Unterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 163.

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Die Schuldige.

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Von C. Viebig.

Niemand da alles still tein Beistand!

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Freitag, den 20. August.

( Nachdruck verboten.)

teine Hilfe,

alles leer- Mit dumpfem Stöhnen stellte sich Barbara auf die Füße, ein ungeheurer Schmerz durchfuhr sie jäh vom Kopf bis zu den Füßen und drohte ihren Leib in Stücke zu reißen. Eine namenlose Angst trieb ihr Herz zu rasendem Bochen und schnürte ihre Rehle zusammen; sie preßte die blutlosen Lippen fest auf einander, es hätte sich ihnen sonst ein Schrei der Berzweiflung und Qual entrungen. Langsam, Schritt für Schritt wankte sie weiter.

1897.

In den Büschen wisperte der Wind, im Kraut raschelte eine Gidechsehuh, sie fuhren zusammen. Mit dornigem Arm langte der Brombeerstrauch nach dem Kittel des vordersten, der Fuß glitschte auf dem feuchten Moos; zögernd standen sie.

Horch, horch, nun wieder Singen! Lallen eines feinen Stimmchens! Die heilige Genofeva wiegte ihr Kind!

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Zitternd vor Angst und Neugier schlichen die Buben näher dada- hinter dem Buschwerk, das wie ein schüßender Wall den kleinen Plan umfing, an der Quelle, die dem Sandsteingeklüft entsprang, sah man sie stehen, die Genofeva! Die Heilige! Den Lauschern sträubte sich das Haar. Sie stand im Eingang der Höhle, hinter ihr gähnte das Dunkel, um ihr Haupt woben sich Sonnenstrahlen; gleich einem Mantel von gesponnenem Gold floß das Haar um Nun war die Dorfstraße erreicht. Der Schweiß lief ihr ihre Schultern und nun hob sie das Gesicht, ein über­übers Gesicht. Mit zitternder Hand tastete sie sich an den irdischer Glanz ging von ihm aus, das Gras zu Füßen neigte Wänden der Häuser entlang wie endlos die Straße, wie sich, himmlisches Wehen fäuselte durch die Bäume, ein Hallen ewig weit das Armenhaus, drin die Katrein hauste! und Tönen ging durch die Luft this und Tönen ging durch die Luft die Kinder sahen nichts Der Athem der wankenden Gestalt feuchte, es flang wie mehr. ein Mechzen durch die Stille; nun blieb sie stehen wieder Gleitend, stolperne, sich überkugelnd, stürmten sie. den dieser ungeheure jähe Schmerz und nun wieder und wieder, Hang hinunter. Dornenzweige schlugen ihnen ins Gesicht, Barbara lehnte fich an die Mauer und stöhnte. Jetzt raffte fie Jacke und Hose rissen in Fetzen; bleich, athemlos, außer sich Die letzte Kraft zusammen noch diese Gasse noch diese vor Entsetzen und Wichtigkeit tamen sie heim. Ecke dort am äußersten Ende des Dorfes das kleine, halb zusammengefuntene Haus, abseits von den übrigen, das

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war's!

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Mit einem Laut, halb Wimmern, halb Erlösung, brach sie vor den Stufen nieder, auf Händen und Füßen troch sie hinan. Sie stieß mit der Faust gegen die Hüttenthür: Tant, maacht uf, Tant Katrein, um Chrifti willen maacht uf!"

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Mer haon se gefiehn, mer haon se gesiehn, de heilig Genofeva! Se stand omen vor ihrer Höhl, en Heiligenschein uf em Kopp, de Hirschkuh lag er ze Füßen, on Engelcher wiegten dat Könd; mer konnt de himmlische Muhsit heren- mer haon se gestehn!" drie gibi somie dinge

Se haon se gefiehn! De heilig Genofeva gieht om!" 4 Wie ein Lauffeuer durchflog's das Dorf; die Kinder wurden befragt und ausgehorcht, selbst der Herr Pfarrer Bauge Minuten verstrichen, dann tönte von innen eine ließ sich herbei, die Erzählung mit anzuhören. Da war kein zittrige Stimme: m- neli Haus, in dem nicht von der wunderbaren Begebenheit die Rede band war; zwei, drei Leute saßen nicht bei einander, ohne sich in die Ohren gu tuscheln:" Se gieht om, se haon se gefiehn!"

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Wän es eloa, bis Dau et, Barbe?"

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" Jao, jao," das Mädchen ächzte, maacht Jesses, rasch!"

maacht

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Die Thür ward vorsichtig geöffnet, ein runzliges, gebücktes Weib mit Triefaugen und Kropf leuchtete mit einem flackernden Dellämpchen heraus.

