Wittraud fällt auf die Knie.„Nehmt mich mit, i will mit! I laß mich mit ihm einsperren— i thu' alles, nur daß i ihn pflegen darf und sei' kranke Brust verwahren, er vergißt's immer. Hört nur, wie er hustet— er haltet's ja nit aus— er braucht a Lieb' und Abwarten und a g'heizt's Zimmer— und a warme Milch! Jesus , lieber Gott, wer wird ihm dös all's geben?" Und so herzzerreißend schluchzt fie und umklammert die Knie der Leute, daß es �iese selbst ergreift. „Schau, Dirnl, Du bedauerst uns scho recht— aber wir können nix machen— dös mußt doch einsehen. Wir können doch niemand einsperren, der wo sich nit vergangen hat.— Und schau, wenn Dei Bruder krank ist, dann kommt er ja in d' Krankenabtheilung, da kriegt er auch alles, wie's der Doktor sagt, und ist gut verpflegt!" „Ist dös g'wiß?" „Ja, dös ist g'wiß! Meinst, der Staat laßt die G'fangenen umkomme? Da kennst's schlecht. Und wie lang wird er denn sitzen müssen— höchstens a'n anderthalb Jahrln!" „So lang?" ruft Wiltraud entsetzt.„Heiliger Gott!" „Traudl," sagt Sebald,„lieb's Schwester!, laß mi nur gehen. Weißt, i krieg kalt von dem lange Rumstehen— mich friert schon an d' Füß—" Er hat das Rechte getroffen.„Ja, ja, freili. Nit daß D' Dich noch verkältst auch." Und nun die letzte Umarmung.„B'hüet Di Gott, Traudl — bist ja m e i Traudl— mei brave, g'scheite!" „Baldl—!" Mehr kann sie nicht sagen vor Thränen. Noch ein Kuß auf seine bleichen eingefallenen Wangen und dann— giebt sie ihn frei. „Gelt— seid gut mit ihm unterwegs!" ruft sie den dahinschreitenden Gendarmen nach.„Und geht nit so g'schwind, sonst muß er so husten." „Nein, nein!" rufen diese zurück, laufen aber immer schneller.— Es ist, als ob ihr mit jedem dieser scharfen Schritte das Herz zertreten würde.— Sie steht und schaut ihnen nach und grüßt und winkt mit dem Tuch, so lange sie ihn noch sieht, diesen geliebten Bruder, dem sie nicht nur Schwester, dem sie in seiner Hilfsbedürftigkeit auch Mutter ist.— Und mit dem Schmerz der Mutter um das verlorene Kind klagt sie um ihn, daß es laut von den Bergwänden wiederhallt und sie fast erschrickt Kber ihr wimmerndes Echo.— Sie setzt sich auf einen entwurzelten Baumstamm am Wege und starrt auf die verdorrten Aeste nieder. Am Himmel ist die rothe Gluth allmälig erloschen. Das Sturmläuten verstummt, vom Dorf schallt kein Lärm mehr herüber. Kalt und abgestorben liegt die Welt,— liegt das Leben vor ihr.— Da fällt ihr ein, sie hätte ja mitgehen und den Bruder wenigstens noch bis ins Dorf begleiten können. Und wie ein Reh springt sie auf und den Dahin- schreitenden nach.— Sie muß, sie kann sie noch einholen. Die Straße ist ja frei für jedermann. Das kann ihr keiner wehren! In wenig Minuten hat sie die Entschwundenen eingeholt. (Fortsetzung folgt.) (Nachdruck verboten.) Neues uus Dontpeji. Von Woldemar Kaden(Neapel ). Wenn wir von den hundertjährigen Manlivurfsarbeiten in Pompeji sprechen, so glauben wir gemeinhin alles blosgelegt, was uns zu erfahren wichtig und interessant war. Die Menge des Ge- fundenen, Gemälde. Skulpturen. Schmucksachen, Geräthe, fing bereits an, den Museen lästig zu werden, und man scharrte und schürfte weiter, weil die Regierung durch ihr Unterrichtsministerium nun einmal 6000 Lire ausgeworfen hat. die, wenig genug, aufgebraucht werden müssen. Im