Anlerhaltnngsblatt des Horwärts Nr. 82. Dienstag, den 27. April. 1897. 181 (Nachdruck verboten.) Ein crlkvv Skveii. Roman aus dem bayerischen Volksleben der sechziger Jahre von Wilhelmine v. Hillern. Witraud thut wie ihr geheißen und legt die Schulter bloß. Das Gesicht des Arztes wird jetzt sehr ernst.O weh, da sieht's bös aus. Warum hat man mich aber auch nicht früher geholt?' Todtenftille herrscht in der Kammer, nichts ist zu hören, als die Krepitation des zersplitterten Gelenks, wenn der Arzt hingreift.Der Arm ist verloren, kein Moment ist zu verlieren, ich muß amputiren.' Jesus , Maria!' zuckt es um aller Lippen. Muß das sein, Herr Doktor?' Ja, das m n ß sein!' Gemming geht ans Fenster, um Athem zu schöpfen, so fürchterlich ergreift ihn daS kurze, trockene Wort. Wiltraud hat die Hände gefaltet und betet ein Vater- unser, dann hilft sie dem Arzt einen Operationstisch herrichten, sorgt für ivarmes Wasser, Leinwand zu Binden und alle die kleinen Utensilien, die gerade in ihrer Prosa so vernichtend auf die bang harrende Umgebung wirken. Jndeß hat der Arzt, ohne ein anderes Wort, als die knappen, fachgemäßen Befehle an Wiltraud, seine Instrumente geordnet. Mit schweren Schritten nähert sich jetzt Gemming dem Bett und wirft sich über den stummen Mann.Tenner, armer Freund!" sagt er leise und küßt die blasse Stirn, aus der schon der kalte Schweiß des Todes steht. Die Männer schleichen sich auch heran und wollen ihn noch einmal sehen, den ganzen Tcnner, bevor er verstümmelt ist. Sie haben alle die Hüte abgenommen, wie vor einem Todten. Soll der Mann noch verschen werden?' fragt der Arzt, dann muß es rasch gehen* Da kommt ein niatter Laut von den Lippen des Kranken, alles beugt sich über ihn, um ihn zu verstehen.Ex- kommunizirt\" haucht er dem Arzt fast geisterhaft ins Ohr. Nun," flüstert der ihm wohlwollend zu,soviel ich weiß, kann ein Schwerkranker wenn er bereut' Da fliegt ein schweres Lächeln über die starren Jüge, wie ein Lichtreflex über einen Leichenstein und er schüttelt langsam das Haupt. Er kann's halt nit bereuen wei er nit glauben kann, daß es was Unrechtes war!" spricht Gemming für ihn. Ein erleichtertes Nicken und ein brünstig vertrauensvoller Blick Jenners bestätigen Gemming's Worte. Dann habe ich nichts weiter zu sagen, das muß jeder mit sich selber ausmachen. Meine Pflicht war nur als Arzt, daran zu erinnern. Sie haben also leider gehört, daß ich gezwungen bin, Ihnen den verletzten Arm abzunehmen?" sagt der Doktor. -Ja!" Und sind bereit, sich der Operation zu unterziehen?' Der Kranke neigt das Haupt.In Gottes Namen!' So jetzt bitt' ich Wiltraud, dem Patienten den ge- brochenen Arm zu halten, während wir ihn hinüberheben. Und Sie, Gemming, sind so gut und übernehmen die Chloroform- maske und den Puls!' Ich?" fragt Gemming erschrocken, schämt sich aber seiner Schwäche und rafft sich zusammen. Der Arzt zählt:Eins zwei drei!' Mit festem Griff wird der Unglückliche aufgehoben und auf die über den Tisch gebreitete Matratze gelegt. Das schreckliche Geschäft beginnt. Der schwache Mann ist bald eingeschläfert, und die Narkose legt ihm wohlthätig die Binde um die Augen. Ruhig und sicher arbeitet der Arzt, kein Wort wird gesprochen. Wiltraud erräth jeden seiner Winke und geht ihm an die Hand, ernst und bleich, aber ohne zu wanken. Gemming dagegen, der riesenstarke, er neigt sich immer tiefer über den Operationstisch, der Doktor sieht erstaunt aus und kann gerade noch zu- greifen, sonst wäre er aus den Patienten gestürzt. Die andern Männer fangen ihn auf.Ich kann nicht mehr mir wird schlecht!' ist alles, was er noch herausbringt. Sie führen ihn hinaus an die Luft, aber nicht nach der Straße zu, dazu sind sie zu vorsichtig sondern nach der Klammseite. Da setzen sie ihn auf einen ver- witterten Mühlstein und kehren wieder ins Krankenzimmer zurück. Gemming starrt mit verwirrtem Blick auf die Trümmer der todten Mühle und