen". SamStag 10.80 Uhr: Sie Kameliendame"(A 1). Sonntag 10.80:.Louise Miller". Oper von Verdi.Erst­aufführung(B 1) Sptelplan der Kleinen Bühne. Donnerstag 10.80: Dreißig Sekunden Liebe". Lustspiü. Erstaufführung. Freitag 20:.DreIstig Se­kunden Liebe". SamStag 20:.Hotel Sylvia Dünn". Sonntag, 10.80:.Ko­mödie der Irrungen".
Vminsnacfiricfitcn Ortsgruppe Prag  . Barockausstel- g/nSaja l u n n. Am Donnerstag, den 15. Sep- MeSeBl) itmber, 7 Uhr abend»(10 Uhr), Wald- stein-Palai»: Besichtigung der Barock  - xäjjjx auSstellung unter Führung de» bekann­ten Kunschistoriker» Dr. Nester.
Uranla-KIno Der müde Theodor" mit Weitz Ferdit 6,%0. Morgen Doppelprogramm bei normalen Preisen l Auf der Bühne: Betja Milskaja, Eugen Hoffmann  , Rolf Osten, Leo Bott! DazuFrl. Liselott" mit Magda Schneider  , Günther Lüder», OSkar Sima  , Albert Lieven   I
Knosperich Von Dr. Otto Marbach Er hatte natürlich einen bürgerlichen Bor« und Zunamen wie alle anderen, amtlich gemel­deten Menschen. Aber seine poetisch angehauchte Mama hatte einmal er war noch ganz klein und konnte sich nicht wehren den merkwür­digen Kosenamen für ihn gefunden. Ach, poetisch angehauchte Mama» sind manchmal recht ver­hängnisvoll. An einem wunderbaren Vorfrühlingstag sah sie mit dem Kleinen, der eben erst vorsichtig zu zappeln begann, auf einer Gartenbank. über die ein junger Baum seine Zweige streckte, wie die gespreizten Finger vieler Hände. An den Zweigen lasten Knospen, braunglänzend, dick, noch ge­schlossen, aber bereit, in jeder heimlichen Sekunde aufzuspringen. Die Frühlingslust, das Kind, die Knospen und nicht zuletzt das schon erwähnte poetische Gefühl für lyrische Momente bestimmte die Mama, ihren Kleinen zärtlich zu liebkosen und ihn:mein Knosperich" zu nennen. ES war eine plötzliche Eingebung. Eine jener gutge­meinten Sprachschöpfungen mütterlicher Zärtlich­keit, die später abgelegt werden wie Saugflasche und Wickelband. Mer dieser Name blieb. Er blieb und bewies eine eigentümliche Kraft. Sind es Namen, die Menschen formen, oder formt sich der Mensch seinem Namen an? Knosperich blieb ein sozusagen Knospenmensch. Er war immer frühling^ast, glänzend gelaunt und vielversprechend. Immer begann er überraschend gut. Als er am selben Vorfrühlingstag, der ihn mit dem seltsamen Namen beschenkt hatte, die ersten Geh­versuche machte) gelangen ein, zwei Schritte meisterhaft. Er hatte das sichere und elegante Austreten eines erfahrenen Diplomaten. Danach wurde-s freilich kläglich, aber daS beachtete weder er noch die entzückte Mama, noch der übrige Kreis von Bewunderern. Die Anfänge waren immer wieder erstaunlich, so erstaunlich, dast eS niemand auffiel, dast er eigentlich viel länger zum Gehenlernen benötigte als sonst ein nor­males Kind. Er galt für ungemein begabt. Für vielver­sprechend. DaS war er auch wirklich. Seine An ­
fänge im Lesen, Schreiben, Rechnen, Zeichnen! erstaunten den gesamten Lehrkörper. Aber leider blieb alles nur im Knospenstadium. So vielver­sprechend er war, so wenig hielt er. Am Kind, da» als Ganzes in» Knospenstadium gehört, war jeder Widerspruch noch nicht auffallend. Aber in den höheren Schulen gab eS oft herbe Ent­täuschungen für wohlmeinende Lehrer, wenn er die ersten Prüfungsfragen überraschend sicher und klug beantwortete, in, weiteren aber völlig versagte. Ob er selbst irgendeine Enttäuschung fühlte, war