übrigen war bei erlahmtem Interesse, auch von„außen", von anderen Ländern her, ein gewisser Schlendrian nicht zu vermeiden und zu verkennen. Dieser ward keineswegs durch den Tod Fiorelli's, des„Vaters der pompejanischen Ausgrabungen", veranlaßt, denn sein Nachfolger, der Direktor des neapolitanischen Museums, Professor Ginlio de Petra, übertrifft womöglich den Verstorbenen noch an lebhaftem Interesse für die Stadt am Vesuv und an der bei Verfolgung dieser schönen Ziele nöthigen Energie und vielleicht auch Wissenschaft. Die Mittel, die ihm zur Verfügung stehen, sind, wie gesagt, recht armselig, und werden bedeutend geschmälert noch durch Ab- gänge für die Ausgrabungen in Pästum, Stabiä. Herkulanum und— doch weiß ich das nicht bestimmt— in der Ebene von Sybaris . Zu Vergütungen an Private und Neuankäuse von angrenzendem Acker- boden, der noch einen guten Theil Pompeji's birgt, reicht das nicht, und das ist ein großes Hemmniß für die Fortsetzung der Ausgrabungen. Wohl giebt es ein bourbonisches Gesetz, das den natürlichen Konflikt zwischen jenem Privatinteresse und dem moralischen Interesse des Staates auf pompejanischem Boden voraussah und aus diesem Grunde dem Staate das Recht der Enteignung und der Erwerbung angrenzenden Privatbesitzes zum Nutzen der Wissenschaft und zum damaligen Kaufpreise vor» behielt— darüber sind aber hundert Jahre vergangen, und man denke sich, ob der Staat jene Rechte»och geltend machen könnte. Welche Prozesse würde» entstehen, welche Summen durch fie ver» schlungen werden! Wo immer man auf solche Klippen stößt, muß man sie um- gehen oder daran scheitern. Noch die jüngste und schönste Aus« grabung. von der hier besonders die Rede sein soll, die das Herr- liche Haus der Vettier zu tage förderte, mußte abgebrochen werden, weil ein Theil dieses großartige» Gebäudekomplexes unter Privat- boden liegt. Vor einiger Zeit wurde ein Lorbeerbaum aufgefunden, oder richtiger der Abdruck eines solchen in Gips, aus dessen Hiera» glyphen der Botaniker das richtige Datum des Unterganges der Stadt feststellte, für das bisher der August des Jahres 79 n. Chr. gegolten hatte. Man hatte auf der Böschung, rechts von dem zur Porta Stabiana hinausgehenden Wege, gegraben und war auf die Abdrücke von drei menschlichen Körpern gestoßen, zwei Männern und einem Weib, und dann aus den eines Baumes. Die Ab- oder richtiger Eindrücke wurden wie immer mit flüssigem Gips aus- gefüllt und man erhielt vier gelungene Abgüsse. Der wichtigste Abguß war der des Baumes, in dessen Busch- werk man deutlich die Reste der Blätter und der Beeren unterscheiden konnte. Der treffliche Professor der Botanik F. Pasquale unter» suchte die Sache aufs genaueste und stellte fest, daß der also wie in einem Herbarium aufbewahrte Baum ein I-aurus nobilis, ein Lorbeer war, dessen Früchte Ausgang Herbst zur Reife kommen Die hier konservirten Früchte bewiesen aber durch ibre Form und Größe ihre vollständige Reife, und so bestätigt dieser pompejanistde Lorbeer den Sieg derer, die schon immer behauptet hatten, die Eruption von 79 hätte nicht im August, sondern im No» vembcr stattgefunden. Mehr Lärm als diese bescheidene, aber hübsche Entdeckung hat der Silberfund von Boscoreale gemacht. Nördlich von Pompeji , gegen de» Fuß des Vesuvs zu, liegen und