172 «ausch. Gedankenlos flünnt er vom Plündern zum Morden. Den» dieser Märchenprinz weiß nicht von heute auf morgen zu überlegen und hat keine Spur vom Mitempfinden mit anderen. Dies Mitempfinden als Quelle der Liebe und höheren Kultur wird dem Sohn des Kalifen durch einen höchst einfachen Mechanismus beigebracht. Es kommt ein grauer Derwisch und Hexenmeister und der behext den Sohn des Kalifen  so, daß dieser am eigenen Leib spüren muß. was er an anderen thut. Wenn er also seinem Diener einen Fnßtritt versetzt, so fühlt »r zugleich auch den brennenden Schmerz. Wie ein richtiges Halb- thier verfällt der Märchenprinz nicht von selbst aus den einfachen Ausweg, statt mit der Peitsche es mit dem Zucker- brol zu versuchen, sondern von seinem Ziarren muß er diese Weisheit erlernen; und nun geht's leicht. Schlag aus Schlag, mit dem Besserwerden. Und als der Sohn des Kalifen   so weit ist, daß er für eine Sklavin, die ihn einst heiß geliebt, in den Opfertod zu gehen bereit wird. da macht der graue Derwisch und Hexennieister den, Spuk«in Ende. Der gebürtige Prinz wird ein Kalif von so vollkommener Güte und Einsicht werden, wie es niemals einen geheiligten Kalifen zu Bagdad   oder anderswo gegeben hat. Alle Beredsamkeit des Herrn K a i n z machte das trockene Ge- spenst, das den Kalifensohn vorstellt, nicht lebendig, nicht märchen- bunt. Im Possenhaften fühlte sich Kainz�rnd mit ihm das Publikum. Die pathetische Sklavin, die gleichfalls kaum eine Spur indimduellen Daseins aufweist, gab Frau Gorma  . Sehr ergötzlich spielte Herr Müller den alten Kalifen, einen Halbcmin. I m Ostend-Theater war für Sonnabend ei»realisti- sches Volksstück" angesagt.Zu hoch hinaus!" hieß es, und seine Verfasserin war gar eine Dame mit Namen Marie Günther. Ohne Realismus ist es nn» ja einmal nichts bei den Autoren, die noch nicht bis znr neuesten Etappe, dem Märchendrama. vor- gedrungen sind, und wohl oder übel mußte auch Frau Günther dieser Richtung eine Konzession macheu. Sie war aber genügsam und blieb mit dein Realismus auf dem Theaterzettel stehen; was sie im Stücke selber bot, war ohne Harm und nichts als eine Auflage jener alten Gesangsposseumoral, daß es nicht gut sei, sich über seinen Stand zu erheben. Die Hochnäsigen spielen der alten Grünkramfrau zwar arg mit und verführen sogar ihren Sohn, den Pfarramts-Kandidaten, zur Hoffahrt, aber ani Ende zeigt sich doch, daß all ihr Gold nur Talmi ist. Wir wollen mit der Verfasserin, die nach jedem Akt- schluß mit glückseligem Antlitz die Bühne betrat, ob der abgestaudeuen Moral ihresVolksstuckes  " nicht rechten. Das wäre unhöflich. Es rollt ein Tropfen Bühnenblut in Frau Günther, sie ist anscheinend auch mit den kleinen Handgriffen vertraut, die ein derartiges Stück erst wirksam machen, und da am Sonnabend eine recht brave Darstellung ihr Theil that, so konnte der Erfolg unmöglich aus- bleiben. Den Haupttrnmpf spielte Frl. Anna Müller in der Hosen- rolle eines Berliner Junge». Die Neue freieVolksbühne veranstaltete am Sonn- tag im Friedrich- Wilhelmstädlischen Theater eine Aufführung von Hebbel's Maria Magdalena. Es war die künstlerisch aus- geglichenste Vorstellung, die der Verein seinen Mitgliedern bisher geboten. Die Darsteller thaten voll ihre Pflicht, das Zusammenspiel klappte, gegen die Besetzung der Rollen läßt sich nichts einwende». Am Sonntag, den 