Wnterhaltungsblatt des Vorwärts Nr. 92. Dienstag, den 12. Mai. 1897. 2� (Nachdruck verboten.) Ein nlkvv Skveik. Roman aus dem bayerischen Volksleben der sechziger Jahre von W i l h e l m i u e v. H i l l e r n. Erschöpft sinkt er aus einen Stuhl und nimint ein paar Schluck aus dem Krug, den ihm einer hinhält.„O mci Meister, was ist aus Dir'worden!* sagt der Mann, der ihm den zitternden Arm beim Trinken stützt. „Ja!" sagt Tenuer, als begreife er erst an dem Jammer der andern das ganze Elend seines Zustandes, und läßt sein Haupt haltlos sinken. „Meine Lieben, i kann mi nit lang aufhalten, der Gem- ming steht mit dem Wagerl unten und paßt auf.— I komm' mit höchster G'fahr zu Euch— aber i Hab' doch die G'legen- hcit benutzen wollen. Euch alle noch amal zu sehen,'s ist viel- leicht die einzige, die i noch find'. I war seither drüben in Tirol. Und mei Frau ist derweil nach Haus g'reist und er- zählt die Leut', i hält' beim Fahren umg'worfen und'n Arm 'brocken, damit man nit merkt, daß i bei dem Treiben war. — Wenn's dann so eing'leitet ist, kann i wieder heim.— Und weil wir zivei jetzt allein sind, der Gemming und i, so hab'n wir ausg'uiachr, daß»vir grad g'schwind herfahren,'s ist ja uni Vieri scho dunkel, thun a wen'g'rei'schanen— und glei ans'm Fleck retour! Wann i nachher derheim bei der Frau bin—* seine Stimme wird matter—„dann komm' i doch nimmer fort." „Ja, warum denn nit?* rufen alle durcheinander.„Dös branchsi Dir doch nit verbieten last'»!* Er schüttelt den Kopf. ,O— Ihr könnt Euch nit denken, wie dös ist! I bin jetzt a hilfloser Mann, der keiu'n Will'n mehr hat." „Ja, roär' nit aus! Wer wird sich so'rnnterkriegen lassen wegen so was V „'s ist halt mei Frau und i muß Rückficht aus sie nehmen. Wenn sie ivüßt', daß i uoch bei die Haberer bin— sie war' zu allem fähig!" „Dös ging' mir ei, weg'»'n Weibsbild! Hast uns Manns- lcnt' dirigirt und»vir haben alle nach Dei'n» Willen thun müssen,»virst doch Dei Weib meistern könne?" „Tös ist ganz was anders, da war i heil— jetzt muß i mir alleiveil vorwerfen lassen, daß i a Krüppl bin!" Die Leute murmeln unwillig untereinander. Ter neue Haberineister winkt ihnen zu— dann stellt er ihn» die praktische Frage:„Hat Dei Frau's Geld g'habt— oder D u?" „Sie hat scho's mehrere. Mein's steckt ja im Haberer- fonds— dös weiß sie noch gar nit— „Ja, ii acher kannst sreili nix machen— armer Kerl— na bist g'liefert!" „'s ist nit weg'n dem," sagt Tenuer ernst.„Wann sie au nix hätt', i kann amal gegen a Weib nit roh sein. Mit 'n Mann will i kämpfen, trotz mei'm einen Arm, bis er oder i ans'm Platz bleibt, aber»nit'n Weib— nein! Wo sie's nit g'wnßt hat und z'frieden war, wann i ihr a Wildbret heim'bracht Hab',»var's was anders, da ist's gange. Aber jetzt, wo sie's»v e i ß, thät sie's nie in gutem zulassen— wie sollt' i's dann»nachen? Anlügen kann i sie nimmer, sie thäl' mir's ja nit glauben— und G'walt brauch'n— streiten, da bewahr' mich Gott,— i kann die Mutter von meine Kinder nit»nißhandeln!" „Ja, ja!" nickt der neue Habermeister nachdenklich.„So zwingen die Raffeln'n stärksten Mann. Du bist der erste nit und an nit der letzt—!* „Und dann kommt noch dös derzna, daß d' Pfarrer alle- mal zu die Weiber helfen, weil die recht fromm thun!" sagt der Rugmcister.„Den hat sie g'wiß au noch hinter sich." „Natürlich—! I bin ja cxkommnnizirt— also so wie so im Unrecht", sagt Tenner mit seltsam flackerndem Blick. „O mei Meister!" r»ist einer seiner ehemaligen Ge- nassen und legt den Arm nm seine Schulter,„wann wir Dir nur helfen könnten! Aber da ist sreili nix mehr z' wollen!" »Ja, jetzt heißt's Abschied nehmen!" sagt Tenner;„des- wegen bin i kominen, um Euch dös selber z' sagen." Er richtet sich auf.