fraglich. Er begleitet« sein Versagen mit einer gewissen zerstreuten Verträumtheit, die ihn scheinbar gegen den eigenen jähen Abfall un­empfindlich machte. Tadel und Spott schienen ihm deshalb auch nichts anhaben zu können. Nach einigen kleinen und gröberen Schul­katastrophen hatte er die Studien hinter sich und sollte sich einem Beruf zuwenden. Er zeigte Be­gabung für jede Art von Beschäftigung. Nie mangelte es ihm an theoretischen und praktischen Ideen. Er war wie ein junger Baum voller Knospen. Sein Gespräch glich einem Frühlings­regen. Er wustte für sich und den Mitunter­redner hundert Möglichkeiten und so wie man eine Sache nur von fern erwähnte, an eine Idee nur anspielte, gleich erfastte er den Kern der Ver­hältnisse und überschüttete den verdutzten Zuhörer mit einem sprühenden Schwarm origineller Vor­schläge. Solcher Frühlingsregen von guten Ideen fiel manchmal in fruchtbare Gehirne und mancher mittelmässige Freund, der nichts besäst als etwas Glück, hatte Knosperich viel, wo nicht alle» zu verdanken. Sich selbst freilich half er nicht. Er ichien kein Glück zu haben. Kein äustere» Glück zumindest. Innerlich war er immer heiter, jugendlich, frühlingshaft, wie eS sich für einen Menschen mit dem SpitznamenKnosperich" ge­ziemt. Tradition u. Protektion der Familie brach­ten ihn zuerst im Staatsdienst unter. Im Ver­kehrswesen. Sogleich begannen ihm angesichts dieser Materie die Ideen zu knospen. Die ver­waltende und die technische Mteilung der Zentral­direktion erhielten durchschnittlich jeden zweiten oder dritten Tag irgendwelche Vorschläge und An­regungen. Vorschläge zur Elektrifizierung dieser oder jener Teilstrecke, Vorschläge zur Errichtung von automatischen Fahrkartenschaltern, Ent­würfe für ein Reisetelepbon, für einen intensiven
Hydrovlanverkehr tm heimischen Seengebiet, für verlegbare Bahnhöfe usw. Dast man seine Ein­gaben erst ablehnte, dann bewitzelte, später nicht mehr beachtete, tat ihm nichts. Pläne und Plän« chcn knospeten in ihm stets gleicher FrühltngSkraft weiter. Gemütliche Vorgesetzte fanden sich humor­voll mit jener Eigenart ab, da sie dem unermüd­lichen Einreicher manche heitere Minute ver­dankten oder zumindest stets sauber geränderte und nett geschriebene Akten auf ihrem Tisch lie­gen batten, waS Bureaugewaltigen halt immer was fürs Herz und Gemüt ist. Leider gab es ein­mal einen Sektionöchef, der Paradoxe durchaus nicht vertrug. Und gerade diesem Mann machte Knosperich den Vorschlag, Ueberland- fahrten in Untergrundbahnen zu veranstalten. Darauf yzprde er entlassen. Er bekam«ine kleine Pension und sah sich nach anderen Betätigungsmöglichleiten um. Er sah so viel und so Mannigfaltiges, dast er über ein Jahr nichts tat, als Entschlust um Entschlust und Plan um Plan zu wechseln. Schliestlich ge­riet er, durch Freuqde und Bekannte gedrängt, ganz zufällig in ein kommerzielles Unternehmen. Kaum fühlte er sich auf diesem neuen Grund, so begann er wieder intensiv zu knospen. Sein Chef gratulierte sich erst zur Akquisition dieses ideenreichen Mannes, dann sucht« er erst sanft, später grob dem Ansturm der Vor­schläge Einhalt zu gebieten. Dann lachte er über ihn und schliestlich hastte er ihn. Denn Knosperich wollte eine völlig neuartige Buchführung, neue Bezugsquellen, neues Absatzgebiet, Umstellung der Firma von Lederwaren auf Südfrüchte und dergleichen mehr. Dabei hing er