14. März, veranstaltet der Verein eine außer- ordentliche Vorstellung im Neuen Theater. Aufgeführt wird das SchauspielDer Hüttenbesitzer von George Ohnet. Kunst. lieber Max Klinger   sprach am Sonntag in der alten Urania der Kunstschriftsteller Fritz Stahl  . Der Vortragende legte, wie das vorauszusehen war, den Hauptton auf den Radirer Klinger, würdigte aber auch den Maler und Bildhauer. Der Werth des Vortrages wurde durch gelungene Projektionsbilder erhöht. Es ist zu bedauern, daß die hohe Eintrittsgebühr den Arbeiter hindert, an derartigen bildenden Veranstaltungen theilzunehmen. Medizinisches. In Marseille   hatte derProscktor der Anatomie, Vassenr, kürzlich einen Knochen verschluckt, der im Halse stecken blieb. Die Acrzte versuchten vergeblich, den Fremdkörper zu entfernen und be- schloffen infolge beunruhigender Erstickungsanfälle des Patienten die Eröffnung der Speiseröhre. Bevor jedoch zu dieser Operation ge- schritten wurde, nahmen sie eine Photographie mit Hilfe der Röntge»'scheu Strahlen auf. Dieselbe zeigte, daß der Knochen durch die mehrfache Anwendung der Schlundsonden in der Speiseröhre nicht mehr vorhanden und in den Magen hinabgeglitten war. Die Anfälle waren durch die Verletzungen der Speiseröhren- wand hervorgerufen worden, welche der Knochen verursacht hatte. Herrn Vassenr blieb, nachdem die Röntgen- Photographie dies kon- patirt hatte, die gefährliche Operation erspart. sHumoristisches. Verunglückte Standrede. Vor fünfundzwanzig. dreißig Jahren gab's da unten, in Bayern  , noch eine Kinderfastnacht, oder wie es im Dialekt hieß, eineKinner-Fosnat". Am Faschings» Dienstag wurde den Schulkindern zum Tanze anfgesplelt. Die Kosten des Festes brachten die Kinder selbst auf, sie zogen in den Dörfern umher, erbaten sich Getreide, Mehl, Eier und Butter. Das Erhaltene wurde an die Lehrerin abgeliefert, sie buck dafür lange und runde Pfannkuchen,Kücheln" undKrapfen", kochte Kaffee, kaufte Knackwürste und Bier und Semmeln und Wecken". Am Faschingsdienstag Nachmittag wurden die Bänke aus der Schulstube hinausgeräunit, der Lehrer stieg mir seiner Geige auf das Podium, der Tanz der Kinder begann. Um die Tanzenden standen die Eltern und sahen schniunzelnd zu. Es war ein unschuldiges Vergnügen, ei» Fest für Jung und Alt. Die alten Pfarrherren hatten nie etwas dagegen einzuwenden. Sie lebten und ließen leben. Gar oft eröffnete der Pfarrer mit der Lehrerin oder seiner Köchin den Tanz der Schulkinder. Anders wurde es, als daS im Kulturkampf gehärtete junge Geschlecht in die Pfarrhöfe einzog. Da ivurde alles von der ernsten Seite genommen und gegen die unschuldigsten Dinge los- gezogen und losgefahren. Am wüthendsten fiel man über die Kinderfastnacht her. Aber die Bauern waren anderer Meinung. Sie ließen ihre Kinder weiter tanzen, undjetzt erst recht". Wieder sollte in einem Dorf der Oberpfalz   eine Kinner-Fosnat gefeiert werden. Alles war in vollem Gange. Da stürmt plötzlich der Pfarrer unter die tanzenden Kinder, hebt die geballten Hände und legt los. Die Bauern machen verduzte Gesichter, die Kinder drängen sich um ihre Eltern, die Geige schweigt, alles horcht ans die Worte des Pfarrers. Und der donnert, was er nur herausbringen kann. Das schlechteste, was es nur gebe, sei der Tanz, der Teufel habe ihn erfunden, und Millionen seien durch ihn schon in die Hölle