hinab in die Schlucht. Alles ist zer- krochen, zerschlagen vernichtet. Was ist denn überhaupt noch sicher auf dieser erbärmlichen Welt, wenn ein Held wie dieser Habermeister so im Handumdrehen zerstört sein kann! Wozu gestaltet die Natur noch mit so viel Liebe und Lust ihre Werke, wenn sie die Menschen doch nur verderben und ihre Gesetze zu Verbrechen stempeln? Unverdrossen schafft sie weiter, wie die Mutter für einen ungerathenen Sohn und der schlägt sie dafür ins Gesicht und tritt sie mit Füßen. Und er, Gemming, ist auch so ein unverfälschtes Natur- produkt, das von der Welt ruinirt wurde, weil es sich nicht verkünsteln ließ. Er stützt müde das Haupt in die Hand, denn vor sich selber da hört der Spaß aus' sich selbst spielt man keine Komödie vor!Herr Gott, was thut jetzt so ein Kerl, wie ich bin, noch auf der Welt? Hütt' jetzt nicht mich die Kugel treffen können, statt den Prachtmenschen? Bei mir wär's doch in ein'm hingegangen!" So weh hat ihm noch nie etwas gethan, wie der Habermeister, so verekelt war ihm das Dasein noch nie wie heut. Es hat so lustig be- gönnen, dies Haberfeldtreiben, und muß nun so grausam enden!Hätt' man die Leut' in Ruh' gelassen wär' alles ohne Schaden verlaufen! Was ist denn das für eine Welt, die keinen Spaß mehr versteht? Da kann man ja nimmer drin leben!' Die frische Luft und das nasse Schneewehen kühlt ihm die Stirn und er ist wieder seiner Sinne Herr. Wie's wohl droben geht? Er schleicht bis zur Treppe und horcht, aber er erlauscht nichts, als das feine Klingen der stählernen Instrumente, ivenn sie in die Schüssel geworfen und wieder abgewaschen»Verden. Dann und wann ein unartikulirter, unbewußter Schmerzenslaut des Narkotisierten und wieder faßt den sonst so schneidigen Soldaten ein solches Grausen, daß er hinausflüchtet vors Haus, um uichts mehr zu hören! Da vernimmt er ein Rollen von der Straßenseite her er schielt neugierig hinunter zwei geschlossene Wagen donnern im vollen Trab vorbei. Gemming versteckt sich rasch hinter der Thür. Das ist die Untersuchungskommission. Nun auch noch das weltliche Gericht zu dem im Innern! Herr Lieutenant, Sie möchten kommen,' ruft einer der Haberer herunter,'s ist vorbei!' Gott sei Dank!' ruft Gemming und eilt zu dem Kranken. Lebt er?' fragt er unter der Thür. Ja,' sagt der Arzt achselzuckend,er hat'S ausgehalten. Jetzt wollen wir sehen, wie's weiter geht.' Gemming nähert sich dem Operirten behutsam und schüchtern. Er empfindet die eigene Größe und Stärke einem armen Verstümmelten gegenüber fast als eine Rohheit, als prahle sein mächtiger Körper:Siehst Du, solche Riesen giebt es noch, und Du bist schwach und elend!" Deshalb setzt er sich auch auf den niedersten Schemel neben dem Bett und be- trachtet den Freund fast andächtig. Tcnner liegt mit geschlossenen Augen wie erloschen da. Er ist verbunden und neu gebettet. Wiltraud hat schon die Spuren der Operation beseitigt und die Ordnung im Zimmer hergestellt, jene trostlose Ordnung, wo alles wieder ist, wie es war nur die Hauptsache nicht! Tenner merkt mit dem solchen Kranken eigenen Fein- gefühl, daß jemand neben ihm ist, der nicht recht zu athmen wagt, und öffnet die Augen. Gemming schaut ihm ins Ge- ficht und lächelt, so gut es geht.Gelt, i bin a schöner Held, mei guter Meister," sagt er im möglichsten Flüstertom Kannst mi brav auslachen o Kerl, der ausschaut wie a Bär, und schwach werden bei einer Operation, wie a bleich- süchtig's Madl!" Tenner will ihm die Hand geben, aber:Ja so' er muß sich erst daran gewöhnen ein stummer Schmerz zuckte über das edle Gesicht, und der Blick deutet nach der Stelle, wo ihm die Rechte fehlt. Gemming legt dafür die seine hin, als drücke er be- schwichtigend die unsichtbare Hand.Thut's schon thut'S schon, mußt halt jetzt links werden tröstet er den Un- glücklichen. Aber all seine Fertigkeit, die Dinge leicht zu nehmen, verläßt ihn, als der Operierte suchend um sich blickt