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Die Furcht.

( Nachdruck untersagt.)

Novelette von Guy de Maupassant  .

Deutsch von

Wilhelm Lilienthal.

Nach dem Frühstück gingen wir auf die Schiffsbrücke hinunter. Bor uns lag das Mittelländische Meer wie ein flarer, glatter Spiegel. Das große Fahrzeug, auf dem wir uns befanden, glitt dahin und verdunkelte den sternenbefäeten Himmel mit seinem schwarzen Rauche.

Wir waren acht Personen und bewunderten die herrliche Land­schaft. Der Kapitän, der seine Zigarre rauchte, nahm plötzlich die Unterhaltung vom Diner wieder auf und sagte:

" Ja, ich hatte an jenem Tage Furcht. Mein Fahrzeug saß, vom Sturme gepeitscht, sechs Stunden lang auf den Sandbänken feft. Glücklicherweise wurden wir gegen Abend von einem englischen Schooner, der uns bemerfte, aufgenommen."

Jeht nahm ein großer Mann mit sonnenverbranntem Gesicht und ernstem, schwermüthigem Ausdruck, dem man auf den ersten Blick anfab, daß er viele Länder gesehen und viele Gefahren bestanden,

das Wort:

Sie sagen, Herr Kapitän, Sie hätten Furcht gehabt, aber das glaube ich nicht. Sie täuschen sich über die Bedeutung des Wortes und über die Empfindung, die Sie gehabt. Ein energischer Mann hat angesichts der Gefahr niemals Furcht. Er ist bewegt, erregt, ängstlich, aber Furcht ist etwas ganz anderes."

Lachend erwiderte der Kapitän:

Nun, ich bürge Ihnen dafür, daß ich Furcht hatte." Der Mann mit dem sonnenverbrannten Gesicht fuhr mit lang­famer Stimme fort:

Geitatten Sie mir, mich näher zu erklären. Die Furcht( und die furchtlosesten Menschen können Furcht haben) ist etwas entsetz­liches, eine gräßliche Empfindung, sozusagen ein Krampf des Herzens und der Sinne, aber diese Empfindung fann bei einem tapferen Menschen weder bei einem Angriff, noch bei dem unvermeidlichen Tode, noch bei allen bekannten Formen der Gefahr eintreten. Sie tritt nur ein unter gewissen anormalen Umständen und unter bestimmten geheimnißvollen Einflüssen. Die wahre Furcht ist gleichfam die Erinnerung an längst vergessene Schreck­niffe. Ein Mann, der an Geifter glaubt und fich in der Nacht einbildet, er fehe ein Gespenst, empfindet die Furcht wirklich in ihrer ganzen entfegenerregenden Größe. Ich habe die Furcht vor ungefähr zehn Jahren am hellen Zage fennen gelernt, dann ist sie mir erst wieder im letzten Winter in einer Dezembernacht begegnet.

Und doch habe ich viele Gefahren überstanden, die tödtlich aus­laufen konnten. Ich habe mich oft geschlagen, Räuber haben mich überfallen, die mich für todt liegen ließen. Ich wurde als Jn furgent in Amerika   zum Tode verurtheilt und in China   von einer Schiffsbrücke in das Meer geworfen. Jedesmal, wenn ich mich ver­loren geglaubt, war ich auf das Aeußerste gefaßt, ohne die geringste Furcht zu empfinden.

Die Furcht lernte ich in Afrika   kennen, und ich will Ihnen die Geschichte derselben nicht vorenthalten:

Afrifa ist eines der seltsamsten Länder der Welt. Sie haben wohl alle von den unendlichen Sandwüsten gehört. Nun denken Sie sich einmal den Ozean, anstatt aus Wasser, aus Sand bestehend. Denten Sie sich einen Ortan, anstatt aus Wellen, aus gelbem Staube. Diefe Wellen sind berghoch, ja noch größer, und fluthen dahin, wie der Grundbegriff des entfesselten Elements.

