Unterhaltungsblatt des Vorwärts
Sonntag, den 23. Mai.
Nr. 101.
( Nachdruck verboten.)
Ein alter Streit.
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1897.
wie Geißelhiebe. Halt aus, arme Seel', trösten die Freunde. Sie erwidert nichts. Nur ihre falten, zitternden Hände verrathen die stumme Qual ihres Herzens. Still, mit niederRoman aus dem bayerischen Volksleben der sechziger Jahre geschlagenen Augen zieht sie ihres Weges hinter dem Karren her. Auch ein Kreuzweg! Jetzt taucht die Kirchhofsmauer auf.
" I dank Euch recht schön. Aber weg'n dem that's nit noth i bin ganz ruhig."
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Steub kommt herein und winkt Gemming. Jest
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Das Ziel ist erreicht. Der Gottesacker liegt etwas erhöht, ringsum die Kirche einschließend. Eine fünf Fuß hohe Mauer trennt die geweihte Stätte vom profanen Leben. Zwischen der Mauer und der Straße liegt ein unSie treten beide zu Wiltraud hin, wie um fie vor bebauter Streifen Feld, der„ Wasen ". Nicht weit hinter einer Unbill zu schützen, fie hätten am liebsten gehabt, dem Friedhof ist eine kleine Kranzwirthschaft für die Leute daß sie es nicht sähe und nicht höre: Ein Karren rumpelt im untern" Dorf. Alles steht unter der Thür und„ paßt"-! den Berg herauf und hält vor dem Haus. Wiltraud's Hier hält der Wagen. Der Todtengräber wartet schon. Augen find unverwandt nach der Thür gerichtet, die Das Grab liegt offen da, wie eine Wunde. Die Freunde Freunde umfaffen sie vorsichtig, um sie zu halten, wenn es lassen es sich nicht nehmen, sie heben den Sarg selbst herunter nöthig wäre. und tragen ihn zur Gruft. Wiltraud geht ihn treulich mit, den Gang der tiefsten Schmach. Von drüben beim Kranzwirth vielen zischelt's und raunt's herüber, das Gewirr von Stimmen, welche so schlimme Dinge reden, daß sie nicht laut
Der Schreiner und ein Gehilfe schleppen einen leicht zu sammengenagelten Bretterkasten herein.
So da ham ma die Truch'n!"
Wiltraud steht aufrecht. Nur ein leises Frösteln überläuft gesagt werden können. fie und das Gesicht wird fahl und starr.
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Da greif an," befiehlt der Meister dem Gesellen. Sie wollen die Leiche.aufheben.
" Halt," ruft Wiltraud,„ niemand rührt ihn an als ich!" Sie geht hin, umschlingt den zarten Körper mit beiden Armen und hebt ihn auf. Aber der Sarg ist ja ganz leer? D, i bitt' Euch, leg jemand das Kissen und die Decke hinein. Ich halt' den Bruder derweil."
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" Ja mei," brummt der Schreiner roh,„ bei dera Nummer giebt's tei Sterbkissen."
B'halt Dein dummes Gewäsch für Dich," fährt Gemming den stumpfsinnigen Menschen an.
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Wiltraud legt behutsam den Körper in die Truhe. Aber zuvor drückt sie ihn noch einmal an die Brust. Wart nur i hol' Ti!" flüstern ihre Lippen, allen unhörbar, dem Todten ins Dhr. Noch einen Blick auf das bleiche liebe Gesicht, der Sargdeckel wird drübergestülpt. Das ist geschehen, ehe man's benkt, denn er ist nur eingezapft und wird nicht genagelt. Dann faffen der Schreiner und der Gehilfe die Stricke, die oben und unten als Griff dienen und heben den Sarg auf. Gemming und Steub treten aber wie aus einem Impuls dazwischen und nehmen die leichte Laft auf ihre Schultern. So tragen sie ihn hinaus. Wiltraud folgt. Draußen steht der Karren vom Wasenmeister" mit einem elenden Klepper davor, obendrauf fißt der Knecht, einen Zigarrenstummel im Mund. Der Sarg wird auf den Karren geladen. Der Knecht knallt mit der Peitsche und will im Trab davonfahren.
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Wiltraud schließt die Augen, damit sie's nicht sehen muß. Gemming aber greift dem Knecht in die Zügel.„ Untersteh Dich und fahr mit einer Leich, wie wenn's a todter Hund wär'!"
Ja! Dös darf ma mit so ei'm!"
" Schritt! sag' ich- und Achtung vor dem Todten!" donnert Gemming ihn an, oder ich schlag' Dich vom Bock ' runter und führ's Pferd selber."
