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den Hofhund, der vergaß, daß er den Schlächter gekannt hatte und im Unwetter und von Hunden verfolgt in den Hösen herumgehen hinter dem Bettlervolk herbellte. und um den Lebensunterhalt betteln!

Weg von der Brücke!... Ju's Zuchthaus gebörst Du. Und in's Zuchthaus sollst Du auch hinein!" rief der Landhändler erregt hinter ihnen her:" Ja, in's Zuchthaus!"

Hinunter ging es die Treppe der Landungsbrücke und in's Boot hinein. Tobias selbst war der letzte. Er deckte mit demüthig ge­neigtem Kopf hinten nachschleichend den Rückzug, und als er die Brückentreppe hinunter sollte, wandte er nur noch mit einem letzten, schwachen Versuch ein: ,, Keiner von uns hat hat in diesen Tagen Essen gesehen,

Väterchen!"

Die Kinder dort unten füllten das ganze Boot bis vorn zum Mastenraum hin, während über ihren Köpfen die Menge von der Brücke herunterfluchte. Nur Martha Malvina sandte aus ihren schwarzen Augen einen Blick empor, während sie in zitternder Gile die beiden Kleinsten in das alte Umschlagetuch einhüllte und sie im Hintertheil des Schiffes niederlegte.

Nur Mathias fehlte noch.

Er hatte sich unten im Boot losgerissen und war nach den Häusern hinauf gesprungen. Verhungert, umberschnüffelnd und dünn wie ein Schatten, stürzte er, an Menschen gewöhnt, wie er war, sogleich in einen Flur hinein und drückte die Thüre zur Küche auf.

Was er dort angerichtet hatte, sollte bald offenbar werden. Er war in eine Schüssel mit Rahmgrüße hineingefahren, welche die Hebamme, Frau Sörrig, versprochen hatte, für die Frau des Kirchenfängers mitzubringen, die kürzlich ein Kleines bekommen hatte.

die Dhren hinein.

Es verstand sich von selbst, daß sie für Frau Sörrig das Haus um und um fehrten. Es mußte neue Grüße gekocht werden, und der Kaffeekessel wurde beigesezt, um ihr die Zeit zu vertreiben.

Aber als sie da saß und ihren Kaffee trant und trank, der immer wieder frisch eingegossen wurde, schlug sie plöglich auf den Tisch und ließ die Hand dort liegen. Sie sab der Frau des Land­händlers mit bedächtigem Grübeln ins Gesicht und sagte dann plöglich: " Pottausend! Ich kann den Schlächter frei nach Amerifa hinüberbekommen!"

Der alte Monsen, der Yachtschiffer, war herübergekommen und er und der Landhändler hatten in der Sopha- Ecke eine Partie Schwarzpeter begonnen. Sie sentten beide die Karten. Das Freibillet, wißt Jhr, Landhändler, für Olaus in Klöven und die Seinigen, das er zur Ueberfahrt nach Chikago be= tam und nicht benußen konnte, das ist für eine Kleinigkeit zu haben!"

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Der alte Monsen lachte laut auf und schlug mit den Karten auf den Tisch:" Du stichst die Frau Sörrig nicht aus, Landhändler! Da wird Eure Armentaffe zehn Stück auf einmal los!"

Daß die Stimmung eine andere geworden war, zeigte sich zur genüge, als Tobias vom Hof fortfuhr. Die Kleinen hatten Stücke Fladen in den Händen und eines von den Mädchen tam ihnen mit einem kleinen Tuch nachgesprungen, das sie aus der Kiste herauss gesucht hatte und der kleinen Seimta um den Hals band.

