327 Vorschein gekommen wäre, die eine» weißen Touristeuschirm hielt. Ihr Mumiengesicht, das von einer Reihe von grauen Locken um- rahmt war, die bei jedem ihrer Schritte zu tanzen schienen, ließ mich, ich weiß nicht warum, an einen sauren Hering, der Papilloten trug, denken. Sie ging rasch an mir vorüber, senkte die Augen und landete in der Strohhütte. Diese eigenthüinliche Erscheinung belustigte mich, es war offen- bar meine Nachbarin, die olle Engländerin, von der unsere Wirthin gesprochen hatte. Ich sah sie an dem Tage"' nicht wieder. Am nächsten Morgen, als ich mich zum Malen in dem Ihnen bekannten reizenden Thal. das bei Etretat   herabgeht, installirt hatte, sah ich, als ich die Augen plötzlich hob, eine merkwürdige Gestalt am Ufer, eine Art Mast. Das war sie. Als sie mich sah, verschwand sie. Ich kehrte zu Mittag zurück, um zu dejenniren und nahm an dem gemeinsamen Tische Platz, um die Bekanntschaft dieses alte» Originals zu machen. Doch sie erwiderte nichts anf meine Artigkeiten, selbst gegen meine Vorsorglichkeit war sie nicht erkenntlich. Ich goß ihr hartnäckig Wasser ein und reichte ihr aufmerksam die Schüsseln. Ein leichtes unmerkliches Neigen des Kopfes, ein englisches Wort, so leise gemurmelt, daß man es nicht verstehen konnte, war der einzige Dank. Ich hörte auf. mich niit ihr abzugeben, obwohl sie meine Ge« danken beschäftigte. Nach drei Tagen wußte ich über sie eben so viel wie Frau Lecacheur. Sie nannte sich Miß Harriet. Auf der Suche nach einem weit- verlorenen Dorfe war sie in Benouville vor sechs Wochen geblieben, um hier den Sommer zu verbringen, und schien nicht geneigt, fort zu gehen. Sie sprach nie bei Tisch und schnell, wobei sie stets ein kleines protestantisches Propagandenheft las. Sie vertheilte diese Bücher an alle Welt. Dem Kuraten selbst waren vier von einem Gassenjungen, der zwei Sou's dafür erhielt, gebracht worden. Sie sagte manchmal plötzlich zu unserer Wirthin ohne jeden vor- bereitenden Umstand:Ich liebe den Herrn mehr denn alles; ich bewundere ihn in seiner ganze» Natur, ich trage ihn stets in meinem Herzen." Und unverzüglich gab sie der verblüfften Bäuerin eine ihrer Broschüre», die dazu bestimmt waren, das Weltall   zu bekehre». Im Dorfe liebte man sie nicht. Da der Lehrer erklärt hatte, sie sei eine Atheistin", lag eine Art Bann aus ihr. Der Kurat, der von Frau Lecacheur konsultirt wurde, sagte: Sie ist eine Ketzerin, aber Gott   will nicht den Tod des Sünders, und ich halte sie auch für eine durchaus moralische Person." Die WorteAtheistin Ketzerin", deren genaue Bedeutung man nicht wußte, warfen Zweifel in alle Geister. Man behauptete auch, die Engländerin sei reich und habe ihr ganzes Leben auf Reisen in aller Herren Länder verbracht, da sie von ihrer Familie verstoßen sei. Warum sie ihre Familie verstoßen hätte? Natürlich wegen ihrer Ungläubigkeit. Thalsächlich war sie eine jener exaltirten Prinzipienmenschen, jener hartnäckigen Puritanerinnen, deren England so viele hervor- bringt, eine der gute», unerträglichen alte» Jungfern, die alle ll'adls dhöte's Europa's unsicher machen. Sie streifen i» Italien  herum, vergiften die Schweiz  , machen die reizenden Städte des Mittclmeeres unbewohnbar. Ueberall hin bringe» sie ihre bizarren Manieren, ihre versteinerten Vestalinnen-Sitten mit. Dazu ihre unbeschreiblichen Toiletten und ein eigenartiger Geruch nach Kaut- schuk, der einen glauben läßt, daß man