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nichts sagen. An den Nachmittagen mußte Rarl ihm viel bei seinen| Wirthschaftsberathungen und Strömlingen zum Mittag, fragte Frau privaten Geschäften helfen. Nicht selten wurde er dafür zu einem Pliggelin, als sie sich um halb zwölf zu Bett legten:

Glase Punsch eingeladen und am Schluß des zweiten Jahres durfte er sogar in den Laden hinausgehen und sich Stoff zu einer Hose auswählen.

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An einem Frühlingsabend, da fich die Extra- Arbeit länger als gewöhnlich hinzog, verrieth Karl deutliche Zeichen der Unruhe.

" Ist Ihnen nicht wohl, Herr Pliggelin?" fragte der Direktor. " Ach, dante, ja," erwiderte dieser; aber einen Augenblick später fuhren seine hellblauen, kleinen, demüthigen Augen abermals herum nach den knospenden Bäumen und zwitschernden Vögeln und dem verschoffenen Shoddymantel, der an einer Stange bei der Thür als Reklame des Großhandels hing.

Es scheint Ihnen doch nicht wohl zu sein!" sagte der Direktor. Ach danke... Ja... aber ich pflegte immer am Abend ein wenig frei zu haben, natürlich, wenn der Herr Direktor gestattet denn ich sollte... ich sollte... ja, es wird ja wohl doch bekannt werden. ich sollte mich verloben.... Natürlich, wenn der Herr Direktor nichts dagegen hat. Und ich wollte nur sagen, es ge­schieht heute Abend," fügte Karl mit zunehmendem Selbstgefühl hinzu.

Ja, es war wirklich so, daß der Sklave Eine gefunden hatte, die bereit war, sich in seine Rette hineinzudrängen, obgleich sie schon für einen zu eng zu sein schien. Es war ein kleines, bleiches, ftilles, ehrbares, nicht gerade häßliches Mädchen, das keinen Vater und feine Mutter, feinen Schutz hatte, und als Schirm gegen die Noth nur ihre beiden mageren, schwachen Händchen besaß.

Diese Hände nähten Wäsche; die schüchternen Ranken der sproffenden Liebe zwischen den beiden hatten sich anfangs um drei von Karl bestellte Plätthemden geschlängelt, die feinsten, die er noch in seinem Leben gehabt hatte.

Ihre Verlobung und Ehe, die fich gleich daran schloß, hatte nichts von der jubelnden berauschenden Siegesfreude der Liebe; es waren zwei unbedeutende Menschenkinder, um die sich kein anderer kümmerte, die aber glaubten, daß sie Rücken an Rücken, Seite an Seite, Bruft an Brust in der kalten und oft leblosen Welt besser durchkommen würden.

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Weißt Du, was heute für ein Tag ist, Alter?" Nein. ich entsinne mich nicht recht. " Unser silberner Hochzeitstag!"

Eines Tages wurde Pliggelin frank. Er war es schon öfter gewesen; aber nun war es so gründlich, daß er nicht ins Bureau gehen konnte..

Nachdem man zwei Stunden lang die unumgänglichen Ausgaben der nächsten Zeit zusammengestellt und berechnet hatte, wurde der Doktor gerufen. Als er ein paar Mal gekommen war, sagte er, so schonend wie möglich, daß nichts mehr zu hoffen wäre. Wie bald geht es zu Ende?" fragte Karl.

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Es fann feine Woche mehr dauern!"

" Es muß, Herr Doktor! Denn in der nächsten Woche haben wir Quartalswechsel, und ich muß doch wenigstens die Ab­rechnung

Karl Pliggelin unterbrach sich und versank in tiefe Gedanken. Er fühlte instinktiv, daß er vor etwas stand, worüber auch selbst der gehetteste Fleiß oder die stärksten Ketten nicht Herr waren.

Und es zog gleichsam ein leichtes ironisches Leuchten über sein abgezehrtes, weltes Gesicht hin bei dem Gedanken, daß er, selbst er mehrere Tage ausgestreckt daliegen sollte, ohne etwas zu thun, und auf den großen Sklavenbefreier warten

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Kleines Feuilleton.

