Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 104.
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Donnerstag, den 27. Mai.
( Nachdruck verboten.)
Ein alter Streit. Roman aus dem bayerischen Volksleben der sechziger Jahre von Wilhelmine v. Hillern.
Lenz erhebt sich plötzlich von seiner Bank. Der Pfarrer fährt fort: In anbetracht dieser That sehe ich mich veranlaßt, kraft der mir zustehenden Macht vollkommenheit, die Wiltraud Allmeyer, Müllerstochter von hier, aus der Gemeinschaft der katholischen Kirche auszuschließen und denselben großen Kirchenbann über sie auszusprechen, den"
Halt, Pfarrer!" schallt jetzt eine volle, kräftige Stimme durch die Kirche Lenz steht mitten im Schiff und ruft zur Ranzel hinauf:" Dös kann i nit angehen lassen, daß der Wiltraud so Unrecht g'schieht! Gott verzeih' mir's, daß i so lang g'schwiegen hab'. Du darfst die Wiltraud nit erkommuniziren wegen dem, daß sie ihren Bruder in a g'weiht's Grab ' than hat, denn der Sebald war gar fei Haberer!"
Eine große Bewegung geht durch die Kirche, alles steht von den Sigen und Kniebänken auf. Der Pfarrer verläßt die Kanzel und kommt herunter. Wiltraud allein bleibt mit verhülltem Gesicht auf den Knien liegen.
" Für derartige Verhandlungen ist weder die Kanzel noch die Kirche der Drt!" sagt der Pfarrer mit eiserner Strenge. Grad da ist der Ort-" spricht Lenz laut und energisch. Da, wo's Mad'l beschimpft worden ist, soll's auch g'recht fertigt werd'n. Wenn d' Kirch' der Ort ist, um' n Menschen zu verdammen, dann wird sie auch der Ort sein, um ihn freiz'sprechen wenn er's verdient!"
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Recht hast" sagen die Männer, und umringen ihn theilnehmend und bewundernd.
Und wie wirst Du, Lorenz Bissinger, Deine sonderbaren Behauptungen beweisen?" fragt der Pfarrer, todtenblaß vor Aufregung.
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Dös will i Dir glei fag'n, der Sebald ist für' n andern eingetreten, der Rücksichten auf' n kranken, alten Vater 3' nehmen g'habt hat."
Also einer, der gegen den eigenen Vater' getrieben hat." Ja! Und den's aber nacher g'reut hat-" Und wer war das?"
Lenz wischt sich die Stirn,- alles drängt horchend und gespannt herzu.
" Nuu?" fragt der Pfarrer mit höhnischem Lächeln, wird man den Namen dieses geheimnißvollen Haberers nicht erfahren?"
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Also, wann d'' n durchaus wissen mußt i war's! Glaubst mir's jetzt?"
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Hätte in dem Augenblick der Blitz in die Kirche ge schlagen, die Wirkung wäre nicht größer gewesen. Aber die Macht der Wahrheit ist für rechtschaffene Gemüther unwiderstehlich. Die braven Leute des Dorfes schütteln dem Lenz die Hände und schaaren sich um ihn.
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Also ein Haberer der Lorenz Bissinger, der Sohn des Hochbräuhm, hm. Nun liegt die Sache freilich anders Erstens muß ich aber Dich trifft die doppelte Strafe! Dich morgen wegen Störung des öffentlichen Gottesdienstes verklagen."
Weg'n meiner, Pfarrer, i hab' nix g'fürchtet und fürcht' nix, als mei Unrecht am Vater, und hab's damit gut machen woll'n, daß i's auf' n andern g'schoben hab'! Aber i fann's nimmer verschweigen, sonst wird's alleweil schlimmer. Und jetzt tommt's halt doch, wie's kommen muß!"
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Und dann," fährt der Pfarrer tonsequent fort, werde ich Dich statt Deiner Hehlerin in Bann thun!"
" Dös kannst alles das ist Dei Recht! Aber dazu hast kei Recht, daß D' dös Madl a Hehlerin schimpfft. A Hehler ist einer nur, wenn er was davon hat, daß er' m andern hilft. Die Wiltraud hat aber nir dervon g'habt als Kummer und Unglück. Denn mei Vater hätt's damals zu geben, daß wir uns heirathen, und sie hat mich aus g'schlag'n, weil sie mir's nit hat verzeihen könne, daß ihr Bruder für mich büß'n sollt'! Aber weil sie mich doch nit hat in's Unglück bringen woll'n, hat sie g'schwiegen. Drum ist sie hier nimmer beichten ganga aus Angst, sie würd' was g'fragt, wo s' mich verrathen müßt'- und ist in den
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1897.