Der Anecht erschrickt vor dem zornigen Mann und hält das Pferd zurück. Wiltraud kann ihm von Steub geführt folgen. So ziehen fie im Dorf ein.
Wie schrecklich, daß es mit dena Allmeyers so weit kommen ift,' s waren so g'achtete Leut'!" sagen ein paar Männer, als der traurige Zug an ihnen vorbei geht.
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Wiltraut hört alles.
Der Sarg wird eingesenkt, - das Grab zugeschüttet und wie die Schollen der ungeweihten Erde auf den Bruder niederrollen, so ist ihr, als fiele jetzt die ganze Schande donnernd über sie her und begrabe sie und ihr ganzes Leben. Es wird ihr auch so dunkel vor den Augen, als läge fie mit da unten und jetzt weiß sie nichts mehr.
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Wiltraud, um Gotteswillen sie bricht zusammen!" ruft Gemming und hält sie im Sturz auf.
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' s war halt doch z'viel," jammert Steub. daß wir Gemming winkt ihm: Waffer nur schnell der Bande da drüben nicht das Schauspiel geben. Sie ist start, sie wird sich gleich wieder erholen
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Steub ist wie der Blizz hinübergelaufen und kommt mit einem Glas Wasser und etwas Branntwein zurück, den ihm die Wirthin mitgab. Gemming reibt Wiltraud die Schläfe damit ein. Er hält die leblose Gestalt immer aufrecht in den Armen, damit denen da drüben nicht der Ges fallen geschieht, sie erliegen zu sehen. So bringt er ste, ohne daß es ein besonderes Aufsehen gab, zum Bewußtsein. Sie öffnet langsam die Augen. Ach muß i denn wieder aufwachen?" sagt sie so schmerzlich, daß es beiden Männern tief zu Herzen geht.
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Wiltraud, komm, nimm Dich zusammen," redet Gemming ihr zu:„ Wir sind ja bei Dir, wir sind freilich nichts B'sonderes, aber immerhin' n paar gute Freund', die Dir beis stehen, wann Du willst.'s werden auch wieder andre Zeiten fommen! Das kannst Du einem, den' s Leben so' umg'worfen hat wie mich, ruhig glauben."
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Meinst nit, Du fönust jetzt heimgehen?" fragt Steub. " Ja, ja, gleich," sagt Wiltraud zögernd, i will nur noch Tootengräber was geben gleich komm' i!"
Sie zieht ihr Geldbeutelchen aus der Tasche und winkt den Freunden zurückzubleiben. Dann geht sie drei Schritte weit zum Todtengräber hin, drückt ihm etwas in die Hand und fragt rasch und leise: Bift g'wiß recht müd'? Dös ist a'n Arbeit, so a Grab aufg'machen!"
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" Ja, ja!" antwortet der Alte.
Wie lang brauchst denn zu so' n Grab?"
Bei dem steinigen Boden, je nachdem' s halt trocken oder ist fünf bis acht Stund'
Heut' regnet's noch, gelt?"
Dent' wohl, daß' s auf d' Nacht a Wetter giebt."
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, Wiltraud, Du g'hörst jetzt heim in Dei Ruh'!" meint
Steub.
" Jesus , Jesus , da bringen sie den Allmeyer Sebald!" Anner, anner auf' m Karrn!" flüstern die Weiber. Lauft, lauft! Nachd' seht's ihn abladen!" schreien bin scho fertig!" Wiltraud sieht noch lang prüfend die Kinder froh des ungewohnten Schauspiels und rennen das Grab an. Sie muß es sich doch genau merken, daß sie es vor dem Wagen her. Immer neue kommen dazu, aus fennt, wenn sie wieder herkommt. aus tennt, wenn sie wieder herkommt. Die Gräber ohne Kreuz allen Gaffen des Dorfs und da es noch völlig Tag ist, und Denkstein sehen sich ja alle so gleich. obgleich der Pfarrer versprochen hatte, daß Sebald erst unter Lichtzeit begraben würde,- ist das schmachvolle" Da kommt heut abend noch der Haberer eini, der sich Schauspiel für alle Welt sichtbar.- Ein Spießruthenlaufen! beim Pfarrer vor der Thür derschossen hat," sagt der Todten Die Freunde führen zu beiden Seiten Wiltraud. Sie blickt nicht rechts noch links, aber sie sieht doch die Finger, die auf fie zeigen und die Neden aller der Gaffer umschwirren sie
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Was ist denn das für eins
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daneben?"
Wiltraud schaudert. Tenner, der unfelige Mann, neben ihrem schuldlosen Bruder?!