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Ueberdies war der Urheber dieser großen Schicksalswendung, Mathias, aus Gnade und Barmherzigkeit vom Landhändler gekauft Die Schüssel stand nur einen Augenblick im Schornstein, und worden und reichlich mit Mehl und Hering bezahlt. In anbetracht da kam das verhungerte Schwein und steckte die Schnauze bis über dessen, daß alles mit der Rahmgrüße begonnen hatte, wurde er in den Maststall hineingesetzt, und so gelangte er zu Tagen des Ueber­wenigstens bis auf weiteres. Die Köchin fam ganz wüthend hinter dem Mathias hergerannt. flusjes Sie gab ihm unzählige Namen, von denen nicht einer ehrenvoll So wurde die Armentasse das lenkende Schicksal im Leben des Solange er sich war, und warf nach ihm, was sie in die Hände bekam. Hinter Tobias. Er und sie waren nun einmal Gegner. ihnen folgte Frau Sörrig selbst, ebenfalls erregt und roth. Ihre abrackerte und plagte und sich auf Tod und Leben in die Ruder schwere, üppige Gestalt watschelte und arbeitete mit den Armen; legte, um ihr zu entgehen, lag sie vor ihm und schnappte zu, um aber sie kam schnell angelaufen und mit ihr kam ein zorniges ihn zu verschlingen; aber, als er dann endlich in sie hineintrieb, Donnerwetter daher. stieß sie ihn mit einem Fußtritt gleich bis Amerika .

Plöglich tauchte sie aus dem Haufen an der Brücke hervor und stand nun athemlos da und folgte den Verhandlungen.

Ihre Figur war viereckig, das Gesicht viereckig wie ein Würfel, der mit zwei Augen aufgefallen ist; aber es waren ein paar Augen, die sich umsahen, als bätten sie zu kommandiren und zu kon­trolliren.... Sie war nicht umsonst achtzehn Jahre lang Hebamme gewesen!

Plöglich schoß sie dicht bis zum Brückenrande hin.

Na nun habe ich das auch noch zu hören bekommen! Meint Ihr denn, man kann Menschenkinder wie junge Razen draußen an der Brücke ertränken? O ja, ich hör' es am Lachen, daß Ihr gar nicht so weit davon entfernt seid! Das ist ja recht nett! Da sitzt der Schlächter Tobias mit all' seinen Jungen wieviel habt Ihr denn unter der Decke, Mutter?"

Das alte Umschlagetuch wurde aufgedeckt, so daß man die beiden Kleinsten sah.

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Und schon im Anfang Mai war Tobias zur Stadt ge= tommen, um als Auswanderer mit dem ersten Dampfschiff südwärts zu gehen. Mit einem Sack auf dem Rücken, einer Rifte in der einen der anderen ging er Hand und einem kleinen Mädchen an die Geestraße hinunter, während Martha Malvina und die übrigen mit fleinen Bündeln und Blechgefäßen in den Händen nachkamen.

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Eine ganze Schaar von Stadtjungen schrie und rief rings um fie Hurrah, wie Möven um eine Kohlfischbank.

Bei dem Boot, das sie zum Dampfschiff hinausbringen sollte, das draußen schaukelnd im Sunde lag, begannen die Schneebälle daherzusausen; das Frühlings- Thauwetter hatte dort oben im Norden nur erst gerade begonnen.

Ach, was für ein Schimmer! Und derselbe zeigte fich allzu ver lockend und einladend, wenn Tobias so den Rücken wandte.

