Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 110.
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Sonntag, den 6. Juni.
( Nachdruck verboten.)
Gofflieb Adler und Sohn.
Von Boleslav Prus.
1897.
Jesus Christus !" und dieser antwortet darauf:„ In Ewigkeit, Amen, und lüftet dabei seinen alten Panamahut.
Die Kutsche fuhr in den Hof; bald erschien der Stallbursche und half dem Pastor beim Aussteigen.
Ist der Herr zu Hause?" fragte Paftor Böhme. Nein, er ist in der Fabrik; aber ich sage ihm gleich, daß Hochwürden gekommen sind."
Autorisirte Ueberfegung aus dem Polnischen von J. Land. An einem heißen Juninachmittag fuhr Paftor Böhme in einer einspännigen Landkutsche über die ebene Chaussee, die nach der Fabrit des Gottlieb Adler führte. Er sollte ihm zunächst Gram verursachen und dachte, ihn nachher zu trösten; er sollte dem Gottlieb Adler mittheilen, daß deffen einziger Sohn Ferdinand im Auslande Schulden über Schulden gemacht habe, und nachher wollte er gliederte. Der erste Theil sollte erinnern an die unvoraus ihn beruhigen und für den leichtsinnigen Jüngling Berzeihung erbitten.
Gottlieb Adler war Befizer einer Baumwollwaaren Fabrit. Die Chaussee, die von der Eisenbahnstation zu derselben hinführte, war zwar nicht von Bäumen beschattet, dafür aber äußerst rein und sorgfältig gehalten. Ihr zur Linken lag die Stadt und rechts sah man die Fabrit, einen großen, vierstöckigen, in Hufeisenform gebauten Häuserblock, aus dem eine hohe Esse her vorragte, der dicke, schwarze Rauchwolten entquollen. Neben der Fabrit befand fich ein großer Garten. Jumitten des Gartens stand Adler's Villa.
Der Pastor ging über den Flur, wo ihm ein Lakai den Staubmantel abnahm, ins Besuchzimmer. Hier sehte er sich aus Fenster, um den ankommenden Adler sofort zu erblicken, und legte sich einen Plan zurecht. Er bereitete fich auf eine Nede vor, die er nach den Regeln der Rhetorit in drei Theile fehbaren Absichten Gottes, die über die Dornen des Lebens der Menschen zum ewigen Glücke führten; im zweiten mußte gefagt werden, daß der junge Adler so lange nicht in das Haus seines Vaters zurückkehren könnte, bis seine Gläubiger eine so und fo hohe Summe erhalten hätten. Dann wollte der Pastor dem Adler Zeit geben, seinen väterlichen Zorn auszutoben und all' die Fehltritte aufzuzählen, die der Sohn sich schon hatte zu schulden kommen laffen; im Augenblicke aber, da der erzürnte Fabrikant die Absicht aussprechen würde, seinen Sohn zu ents erben und zu verfluchen, da sollte der dritte Theil der Mission des Pastors beginnen, der versöhnende.
Paftor Böhme vertraute während seiner Fahrt der Für Inzwischen fam auf dem Wege, der aus der Fabrif in sorge auf den, der den Daniel aus der Löwenhöhle und den die Billa führte, der alte Adler daher. Er war ein außer Jonas aus dem Walfischrachen gerettet: er band die Zügel an gewöhnlich großer Mann mit unverhältnißmäßig langen Füßen die Bocklehne, ließ sein Auge weit hinausschweifen und träumte. und seine Haltung war etwas gebüdt. Er trug einen un Die Fabrit des Adler und ihre Umgebung erinuerten ihn modernen, langen und grauen Rock, die Hosen waren ebenso an eine andere Fabrit, weit, weit braußen im Brandenburger in Schnitt und Farbe. In seinem gleichmäßig rothen Gesichte Thal, wo er und sein Freund Gottlieb Adler zusammen die fiel die mächtige, fugelförmige Nase auf und die wulstige Jugendjahre verlebt hatten. Beide waren Söhne wohlhabender Unterlippe, die wie bei einem Neger hervorstand. Einen We bermeister, in ein und demselben Jahre geboren, und sie Schnurrbart trug er nicht, mur spärliche hellblonde Rottelets. hatten dieselbe Elementarschule besucht. Auf ein Viertel- Als er den Hut abnahm, um sich den Schweiß von der Stirne jahrhundert waren dann ihre Wege auseinandergegangen. zu wischen, sah man seine haselnußförmigen, blauen Augen, Böhme hatte Theologie studirt, während Adler ein halbes die keine Brauen zeigten, und kurz geschorene Haare von der Hunderttausend Thaler gesammelt hatte. Dann kamen fie Farbe grauer Leinewand. wieder zusammen, weit vom Vaterlande, in Polen , wo Böhme Herr Adler ging mit gleichmäßigen schweren Schritten, Paftor einer protestantischen