Anterhaltungsblatt des Vorwärts Nr. 67. Sonntag, den 4. April. 1397. (Nachdruck verbalen.) Ein alkev Stveik. Roman aus dem bayerischen Volksleben der sechziger Jahre von Wilhelmine v. Hillern. Im Abendschein, der durch die Fenster von den Seiten hereinfällt, bewegt sich fast unheimlich lautlos eine hohe, dunkle Gestalt inl Trauergewand. Wundervoll zeichnet sich das edel geschnittene Profil von dem dunklen Getäfel der Wand ab. Es ist derselbe reine Schnitt des Gesichts, wie der des stillen Schläfers dort auf der Bahre man sieht, daß es Vater und Tochter sind nur daß die Tochter in der Blüthe jugendlich gesunden Lebens steht. Heute aber, in dem fahlen Licht des erlöschenden Tages, ist auch sie blaß, und der dem Bruder zulieb stumm getragene Schmerz giebt ihr etwas Fremdartiges, als stamme sie ans einer andern Welt und spräche nicht die Sprache, in der gewöhnliche Menschen ihr Leid klagen. Sie gehört auch zu denen, die nicht weinen können, wenn es jemand sieht. Sie ist soeben aus dem zweiten Rosenkranz für den Ver- storbenen zurückgekommen. Jetzt waltet sie schweigend im Zimmer, räumt da uud dort noch auf und ordnet dies und das, damit es schön und sauber ist, wenn morgen die Leute zum Begräbniß kommen. Dann bleibt sie einen Augenblick am offenen Fenster stehen und schaut hinaus aus das zerstörte Mühlwerk und hinüber nach dem Tobten,'s ist nur gut, daß er jetzt das nimmer anzuschauen braucht," denkt sie und legt ein paar Sekunden die Hand über die Augen sie brennen gar so sehr. Hier an dem Fenster hat ihr Vater Tag für Tag gesessen und dem Treiben des Mühlbachs zu- gesehen, wie er sich vergebens mühte, das zerfallene Rad zum Gehen zu bringen.Ja, alter Kamerad," pflegte er dann zu sagen,mit uns ist's vorbei, dir hilft kein Mühlarzt und mir kein Arzt mehr!" Das hatte ihr immer so für den Vater ins Herz geschnitten, und als er nierkte, wie weh es ihr that denn die beiden ver- standen sich gar gut, da sagte er's nicht mehr, aber er dachte es, und immer wanderten die Augen wieder hinaus, als ob's ihn mit Gewalt zöge. Der letzte Tagesschimmer erlischt. Unruhig flackern die dünnen Kerzen neben dem Sarg. Das Mädchen nähert sich und legt dem Bruder eine Hand auf die Schulter, mit der andern nach den Lichtern zeigend:Da schau, wie's'rein weht. Geh in die warm' Kuchl , Sebald! Du hast gestern mit mir g'wacht und's hat Dir nit gut gethan wir dürfen ja nit heizen daherin bei der Leich'." I kann nit i bitt' Dich, i kann Dir doch nit die Todtenwach' allein überlassen." Geh, thu mir's znlieb! Du darfst nit in der kalten Stuben sitzen i leid's einfach nit!" Du bist immer so g'waltthätig!" Aber doch nur zu Dei'm Besten! Bruder, Sebald soll i Dich auch verlieren. Du mein Einzig's, was i noch Hab'?" Der junge Mann erhebt sich.Man sollt' wirklich meinen, i wär' todtkrank! I bin ja ganz g'sund,'s fehlt mir ja nix, als das bisl Katarrh im Winter. Am Husten stirbt man nit!"' Wiltraud nimmt ihn bei der Hand und führt ihn zur Thür.Eben deshalb woll'n wir dafür sorgen, daß's nit schlimmer wird. Geh aufm Herd steht Dein Nachtessen." Und wann i geh', nacher regst Dich g'wiß recht auf!" Du siehst, ich bin ganz ruhig könnt' ja nit ruhiger sein," betheuert Wiltraud. Ja, wenn's wahr ist? No, werd nit ungeduldig i geh' ja? Du machst ein'n noch krank vor lauter Sorg' und Aengst- lichsein. Du sollst doch auch was g'nießen." I Hab' schon'gessen, plag' mich nit!" Wiltraud ist allein. Eine Weile steht sie und horcht, ob der Bruder auch wirklich in seine Kammer geht. Dann tritt sie zur Leiche und betrachtet noch einmal die milden Züge des Vaters. Sie hat das Gefühl, daß er nicht gut liegt, die alte Gewohnheit, ihm die Kiffen zu richten, ist so stark, daß sie unwillkürlich das Haupt des