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Präs.: Meine Herren! Sprechen wir ganz in Ruhe. Es liegt mir ja vollkommen fern, jemanden vergewaltigen zu wollen, aber ich muß doch als Präsident die Geschäftsordnung einhalten.
Abg. Peßler: Auch dem Minister gegenüber!( Rufe im ganzen Hause: Ruhe! Lassen Sie den Präsidenten reden!)
Präs.: Gewiß, auch dem Minister gegenüber, und ich werde das thun.( Rufe links: Ordnungsruf!) Dazu habe ich nach der Geschäftsordnung gar kein Recht.( Rufe lints: So!) Der Herr Minister hat seine Rede angefangen, er hat seine Rede noch nicht beendet. Abg. Schönerer: Er wird sie auch nicht beenden.
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Abg. Wolf( der vor der Ministerbank stebt): Wenn ein Minister unverschämt wird, entziehen Sie ihm halt das Wort. ( Stürmische Rufe der Entrüftung rechts.)
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Präf.( in höchster Erregung): Herr Abgeordneter Wolf, ich rufe Sie zur Ordnung!( Stürmischer Beifall und Händeklatschen rechts. Großer Lärm.) Ich kann verlangen, daß der Abgeordnete innerhalb der Grenzen eines gebildeten Mannes sich bewege.( Ernenter demonstrativer Beifall und lang andauerndes Händeklatschen rechts.)
Abg. v. Preßler: Das soll auch der Minister! Abg. Mayreder: Berlangen Sie Anstand und Sitte zuerst von den Ministern!
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Abg. Wolf( zum Justizminister): Ihre Ansicht ist uns ganz Wurst in diesem Falle.( Ruse rechts: Rube! Rube! Ausreden lassen. Anhaltender großer Lärmi.)
Präs.: Aber warten Sie doch, meine Herren, Sie wissen ja nicht, was der Minister sprechen will.( Beifall rechts. Rufe links: Widerrufen! Nicht weitersprechen!
-GOO
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Kleines Feuilleton. id de d
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t. Die rauchigfte Stadt der Welt dürfte die englische Stadt Sheffield sein, deren stets verdunkelte Atmosphäre in England geradezu sprichwörtlich geworden ist. Ein mit hygienischen Untersuchungen beauftragter Arzt hat an das Gesundheitskomitee der Stadt neulich einen interessanten Bericht eingesandt, der die dortigen Verhältnisse recht drastisch veranschaulicht. In Sheffield werden jährlich 30 Millionen Zentner Kohlen verbraucht auf einer Fläche von etwa 30 englischen Quadratmeilen. Nach dem Gehalt der Kohlen an Schwefel werden auf demselben Gebiete in Sheffield jährlich 750 000 Zentner Schwefelsäure durch den Regen nieder. gebracht, d. b. alfo 20 000 Zentner pro Quadratmeile. Wenn man mit diesen Verhältnissen die der Stadt London vergleicht, deren Atmosphäre ja auch nicht gerade durch ihre Klarheit berühmt ist, so ergiebt sich für London etwa derselbe Kohlenverbrauch wie für Sheffield , aber auf 235 Quadratmeilen, also auf eine fast acht mal so große Fläche vertheilt. Die aus dem Kohlenrauch niedergeschlagene Schwefelsäure erreicht in London nur 2800 Bentner auf die Quadratmeile. Es ist freilich in betracht zu ziehen, daß London wohl für eine Fortschaffung der Rauchmassen durch der Wind günstiger liegt als Sheffield.-