Ruf von' ra schlechten Christin kommen. Drum hab'n sich alle Haberer zu ihr g'flüchtet, weil der Sebald für mich als Haberer eintreten ist und sie hat's dulden müss'n, daß man sie für a Habererdirn anschaut, während sie den todtkranken Tenner pflegt hat, dem s'' n Arm wegg'schossen hab'n. Und wie ihr jezt der Bruder eig'scharrt worden ist, zu Spott und Schaud vorm ganzen Dorf da hätt' sie's' n einzig's Wört ! kost- wenn f' g'sagt hätt', daß er für mich büßt hat! Sie hat mich aber doch nit verrathen, und hat in ihrer G'wissenhaftig feit lieber die ganz' Nacht g'schafft und g'schaufelt, um ihn heimlich in das Grsb z' legen, in das er g'hört, und wär' ' frieden g'wesen, wenn's nur sie wußt und der liebe Gott! ft eine oder einer unter Euch- wo dos im stand wär'? Niederknieen müßtet Ihr alle vor dem Madl wie i's jetzt thu'!" Und er eilt durch das Gedränge unter den Chor, wo Wiltraud versteckt ist hinter den letzten der Gemeinde. Vor ihr nieder stürzt er und schlingt seine Arme um die gebrochene Gestalt Wiltraud!" Und ihr Haupt sinkt auf das seine, und leise flüstert's an seinem Ohr, wie der Morgenwind in den Wipfeln rauscht: Jezt g'hör' i Dir!"
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Ueberwunden.
Eine Stunde später nach Beendigung des Gottesdienstes seguet der Pfarrer die Leiche Sebalds ein. Mit entblößten Häuptern stehen die besten der Gemeinde um das Grab, das die Hand der Schwester gegraben und ein jeder rechnet es sich zur Ehre, nach Wiltraud die letzten Schollen darauf zu werfen.-Als die Feierlichkeit beendet, geschieht aber etwas, dessen sich niemand versehen hätte der Pfarrer geht zu Wiltraud hin und reicht ihr die Hand: Verzeih mir- ich habe Dir unrecht gethan!"
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Da athmet alles auf, wie nach einem Gewitterregen. Durch die ganze Natur geht ein Schweigen. Es ist etwas Großes und Feierliches, wenn ein Mensch sich selbst überwindet. Kalt und ruhig steht der Priester da, wie immer, aber in seinem Ausdruck liegt etwas, als ob jetzt zum ersten Mal in seinem Leben Friede in ihm sei. Laut aufweinend neigt sich das Mädchen über seine Hand und drückt einen langen, heißen Kuß der Erlösung darauf. Dann aber blickt sie mit den feuchtglänzenden Augen nach Lenz und eine lieblich flehende Bitte liegt auf ihren Lippen.
Was man thut, soll man nicht halb thun," sagt der Pfarrer. Komm morgen zu mir, Lenz, ich hoffe, es wird alles gut werden."
Dös war schön vom Pfarrer. Jetzt kann ma doch mit ihm reden," sagen die Männer am Heimweg.
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Lenz geht mit ihnen zum Hochbräu. Ein schwerer Gang! Der Alte sitzt im Lehnstuhl am Fenster, seit jener Schreckensnacht ist er nicht mehr gut auf den Füßen und muß beim Gehen unterstützt werden. Was hat's denn im Dorf geben, daß d' Leut so z'sammenstehn und diskrieren?" fragt er, als Lenz eintritt.
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" Bater, i hab' was mit Euch z' reden- aber i bitt' Euch, seid ruhig und hört mich geduldig an."
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Dös ist ja a schöne Vorbereitung und bist ganz freide weiß was hast denn ang'stellt? sagt Bissinger, und zieht die spärlichen Augenbrauen hinauf.
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So was Schrecklich's, daß i nit weiß, wie i's Euch sagen soll."
Bissinger sieht ihn in drohender Spannung an.
Lenz blickt zu Boden:' 3 ist nir Neues und i hätt's scho lang sollen g'stehen, aber weil Des halt immer kränklich wart's hab' i's nit übers Herz bracht und lieber mich und andre g'opfert, als' n Bater!"
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Bissinger sigt mit geöffnetem Mund da. Es wird ihm schon wieder enger reißt die Halsbinde auf. Lenz kämpft den qualvollsten Kampf.
" I fann's Euch nimmer verheimlichen, weil's jetzt doch an n' Tag kommen ist! I hab' Euch weisg'macht, der Wiltraud ihr Bruder, der Sebald, sei a Haberer ' s ist aber nit wahr."
Rommst mir wieder mit der?" zischte der Alte wüthend. " hab' ja g'meint, die G'schicht sei aus! Also bild's Dir ein, Du fangst mich doch noch, daß i zu dera Heirath mein Konsenz gieb?"