Auf diefes furchtbare Meer gießt die verzehrende Sonne ihre entsetzlien Gluthen, herab und durch diese Sandbügel muß man schreiten, unaufhörlich, ohne Ruhe, ohne Raft. Die Pferde schnaufen, finfen bis an die Knie in den Sand und straucheln beim Ueber­schreiten der stets sich neu bildenden Sandberge.

Wir waren zwei Freunde, in Begleitung von acht Spahis und vier Treibern mit zwei Kameelen. Wir sprachen nicht mehr, denn wir erlagen unter der Hize und der Ermüdung. Plöglich stieß einer der Männer einen Schrei aus, wir machten Halt und blieben unbeweglich, überrascht von einem unerklärlichen Phänomen, das den Reisenden jener öden Gegenden bekannt ist.

Bon irgend einer Seite, von unbestimmter Richtung her hörten wir ein Trommeln, das geheimnißvolle Trommeln der Sanddünen; bald stärker, bald schwächer, hielt es von Zeit zu Zeit an, um sein phantastisches Rollen dann wieder aufzunehmen.

Die Araber sahen sich entsetzt an, und der eine sagte in seiner bilderreichen Sprache:

Der Tod schwebt über uns."

In demselben Augenblick fiel mein Freund, den ich wie einen Bruder liebte, vom Sonnenstich getroffen, vom Pierde und blieb todt im Sande liegen. Zehn Stunden lang, während ich vergebens versuchte, ihn wieder zum Leben zu erwecken, hörte ich diefes un­erklärliche Trommeln und füblte, wie die Furcht, die wahre, die entseßliche Furcht mich beschlich, und die Haare sträubten sich mir beim Anblick des geliebten Leichnams in diesem von der Sonne aus gebrannten Erdenwinkel. An jenem Tage begriff ich, was es heißt, Furcht haben, und noch besser habe ich es ein zweites Mal er­fahren.

Der Reisende erwiderte:

,, Nein, niemand weiß es! Die Offiziere, die oft dieses seltsame Geräusch hören, meinen sämmtlich, es sei das vergrößerte, verviel= fältigte Echo, das aus den Sanddünen kommt, mit anderen Worten also eine Fata Morgana des Tones. Das ist alles, mehr kann ich Ihnen darüber nicht sagen und will Ihnen jetzt meine zweite Es war im letzten Winter in Erscheinung der Furcht erzählen: Die Nacht brach zwei einem Walde des nordöstlichen Frankreichs  . Stunden früher herein, so dunkel war der Himmel. Ich hatte zum Führer einen Bauern, der an meiner Seite unter den hohen Fichten dahinschritt. Ein entsetzlicher Sturm heulte, und manchmal bog sich der ganze Wald; tros meines schnellen Schrittes und meiner schweren Kleidung fröftelte mich. Wir sollten bei einem Feldhüter, dessen Haus nicht mehr fern lag, Obdach finden; dort wollte ich jagen. Mein Führer hob manchmal die Augen gen Himmel und murmelte: Entsetzliches Wetter  !"

Dann erzählte er mir von den Leuten, bei denen ich übernachten sollte. Der Vater hatte vor zwei Jahren einen Wilddieb erschossen Seine zwei verheiratheten und war seitdem tiefsinnig geworden. Söhne lebten bei ihm.

Es war nach und nach tief dunkel geworden und schweigsam schritten wir in der undurchdringlichen Finsterniß einher. Endlich bemerkte ich ein Licht, und bald klopfte mein Gefährte an die Thür des mir zum Nachtlager bestimmten Hauses. Von innen hörten wir freischende Frauen, dann fragte eine tiefe Männerftimme:

Wer ist da?"

Mein Führer nannte seinen Namen und wir traten ein.

Ein alter Mann in weißen Haaren und mit wirren Blicken erwartete uns mit geladenem Gewehr in der Mitte der Küche, während zwei mit Aerten bewaffnete große Burschen die Thür hüteten. In den düstern Winteln lagen zwei Frauen auf den Knieen und weinten.