lagen zweifellos schon zur Blüthezcit Pompeji's eine Menge Gemeinden, die wie Bosco Trecase(mit 10009 Einw.), Poggio Marino(mit 5000), Boscoreale (mit 9000) u. v. a. mitten in dem alten Aschenboden stehen, aus den Ruinen untergegangener Herrlichkeit, nach denen zu graben wohl noch niemand eingefallen ist. Hier muß der Zufall als Schatz« gräber auftreten. Und hier hat er vor zwei Jahren zu Ostern einem großen ungeahnte» Schatze zur Auferstehnng verholfe» Mit dem Gefundenen hätte ein ganzer Goldschmiedladen ausgestaltet werden »md an den gegen hundert Silbergeräihen auch die moderne Kunst noch viel Schönes lernen könne». Prisco, der glückliche Finder, ein Weingutsbesitzer von Boscoreale, schmuggelte, dem italienischen gesetz- lichen Verbote der Veräußerung antiker Kunstwerke jenseits der Grenze, wie so viele andere vor ihm, ein Schnippchen schlagend, seinen köstlichen Schatz nach Frankreich hinüber, wo ihn Rothschild für das Louvre-Museum, man sagt um mehr als eine halbe Million, erivarb. Jetzt wühlen die Bauern und Winzer von Boscoreale und Bosco Trecase ihr Land aufs fleißigste um und suchen nach dem„Schatz im Acker." Ein Jahr danach ward ein schöner Schatz noch ans Licht ge» bracht, und der wenigstens wird nun für lange Zeit an Ort und Stelle bleiben; es ist dies das Haus des Aulus Veltins, gemeinhin la Casa de Vettii genannt, das endlich als erstes eine vollständige schöne und wissenschaftlich« Rekonstruirung erfahren hat. Pompeji glich, nachdem die Ausraubung der Häuser über ein Jahrhundert lang als„Bergung der Fundstücke" systematisch oder nicht betrieben worden, einer großen Brandstätte, oder einer un« erfreulichen Sammlung von Muschelschalen und Schneckengehäusen, oder einem alten vertrockneten Herbarium, und gab uns ein Bild von der Flucht der Bewohner, aber keins oder aber ein sehr dürftiges von ihrem einstigen blühenden Leben. Das Haus des Vettier(es erhielt seinen Namen nach den verschiedenen in seinem Schutte aufgesundenen Handstempel», die den Namen eines Anlus Vettius trugen) steht fast in seiner ganze» einstigen Herrlichkeit vor uns und könnte die antiken Bewohner noch heute beherbergen. Wie Feststimmung eines Vennsfeiertages liegt es über diesen glänzenden Mauern, wenn die lebenweckende Frühlingssonne des Südens sie durchleuchtet. Ein Blick durch das erneuerte Peristyl erschließt das alte schöne Traumland unserer Phantasie; die stolze Säulenhalle mit den weißen Brunnengefäben ringsum, den zierlichen lachende» Statuetten allerorten, den wiederhergestellten mit den Blumen des Alterthums, Rosen, Ephen, Margueriten und Veilchen. bepflanzten Beeten, darüber der tiefblaue Himmel.... wie der Hauch einer ewigen Jugend weht es uns aus diesem Hause an. der Tisch der alten Götter scheint gedeckt, und die Vettier scheinen manch- mal mit ihnen getafelt zu haben. Wer waren diese Vettier? Reiche Leute ohne Zweifel, Par» venus, wie es deren viele in Pompeji gab. den» alles verräth ein bischen Geldprotzenthum, das verrathcn noch die gleich am Eingang rechts und links vom Jmpluvium recht zur Sicht eingemauerten diebessicher» Geldkasten, wenn sie auch— wahrscheinlich nach der Katastrophe vom Hausherrn selbst geleert— ausgeräumt gefunden
Ausgabe
14 (21.4.1897) 78
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