erkannte die Regelmäßigkeit des Rottenfeuers. Das kam vom Lnxcmbonrg. Das war keine Schlacht mehr, das war Füsilade. Und ich blieb da, unbeweglich, stumpfsinnig vor Schrecken, und hörte zu. XXII. Ein einziger Gedanke tröstete mich: daß Paul und Cesarine im Schutze ihres Lazareths sicher allem entgangen wären. Wo hatte die Explosion des Pulvermagazins statt- gefunden? Ich wußte es nicht. Aber sicher entfernt von den Krankenbaracken. Diese, isolirt inmitten des Terrains der ehemaligen Pepiniere gelegenen Baracken konnten sich nicht in der Nachbarschaft einer Barrikade befunden haben. So glaubte ich, daß meine Freunde keiner Gefahr ausgesetzt gewesen seien. Gegenwärtig hatten sich ohne Zweifel die Truppen des Lazarethes bcmächligt und dort ihre Ber- mundeten untergebracht, die nun Cesarine weiter als Kranken- Pflegerin versah. Armer Paul! Welche Angst muß er trotzdem ausgestanden haben in dem Gedanken, daß sein Vater Antheil an dem Siege der Armee nähme und nun ihn als einen der zn bestrafenden Besiegten betrachtete! Aber nein, nein," dachte ich.Der Kapitän kann das nicht glauben. Er hat einen Brief als Soldat geschrieben; aber er ist doch kein wildes Thier. Selbst wenn er seinen Sohn mit der Waffe in der Hand unter den Insurgenten getroffen hätte, würde er doch nicht den Mulh gehabt haben, sich zum Richter und Henker aufzilwerfeu. Und um so weniger hat Paul etwas zn befürchten, als er unschuldig ist! Aber während ich mich dergestalt beruhigte, behielt ich im Innern doch eine unbestimmte, düstere Unruhe. Und sie wuchs immer mehr. Ich machte mir Vorwürfe darüber, daß ich hier so lange thatenlos dageblieben sei, ohne etwas zu ver« suchen. Was? Gleichviel was. Wenigstens meine Freunde wieder aufsuchen. Bei ihnen zu sein, für den Fall, daß der Kapitän seinen Sohn fände. Ich nahm meinen Militärpaß von der Ost-Armee und ging weg. Das Thor des Luxembourg war geschlossen. Ich ging an dem Gitter entlang, um so außen um den Park herum nach dem Terrain der ehemaligen Pepiniere zu gelangen. Ich blieb einen Augenblick an dem Platze stehen, wo an der Ecke der Rue Bonaparte und der Rne Vaugirard die Barrikade so furchtbar die ganze Nacht erhellt hatte. Die Pflastersteine waren rechts auf einen Hansen zusammengeworfen, um den Truppen die Passage zu gestatten. Sie schienen nur noch durch den Leichnam eines Föderirten vertheidigt zu sein, der auf dem Haufen platt ausgestreckt mit gekreuzten Armen und geballten Fäusten dalag. Den Bart bedeckte eine Lache Blutes. An dem nach der Rue Varin führenden Thor war ein Militärposten aufgestellt, der das Betreten des unbebauten Terrains verhinderte. Der Zutritt zu dem Lazareth war verboten. Man wollte die Verwundeten der regulären Truppen nicht sehen lassen. So sagte mir der Inhaber eines Ladens, bei dem ich eintrat, um Erkundigungen einzuziehen. Er theilte mir auch mit, daß es das Pulvermagazin des Luxembourg ge- weseil sei, das in die Lnft geflogen wäre, und daß ein Theil der Lazareth-Baracken bei der Explosion zusammengestürzt sei. Diese Nachricht gab mir einen Stich ins Herz. Ob Paul und Cesarine nicht von dieser Katastrophe mit betroffen sein mochten? Ich fragte, ob die Explosion dort Opfer ge- fordert habe. Nein," antwortete der Ladeninhaber. Es scheint, daß das Lazareth seit Dienstag geräumt