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findest. Deshalb hatte ich Dir so lange nichts sagen lassen. Cesarine hatte diese Idee. Ist das nicht eine köstliche Idee? Nicht

Also," nahm Cesarine wieder das Wort, Sie sind nur zufälligerweise hierhergekommen?" " Ja," antwortete ich aufälligerweise ganz zu­fällig. Aber aus meiner Verlegenheit und vor allem aus meinem ungeschickten Bemühen, die Verlegenheit zu verbergen, fühlte fie doch heraus, daß ich sie täuschte, daß ich sie aufgesucht hätte, daß ich einen Grund dafür hätte, und daß ich eine offenbar sehr wichtige Mittheilung haben müßte. Ich las alle diese Gedanken in ihrem Blick, der plötzlich unruhig und flehend

wurde.

Was thut das", unterbrach Paul, ob es ein Zufall ist oder nicht? Die Hauptsache ist, daß er hier ist, daß er mich genesen sieht, daß er unser Glück theilt. Ich hoffe nur, daß er von nun an es etwas öfter theilt. Aber die Ueber­raschung ist gelungen. Ich bedarf jetzt täglich Deiner Freundschaft, mein lieber Freund. Wir haben jezt nicht mehr nöthig, von häßlichen Leuten und traurigen Dingen zu reden, die mich aufregen. Wir werden von uns plaudern, von Dir, von unseren literarischen und wissenschaftlichen Be­strebungen, von unserer Liebe!"

Der zwischen den Gebäuden, die gabelförmig eine Seite offen ließen, wirbelnde Wind trieb Else den Regen ins Gesicht. Rasch eilte sie die Kieswege hinauf zum Haupteingang.

einer Lampe nothdürftig erhellt wurde, stand das Fräulein Anna, In dem großen, grau und weiß getünchten Hausflur, der von das heute die Aufsicht führte. Sie winkte Elfe zu sich heran: Nun? Warum tommst Du bei solchem Schmugwetter nicht früher?!"

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Else sah schüchtern in das gelblich- graue Gesicht mit der scharfen Nase. Die Augen des Fräuleins schauten sie so geärgert an Else fenkte verwirrt die Blicke und sah suchend auf das schwarze Kleid des Fräuleins. , Ich ich bei Tante Marie," stotterte sie; ich batte ja Ausgehtag."

"

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war ja

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Was! die dumme Kröte antwortet so widersehlich?!" schrie das Fräulein. Mit der einen Hand strich sie ihr blondes gefettetes Haar hinter die schwarze Haube; mit der anderen Hand zog sie Else an der Schulter zur Lampe.

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fieh mal! Ach ganz nettes Pflänzchen! Stunde, die ich Euch gebe? Deiner Schürze?"

die neue Kleine

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Du bist ja ein Lernst Du so etwas in der Religions Was hast Du denn dort unter

Kuchen von Tante Marie", sagte Else leise. Was?" fragte Fräulein Anna. Kuchen

" Beig' doch mal her

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Ei! das möchte Euch wohl so passen das Austaltsessen ist Euch wohl nicht sein genug?-he­So der Kuchen bleibt hier. Er hatte sich aufgerichtet und lachte fröhlich. Er faßte Ihr füßen Mäulchen?- mich unter den Arm, während Cesarine die Decke aufnahm Geh schlafen Marsch! Was stehst Du noch?!" und auf der Brust des Kranken den Shawl zurechtrückte, Else würgte an den aufsteigenden Thränen. Langsam ging fie deffen einer Zipfel fich losgemacht hatte. Und dann gingen die breiten Treppen hinauf. In den langen Treppenfluren roch es wir schwagend, er in unserer Mitte, durch den Garten. Er Bei Tante Marie in Berlin war doch eine gemüthlichere Luft. durchdringend nach Staub und Katzen. Else mußte huften. war von allem entzückt; er freute sich darüber, daß er ging, Im Schlafraum, in dem außer Else noch neun Mädchen schliefen, daß er seine Füße kräftig auf den Boden stüßte, wie war die Lampe schon gelöscht. Else tastete sich nach ihrem Bett, um zu zeigen, daß er kräftige Beine habe, daß er seine dem vierten an der linten Seite. Dhne ihre nasse Kleidung abzu Stimme erheben konnte, ohne daß ein Hustenanfall ihm legen, setzte sie sich auf die Bettfaute und starrte über das fünfte das Wort abschnitt, daß er er seinen Kopf zurückwarf Bett hinweg zum Fenster hinaus. und mit vollen Zügen die Luft einathmete Draußen war alles finster; nur die Lichtflecken der Weglaternen seine Lungen seien jetzt wieder ganz frei, behauptete er- daß seine Arme flackerten unruhig in einem feuchten, schillernden Dunstkreis. Von auf den unsrigen ruhten, daß er wieder wie er sagte und huschte über die Betten. Zeit zu Zeit leuchtete ein Strahl von der nächsten Laterne herüber auf die Eroberung des Lebens ausgehen konnte, in Begleitung der beiden einzigen Wesen, die ihn jemals geliebt hätten. Darüber vergaß Cesarine ganz die Unruhe, die sie eben noch beherrscht hatte.

( Fortsetzung folgt.)

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( Nachdruck verboten.)

Am Waisenhaus.