Adie Poesie! Zu dem Artikel Die Glocken von Vineta" ( Nr. 179 des Unterhalt.- Bl.") wird geschrieben: Dem Mitarbeiter des Prometheus" möchte ich bemerken, daß die so poetisch von ihm geschilderten Glockentöne auf eine sehr prosaische Ursache zurückzu­führen sein dürften. Bekanntlich werden die Untiefen des Meeres burch Seezeichen verschiedener Gestalt, Baken, Bojen 2c. genannt martirt. Einzelne diefer Bojen sind nun mit Glocken versehen, die durch die Wellenbewegung zum Läuten gebracht werden. So fand ich derartige Glockenbojen in diesem Sommer in der Nähe von Nor­Ihre Wohnung erinnerte so weit als möglich an das Nest des derney und bei einer Fahrt von lekterer Insel nach Bremerhaven  Sperlings, und beide arbeiteten wie vorher. Sie nähte, er rechnete in der Nähe des Badewaffers. Es hat daher gewiß sehr viel Mahr. und schrieb; und als ihre Kraft schwächer wurde, ihre Schritte scheinlichkeit für sich, daß auch das von dem Prometheus"-Mit­schwerer und sie nicht mehr so konnte wie früher, mußte er um soarbeiter auf Amrum   vernommene Glockenläuten von einer solchen mebr rechnen und schreiben, Bücherabschlüsse, Korrespondenzen und Glockenboje herrührte.- alle möglichen Arbeiten übernehmen. Dann fonnte sie für einige Zeit nichts thun, und da brannte seine Lampe die ganze Nacht; es war ja schon viel, daß er nur immer Arbeit bekam.

Einige Wochen später surrte ihre Nähmaschine wie früher; aber nun sollten auch drei Mäulchen gefüttert werden.

Theater.

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,, Das unbeschriebene Blatt" von Ernst v. Wol­zogen wird als eine der nächsten Lustspiel Novitäten auf der Bühne des Schauspielhauses erscheinen.-

Das Leben wiederholt sich immer, und um so öfter, je enger es ift; nach acht Jahren nahm die Familie Pliggelin ebenso viele Tschapper", Lustspiel von Hermann Bahr   wird Reihen im Kirchenbuch ein. Ein halbes Duhend Kinder! am 25. September im Lessing- Theater" zur ersten Aufführung ge= langen.

Aber dann war das Gehalt auch auf 1100 Kronen gestiegen. Der Direktor hatte anstandshalber und auf Veranlassung des Geist­lichen, der Karl's Schulfamerad war, Karl 300 Kronen jährlich für feine Extra- Arbeiten im Privatkomtoir bewilligen müssen, und jedes Mal, wenn die Bevölkerung von Krähwinkel um einen neuen Pliggelin vermehrt wurde, ging der Direktor selbst in den Laden hinaus, füllte einige Dosen mit Kaffee und Zucker, fügte ein ganzes Dutzend Apfelsinen hinzu, nahm einen ganzen Mustat Lunel   vom Regal herab und sagte mit einer großen Gebärde: Nehmen Sie, mein lieber Freund, nehmen Sie!..." Aber die Maschine der bleichen, welten, müden Mama Pliggelin fonnte nicht mehr fremde Arbeit verrichten, Karl's Augen wurden immer schwächer, und er mußte sich wohl in acht nehmen, daß die Nase nicht verwischte, was die Hand geschrieben hatte. Niemals ein Ruhetag! Niemals den stärkenden Schlaf einer ganzen, vollen, ruhigen Nacht. Innerhalb zwanzig Jahren vier oder fünf Nachmittagsausflüge zu der eine Meile entfernten nächsten Insel mit einer Mahlzeit zu einer Krone im Gasthof! Ständige Jagd nach Gelegenheitsarbeit, die natürlich schlecht bezahlt wurde, da fie erbeten war. Alles grau in grau, ein glanzloses Leben! Die Freuden der Ehe natürlich! Ja, sie war ungetrübt von Zwiften, das konnte nicht geleugnet werden. Aber die beiden Kämpfer der Arbeit hatten einander nichts zu sagen, wenn das Tagewerk zu Ende war. Ihre Freude an einander fonnte faft mit der ruhigen Behaglichkeit des wiederfäuenden Rindes verglichen werden, wenn es im nächsten Stand die Athemzüge des getreuen Arbeitskameraden hört. Die Kinder! Ja, einige von ihnen bereiteten ihnen Sorge und Unruhe, und die Freude wurde zum größten Theil durch die Sorgen und Mühen aufgebraucht, etwas in sie hinein und auf sie hinauf zu bringen, wie Mama Pliggelin sich ausdrückte.