sie in der Nacht in ein Futteral legt. Wenn ich eine im Hotel bemerke, rette ich mich wie die Vögel, die eine» Strohmann ans dem Felde sehen. Diese Dame aber erschien mir so eigenartig, daß sie im gründe mir gar nicht mißfiel. (Fortsetzung folgt.) NU' in es» Fenillekon n. Tic Aufforstung der Liincburgcr Haide. Während die Lünebnrger Haide vor noch nicht langer Zeit reines Oedland darstellte, auf dem nur einige Schafheerden mühsam ihr Futter finden konnten, ist in den letzte» Jahren ihre Aufforstung so weit vorgeschritten, daß man, wenn damit in derselben Weise weiter vor- gegangen wird, bald von einem Lüneburger Wald wird sprechen müssen. Im Jahre 1895 sind von Privatbesitzern allein 580 Morgen i» Forstland umgewandelt worden, wozu noch die großen durch die Provinzialvcrwaitung und den Forstfiskus aufgeforstete» Flächen kommen. Aber nicht nur Bäume hat man in der Lüneburger   Haide gepflanzt, sonder» man hat auch ausgedehnte Fischteiche in ihr an- gelegt; im Kreis Celle   sind schon mehr als 2000 Morgen Haideland mit Fischteiche» bedeckt, i» denen selbst die Forelle ganz prächtig gedeiht. Literarisches. Lt. H a u s s ch a tz des Wissens. Unter diesem Titel erscheint bei I. Neumann in Neudamm   eine Reihe von Werken, in denen die verschiedenen Zweige der Naturwisscnschasten, sowie Länder- und Völkerkunde. Weltgeschichte, Kunstgeschichte. Literaturgeschichte in möglichst gemeinverständlicher Form behandelt werden sollen. Die ganze Bibliothek, welche in 320 Heften a 30 Pf. erscheint, wird ins- gesammt zehn Werke in 16 Bänden umfassen. Es läßt sich ver- muthen, daß bei dem verschiedenartigen Inhalt und den verschiedenen Autoren der einzelnen Bände dieselbe» auch an Werth ziemlich ungleich sein werde». Der mir vorliegende zweite Band, der zweite Tbeil derEick- wickelungsgeschichte der Natur" aus der Feder von Wilhelm Bölsche  , gehört unstreitig zu dem Besten, was in dieser Art geschrieben ist. Er enthält eine durch zahlreiche gute Abbildungen anschaulich ge- machte Darstellung der Entwickelung des organischen Lebens, seiner Spuren in den ältesten, vor ungezählten Millionen von Jahren ab« gelagerten Gesteinsschichten bis auf unsere Tage. Die Schreibweise des Verfassers ist durchweg keine sogenannte gelehrte, sondern zeichnet sich durch Klarheit und Einfachheit aus, so daß der Inhalt leicht verständlich ist, obgleich der Leser mehrfach auch mit den Fragen, die ihre entscheidende Beantwortung erst noch von der Zukunft er- warten, bekannt gemacht wird. So gewährt das Buch, welches 40 Lieferungen umfaßt, einen guten Einblick in den Stand unseres Wissensund unserer Vorstellungen über die Geschichte des organischen Lebens auf der Erde. Uhland's literarischer Nachlaß ist vom schwäbi- scheu Schillerverein für Marbach zum Preise von 25 000 M. er- worden worden. Der Nachlaß enthält die Manuskripte von Uhland's Gedichten und Dramen, ei» Tagebuch von 1810 bis 1320, politische Auszeichnungen und den Briefwechsel mit seinen Freunden und seiner Familie, etwa 900 Nummern nebst Antworten umfassend. Ueber die Arbeiten des i u t e r n a t i o n a l e n K o n' gresses zum Schutze des geistigen Eigenthums wird aus Monaco   folgendes geschrieben: Am Mittwoch der vorigen Woche hielt derselbe seine dritte Sitzung ab. Herr Mairet von Paris  machte im Namen der Cbambre syndicate de Photographie eine Reihe von Vorschlägen und der Kongreß faßte daraushin den Be- schluß, die