gekommen. Der beleibte Mann redet sich immer mehr in Hitze und Wuth hinein. Auf einmal erklingt leise ein Ton, ein zweiter folgt und noch einer, jetzt ist es schon eine Melodie, einige Bauern werden aufmerksam und blicken nach dem Podium. Nur der Pfarrer donnert weiter. Seine Erregung wächst, jetzt zuckt er mit dem rechte», dann mit dem linken Bein, dann kriegt er es in den Händen, die Hüften beginnen zu wiegen,»och einen Moment, und der Pfarrer tanzt. Da sieht er die staunenden Mienen der Umstehenden, vernimmt die Walzermelodie, die vom Podium her kommt, erblickt das ganz verzückte Gesicht des spielenden Schulmeisters. Betroffen macht er eine halbe Wendung und schnappt ab, wie ein Auerhahn, der mit dem Balzen zu Ende. Ein Lachen und Jubeln bricht los wie ein Ungewitter. Da geht ein alter Bauer zum Pfarrer hin, legt ihm die Hand aus die Schulter und sagt:Sixt ös. Herr Psarra, da hast ös. Ja, dös Geigerl! D' Füß rührt's, ob ma will oder net. Was meinst, lassen wir d' Kinner weiter tanzen?" Der Pfarrer oerzogsich, ohne eine Antwort gegeben zu haben. Im alten Schulhaus zu M. aber wurde noch manche Kinderfastnacht gefeiert. Vermischtes vom Tage. Aufrichtig. I» denBerlinischen Nachrichten" vom Jahre 1787 findet sich folgende Anzeige: Die glückliche Trennung unserer Ehe machen wir unseren Freunden und Verwandten bekannt und verbitten alles Glückwünschen. Landsberg an der Warthe  , den 3. Januar 1737. Landrath v. Schöning, 31. v. Schöning, geb. v. Besser. Im Berliner   Zoologischen Garten sind ein Paar sibirischer Tiger eingetroffen. Die Thiers sind mit einen» lange», dichten und wolligen Pelz ausgestattet, der besonders den Schweif auffallend dick und bnschig erscheine» läßt. In F r e i b u r g i. S ch l. haben sich die beiden erwachsenen Töchter eines Gerichtssekretärs die Pulsadern durchschnitten. In Leu b k§(Schlesien  ) ist eine Frau an der Trichinosis gestorben. Die Sektion ergab, daß die Trichinen in das Gehirn eingedrungen waren. Das Fleisch, das die Erkrankung verursacht, war vor einem Fleischbeschauer untersucht und für gesund befunden worden. An Blutvergiftung ist in Halle der Arzt Grethe gestorben. Er halte sich bei einer Leichenseklion verletzt. Der Sergeant H o f f m a n n vom 5. Feld-Arr.-Regim. in Landau   hatte sich angetrunken, �bekam in diesem Zustand Streit mit seiner Frau und stieß ihr den Säbel in den Leib. In Straß bürg sind drei Kinder, die in einem Kinder- wagen saßen, niit diesem ins Wasser gestürzt und ertrunken. Der am 18. Februar in Straßburg   aufgestiegene Registrir-Ballon ist i» Oberhessen niedergegangen. Die Zlpparate konstatire» eine Höhe von 14 008 Meter» und eine Temperatur von minus 60 Grad. In Jena   fand am 26. Februar zwischen einem Offizier und einem Referendar ein Piftolenduell statt. Ter letztere ivurde tödtlich verwundet. Schlau. Im Nailaer Bezirk(Baven,) erhielt dieser Tage ein Weber eine Postkarte, deren Schlußsatz ihm bedeutete, er möge diese Karte selbst am Sonntage bei der Post abholen, da an Sonntagen Zustellungen aufs Land unterbleiben. Bei einem Brande sind in W« i ß e» b a ch a. d. Triesting (Nieder-Oesterreich) fünf Mensche» iu den Flammen um- gekommen. Der bei Neapel   ausgesahrene deutsche DampserGera  "«st wieder flott geworden._ Verantwortlicher Redakleur: August Jacoben in Berlin  . Druck und Verlag von Btax Bading in Berlin  .