Todten sanft aufhebt und es besser unterlegt, wenn er's auch nicht mehr fühlt. Ach, er kann ja nicht sagen, wie sonst, ob's recht ist!Vater, Vater, fühlst Du's jetzt nimmer, daß Dein Kind Dich bettet?" Und nun bricht der lang zurückgehaltene Schmerz mit voller Kraft hervor, sie wirft sich auf die Knie, birgt das Gesicht im Leichentuch und schluchzt, als wollte sie die ganze Seele aus- schütten in einem einzigen heißen Thränenstrom. I hab's ja g'wußt," sagt plötzlich eine Stimme hinter ihr, daß D' nit so ruhig bist, wie D' mir weismachen willst!" Sebald! bleibst nit in der warmen Kuchl ?" ruft Wiltraud, und weil er's halt doch nun gesehen hat und ihre Selbstbeherrschung erschöpft ist. wirft sie sich dem Bruder leidenschaftlich an die Brust.O gelt, wir zwei Waisen, jetzt sind wir ganz verlassen!" Der Bruder schlingt die Arme um die edle Gestalt des Mädchens.Sag nit, ganz verlassen! Du hast ja mich und i Hab Dich, und wir zwei G'schwister halten z'samm, solang' wir leben!" Ja, aber wenn sie uns des Häusl da nehmen, dann müff'u wir dienen gehen, dann fragt sich's, ob wir beisammen bleiben können. Du und ich!" I will Dir nur sagen, der Lenz war grad da und hat mir'klopft und g'sagt, wir sollen uns nit ängstigen wegen dem Heimatl es g'schäh was, daß es uns der Alte lassen müßt'." Eine flammende Röthe ergießt sich über Wiltraud's Gesicht, als der Bruder den Namen Lenz nennt. Der Lorenz war da? So! Ja, was geschieht denn, was soll's denn geben?" Dös hat er mir nit g'sagt. Da draußen steht er ja noch da kannst'n sehen bei der Mühl'. Er schaut alleweil 'rüber, frag ihn doch!" Sebald zieht die halb Widerstrebende ans Fenster, wo die Scheibe offen ist. Wiltraud!" ruft Lenz herüber, und mit drei Sprüngen ist er bei ihr.Laß mich'rein und Dei'm Vater noch amal 's Weihwasser geben und Abschied nehmen, denn i muß auf a paar Täg fort und kann morgen nit mit der Leich' gehen!" Das darfst!" sagt Wiltraud ernst. Komm'rein und schau ihn noch amal an, wie schön er daliegt!" Sebald eilt hinaus und riegelt die Hausthür auf.Da tropft's'runter," sagt Lenz,'s ist Thauwetter worden bis morgen, hoff' ich, ist der Schnee weg! Heut Nacht schmilzt er noch z'samm! Sixt, wie weich er schon ist?" Was hast denn Du gegen'n Schnee?" fragte Sebald. Der geniert Di doch sonst nit?" Lenz wird ein wenig verlegen, dann besinnt er sich. I mein' nur, weg'n der Leich' morgen daß d' Leut' besser da'runter kommen! Er tritt ins Zimmer. Die Wiltraud steht so groß und hehr in ihrer Trauer vor ihm da, daß er kein Wort mehr sagen kann. Sie reicht ihm den Weih- wasser- Wedel. Er besprengt den Todten und die Tropfen glitzern im Lichtschein wie Thau auf dem Strauß und«s Thränen an den geschlossenen Lidern. Lenz kniet nieder und faltet die Hände:Lieber Vater", sagt er ganz leise,i Hab' g'meint. Du sollst wirklich mei Vater werd'n aber's sieht aus, als sollt's nit sein! Und doch, i versprech' Dir's, daß i nit von ihr laß auf bei kalte Hand! Wiltraud mei Herzensdirn, für Dich thu' i alles, und wann's das Aergste wär'." O Lenz, das darfst nit sagen. Dei Vater wird sich nie drein schicken, daß wir zwei cinand' heirathen, und er kann's auch nit. I Hab' ihm was'than, dös verzeiht kein Mann noch dazu so a grandiger wie der!" I weiß schon, er hat Dich heirathen wollen!" Wiltraud schaut ihn verwundert an.Woher weißt denn Du dös?" I weiß es halt!" Dös ist nit recht, dös hält' man Dir nit sagen sollen. So was macht'n Riß zwischen Bater und Sohn, der schwer z' heilen ist." Nie mehr sogar! Zwischen mei'm Alten und mir ist alles aus!" Du lieber Gott, Vater und Sohn mit einand' eifern aber dös ist was!" Sie läßt hoffnungslos die Arme sinken. O, jetzt ist's ganz g'fehlt!" Nein, Schatz, nix is g'fehlt, es g'schieht was, daß