„Und wenn Ihr noch a'n An- hänglickkeit für Euren alten Habermeister habt, so hört mei letztes Wort!" „Ja, red'! Wir hören's gern." „I Hab' nix auf der Welt, was mir mehr ani Herzen lag', als unser Orden. Ich bin a echt's Habererblnt mit all seine Listen und Ränk'— und aber auch seiner Ehrlichkeit, ,vo sich's um etwas Ernst's handelt.— Mei Vater war dreiß'g Jahr lang Habermeister. Mei Mutter ist a Tochter von» früher» Rugmeister Stiegler g'wesen. Der Vater hat mich sterbend aus den Meisterstab schwören lassen. Ihr könnt sag'n, ob i dem Schwur treu war—" er kann vor Be- wegung nicht iveiter sprechen. „Ja, dös weiß Gott !" antworten die Genossen wie aus einem Alhem. „Von Euch scheiden, heißt für mich so viel,»vie vom Leben scheideu— mein' Arm hätt' i leichter hergeben, als den Meisterstab! Aber so weh mir's thut— so wahr ist's auch, daß er der rechte Mann dazu ist—" er wendet sich zu dem Nachfolger und reicht ihm die Linke.„Ich Hab' g'hört, Ganghofer, Du thust Dich schwer?" „Ja," sagt der.„Sie möchten alles über's Knie brechen und»ncine, ma sei kei Haberer,»vann ma nit so scharf drei' geht wie Du." .Hab' Geduld mit ihnen. Sie sind halt an mich g'wöhnt und an andre Zeiten. Aber dös soll mei Ver- mächtniß sein, daß i Euch anempfehl', folgt ihm, denn er führt Euch sicher. Wie weit haben denn wir's'bracht? Unsre Leut' sind im Tirol versprengt oder eing'raben wie Hund. Und ich— was ist aus mir'worden? Die Zeiten sind vorbes, wo wir g'meint hab'n, die Geister vom Unters- berg streiten mit uns, für unser Recht— und dem Kaiser Karl sei' Schwert sei unüberwindlich!— Der Untersberg ist zu, und wir sind a rechtlose kleine Schaar, die nur noch mit Lift und Lug umschleichen kann, wie der Fuchs in der Nacht. Die Achtung vor sich selber nit verlieren und nit wirklich zum Spitzbub' werd'n— das ist jetzt die große Kunst. Der Ganghofer ist a ehrlicher b'sonnener Mann, der versteht's, und ist vernünftiger und g'scheidter wie ich. I schneid' mir ja ins eigene Fleisch, wenn i dös sag', aber 's Wohl und Weh' vom Orden geht mir allem vor— auch mir selber! Und desweg'n bitt' i Euch, hört auf ihn. Ihr braucht jetzt'n Mann, der Euch Vorsicht und Mäßigung lehrt. Aber, meine Freund'— wie d' Kohlen auch unter der Asch' glühen können, so laßt unsere heilige Sach' in der Verborgen« heit weiterglimmen. Thut's weder auslöschen noch anfachen und erhaltei's rein— bis der Tag kommt, wo's wieder amal Luft kriegt und neu aufflammen darf. Nacher mag's lodern, daß d' Lent' meinen, der Untersberg speit Feuer!— Das ist mein letzter Wunsch, versprecht mir das und i will geduldig in mei Elend gehen." „Wir versprechen Dir'S, für uns und unsere Kinder, soweit wir für sie einstehen können."— Es klingt traurig gedämpft. Tie Männer erheben langsam und feierlich die Hände zum Schwur. „Jetzt laßt mich fort—'s ist Zeit." Tenner wendet sich zur Fallthür. Da tritt der Habermeister auf ihn zu und umarmt ihn.„J dank' Dir— i»vill Dir sie treulich be- wahren; ihr Hadermeister bleibst Du doch für ewige Zeiten— denn so wie Du kommt keiner»nebr!" Und»vieder ist es still, wie bei einem Todtengeleit. Viele der rauhen Gesellen haben Thränen in den Auge».— Von allen Seiten strecken sich die Hände nach ihm aus, als er, von den jüngeren geführt und gehalten, hinunter» steigt. „Augentrost— wo ist denn das Madl?" schreit der Wirth unten im Hausflur.„Leucht' doch a bißl!" „Augentrost?" fragt Tenner erstaunt.„Wer ist denn das, habt Ihr a Verwandte bei Euch?" „Ja, Poschinger, unfern A u g e n t r o st, kennst sie denn nit?" sagt der Wirth.„Da ist sie ja!" Tenner blickt aus— Wiltraud steht vor ihm, ein Licht in der Hand. Es ist, als verbreite die arniselige Kerze rosige Strahlen über das ganze Haus. „Das ist Euer Augentrost?" ruft Tenner.„Ja— da habt Ihr recht!"
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14 (11.5.1897) 92
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