Während die älteste Tochter in der Kirche konfirmirt wurde, mußte Papa zu Hause fißen und den Betrag verdienen, mit dem ihr schwarzes Kleid bezahlt werden sollte.

Als der Erstgeborene im Krankenhause starb und fein Kinder­gefichtchen unverwandt nach der Thüre gerichtet war, und er flüsternd nach seinem Papa rief, mußte Papa im Bureau siten und Jahreszinsen in Empfang nehmen. Warum mußte er auch gerade während der Bankstunden sterben?

Nach einem Tag mit achtzehnstündiger Arbeitszeit, wehmüthigen

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Musik.

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-er- Linden Theater. Die Kunstform der Operette, die man seit Jahren feierlichst zur ewigen Ruhe bestattet, lacht ihre tritifchen Todtengräber so oft aus, als ihr Herr und Meister, Offenbach  , mit seinem unerschöpflichen Melodienquell, seiner in ihrer Einfachheit unnachahmlichen Inftrumentirungskunst und seiner parodistischen Kraft zu Worte kommt und mit seiner musikalischen Grazie uns immer wieder umstrickt. Er baut teine Finales auf, die vergeblich mit dem Klangpathos der großen Oper foquettiren; er muthet den Gesangskräften teine Athletenleistungen zu, verlangt da­gegen fein ausgearbeitete Tongebung und zierlichen, geistbelebten Bortrag; in seinem Orchester giebt es nicht die chaotischen Ton­fluthen der modernen Operette, seine Partituren begnügen sich mit wenigen Liniensystemen, dagegen fennt er die süßesten Geheimnisse und stärksten Wirkungen jedes einzelnen Instruments furz, bei ihm ist alles wie bei einem Genie, und bei den meisten seiner Nach­folger im musikalischen Lustspiele ist alles wie bei mehr oder minder begabten Musikanten. Das zierliche Roccoco und die freie Grazie der Offenbach'schen Watteau- Musit, die in solch' beschämendem Gegen­faße zur heutigen schreienden und frampfhaften Operettenfabrikation steht, lebt besonders in den feinen einaftigen Genrebildchen, mit deren zweien Direktor Fritsche den Offenbach  - Zyklus" er­öffnet hat. Urlaub nach dem 3apfenstreich" und " Tulipatan" sind auch dem Libretto nach typisch für eine ver­gangene Zeit. Im erstgenannten Werkchen eine galante Liebesibylle mit harmloser, luftiger Intrigue und abschließender Doppelhochzeit, im zweitgenannten das satirische Bild der seltsamen Romantit fagen hafter Kleinstaaten, welches alle diejenigen für höheren Blödsinn" balten, die für parodistische Nadelstiche keine Empfindung haben. Eine staunenswerthe Fülle blühender Mufit ist über die Kleinigkeiten ausgegossen, Witz und Geist in der Erfindung und instrumentalen Detailkunst erlahmen nie, und vor allem, Offenbach's Sentimentalität ist immer der Schatten seines anmuthigen Humors. Die Dar ftellung im Linden- Theater wird dann alles Lobes werth sein, wenn sie offenbachischer geworden sein wird; es fehlt noch an leichtem Dufte und jener feinen Bointirung, die um so lebendiger wirkt, je mehr ihr an drückender Schwere genommen wird. Tadellos bis ins einzelste war die Regie.

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