worden ist. Und wohin verlegt?" Ich kailn es Ihnen nicht sagen." (Schluß folgt.) Sonnkagsplandevei. Wer in diesen Tagen das grauenhafte Schauspiel wüster Zer- störung selbst milangesehe» hat. wer selbst milerlebte. mit welch un- heimlicher Schnelligleit schmutzig braune, ekle Wasserflnthe» ihr ver­nichtendes Amt üben, ehe daß der erstaunte Mensch zur Besinnung kommt, der wird die grauenvolle vergangene Woche nimmermehr vergessen. Seelenfroh, der Ueberfütterung durch Kunst, wie sie im maßlosen Berlin gepflegt wird, für eine Weile entronnen zu sein. war ich von West nach Ost durch die Alpen gewandert. Noch dachte ich in ein paar letzten freien Stunden das liebliche Berggclände des Semmeriugs von der grünen Steiermark her zu betreten; aber das jähe Hochwasser störte meine Absicht. Da geht nun ein Wanderer ahnungslos seines Schrittes. Es hatte geregnet, aber nicht in dem Umfang, daß das Behage» sonderlich beei». trächtigt worden wäre. Zwischen Kindberg an der Semmeringstraße und zwischen Krjeglach(dem Geburtsort Rosegger's) kommt mir plötzlich ein Gendarm entgegen mit der Weisung, ich dürfe nicht weiter: Die Wege seien übeifluthet. Meine erste Aenßerung hierauf war ein verwundertes Berliner Nanu?" Stundenlang war ich neben der Mürz hergegangen, sie war wohl ein wenig angeschwollen und schmutzig-grau, aber sie sah nirgend gefahrdrohend aus und nnn sollte sie verheerend einherbransen? Man zweifelt im Anfang, man kann sich, auch wenn man die Tücken der Gebirgsivässer genau kennt, nicht recht vorstellen, wie das Element, das man eben noch in scheinbarem Frieden gesehen, so unvermittelt gleichsam, so urplötzlich ein freundlich grünende?, saftiges Thal in eine Wüstenei verwandelt. Es liegt eine gewisse Majestät auch in solchem Natnrschauspiel, trotzdem eS sich fast mit beklemmender Stille, ohne großartige Ausbrüche vorbereitet. Was half niir mein Verdutztsein? Ich mußte umkehren und den Bahnanschluß suchen. Auf der Bahnfahrt erst konnte man die unheilvolle Ueberraschung überschauen. Förmliche weite Seen breiteten sich zu beiden Seiten in den Thallandschaften aus. Bäche, die sonst sanft dahiumurmeln und im Hochsommer oft gänzlich ver» siege», geberdeten sich wie toll. Sie pfauchten, sie gurgelten, sie tosten; und wenn sie die Hindernisse, die sich ihnen in den Weg stellten, zerbrochen hatten, da überfluthete ihr trübes Gewässer Felder und Saaten und Wald und Wiese; es war wiederum still geworden; es schien, als empfänden die Flnthen, nachdem sie ihr Bernichtungswerk gethan, träges Behagen über ihre vollendete Ar» beit. Noch sieht man von einer Wegkrümmung ans einen Brückenkopf ragen, im Nu sprudelt das Wasser darüber, die Brücke verschwindet vor dem Auge und protzeuhaft erdrückend dehnt und wälzt und weitet sich die Fluth. Selbstverständlich gehört eine Eisenbahnfahrt im überschwemmten Gebiet nicht zu den Annehmlichkeiten des Lebens. Es giebt dann wohl keine Klassenunterschiede mehr auf der Eisenbahn; es giebt nur ein einziges gemeinsames Interesse: Wie kommt man weiter? Dabei kommt es zu Exaltationen mancherlei Art. Das Publikum, das heule an das Fahren mit normaler Eisenbahn» Geschwindigkeit sich gewöhnt hat, verliert leicht den Kopf, wenn es plötzlich tief ein- greisende Störungen erfährt. Hier hält ein Zug mitte» auf freiem Felde. Es