Die Sache war... und das könnte vielleicht zu einer Darwin­ .. Mit allen seinen acht Jungen, ohne Essen im Munde, im offenen Boot und dann steht Ihr hier oben und benehmt Euch so." schen Betrachtungsreihe über Ursprung und Entwickelung der mensch­Ja, entschuldigt! Herr Landhändler auch Ihr, der sonst ein Wohl- lichen physischen Eigenthümlichkeiten und Abnormitäten Anlaß geben. thäter ist. Ja, ja, jamache nicht das Antertau los, Tobias! Sie in Es lohnte sich schon darüber zu grübeln, ob nicht ein Geschlecht, das folchem Wetter über Meer fahren zu lassen!... Und dann schlaft dreißig Generationen lang auf dem Komptoirschemel gesessen oder ein hoch­Du adeliges, das durch dreißig Generationen Kavalleristen geliefert hat, ob Ihr alle so gut und wohl zur Nacht. Pfui! Pfui! Martha Malvina!" Sie beugte sich und zeigte auf einen schwarzen diese nicht auch schließlich mehr und mehr dieselbe physische Abnormität Kopf herab. Das war wohl die, die ich in Empfang nahm? Da- entwickeln müssen, wie Tobias, dessen sämmtliche Ahnen ihren mals hing es mit Dir an einem Faden! Ihr seid doch in der scheuernden Siz auf der Ruderbant gehabt hatten. Noch auss geprägter wurde es durch eine äußerst unglückliche Er­Wochenstube mit dem Kinde am Feuer gewesen?" findung. Statt eines ganzen Lederbodens hinten waren zwei tugelrunde Lederstücke mit hoch­" Ja, dann will ich doch einmal sehen, ob es jemand der Frau Abnutzung Sörig abschlagen will, wenn sie mitkommt. Ich helfe nicht mit umfäumtem Rande aufgesetzt, die bei der trummen Stellung der einen Hand die Kinder zur Welt bringen und drehe ihnen mit des Tobias, während er Bündel und Kinder in das Boot der anderen den Hals um das sieht ein Maun, der so wohlthätig hinunterreichte, wie zwei große blankgeriebene Kupfermedaillen Wie Kajütfenster!" Wie Brillengläser!" Nun, ist, wie der Landhändler zumeist, wohl ein, besonders wenn ich erschienen. feiner Frau davon Mittheilung mache!" Sie war ganz glühend wie jedes runde Ding, das nur paarweise vorkommt, und schließlich das wurde von den schneeballwerfenden Jungen anerkannt roth im Gesicht. Er ist ein großer Taugenichts, wissen Sie, Frau Sörrig!" wie der populäre, bekannte Stringel! meinte der Landhändler vertraulich, indem er näher fam.

Nein!"

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" Ja, wir sind alle Taugenichtse, wenn wir auf die Probe gestellt werden, Landhändler! So, hebt den Jungen auf! Ihr könntet Euch noch die Hände beschmutzen, wenn Ihr ihn anfaßt, Herr Laden­Hättet Ihr nur immer ein so reines Gewissen!"

Diener

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Der Ladendiener tam überaus eilig der Aufforderung nach und reichte mit seinen frostersprungenen Här den den Jungen heraus. Sie selbst nahm den Kleinsten.

,, Steh'. nicht da und globe, mein Mädchen, geh hinauf zur Frau und grüße von Frau Sörrig, sie läßt um Milch und Mehl für eine Suppe bitten... Die arme Kleine! Da ist wirklich etwas Warmes nöthig und auch etwas Trockenes!"

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Hinauf ging es zur Wochenstube, während sie unterwegs den Tobias eifrig ausfragte.

Er hatte gemeint, er wolle sich in die Stadt begeben und ver fuchen, bei einem Schlächter Arbeit zu bekommen. Aber nun wollten fie, daß er bestraft werden sollte, und dann müßten all' diese Armen

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zur

Und nun galt es, den Schneeball gerade durch das eine Auge des Kringels hindurchzuwerfen, den Kringel zu erbrechen. Aus­drücke und Ruje, die Tobias zu hören bekam und die ihm durch Beispiele verdeutlicht wurden, wie es in der Schulsprache nach der Anschauungsmethode heißt.

Als dann immer mehr Bälle heranfausten, sah sich Tobias vor. sichtig mit einem schnellen Blick und einem Kopfschütteln um. Wie schief verzogen der untere Theil seines Gesichts war, ein Mund, der sich gleichsam seitwärts mit den Backenzähnen an einem letzten kleinen Nagel festbiß! In dieser Stellung deckte Tobias ein wenig die Kleinen, die im Boote am meisten den Schneeball- Würfen ausgesetzt

waren.

Ja, kleine Jungen haben Muth!... Platsch, knallte es auf die Lederhosen... Platsch! Platsch! Das waren die Abschiedsgrüße, die das Vaterland dem Schlächter­Tobias bot.

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