3 Bd Theater.
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Abg. Wolf: Das Haus auflösen, das ist das Allergescheidteste! ( Ruf rechts: Den Wolf auflösen, nicht das Haus!- Heiterkeit.) - Die Dramatische Gesellschaft bat am Sonntag im Abg. Moosdorfer( heftig gestikulirend): Wir verlangen Ab. Neuen Theater ihre legte Vorstellung in diesem Jahre gegeben. bitte. Man führte das Drama Bauernblut" von Julius Petri Der Lärm dauert ununterbrochen fort. Nachdem sich die heiseren auf. Vor drei Jahren ist der Autor, ein junger Westfale, gestorben. Rehlen ausgetobt, ertheilt der Präsident dem Justizminister wieder Die Berliner Klique um den Literaturprofessor Schmidt hatte das Wort. Die ersten Worte des Justizministers werden nun lauts starke Hoffnungen auf ihn gesetzt. Das nachgelaffene Drama los augehört; faum gelangt er dazu, feine Aeußerung zu wieder- Bauernblut" giebt aber fein rechtes Beugniß dafür, waren, diese Hoffnungen berechtigt. ob nicht. holen, bricht der Sturm wieder los. Justizminifter Dr. Gleispa ch: Die Aeußerung, die ich gethan wisse gedrungene, vorwärtsstürmende theatralische Kraft spricht habe und auf grund der Sie mich an der Forsehung meiner Rede aus der ersten Hälfte giveiten des Schauspiels; in der hindern, gründet fich fo auf meine Auffassung, daß es sich bei den Hälfte, wo ein dunkles seelisches Problem behandelt werden Anträgen, die in Berhandlung stehen, lediglich um einen Akt der sollte, verräth fich zeichnende Hand! parlamentarischen Tattit...( Stürmische Unterbrechungen links und Viel Wollen und wenig Können. Aeußerlich erinnert das Stück an Rufe: Widerrufen!) eine traffe Dorfgefchichte. Die alte Wittwe auf einem Bauernhof bat ihren jungen Großknecht Anton geheirathet: in aller Heimlich teit, ohne ihren Kindern, einem Studenten und einem erwachsenen Mädchen, vorerst etwas mitzutheilen. Am Hochzeitstage feiner Mutter kommit der Student Friz heim und erfährt den Sachverhalt. Bugleich muß er wahrnehmen, daß seine Mutter einer unfeligen Schwäche zum Opfer gefallen, daß sein Stiefvater ein rüder Patron sei. Auf dem Bauernhof wird es täglich schlimmer. Anton, der Herr, artet zur reinen Bestialität aus und als er in der Nacht wie ein betrunkenes Bieb über fein Weib herfällt, die alte Schlampe" peitscht und mißhandelt, da regt sich das trotzige Bauernblut" im Sohn der Gemarterten, der Zeuge der grausamen Vorgänge ist, und Friß schlägt den verthierten Stief vater mit einem Beilhieb nieder. Der Hieb war tödtlich. Man erwartet nun, Friß würde hingehen und seinen Todtschlag öffentlich bekennen. Es war eine That des Affekts, die er verübt, und in ihren Motiven war sie begreiflich wie nur irgend eine. Rein anständiger Mensch, ob bäuerliches, ob Stadtherrnblut in seinen Adern flöffe, hätte dem Studenten sein Mitgefühl versagt. Da kommt aber Petri mit einer ganz sonderbaren Seelentragödie und hier fehlt es dem Autor an dem Vermögen, seine Tragödie glaubhaft zu machen. Fritz unterliegt dem Einfluß einer rachelüfternen Magd, die ihn wie ein Dämon begleitet. Sie empfand Genugthuung über Frigens Todschlag; denn Anton der Großknecht von ehedem, batte sie schnöde verlassen. Sie möchte die Spuren der Mordthat verwischen; sie geht mit großer Bauernschlauheit ins Wert und treibt den jungen Studenten von Schwäche zu Schwäche. Er duldet es, daß man die Spur der That auf einen anderen lenkt, daß ein Fremder, allerdings ein bösartiger Gefelle, verdächtigt und verhaftet wird. Zum Schluß aber ermannt er sich, gerade als der Fremde ins Gefängniß abgeführt werden soll und bekennt: Ich bin der Mörder. Dem Publikum gefiel der zweite Aft mit feinen starten, traffen Effekten am besten. Die wichtigste Rolle des Stüdes gab Herr Jarno; so weit er als Fritz schlicht und eindringlich sein durfte, bis zum Moment der That, Das verzwickte Ge war feine Darstellung überzeugend wahr. wissensproblem nach der That wußte auch er nicht klar zu ges ftalten.
