Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 164.

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Die Schuldige. Von C. Viebig.

Sonntag, den 22. August.

( Nachdruck verboten.)

1897.

Vertrauen. Sie thut doch gar keiner anlügen, gelten Ge? Ihnen gestehu die Leut gewiß gleich, was sie Böses gethan haben?"

" Das läßt sich halten." Der Staatsanwalt lächelte und zuckte die Schultern.

gestern!"

Was Sie nicht sagen! Pot Tausend, kleine Anna, ich gratulire, gratulire von Herzen!"

Es ging auf die Erdbeerzeit. Am Sonntag Nachmittag Neinuet?" Das Mädchen war ganz erstaunt. Ne, auf dem Ramstein war reges Treiben. Die Sonne schien ich muß Ihnen alles sagen,' s is ja freilich nix e so Böses, ftrahlend hell, faft zu heiß, aber die schattigen Waldwege aber eigentlich verzählen sollt ich's net. Jch- ich-" sie waren doch erquickerd. Ueberall schaufelten sich unter Busch stockte, erröthete und wickelte den weißen Schürzenzipfel um und Kraut die unzähligen purpurnen Perlen der Erdbeere, die Finger, ich will mich verändern, ich bin Braut, seit daneben noch die lieblichen weißen Blüthen; Hoffnung und Erfüllung an einem Stengel. In Schaaren strömten die Städter ins Kyllthal, sie tamen bis Ehrang mit der Eisenbahn oder zu Wagen; nun pilgerten sie zu Fuß hin­über nach dem Ramstein, erfüllten den Wald mit Gesang und Lachen und Jubelruf, warfen Kiesel in den rauschenden Bach und wichen kreischend dem Sprißen der Wellen aus, fammelten Blumen, schlangen grüne Gewinde um Hut und Haar und priesen entzückt den würzigen Duft, die Süße der Erdbeeren. Manch steifer Rücken beugte sich, um die lockende Frucht zu gewinnen; manch helle Sommerhose verunzirte ein faftiger Grasflect; manch zarte Mädchenhand sammelte die zierlichen Stengel zum Sträußchen und steckte es lächelnd an die junge Brust. Strohköpfige Dorfkinder standen am Wege und starrten den gepußten Fremden nach; auch sie hatten ihren besten Staat an, die Kattunschürzen steif vor Stärke, die Haare mit Wasser aalglatt hinter die Ohren ge­strichen.

Die hübsche Anna auf dem Ramstein prangte im hellblauen Rattunkleide und blendend weißer Schürze; die braunen, schön geflochtenen Böpfe hielt der filberne Pfeil am Hinterkopfe zu­sammen, eine sanfte Röthe lag auf den runden, noch kindlichen Wangen. Sie hielt beharrlich die Augen geſentt bei allen Schmeicheleien, die ihr zugerufen wurden; nur das Vertiefen der Grübchen rechts und links von dem lieblichen Mund zeigte an, daß sie einen Scherz verstanden. Eilig wie eine Bach­stelze trippelte sie zwischen den Tischen hin und her, die der Bater aus rohen Brettern droben, in: nitten der Ruinen der alten Burg oder drunten auf saftig grüner Wiese, auf geschlagen hatte. Emsig eilte sie ab und zu; bald war sie hier, bald dort.

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" He, schöne Auna, mir Kaffee! Hier Milch! Hier Bier! Einen Schoppen schöne Anna, hören Sie doch! Schöne Anna, wenden Sie mir doch auch mal einen Blick zu!" so schallte es ununterbrochen au ihr Dhr. Nun endlich eine Pause! Aufathmend hielt sie inne und lehnte fich gegen den Tisch, der ein wenig abseits stand und an dem ein einzelner Herr in dunklem Rock und hohem Hut Platz genommen hatte. Es war ein Mann in mittleren Jahren; aus dem klugen Gesicht blickten ein paar tiefliegende, finnende Augen und hefteten sich freundlich auf das rosige Mädchen­antlig.

Staatsanwalt Karl Milde aus Trier tam schon seit Jahren auf den Ramstein. Er planderte gern mit der hübschen Anna, die ihm schon als Kind im kurzen Röckchen entgegengesprungen war; manche Zuckerdüte war in die kleinen verlangenden Hände geglitten.

Nun, Fräulein Anna," sagte er und hielt seine Hand hin, ,, wie steht's?"

O, ich danke, es geht mir gut," fie fnirte und legte ihre warmen Finger vertrauensvoll in die dargebotene Rechte, und Ihnen, Herr Staatsanwalt?"

Na, solch ein Junggeselle wie ich, wie soll's dem gehen?" Ein leichter Schatten flog über das ernste Männergesicht, und die Falte zwischen den Brauen vertiefte sich. Unsereins hat viel Noth unter Händen, viel Glend, viel Schuld.'s dient nicht gerade zur Erheiterung! Wissen Sie was, Fräulein Anna, heirathen Sie keinen vom Gericht, das sind nicht umgäng­liche Leute."