Photographien in der gleichen Weise zu behandeln, wie andere graphische Werke, und sie ebenso zu schützen. Herr Victor Soucho» trug die Wünsche der Komponisten vor und beantragte, soweit sie diese betreffen, die Revision der Beschlüsse des Berner Vertrages. Der Kongreß er- klärte sich nach längerer Berathung hiermit einverstanden und bestimnite, daß in allen Länder» Vereine zum Schutze für Musik- stücke gebildet werden sollen, denen die nämlichen Rechte, welche die übrigen Geistesprodukte genießen, zuzubilligen sind. Sodann bildete der Schutz der politischen Artikel und In- formationen der Zeitungen den Gegenstand einer interessanten Debatte. Die Versammlung beschloß einstimmig: .1. Die in den Zeitungen erscheinenden Artikel werden wie alle Geistesprodukte geschützt, ohne daß besondere Bemerkungen des Vor- beHalts nöthig sind; 2. zwischen Artikeln politischer Diskussion und anderen wird kein Unterschied gemacht; 3. es ist gleichwohl anzu- erkennen, daß den Verfassern von Zeitungsarkikeln ein Zitirnngsrecht je nach Maßgabe der Bedürfnisse der öffentlichen Erörterung zusteht." Nach einer Diskussion über diejenigen Informationen der Presse, die keinen literarischen Charakter tragen, genehmigle der Kongreß ein- stimmig folgende» Beschluß:Die Wiedergabe jeglicher Information der Presse ohne Vermerk ihrer Herkunft ist untersagt, wenn sie den Charakter nngesetzmäßiger Konkurrenz trägt." Der nächste Kongreß wird in Turin   abgehalten. Theater. Eine der Shakespeare  'schen Komödien, auf der viel Altersstaub lagert, das LustspielViel Lärm u m nicht s". war vom Schauspielhaus e hervorgeholt und am Sonnabend neu auf- geführt worden. Vom Besten, was Shakespeare   zu geben ver- mochte, findet sich gerade in dieser Komödie, an der Witz und Esprit mehr Antheil haben, als der volle lebendige tiumor, nicht allzuviel. Aber sie enthält die Geschichte eines iebespaares, das für eine Unzahl jener Liebespaare typisch ge- worden ist; Mann und Weib widerstreben einander anfangs und führen stachlige Reden, bis sich in Liebe findet, was sich neckt. In dem Geplänkel zwischen Benedikt und Beatrice verspürt man Shakespeares Stil, und um dieses espritvolleu Lustspielkampfes willen hat sich auch die KomödieViel Lärm um nichts  " auf der Bühne erhallen. Im Schauspielhause gab man die Komödie wie eine rechtschaffene Posse; und das war gut so. Es wurde ein frisch- fröhlicher Gesammteindruck erreicht; man durfte an Malkowsky (Benedikt), Frl. Poppe(Beatrice) und in dem prächtig komischen Wo Ilm   er(Holzapfel) seine Lust haben. Die Neue Freie Volksbühne führte am Sonntag im Friedrich-Wilhelmstädtischcn Theater Ibsen's Rosmers- Holm auf. Es ist sehr anzuerkennen, daß die Leitung der Neuen Freien Volksbühne dieses tiefsinnige Seelendrama den Mitgliedern zur Kenntniß brachte, wenn auch die Freiheiten der psychologischen Entwickelungen dem Verständniß erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Die Darsteller bemühten sich nach besten Kräften, die bedeutenden Aufgaben, welche das Stück an sie stellt, zu erfüllen. Hier und da machte sich zu viel Deklamation und Pathos breit, was gerade für ein Jbsen-Schauspiel am wenigsten angemessen ist. Die Fähigkeit der Darstellerin der Hauptfigur des Stiickes, der Rebekka West, reicht für diese freilich überaus schwierige Rolle doch nicht völlig ans. Immerhin kann die gesammte Aufführung als eine recht gelungene bezeichnet werden.