" Jeß Marie Jusep, Jeß Marie Jusep!" Fast ließ die Alte das Lämpchen fallen. Barbe  , es et e su weid Könner, Könner!"

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Laoßt mech rin!" Barbara schob sich über die Schwelle; halb troch fie, halb zog die Alte sie.

Die Thür fiel in's Schloß, der Riegel ward vor­geschoben.

Aber hinter dem verhängten Fensterchen der Hütte glomm matter Lichtschein die ganze Nacht, und als das Frühroth am Himmel flammte und unter Vogelgeschmetter der junge Tag über die Berge lugte, erklang drinnen in der elenden Stube der Armenhäuslerin der erste wimmernde Schrei eines Kindes.

Die alte Sage vom Ritter Siegfried auf Burg Ramstein ward wieder lebendig, der dem falschen Knechte fein Ohr lieh, sein unschuldiges Weib der Untreue zieh und von sich stieß, daß die arme Genofeva in der Höhle, tief im Wald, Zuflucht suchen mußte, dort ihr Kind mit Thränen herzte und mit der Milch der Hirschkuh ernährte. Sie saß viele Jahre in dem dunklen Felsenloch. Ihr Gewand zerriß, sie hatte nichts zum Mantel als ihr goldenes Haar; aber zuletzt ward sie heilig und die Engel segten ihr eine Strahlenkrone auf's Haupt. Und nun hatten die Kinder sie gesehen.

" Jao, jao, ech glauwen et wohl", sprach die Katrein Holzer, die derweilen als einzige Pfründnerin im halb­verfallenen Armenhaus hockte, und nickte geheimnißvoll, daß ihr Kropf wackelte, lao haon ech se schuns mannigmaol fingen heren, wann ech erum gefraucht bin nach Holz on Beeren; ämer, äwer ech haon mech dao dervon gemaoch on niemand neist verzählt. Et es net wohlgedahn, et es net wohlgedahn, wann mer doadrüwer reden duht, on gaor de Heilige fiehu dat ons Gott bewaohr!" Sie schlug fromm ein Kreuz, und die Umstehenden schlugen rasch eins mit.

Droben im Wald bei der Genofevahöhle spukte es. Das ganze Dorf wußte es, seit Wochen ging's dorten um. Die" Mech soll et wunnern," die Alte blinzelte scheu herum Kinder, die nach Kräutern und Beilchen sich tief im Dickicht und ihr zahnloser Mund flüsterte, paßt uf, ech duhn verloren hatten, waren entsegt heimgekehrt. Es war nie recht net daofür kurantören, ob de Rönner net verspillt haou; geheuer um die einsame Stätte gewesen, selten betrat ein de Heilige läßt sech net ongestraft belurenet es net wohl Menschenfuß den schmalen, schwer erkennbaren Pfad, der gedahn, et es net wohlgedahu!" zwischen Geröll und kaum durchdringlichen Büschen den steilen Die Katrein hatte so unrecht nicht. Fischer Matthes sein Berghang hinaufführte. Nur der zierliche Huf des Rehs drückte Bitter, der erste, der die Genofeva geschaut, der auch nachher im sich in das weiche Moos, und in den zitternden Sonnenstrahlen, Dorf den größten Mund gehabt, ward einige Tage danach. ink. die den grünen Rasenfleck vor der Höhle vergoldeten, wärmten Was ihm fehlte, wußte man nicht; er hatte es arg im Leib, sich schillernde Eidechsen. Heuer aber hatten die Dorfbuben, und fein Essen war ihm bekömmlich. So sehr schlimm war es die den Wald durchstreiften, droben ein seltsames Singen ge- eigentlich nicht, aber der Bube hatte eine Höllenangst und hört; dazwischen klang's wie Weinen einer Kinderstimme. Die schrie immer: stille Sommerluft trug die wunderbaren Laute an ihr Ohr, Modder, Modder, et sein net de onreifen Kerschen, et es Lauschend standen sie. Horch, wieder das Singen! Oder de Genofeva! Ech gänn geftroft, ech haon mit de Fingren rauschten die Büsche nur so, oder murmelte der Quell, der uf er gezeigt!" den Hang hinunter plätscherte? Leise, gedämpft, wie aus der Tiefe der Erde kamen die Klänge! Mit aufgerissenen Augen, mit offenem Mund schlichen die Kinder näher, sich schiebend und drängend und einander beim Jackenärmel haltend. Was war's?- Alles still.

Und die Mutter heulte und rief die Gebenedeite und alle Nothhelfer; nur keinen Doktor.

Wat soll hän cach hei? Dao hilft kein Medezin ein holen, ons Bittchen muß doch stärwen!"

Da war kein Mensch in ganz Ehrang  , der zur Genofevas