dauert eine halbe Stunde, es dauert eine vtnnde, der Zug bewegt sich nicht. Das Publikum strömt ans den Wagen, es wird unruhig; es überhastet einander selbst, es überhastet die Beamten mit Fragen. Taktvolle, im Dienst des Publikums sorgsam geschulte Beamte könnten in solchen Momenten der Anfreginig Wunder wirken. Die entsetzliche Katastrophe der vergangenen Tage hat ja wiederum einige glänzende Beispiele erbracht, welcher Selbstüberwindung, welcher Größe der Mensch fähig sei. Das Lied vom braven Mann ist aufs neue zur That geworden und das Verhalten von Leuten. wie das des Doktors Maly in Trautenau. der 82 Personen aus einem berstenden Hause rettete, ist bewundernswerth. Gegen solche heroische Kraft sticht die bureankratische Stumpf- heit, wie sie so oft sich äußert, merkwürdig ab. Nicht in Steiermark und Niederösterreich allein, auch in Böhme» und Sachsen fiel mir auf den langen Fahrten, die ich mache» mußte. um endlich nach Berlin zu gelangen, immer derselbe Umstand auf: die Gleichgiltigkeit der Beamten gegen- über dem Publikum. Zuerst war ich geneigt, für österreichische lässige Gemüthlichkeit" z» nehmen, was doch eigentlich tiefer wurzelt. Bei allen amtirenden Organen fetzt sich der Glaube fest, das Publikum habe stumm und willfährig zu gehorchen und kaum das Recht zu fragen, warum irgend eine Anordnung getroffen sei. Das untergeordnetste Glied in der Beamten- kette fühlt seine stramme Autorität und kehrt sie alsbald hervor, sobald ihm das Publikum unbequem wird. Ins Gewicht fällt dabei freilich, daß die Verkehrsbeamtcn auch Überlastet sind. Welche Uebel aus dieser Neberlastung, aus der Knauserei der Verkehrsanstalten eiitstehen können, das sah man wieder bei dem heillose» Wirrwarr, den das gewaltige Unglück auch im VerkehrSlebe» mit sich brachte. Man denke sich zum Beispiel die Lage von Fahrgästen, die eine bestimmte Strecke, sagen wir in drei Stunden fahrplanmäßig zu durchmessen gedachten. Es sind aber sechs Stunden verflossen. Die Fahrgäste stecken irgendwo fest. Ringsum lecken die schlammigen Fluthe» weiter, fahlgrau, trüb ist der Himmel. Es ist natürlich, daß das Publikum immer anfgeregter wird. Gewiß, man bestürmt die Beamten mit Fragen; vielleicht manchmal mit ganz unvernünftigen. lästigen Fragen. Zlber schließlich ist der Beamte doch des Publikums wegen da. Das Publikum hat das unbedingte Recht, Aufklärung zu verlangen. Wenn es statt dessen häusig mit stumpfem Achselzucken abgefertigt wird, wenn ihm Konimandornse statt einer Erklärung der Sitnatio» entgegentrete:,, mnß die Ver- wirruug und Aufregung nicht noch gesteigert werden? Was manch­mal ein einzelner Beamter durch natürlichen Takt erreichen kann, ich habe es in Pirna wiederum gesehen. Wir kamen schon in der Dunkelheit von Bodenbach aus an und mußten in Pirna aussteigen. Der Zug war übervoll gewesen, es entstand ein heftiges Hin- und Herschieben; und eine Anzahl von Frauen spannten noch dazu mit der groben Rücksichtslosigkeit, die dem Geschlecht eigen ist, in dem Gedränge die Regenschirme auf; es regnete dabei nicht einmal stark. Der Schutzmann nun, der die wirre Sachlage überschaute, richtete halb witzig, halb galant an die Damen«ine Ermahnung; dag half, die Damen schloffen ihre Schirme und das beängstigende Gedränge löste sich wieder i» Ordnung auf.