Der Alte setzte die Waffe beiseite und befahl, mein Zimmer in Ordnung zu bringen. Da die Frauen sich aber nicht rührten, so fagte er au mir:

Sehen Sie, mein Herr, ich habe heute vor zwei Jahren einen Menschen getödtet. Jm vorigen Jahre wollte er mich holen, heute erwarte ich ihn wieder." Ich beruhigte ihn, so gut ich konnte, erzählte Geschichten und schließlich gelang es mir auch, die Gespensterfurcht der An­wesenden zu verscheuchen,

Am Herdfeuer schlief ein alter, fast blinder Sund.

Draußen heulte der Sturm um das kleine Haus, und durch ein winziges, in der Thür befindliches Schiebfenster sab ich plöglich, wie ein Strauch vom Sturme gepeitscht, grell von Bligen beleuchtet, hin- und herschoß.

Troß meiner Anstrengungen, sie zu beruhigen, sah ich doch, daß Müde und erschöpft ein tiefer Schrecken die Leute gebannt hielt. wollte ich eben zu Bett gehen, als der alte Feldhüter plößlich von feinem Stuhle aufsprang, von neuem das Gewehr ergriff und mit wilder Stimme schrie:

Da ist er, da ist er! Ich höre ihn."

Die beiden Frauen fielen wieder auf die Knie, und die Söhne ergriffen ihre Aerte.

Ich wollte wieder versuchen, sie zu beruhigen, als der bis dahin schlafende Hund plötzlich erwachte, den Kopf erhob und ein dumpfes, grauenhaft flingendes Geheut ausstieß. Aller Augen richteten sich auf ihn, er stellte sich auf seinen Pfoten auf und heulte ununter­brochen, während der Feldhüter wie wahnsinnig ausrief:

Er ahnt ihn, er ahnt ihn! Er war dabei, als ich ihn

tödtete."

Die beiden Frauen fingen plötzlich an, mit dem Hunde zu heulen und zu weinen, und unwillkürlich befiel mich eine entfeßliche Furcht. Vor was? Das weiß ich selbst nicht! Wir blieben unbeweglich und erwarteten ein entsetzliches Ereigniß. Immer noch jagte der Hund um das Zimmer, roch an den Wänden und heulte. In einem Anfall von Wuth packte der Bauer, der mich hergebracht, das Thier am Halfe, öffnete eine kleine nach dem Hofe führende Thür und stieß den Hund mit einem Fußtritte hinaus. Sofort ward es still; aber dieses Schweigen war noch entsetzlicher. Plößlich fuhren wir alle empor: Es hatte draußen leise an die Thür geklopft; dann tappte es wie mit einer leichten Hand, dann hörten wir zwei Minuten lang wieder nichts, darauf tratte es wieder leise, leise, und plöglich erschien ein Kopf an dem kleinen Fenster, ein weißer Kopf mit leuchtenden grün­lichen Augen, und gleichzeitig drang ein Ton aus seinem Munde, ein düsteres, klagendes Gemurmel.

Blöglich verbreitete sich Dampf in der Küche. Der alte Feld­hüter batte geschoffen, und in demselben Augenblick verbarrikadirten feine Söhne die Thür.

Bis zum Morgen. blieben wir unbeweglich an derfelben Stelle ohne ein Wort zu sprechen. Erst als ein schwacher Strahl der auf­gehenden Sonne die Küche beleuchtete, wagte man den Eingang frei­zugeben.

An der Thür lag mit einer Rugel im Kopfe der alte Hund. Der Mann mit dem sonnverbrannten Gesicht schwieg und setzte dann nach kurzer Pause hinzu:

" In jener Nacht hatte ich keine Gefahr zu befürchten, und doch möchte ich lieber die entseglichsten Rämpfe bestehen, als jene furcht­bare Minute noch einmal durchleben, in der der Greis durch das

Der Rapitän unterbrach den Erzähler: Berzeihung, mein Herr, wiffen Sie etwas Näheres über das Schiebefenster auf den alten Hund schoß."... Trommeln?"