durchaus nicht auf seinen Ideen. Er war keineswegs ein Recht« Haber. Deutete man nur an, dast fein Vorschlag nichts tauge, war er der Erste, ihn fallen zu las­sen, freilich nur, um sogleich mit drei anderen, ebenso glänzenden Anregungen aufzuwarten. Da sein Chef ihn schliestlich gar nicht mehr leiden konnte, kam es bald zu seiner Entlassung) Er wurde durch dieses unangenehme Ereignis innerlich gar nicht berührt. Er knospete weiter an Plänen und Ideen, als ob nichts geschehen wäre. Erst jetzt kam er dorthin, wo seinesgleichen von allem Anfang an zu vegetieren pflegt zum Kunstbetri^i. Hier war das günstigste Klima für phantastische Tbeatergründungen, Monster ­
konzerttourneen auf dem malaiischen Archipel, Varietö auf dem Gletscher, Kabarett tm Zeppelin. Die Marmorplatten der Kaffeehaustische bedeck­ten sich mit zahllosen Berechnungen und Skizzen. Er lebte von ein paar MoffaS und zwei Mürben milde Spenden von zufällig besser gestellten Gleichgesinnten oder belustigten Zuhörern. Aber das bemerkte er alles nicht. Nicht einmal das be­scheidene Glück seines Lebens, das ihm, als es schon recht kritisch um ihn stand, eine Anstellung in der Reklameabteilung eines grasten Verlags­hauses zufallen liest, wurde von ihm in seiner Bedeutung gewürdigt. Er war dem Schicksal eigentlich böse, das ihn aus der geliebten blauen Rauch« und Jdeen-Treiühausaimosphäre ritz und seine knospenden Gedankenzweiglein wieder mit der lallen Schere der Rücksichtnahme auf die Realität beschnitt. Er konnte aber nicht lange böse sein. Er war zu heiter, zu unbeschwert, zu frühlingshaft. Dieser Charakter war sein Glück bei Frauen. Er wurde gern geliebt und er verliebte sich rasch und leicht. Zu leicht. Es war immer wieder schnell vorbei. Seine längste Leidenschaft hatte einmal drei Tage gedauert. Nichts als Knospen, keine Blüten, von Früchten ganz zu schweigen. Er liebte WahlWS. Er batte keinenTyp". Ob grost, klein, schlank, dick, bwnd, schwarz, ruhig, temperamentvoll, klug oder dumm, er verliebte sich auf ein paar Minuten oder Stunden. Er war der ewigeFlirter". Er war im grasten und ganzen auch mit sechzig Jahren noch so, wie er mit sechs oder mit drei Jahren gewesen. So nebenbei wurde er in diesem Alter krank. Da» war ihm ziemlich neu und seine Gedanken beschäftigten sich sehr mit diesem Zustand. Den Aerzten, die ihn behandel­ten, hatte er natürlich eine Unmenge von Vor­schlägen zu machen. Ob man nicht hie Pillen verstreichen könnte und die Salben schlucken, ob er nicht laues Wasser trinken könne, den Tee hin­gegen als Klysma verwenden, ob kalte Luft bei Fieber nicht doch vorteilhaft wäre, vb man Prlestnihumschläge nicht auch mit heitzem Wasser versuchen solle. Knosperich hatte übrigen» auch noch andere Ideen. Er Überdachte seine Bio­graphie und kam auf einen glänzenden Einfall. Er nahm sich vor,, er werde jetzt,»rst.ordenilich anfangen zu leben. In derselbenSekunde starb er.
B«zitaSbedtnqunaen:B«i Zussellnna tniLmi» oder bei Bezug durch di« Boss   monatlich KC 17, vierteljährig KC 51. halbjährig KC 103., ganzjährig KC 204 Inserate werden lan Tarif billigst berechnet. Rückstellung von Manuskripten erfolgt nur bei Einsendung der Retourmarken. Die ZeitungSsrankawr wurde von der Post« u Telegraphendirektwn mit Erwst Nr. 18.800,'VH/1080 bewilligt-(Kontrollpostamt Praha 25. Druckerei: JDtbti, Druck-. Verlags« u. 8eituna»-A.«G. Prag.