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Von Hans Ostwald . Else hielt mit der linken Hand das kleine Ruchenpäckchen sorg. fältig unter ihrer blauen Schürze es sollte nicht vom Regen durchnäßt werden. Seit vier Wochen war sie im Waisenhaus. Heute durfte sie zum ersten Mal zu Verwandten gehen. Bei der Zante Marie hatte sie Kaffee und Kuchen bekommen. Wie schön hatte das geschmeckt nach dem ewigen Brotessen in der Anstalt! Und dann hatte Tante Marie den Kuchenrest in Zeitungspapier gewickelt und ihn ihr mitgegeben Für morgen" Ja; und die gute Tante hatte ihr sogar noch heimlich ein Zehnpfennigftück in die Hand gedrückt: Bum Fahren- Dann brauchst Du nicht den weiten Weg laufen."

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Else dachte an die Fahrt in der Stadtbahn. Da saßen junge Mädchen und junge Herren im Abtheil, die spaßten soviel und lachten und dann ging's so rasch an den Häusern vorbei dann manchmal minutenlang die fahlen, hohen Hintermauern schmale Hofplätze- Straßen mit doppelten Lichtreihen zuletzt ein langer, langer Güterbahnhof die vielen Eisenbahnwagen und Lokomotiven.

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Mit den jungen fichernden Damen und Herren war fie aus gestiegen. Die gingen jetzt paarweise unter Regenschirmen vor ihr her. Von einem Lokal, das abseits zwischen jungen, nackten Bäumen lag, tamen verlorene Töne aus dem Tanzsaal herüber. Die er­leuchteten Fenster warfen ruhige Flecken Licht auf die wit Wasser tümpeln bedeckte Erde.

Die jungen Leute bogen vom Wege ab zum Lokal. Else ging jetzt einsam den aufgeweichten Weg weiter zwischen abgeblühten Hyazinthenfeldern und Schuttackern. Die Laternen standen hier weiter von einander die dunklen Zwischenräume wurden größer- Else glaubte mehrmals Gestalten im Schatten der Bäume zu sehen. Furchtsam zog sie ihr schwarzes Wolltuch um ihr Kinn fester und lief schneller.

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Jest tam sie an einer Gärtnerei vorüber. Hinter den Fenstern war alles todt und lichtlos. Die Sträucher streckten drohend ihre abgestorbenen Reisigbündel in die graue, feuchte Nachtluft.

Als Else um die Ecke des Stacketenzaunes der Gärtnerei bog, sah sie endlich die massigen, eckigen Gebäude des Waisenhauses, die schwarz und lichtlos auf der kahlen Fläche lagen. Erft als sie der Anstalt näher gekommen, fah fie matte, dünne Lichtstrahlen aus der Eingangsthür bringen.

Else's Nachbarin, die von den Waisenkindern die Knautsch- Liese genannt wurde, weil sie immer an ihren Fingernägelu nagte, richtete sich jetzt halb hoch. Auf dem linken Ellenbogen ruhend, fragte fie: Na Elfe wie war's denn? Hafte nischt mitgebracht?" Das ganze Wehgefühl, das sich in Else seit ihrem Eintritt in die Anftalt aufgesammelt hatte das Einsamkeitsgefühl brach plößlich hervor. Schluchzend stotterte sie:

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" Fräulein Anna

ive

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weg genommen

ha

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hat mir­

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den Kuchen

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Dann legte fie Liese blickte sie eine Weile verständnißlos an. sich wieder zurecht und zog die Bettdecke über ihre Schultern. Wenn Du so dumm bist-" meinte sie; Du hast'n doch gewiß nicht recht versteckt!"

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Als Else sich ansgeweint hatte, fühlte fie erst, daß sie noch die nassen Kleider auf dem Körper batte. Gedankenlos zog sie das Zeug herunter, hing jedes Kleidungsstück auf den dazu bestimmten Nagel und stieg in ihr Bett.

Das Nachtgebet, das sie in der Anstalt gelernt hatte, vergaß sie heute zum ersten Mal. Sie troch bis an die Nase unter die Bett decke, zog die Kniee an den Körper und legte die Hände zum Er­wärmen unter die Achselhöhlen der Arme. Dann beobachtete sie die Beim Ein buschenden Lichtflecken an den weißgetünchten Wänden. schlummern sab sie noch unbestimmt, wie im Traum, den großen Teller voll Kuchen bei der Tante.

Am nächsten Morgen faßen die Mädchen in ihrem Klassenzimmer vor den aufgeschlagenen Religionsbüchern. Schwester Elisabeth leitete in Vertretung für Fräulein Anna die Stunde. Sie ließ das Vaterunser hersagen immer der Reihe nach.

Jetzt stand ein Mädchen zum Hersagen auf, das eine Bank vor Else saß. Zwischen ihm und Else waren acht Schülerinnen Else hatte noch eine Viertelstunde Zeit, bis auch sie ein Vaterunser her­fagen mußte.

Sie sah zwischen den Köpfen ihrer Kamerabinnen hinaus durch die Fenster. Es regnete nicht mehr, aber der Himmel war noch be deckt, wie wenn ein großes, graues Tuch unter ihm ausgespannt wäre. Vor dem Fenster, durch das Else blickte, ragten die schmalen, Taublofen Stämme von vier Pappeln auf wie die gespreizten Finger einer emporgestreckten Riesenhand. Ganz hinten dehnte sich ein dunkler Streifen am Horizont der Wald. Jeht näherte sich über den flachen Feldern ein aufsteigendes, zerflatterndes Rauchband dort war die Bahnstrecke nach Berlin Elfe mußte fich jetzt erheben gleichmüthig, traumhaft fing fie ihr Vaterunser an. Aber als sie an das Unser täglich Brot gieb uns heute" fam, stockte sie und ward ganz heiß.

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Und führe uns nicht in Versuchung," stieß sie noch angstvoll stotternd hervor. Dann stiegen ihr die Thränen auf, und naß lief les ihr über die glühenden Backen