Gemeinde wurde und Adler eine und er schwankte dabei auf seinen ungeheuren Füßen wie ein fleine Weberei gründete. Ravallerist. Wenn er sich nicht gerade den Schweiß vom ver Seit dieser Zeit war nun bald wieder ein Viertel- schwigten Gesicht oder vom rothen Nacken wischte, dann jahrhundert vergangen, während dessen sie fie als nächste standen ihm die herunterhängenden Arme mit den Nachbarn friedlich neben einander gelebt und fich etliche Male großen Händen und den dicken furzen Fingern wie in der Woche besucht hatten. Aus der kleinen Weberei des zwei gespannte Geigenbogen weit vom Körper ab. Adler war inzwischen eine riesige Fabrit geworden, die jetzt Die breite Brust hob und senkte sich wie ein Blasebalg in einer 600 Arbeiter beschäftigte und ihrem Eigenthümer jährlich 40 Schmiede. Von weitem schon begrüßte Herr Adler den am bis 60 Tausend Rubel brachte. Böhme aber blieb, was er ge- Fenster sitzenden Pastor mit phlegmatischen Kopfbewegungen; wesen war, ein armer Pastor. Da aber auch die Schätze der es wäre schwer gefallen, zu errathen, ob es Lachen war oder Seele sich verzinsen, so hatte auch er sein Einkommen, jähr etwas anderes, das über dieses fleischige Geficht gebreitet war, lich 50 000 Segen. auf dem Strenge und Gedankenlosigkeit allein zu herrschen schienen.
Zwischen den beiden Freunden bestanden auch noch andere Unterschiede. Der Paftor hatte einen Sohn, der eben die Bei dem Alten war diese von der Natur so grob gemeißelte technische Hochschule in Paris absolvirte und daran dachte, Phyfiognomie nicht abscheuerregend; fie war vielmehr wunder sich und seinen Eltern für den Rest des Lebens ein Stück lich. Sie weckte auch nicht Furcht, sondern eher die Empfin Brot zu sichern; Adler hatte auch einen Sohn, der das dung, daß man ihr nicht widerstehen könne. Es schien, als ob Gymnasium nicht zu Ende besucht hatte, seit zwei Jahren nun in diesen unförmlichen Händen Eisenstäbe sich biegen müßten, im Auslande lebte und nur darauf bedacht war, wie er die so wie der Boden der Fabrikjäle sich unter Herrn Adlers väterliche Kasse am besten plündern könnte. Den Pastor quälte Tritten bog.
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die Frage: wird seine achtzehnjährige Tochter Anna gut heirathen? Na, wie geht's, Martin?" rief er, als.er ins Zimmer trat, Den Adler die, was eigentlich aus seinem Sohne werden sollte. und dabei schüttelte er dem Pastor kräftig und unbeholfen Der Pastor war mit seinem fleinen Einkommen und die Hand. Richtig, Du warst gestern ja in Warschau ; haft 50 000 Gegen jährlich zufrieden, dem Adler genügte das Ein- Du nichts von meinem Jungen gehört? Der Kerl schreibt Tommen von 50 000 Rubeln im Jahre nicht, denn es däuchte so selten, daß die Bank nur allein weiß, wo er sich eigentlich ihm, daß das in der Bank gesammelte Kapital allzu langsam aufhält." sich der ersehnten Summe von einer runden Million näherte. Wie sie da beide neben einander standen, sah der zarte Jm Augenblick dachte aber Pastor Böhme an ganz andere Böhme neben seinem Freunde aus, wie um mit den Dinge. Die Adler'sche Fabrik, die Arbeiterhäuschen um sie Worten der Bibel zu sprechen die Heuschrecke neben einem herum, die Villa und der Garten, das alles erinnerte ihn an Kameel. seine Heimath, an die deutschen Fabriken, nach deren Minster Adler die feinige erbaut hatte. Nur schade, daß es hier kein Kinderasyl giebt, fein Spital und keine Schule. Daran lag dem Adler garnichts.
„ Na, sprich doch," wiederholte Adler, indem er sich auf dem Ranapee niederließ, das unter seiner Laft krachte, und seine tubale Stimme harmonirte dabei sonderbar mit dem rhythmischen Stampfen der Maschine, das der von der Fabrik her wehende Wind durch's offene Fenster ins Zimmer trug. Schrieb mein Ferdinand an die Bant?"
Der Wagen näherte sich der Fabrik, da fuhr er an den Arbeiterhäuschen vorbei. Ihre Bewohner find jetzt größten theils in den Werkstätten, nur etliche blaffe, flachbrüftige Böhme erinnerte sich an seinen vorhin zurechtgelegten Plan Weiber begrüßen den Paftor mit den Worten: Gelobt seil und wollte den ersten Theil seiner Rede, von den unvorans
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