Wären auch viel zu fein for mich!" Sie lachte leise und ein tiefes Roth flog über ihre Wangen; gleich darauf schlug sie zum ersten Mal die sonst beharrlich gesenkten Lider auf und sah den Herrn mit ihren Klaren Augen faft zärtlich an. Ach, Herr Staatsanwalt, wann all die Herrn vom Gericht sein thäten wie Sie! Wann Sie ei'm angucken, wird's einem ganz warm hier herum"-sie wies aufs Herz ,, man friegt gleich e so en

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n

" Pst, pft, net e so laut!' s is noch heimlich, mein Bräuti­gam will noch net, daß es unter die Leut kömmt!" So, und warum denn nicht? Wer ist denn der Glück­liche?" Sie hob den Arm und wies über den Wald hin.. Drüben bei Ehrang auf dem Pfalzelhof wohnt er,' s is Pfalzelbauer sein Lorenz!"

dem

"

Was, der Lorenz, der schöne Bursche?! Mit dem bin ich neulich ein Stück Wegs gewandert ein schmucker Bräutigam, das muß man sagen!"

erst

Gelten Se?" Die Anna lächelte glückselig, ein Schimmer freudigen Stolzes verklärte ihr Gesicht. Und so brav! Sehen Se, Herr Staatsanwalt, Geld hat er feius, aber das thut nig, er is e so brav und fleißig! Die Jungfrau Maria hat mer en rechtes Glück beschert wann ich's mur verdien'!"

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Liebes Kind", der Mann ergriff die Hand des Mädchens und drückte sie herzhaft, gewiß verdienen Sie's! Ja, ja, aus Kindern werden Leute, aus Mädchen werden Bräute. Schau einer die kleine Auna an! Was werden die Leute in Ehrang fagen?"

Dje, die haben jetzt e so viel zu schwätzen, da acht teiner auf uns! Denken Se nur, Herr Staatsanwalt, was passirt is! Die Kinder, die im Wald erumgelaufen sind, die haben e so en wunderbar schönes Singen gehört, und wie sie dem nach sind, fommen sie hoch oben vor die Genofevahöhl, und da wird's ihnen e so gruselig und doch e so andächtig, und vor der Höhl is en Glanz gewesen, daß ihnen die Augen übergelaufen sind, und in dem Glanz hat eine drin gestanden, herrlich, mit langem goldnen Haar bis an die Kuie und-" Nun, und?"

ihre

Das war die heilige Genofeva", flüsterte Anna und öffnete Augen weit, das war fie!"

Was Sie nicht sagen, kleine Anna", dem Staatsanwalt zuckte es bedenklich um die Mundwinkel, das ist in der That eine höchft aufregende Geschichte; wenn sie nur wahr ist!"

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"

Gewiß, gewiß, die is so wahr wie Amen in der Kirch", eiferte das Mädchen. Und denken Se nur, dem Fischer Matthes sein Jung, den is e so frech, den hat gesagt, eigent lich hätt die heilig Genofeva aterat ausgefehn wie andere Franensleut auch die Sünd! Aber die Heilige hat ihn gestraft, er liegt schon lang e so frant, er wird wohl sterben. Was sagen Sie da derzu, Herr Staatsanwalt?- Aber Jeß, ich stehn und verschwäßen mich, und im Hans is e so viel zu thun. Adieu, adieu, Herr Staatsanwalt, bis gleich!" Fort war fie, Milde sah ihr nach.

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Ein liebes, prächtiges Mädchen; wundert mich, daß sie noch so abergläubisch ist. Die heilige Genofeva lächerlich! Ich will mich doch jetzt einmal aufmachen und zur Höhle klettern, vielleicht erscheint mir das Wunder auch." Mit einem sarkastischen Zwinkern ergriff er Hut und Stock und schlenderte langsam dem Walde zu.

Staatsanwalt Milde war eine bekannte Persönlichkeit, von allen Seiten wurde er gegrüßt. Auf der grünen Wiese tummelte sich die Jugend in allerlei Spielen. Bunten Schmetter lingen gleich flatterten farbige Mädchenkleider über den Rasen, heller Zuruf ertönte, Lachen, Scherzen; mauch schönes Auge blickte dem Vorübergehenden verstohlen nach. Milde schob sacht die Kinder aus dem Weg, die ihm in der Luft des Spiels vor die Füße taumelten, er grüßte hier, drückte dort eine Hand, ging aber unbeirrt weiter. Bald lag der Lärm, das Getriebe hinter ihm; er trat unter die ersten hohen Stämme. Noch einmat schaute er zurück. Es war ein lieblicher Anblick.