Abg. Dr. v. Peßler: Das deutsche Volt läßt sich nicht mehr mit Phrafen abspeisen. Juftizminister Graf Gleisp a ch( fortfahrend):... um einen Alt der parlamentarischen Taktif, wobei es mir selbstverständlich nicht beigekommen ist, durch Wiedergabe dieser Auffassung irgend eine Partei beleidigen zu wollen.( Beifall rechts.) Außer dieser formalen Frage sind aber auch die sachlichen Konsequenzen ( Neuerliche, stürmische Unterbrechungen und Rufe links: Widerrufen! Gegenrufe rechts: Fit schon geschehen! Zahlreiche Zwischenrufe, die im Lärm verloren gehen.)
Präsident( heftig die Glocke schwingend): Ich bitte Sie, meine Herren, Suhe! Nube!( Geschrei: Widerrufen!)
Abg. Wolf( schreiend und auf das Pult schlagend): Ich beantrage Schluß der Sigung und namentliche Abstimmung über diesen Antrag.( Rufe rechts: Wir brauchen Ihre Anträge nicht.)
Abg. Wolf: Wir lassen uns das nicht bieten. Justizminifter Graf Gleisbach beginnt wieder zu sprechen. Während seiner Ausführungen herrscht unausgesetzt großer Lärm im Saale. Stürmische Rufe: Abzug Gleispach! werden laut. Zwischen den vor der Minifterbant angesammelten Abgeordneten entsteht ein heftiger Wortwechsel.
Bräs.( fehr laut): Meine Herren! Was ist denn das? Schämen Sie sich, Sie werden ja handgemein.
Abg. Dr. Groß: Wir haben dasselbe Recht, da zu sein, wie die anderen. Die Czechen drängen uns zurück.( Tofender Lärm. Einzelne Abgeordnete steigen drohend auf die Bänke.) Die Stenographen dürfen unter diesen Verhältnissen die Rede des Ministers nicht aufnehmen. Wir protestiren dagegen. Es werden den Stenographen Dinge diktirt, von denen wir nichts hören.
Abg. Iro( schreit): Der Minister spricht schon wieder. Abzug Gleispach!
Justizminifter Graf Gleispach, der, umringt von czechischen und polnischen Abgeordneten, seine Rede zu Ende gebracht und sie den Stenographen, die vor ihm stehen, diktirt hatte, wird zum Schlusse etwas lauter, und man hört plöglich die Worte: Ich habe gefchloffen! ( Stürmischer, lang anhaltender Beifall und Händellatschen rechts, das sich einige Male wiederholt. Auf der Linken heftiger Wider spruch. Einzelne Abgeordnete fangen an mit den Pultbrettern und Händen auf die Bulte zu schlagen. Der Beifall und das Hände fatschen rechts erneuert sich. Rufe: Bravo , Exzellenz! Von der Rechten kommen oftentativ einzelne Abgeordnete, um dem Minister die Hand zu drücken!
Auch nach der Hede des Justizministers dauert es noch eine geraume Weile, bis die vorgemerkten Redner sich wieder unbelästigt aussprechen können.
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-r. Freie Boltsbühne. Dem„ Kaufmann von Venedig", mit dem das Wirken des neugegründeten Vereins eingeleitet wurde, folgte am vorgestrigen Sonntag ein durch und durch modernes Stück: Hirschfeld's Schauspiel„ Die Mütter". Es find wohl zwei Jahre her, daß die Freie Bühne dem Talent des jetzt 24jährigen Dichters die Bahn brach; der ersten Mittagsvorstellung im Deutschen Theater reihte sich bald eine stattliche Anzahl öffentlicher Aufführungen an, und männiglich ergögte sich an dem Drama, das in einer ergreifenden Liebesgeschichte neues Zeugniß davon ablegt, wie unüberbrückbar die Kluft ist, die die herrschende Klasse von der beherrschten trennt. Eine Analyse des Stückes erübrigt sich an dieser Stelle. Einmal ist es bei Gelegenheit seiner ersten Aufführung eingehend von uns be sprochen worden, und dann ist in der von Dr Conrad Schmidt herausgegebenen Monatsschrift" Freie Boltsbühne", die den Vereinsmitgliedern zur Verfügung steht, eine ausgezeichnete Würdigung der Licht und Schattenseiten dieses Dramas enthalten.
Wir haben es daher nur mit der vorgeftrigen Darstellung zu